BGH Urteile | Ehrverletzung (Abwägung, Recherchepflicht) - Stolpe; "IM-Sekretär"; Siehe so genannte Stolpe-Entscheidung 1 BvR 1696/98 | | BGHR Zivilsachen>BGB>2. Buch §§ 241-853 Recht ... >§§ 433-853 Einzelne Schul... >§§ 823-853 Unerlaubte Han... >§ 823>§ 823 Abs. 1>Ehrverletzung | | Persönlichkeitsrecht; Ehrenschutz; Unterlassungsantrag; Meinungsfreiheit Abwägung, Recherchepflicht | BGH, Urt. v. 16. Juni 1998 – VI ZR 205/97 |
| | Zwar kann die Meinungsäußerungsfreiheit regelmäßig dann keinen Vorrang vor den damit kollidierenden Rechtsgütern Dritter beanspruchen, wenn der sich Äußernde vor Aufstellung der in die Meinungsäußerung eingebetteten Tatsachenbehauptung keine hinreichenden Recherchen über deren Wahrheitsgehalt angestellt hat. Die an diese Recherchepflicht, deren Erfüllung zur Darlegungslast des Beklagten gestanden hätte (vgl. BVerfGE 85, 1, 21; Grimm, NJW 1995, 1697, 1702), zu knüpfenden Anforderungen dürfen aber, gerade wenn es sich - wie hier - um Tatsachen handelt, die nicht aus dem Erfahrungsbereich des Äußernden stammen, nicht überspannt, insbesondere nicht so bemessen werden, daß die Funktion der Meinungsäußerungsfreiheit beeinträchtigt würde (BVerfG 85, 1, 21). Zu einer solchen Beeinträchtigung führte es aber, wollte man dem Beklagten wegen Nichterfüllung der Recherchepflicht die Berufung auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen und damit die fehlende Rechtswidrigkeit seiner Äußerung versagen. Was an Recherche erforderlich ist, bestimmt sich nach der jeweiligen Möglichkeit. Hier waren durch die Ermittlungen des Untersuchungsausschusses des Brandenburgischen Landtages, den Recherchebericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes und die Arbeit des Vorprüfungsausschusses der Evangelischen Kirche in Deutschland bereits alle verfügbaren Erkenntnisquellen für die Beurteilung der Grundlage, der Art und des Umfangs einer Zusammenarbeit des Klägers mit dem Staatssicherheitsdienst erschöpft. Dem Beklagten, dem die Ergebnisse dieser Untersuchungen bekannt waren, standen keine weiteren Möglichkeiten offen, substantiell Neues über die Rolle zu erkunden, die der Kläger in seinen Kontakten mit dem Staatssicherheitsdienst gespielt hat. Die Meinungsäußerungsfreiheit hat im konkreten Fall auch nicht aus anderen Gründen hinter das Persönlichkeitsrecht des Klägers zurückzutreten. Zwar hat die betroffene Grundrechtsposition des Klägers einen hohen Stellenwert. Die beanstandete, nicht erweislich wahre Behauptung des Beklagten trifft die Ehre des Klägers schwer. Auf der anderen Seite ist aber zu beachten, daß sie nicht etwa im privaten Bereich in Verfolgung eigennütziger Ziele, sondern im politischen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage gefallen ist und deshalb - da sie nicht erwiesen oder evident unwahr ist - zugunsten des Beklagten die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede spricht (vgl. BVerfGE 61, 1, 11; 85, 1, 16). Sie ist zudem in einer Fernsehsendung erfolgt, die plakative Aussagen nahelegt und Spontanität der Rede erfordert. Es kommt hinzu, daß sich der Kläger selbst engagiert an der politischen Auseinandersetzung beteiligt und damit aus eigenem Entschluß - unter Preisgabe eines Teils seiner schützenswerten Privatsphäre - ins Rampenlicht einer öffentlichen Diskussion gestellt hat, für die von vornherein die Thematisierung der Rolle nicht fernlag, die der Kläger mit seinen langjährigen Kontakten zum Staatssicherheitsdienst gespielt hat. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt wesentlich von dem, der dem Stasilisten-Urteil des erkennenden Senats vom 12. Juli 1994 (VI ZR 1/94 - VersR 1994, 1116) zugrunde lag. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß der Beklagte seine Behauptung nicht etwa ohne jeden Anhaltspunkt aufgestellt hat. Immerhin sprechen gegen den Kläger nach den unangegriffen gebliebenen Feststellungen des Berufungsgerichts zahlreiche allgemein bekannte Indizien, wie z.B. die langjährigen Kontakte des Klägers zu Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes, seine Treffen mit ihnen in konspirativen Wohnungen, die Entgegennahme der Verdienstmedaille der DDR und die Tatsache, daß er unter Mißachtung seiner Amtspflichten die genannten Kontakte und die Ordensverleihung vor der Kirchenleitung geheimgehalten sowie zwei wertvolle Buchgeschenke vom Staatssicherheitsdienst entgegengenommen hat. Quelle: Carl Heymanns Verlag br> Zur Abwägung der Meinungsäußerungsfreiheit gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. [Zum Sachv.: Der Beklagte - stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU in Berlin - hatte sich im Vorfeld der Volksabstimmung über die Vereinigung der Bundesländern Berlin und Brandenburg 1996 dem Fernsehen gegenüber wie folgt geäußert: "Die Tatsache, daß Herr St., wie wir alle wissen, IM-Sekretär, über 20 Jahre im Dienste des Staatssicherheitsdienstes tätig, daß der die Chance erhält, 1999 hier in Berlin, auch über Berlin Ministerpräsident zu werden, d.h., daß ich sein Landeskind werde, zusammen mit anderen, das verursacht mir doch erhebliche Kopfschmerzen." - Die dagegen erhobene Unterlassungsklage wurde vom BGH abgewiesen. Die beanstandete Passage, der Kl. sei "IM-Sekretär, über 20 Jahre im Dienste der Staatssicherheit tätig", weist einen Tatsachengehalt auf, der mit Mitteln des Beweises auf seine Richtigkeit überprüft werden kann. Sie läßt jedoch nicht nur die Deutung zu, der Kl. sei für die Stasi wie für einen "Dienstherrn" tätig geworden. Nicht auszuschließen ist auch das Verständnis, der Kl habe der Stasi - ohne hierbei durch eine Verpflichtungserklärung abgehalten zu sein - im Rahmen seiner unstreitig intensiven Kontakte zum Staatssicherheitsdienst diesem entsprechend dessen Erwartungen, aus welchen Motiven auch immer, bewußt und gewollt Informationen über Dritte oder bestimmte Vorgänge geliefert. Diese zweite Alternative ist dem auf Unterlassung in Anspruch Genommenen günstiger; sie ist daher der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen. Obwohl die Behauptung nicht erweislich wahr ist, wirkt sich dies nicht zu Lasten des Bekl aus. In Fällen, in denen es - wie hier - um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit geht, darf auch eine nicht erweislich wahre ehrenrührige Behauptung bei der gem. Art. 5 I GG und § 193 StGB vorzunehmenden Güterabwägung dem Erklärenden solange nicht untersagt werden, als er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (SenU VI ZR 386/94, BGHZ 132,13,23). Eine solche Fallgestaltung liegt nach Auffassung des BGH hier vor] Bemerkung: Das Bundesverfassungsgericht entscheid anders. Siehe BVerfG, 1 BvR 1696/98 vom 25.10.2005 |
| 1998-02-20 10:10:26 |
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