Stolpe-Entscheidung - 1 BvR 1696/98 - 25.10.2005Zitierung: BVerfG, 1 BvR 1696/98 vom 25.10.2005, Absatz-Nr. (1 - 54), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20051025_1bvr169698.html Frei für den nicht gewerblichen Gebrauch. Kommerzielle Nutzung nur mit Zustimmung des Gerichts.
L e i t s a t z
zu dem Beschluss des Ersten Senats
vom 25. Oktober 2005
- 1 BvR 1696/98 -
Verletzt
eine mehrdeutige Meinungsäußerung das Persönlichkeitsrecht eines
anderen, scheidet ein Anspruch auf deren zukünftige Unterlassung -
anders als eine Verurteilung wegen einer in der Vergangenheit erfolgten
Äußerung, etwa zu einer Strafe, zur Leistung von Schadensersatz oder
zum Widerruf - nicht allein deshalb aus, weil sie auch eine
Deutungsvariante zulässt, die zu keiner Persönlichkeitsbeeinträchtigung
führt.
Rot hervorgehoben von
RS
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1696/98 -
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In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde
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- Bevollmächtigte: |
Rechtsanwälte Prof. Dr. Konrad Redeker und Koll., Mozartstraße 4 - 10, 53115 Bonn - |
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gegen |
das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. Juni 1998 – VI ZR 205/97 - |
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hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat – unter Mitwirkung des
Präsidenten Papier,
der Richterin Haas,
der Richter Hömig,
Steiner,
der Richterin Hohmann-Dennhardt
und der Richter Hoffmann-Riem,
Bryde,
Gaier
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am 25. Oktober 2005 beschlossen:
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Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. Juni 1998
– VI ZR 205/97 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem
Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit
Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben und
die Sache an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu erstatten.
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft Unterlassungsansprüche wegen der Verbreitung herabsetzender Tatsachenbehauptungen.
| 1 |
Der
Beschwerdeführer war in Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik
Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg
und danach Ministerpräsident des Bundeslandes Brandenburg. In seiner
Eigenschaft als Vertreter der Kirche unterhielt er von 1969 bis 1989
Kontakte zu hauptamtlichen Mitarbeitern des Ministeriums für
Staatssicherheit, welches ihn in einem IM-Vorgang unter der Bezeichnung
"IM-Sekretär" als inoffiziellen Mitarbeiter registriert hatte.
| 2 |
Der
Beklagte des Ausgangsverfahrens (künftig: Beklagter) ist Rechtsanwalt
und Notar und war seinerzeit stellvertretender Fraktionsvorsitzender
der CDU im Abgeordnetenhaus von Berlin. Er hatte in einer Sendung des
Zweiten Deutschen Fernsehens am 2. April 1996 zu dem Meinungsstand im
Vorfeld der Volksabstimmung über die Vereinigung der Bundesländer
Berlin und Brandenburg über den Beschwerdeführer geäußert:
| 3 |
Die
Tatsache, dass Herr S..., wie wir alle wissen, IM-Sekretär, über 20
Jahre im Dienste des Staatssicherheitsdienstes tätig, dass der die
Chance erhält, 1999 hier in Berlin, auch über Berlin Ministerpräsident
zu werden, d.h. dass ich sein Landeskind werde, zusammen mit anderen,
das verursacht mir doch erhebliche Kopfschmerzen.
| 4 |
Der
Beschwerdeführer begehrt Unterlassung der Äußerung und macht geltend,
dass die Tatsachenbehauptung, er sei über 20 Jahre im Dienste des
Staatssicherheitsdienstes tätig gewesen, eine Verleumdung seiner Person
darstelle, da er niemals als Inoffizieller Mitarbeiter im Dienste des
Ministeriums für Staatssicherheit tätig gewesen sei. Diese
Tatsachenbehauptung - unterstrichen durch die Formulierungen "Tatsache"
und "wie wir alle wissen" - sei geeignet, ihn in der öffentlichen
Meinung herabzuwürdigen und verächtlich zu machen.
| 5 |
Das
Landgericht hat eine auf Unterlassung gerichtete Klage des
Beschwerdeführers abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet,
dass die Äußerung vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt sei.
| 6 |
Das
Oberlandesgericht hat die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben und
den Beklagten verurteilt, es bei Vermeidung eines Ordnungsgelds zu
unterlassen, die Behauptung zu verbreiten oder zu wiederholen, der
Beschwerdeführer sei "IM-Sekretär, über 20 Jahre im Dienste des
Staatsicherheitsdienstes tätig" gewesen. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt, dass der Beklagte eine den Beschwerdeführer
herabsetzende und verächtlich machende Tatsache behauptet und
verbreitet habe. Die angegriffene Äußerung bedeute nach allgemeinem
Sprachgebrauch, dass jemand auf Grund einer ausdrücklich oder
konkludent abgegebenen Verpflichtungserklärung im Auftrag des
Staatssicherheitsdienstes Informationen über Dritte gesammelt oder
beschafft und an den "Dienstherrn" zu dessen Nutzen weitergegeben habe.
| 7 |
Nach
§ 823 Abs. 2 BGB, § 186 StGB habe der Beklagte die Wahrheit
seiner Behauptung beweisen müssen. Das sei ihm nicht gelungen. Zum
Beweise für Dienste bei der Staatssicherheit genüge nicht die Tatsache,
dass der Beschwerdeführer bei dem Ministerium für Staatssicherheit als
"IM-Sekretär" registriert gewesen sei. Eine schriftliche
Verpflichtungserklärung sei nicht bekannt. Die über ihn bei dem
Ministerium für Staatssicherheit geführte Akte sei vernichtet. Das
Gericht vermöge auch angesichts der weiteren durch den Beklagten
angeführten Indizien nicht mit hinreichender Gewissheit zu erkennen, ob
der Beschwerdeführer in dem Bemühen, humanitäre Hilfe zu leisten und
Handlungsspielräume der Kirche zu erweitern, in seinen Kontakten zum
Ministerium für Staatssicherheit "zu weit gegangen", gleichwohl aber
ein Mann der Kirche geblieben sei oder ob er die Seiten gewechselt und
für das Ministerium für Staatssicherheit zielgerichtet die Kirche
ausspioniert habe, um Handlungsspielräume der Staatsführung der
Deutschen Demokratischen Republik in die Kirche hinein zu eröffnen oder
zu erweitern. Die Äußerung des Beklagten sei auch nicht durch das
Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt oder nach § 193 StGB
gerechtfertigt. Zur Wahrnehmung berechtigter politischer Interessen
hätte es genügt, die Berichterstattung zu den Vorwürfen mit den
Indizien gegen den Beschwerdeführer zusammenzufassen, sie in Erinnerung
zu rufen oder gekennzeichnet als eigene Meinung zu bewerten. Der
Beklagte habe dagegen nicht über die bewiesenen Tatsachen hinausgehende
Behauptungen verbreiten dürfen, die er zudem auf ihren Wahrheitsgehalt
nicht überprüft habe.
| 8 |
Der
Bundesgerichtshof hat mit dem angegriffenen Urteil (BGHZ 139, 95) auf
die Revision des Beklagten hin das Urteil des Oberlandesgerichts
aufgehoben und die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Urteil des
Landgerichts zurückgewiesen. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht dem
Unterlassungsbegehren des Beschwerdeführers entsprochen.
| 9 |
Die
angegriffene Äußerung weise einen Tatsachengehalt auf, der mit den
Mitteln des Beweises auf seine inhaltliche Richtigkeit überprüft werden
könne. Das Berufungsgericht habe den Aussagegehalt allerdings
fälschlicherweise nur in einem ganz bestimmten Sinn gedeutet, ohne
andere Verständnismöglichkeiten auch nur zu erörtern. Der Hinweis auf
eine Tätigkeit "im Dienst" des Staatssicherheitsdienstes schließe nicht
zwingend die Behauptung ein, der Beschwerdeführer habe eine solche
Tätigkeit auf der Grundlage einer Verpflichtungserklärung für den
Staatssicherheitsdienst als seinen Dienstherrn ausgeübt. Vielmehr könne
der fragliche Textabschnitt zwanglos auch dahingehend verstanden
werden, der vom Ministerium für Staatssicherheit aktenmäßig als
"IM-Sekretär" geführte Beschwerdeführer habe diesem - ohne hierzu auf
Grund einer Verpflichtungserklärung angehalten gewesen zu sein -
Dienste geleistet, indem er im Rahmen seiner - unstreitig intensiven -
Kontakte zum Staatssicherheitsdienst diesem entsprechend dessen
Erwartungen, aus welchen Motiven auch immer, bewusst und gewollt
Informationen über Dritte oder bestimmte Vorgänge geliefert habe;
hierbei habe er in Kenntnis dessen, dass diese Informationen dem
Staatssicherheitsdienst dienlich, also nützlich gewesen seien, der
Sache nach wie ein Beauftragter gehandelt. Jedenfalls lasse sich ein
solches Verständnis nicht ausschließen. Seien mehrere sich nicht
gegenseitig ausschließende Deutungen des Inhalts einer Äußerung
möglich, so sei der rechtlichen Beurteilung diejenige zu Grunde zu
legen, die dem auf Unterlassung in Anspruch Genommenen günstiger ist
und den Betroffenen weniger beeinträchtigt. Dies sei aber hier die
dargelegte zweite Alternative.
| 10 |
Auch
bei einem derartigen Verständnis der Textpassage handele es sich jedoch
um eine Behauptung tatsächlichen Inhalts, deren Wahrheit nicht erwiesen
sei. Dies wirke sich indessen nicht zu Lasten des Beklagten aus. Eine
in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Angelegenheit
aufgestellte, nicht erweislich ehrenrührige Behauptung dürfe so lange
nicht untersagt werden, wie der Äußernde sie zur Wahrnehmung
berechtigter Interessen habe für erforderlich halten dürfen (unter
Hinweis auf BGHZ 132, 13 <23>). Die erforderliche Güterabwägung
ergebe hier, dass das Interesse des Beklagten an der Äußerung
überwiege. Die an eine Recherchepflicht zu knüpfenden Anforderungen
dürften nicht überspannt werden. Dem Beklagten hätten nach diversen
Ermittlungen über die Rolle des Beschwerdeführers keine weiteren
Möglichkeiten offen gestanden, substantiell Neues über die Rolle zu
erkunden, die der Beschwerdeführer in seinen Kontakten mit dem
Staatssicherheitsdienst gespielt hat.
| 11 |
Für
die Zulässigkeit der Äußerung spreche auch, dass sie im politischen
Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage
gefallen sei und deshalb zu Gunsten des Beklagten die Vermutung für die
Zulässigkeit der freien Rede spreche. Es komme hinzu, dass der
Beschwerdeführer selbst sich engagiert an der politischen
Auseinandersetzung beteiligt und sich damit aus eigenem Entschluss ins
Rampenlicht einer öffentlichen Diskussion gestellt habe, für die von
vornherein die Thematisierung der Rolle nicht fern gelegen habe, die er
mit seinen langjährigen Kontakten zum Staatssicherheitsdienst gespielt
habe. Schließlich habe der Beklagte seine Äußerung nicht ohne jeden
Anhaltspunkt aufgestellt, sondern könne sich darauf stützen, dass es
auch gegen den Beschwerdeführer sprechende Indizien gebe.
| 12 |
Der
Bundesgerichtshof sei an einer abschließenden Entscheidung in der Sache
nicht durch einen erstmals im Revisionsverfahren gestellten
Beweisantrag des Beschwerdeführers gehindert, wonach der ehemalige
Bundeskanzler Helmut Schmidt während seiner Amtszeit den
Beschwerdeführer darum gebeten habe, mit dem Staatssicherheitsdienst
der Deutschen Demokratischen Republik Kontakt aufzunehmen. Abgesehen
davon, dass damit die Unwahrheit der konkreten Behauptung des Beklagten
nicht zu beweisen wäre, sei ein solcher Beweisantrag in der
Revisionsinstanz unzulässig. Außerdem habe das Berufungsgericht von
seinem Standpunkt aus keine Veranlassung gehabt, auf ergänzenden
Vortrag oder Beweisanträge des Beschwerdeführers hinzuwirken.
| 13 |
Der
Beschwerdeführer rügt die Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1
Abs. 1 GG) und von Verfahrensgrundrechten (Art. 2 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1 GG).
| 14 |
Das
Urteil des Bundesgerichtshofs verletze sein allgemeines
Persönlichkeitsrecht, indem es auf einer Umdeutung der Behauptung des
Beklagten beruhe, für die es an jeglichem Anhalt fehle. Die Umdeutung
der "Tätigkeit im Dienste der Staatssicherheit" in die Erteilung von
Informationen, die dem Staatssicherheitsdienst dienlich oder nützlich
gewesen seien, habe mit dem Wortlaut und Inhalt der Behauptungen des
Beklagten nichts mehr zu tun. Soweit der Bundesgerichtshof die danach
angenommene Tätigkeit als ein "Handeln der Sache nach wie ein
Beauftragter" oder "gleichsam als Beauftragter dienlich" bezeichne,
deute gerade dies ein Über- oder Unterordnungsverhältnis oder ein
Weisungsverhältnis zur Staatssicherheit an.
| 15 |
Der
Bundesgerichtshof komme zu einer Umkehr der Beweislast aus der
Überlegung, es handele sich um eine die Öffentlichkeit wesentlich
berührende Angelegenheit. Mit diesem Ansatzpunkt werde der Bereich der
Freiheit der Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG weit überzogen.
Die Richtigkeit der Behauptungen des Beklagten sei zwischen dem
Beschwerdeführer und dem Beklagten im Streit. Die durchgeführten
Untersuchungen hätten keinerlei Beweis für die Richtigkeit der
Behauptung des Beklagten ergeben. Deshalb könne objektiv von der
Feststellung ausgegangen werden, dass es für die Richtigkeit der
Behauptungen des Beklagten keine Beweise gebe. Die durch den
Bundesgerichtshof angesprochene Vermutungsregel zu Gunsten der freien
Meinungsäußerung spiele dann keine Rolle, wenn Recherchen praktisch
ausschieden, weil der Sachverhalt ermittelt sei. Wolle der Beleidiger
darüber hinausgehende Behauptungen aufstellen, trage er das Risiko der
Beweisbarkeit.
| 16 |
Die
Verfassungsbeschwerde rügt weiter die Verletzung des rechtlichen Gehörs
(Art. 103 Abs. 1 GG), verbunden mit einem Verstoß gegen die
Grundrechte des fairen Verfahrens und des effektiven Rechtsschutzes
(Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG). Der
Bundesgerichtshof habe aus seiner Umdeutung des Inhalts der Angriffe
des Beklagten auf eine Umkehr der Beweislast geschlossen und sei damit
zur Abweisung der Klage gelangt. Wegen der Abweichung von der
Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe er aber die Sache
zurückverweisen müssen, um dem Tatsachengericht Gelegenheit zu geben,
sich auf der Grundlage der vom Bundesgerichtshof geschaffenen neuen
tatsächlichen und rechtlichen Beurteilung erneut mit der Sache zu
befassen, insbesondere neuen Beweisanträgen nachzugehen. Dies sei auch
notwendig, weil im Revisionsverfahren ein Beweisantrag unzulässig ist.
Durch die Handhabung des Bundesgerichtshofs sei dem Beschwerdeführer
das rechtliche Gehör genommen worden. Insbesondere sei es nicht zu der
von ihm beantragten Vernehmung des früheren Bundeskanzlers Helmut
Schmidt zu der Behauptung gekommen, dieser habe den Beschwerdeführer
persönlich gebeten, mit dem Staatssicherheitsdienst Kontakt aufzunehmen.
| 17 |
1.
Der Beklagte des Ausgangsverfahrens erachtet die Äußerung für zulässig.
Sie sei Ausdruck seiner Besorgnis über die - seiner Auffassung nach -
mangelnde Eignung des Beschwerdeführers als Ministerpräsident und
beziehe sich auf etwas der Allgemeinheit Bekanntes. Die Richtigkeit
einer Tatsachenbehauptung, wonach der Beschwerdeführer für den
Staatssicherheitsdienst tätig gewesen sei, sei nicht zu widerlegen und
werde auch durch neuere Pressemeldungen bestätigt. Danach fänden sich
in den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes Hinweise nicht nur auf
eine wie immer geartete Tätigkeit, sondern auch auf eine erfolgreiche
Anwerbung des Beschwerdeführers.
| 18 |
2. Der V. und der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs haben sich zu der Verfassungsbeschwerde geäußert.
| 19 |
Der
VI. Zivilsenat hat darauf hingewiesen, dass die in seiner Entscheidung
enthaltene Abwägung der Meinungsfreiheit gegen das allgemeine
Persönlichkeitsrecht bereits Gegenstand mehrerer Entscheidungen gewesen
sei, die in der angegriffenen Entscheidung auch zitiert seien.
| 20 |
Der
V. Zivilsenat hat ausgeführt, dass die Rüge der Verletzung rechtlichen
Gehörs ihm unbegründet erscheine. Von einer möglichen Zurückverweisung
zur abschließenden Aufklärung des Sachverhalts habe der VI. Zivilsenat
ausweislich der Urteilserwägungen abgesehen, weil er den Sachverhalt
für aufgeklärt und den Beweisantrag für unerheblich angesehen habe. Sei
dies zutreffend und lege der Beschwerdeführer keinen anderen
Sachvortrag dar, der ihm hierdurch abgeschnitten worden sei, habe kein
Anlass zur Zurückverweisung bestanden.
| 21 |
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.
| 22 |
Das
Urteil des Bundesgerichtshofs verletzt das allgemeine
Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1
in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.
| 23 |
1. Die Entscheidung berührt den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers.
| 24 |
a)
Das in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG
verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht ergänzt die im Grundgesetz
normierten Freiheitsrechte und gewährleistet die engere persönliche
Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen (vgl.BVerfGE 54, 148 <153>
). Der Inhalt dieses Rechts ist nicht allgemein und abschließend
umschrieben. Zu den anerkannten Inhalten gehören das Verfügungsrecht
über die Darstellung der eigenen Person, die soziale Anerkennung sowie
die persönliche Ehre (vgl.BVerfGE 54, 148 <153 f.>; 99, 185 <193>
). Eine wesentliche Gewährleistung ist der Schutz vor Äußerungen, die
geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person, insbesondere
ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken. Das allgemeine
Persönlichkeitsrecht schützt die Person insbesondere vor verfälschenden
oder entstellenden Darstellungen, die von nicht ganz unerheblicher
Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind (vgl.BVerfGE 97, 125 <148 f.>; 99, 185 <193 f.>).
| 25 |
b)
Der grundrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechts in Art. 2
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG bewirkt, dass der Staat
gehalten ist, den Einzelnen vor Gefährdungen dieses Rechts durch Dritte
zu schützen. Bei der Anwendung der diesem Schutz dienenden
zivilrechtlichen Normen haben die Gerichte die grundrechtlichen
Maßgaben zu beachten. Verfehlen sie diese, so liegt darin nicht nur
eine Verletzung objektiven Verfassungsrechts, sondern auch ein Verstoß
gegen die Grundrechte des Betroffenen. Gerichtliche Entscheidungen, die
persönlichkeitsrelevante Aussagen zulassen, gegen die sich der
Betroffene mit der Begründung wehrt, sie seien falsch, berühren daher
das allgemeine Persönlichkeitsrecht (vgl.BVerfGE 99, 185 <194 f.>).
| 26 |
So
liegt es hier. Der Bundesgerichtshof verneint den Anspruch des
Beschwerdeführers auf Unterlassung der Äußerung, dieser habe als
"IM-Sekretär" über 20 Jahre im Dienste der Staatssicherheit gestanden.
Die Äußerung ist geeignet, das soziale und politische Ansehen des
Beschwerdeführers zu mindern. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
berührt daher dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht.
| 27 |
2.
Durch das Urteil des Bundesgerichtshofs wird das allgemeine
Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers verletzt. Die dem
Beschwerdeführer nachteilige Äußerung des Beklagten ist nicht durch das
Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG
gedeckt.
| 28 |
a)
Zivilrechtliche Grundlage zur Durchsetzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts durch einen Anspruch auf Unterlassung
beeinträchtigender Äußerungen sind § 1004 Abs. 1 und § 823
Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 186 StGB. Die Belange der
Meinungsfreiheit finden demgegenüber vor allem in § 193 StGB
Ausdruck, der bei der Wahrnehmung berechtigter Interessen eine
Verurteilung wegen ehrverletzender Äußerungen ausschließt und -
vermittelt über § 823 Abs. 2 BGB, sonst seinem Rechtsgedanken nach
- auch im Zivilrecht zur Anwendung kommt (vgl.BVerfGE 99, 185 <195 f.>
). Diese Vorschriften tragen dem Umstand Rechnung, dass das allgemeine
Persönlichkeitsrecht nicht vorbehaltlos gewährleistet ist. Nach
Art. 2 Abs. 1 GG wird es durch die verfassungsmäßige Ordnung
einschließlich der Rechte anderer beschränkt. Zu diesen Rechten gehört
auch die Freiheit der Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz
1 GG. Auch diese ist nicht vorbehaltlos garantiert. Sie findet nach
Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen
Gesetzen und in dem Recht der persönlichen Ehre.
| 29 |
Bei
der Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften müssen
die zuständigen Gerichte die betroffenen Grundrechte
interpretationsleitend berücksichtigen, damit deren wertsetzender
Gehalt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 ff.>; 85, 1, <13>
; stRspr). Die Zivilgerichte verstehen das allgemeine
Persönlichkeitsrecht in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender
Weise als einen offenen Tatbestand, bei dem die Feststellung einer
rechtswidrigen Verletzung eine ordnungsgemäße Abwägung voraussetzt
(vgl. BGHZ 45, 296 <307 f.>; 50, 133 <143 f.>;
73, 120 <124>). In Fällen der vorliegenden Art ist eine Abwägung
zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die
Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch die
Untersagung der Äußerung andererseits vorzunehmen. Im Zuge der Abwägung
sind die grundrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen. Maßgebend wird
dabei eine Reihe von Prüfungsgesichtspunkten und Vorzugsregeln, die in
der Rechtsprechung entwickelt worden sind, um eine größtmögliche
Wahrung der beiderseitigen grundrechtlichen Positionen und Interessen
bei der Beurteilung und Entscheidung über Fälle von Meinungsäußerungen
zu ermöglichen (vgl.BVerfGE 61, 1 <8 ff.>; 85, 1 <14 ff.>; 93, 266 <293 ff.>; 99, 185 <196 ff.>
). Das Ergebnis dieser Abwägung lässt sich wegen der Abhängigkeit von
den Umständen des Einzelfalls nicht generell und abstrakt
vorausbestimmen.
| 30 |
b)
Weichenstellend für die Prüfung einer Grundrechtsverletzung ist die
Erfassung des Inhalts der Aussage, insbesondere die Klärung, in welcher
Hinsicht sie ihrem objektiven Sinn nach das Persönlichkeitsrecht des
Beschwerdeführers beeinträchtigt. Maßgeblich für die Deutung ist weder
die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive
Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie
nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen
Durchschnittspublikums hat (vgl.BVerfGE 93, 266 <295>; BGHZ 95, 212 <215>; 132, 13 <19>). Fern liegende Deutungen sind auszuscheiden (vgl. BVerfGE 93, 266 <296>
). Ist der Sinn unter Zugrundelegung dieses Maßstabs eindeutig, ist er
der weiteren Prüfung zu Grunde zu legen. Zeigt sich aber, dass ein
unvoreingenommenes und verständiges Publikum die Äußerung als
mehrdeutig wahrnimmt oder verstehen erhebliche Teile des Publikums den
Inhalt jeweils unterschiedlich, ist bei der weiteren Prüfung von einem
mehrdeutigen Inhalt auszugehen.
| 31 |
Vorliegend
hat der Bundesgerichtshof Mehrdeutigkeit angenommen. Er hat seiner
Entscheidung jedoch die vom Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung
von straf- und zivilrechtlichen Sanktionen wegen in der Vergangenheit
erfolgter mehrdeutiger Meinungsäußerungen entwickelten Maßstäbe zu
Grunde gelegt, ohne zu berücksichtigen, dass sie auf Ansprüche auf
Unterlassung zukünftiger Äußerungen nicht in gleicher Weise anwendbar
sind. Daher ist schon der Ausgangspunkt der rechtlichen Bewertung
verfehlt (aa). Auch die auf dieser Grundlage vom Bundesgerichtshof
vorgenommene Abwägung widerspricht den verfassungsrechtlichen
Anforderungen (bb).
| 32 |
aa)
(1) Das Bundesverfassungsgericht geht bei der Überprüfung von straf-
oder zivilrechtlichen Sanktionen wegen in der Vergangenheit erfolgter
Meinungsäußerungen von dem Grundsatz aus, dass die Meinungsfreiheit
verletzt wird, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zu
einer Verurteilung führende Bedeutung zu Grunde legt, ohne vorher mit
schlüssigen Gründen Deutungen ausgeschlossen zu haben, welche die
Sanktion nicht zu rechtfertigen vermögen (vgl.BVerfGE 82, 43 <52>; 93, 266 <295 ff.>; 94, 1 <9>
). Lassen Formulierungen oder die Umstände der Äußerung eine nicht das
Persönlichkeitsrecht verletzende Deutung zu, so verstößt ein
Strafurteil oder ein die Verurteilung zum Schadensersatz, zum Widerruf
oder zur Berichtigung aussprechendes zivilgerichtliches Urteil nach
dieser Rechtsprechung gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl.BVerfGE 43, 130 <136>; 93, 266 <296> - zur strafrechtlichen Verurteilung -; BVerfGE 85, 1 <18>; 86, 1 <11 f.>
- zur zivilrechtlichen Verurteilung). Müsste der sich Äußernde
befürchten, wegen einer Deutung, die den gemeinten Sinn verfehlt, mit
staatlichen Sanktionen belegt zu werden, würden über die
Beeinträchtigung der individuellen Meinungsfreiheit hinaus negative
Auswirkungen auf die generelle Ausübung des Grundrechts der
Meinungsfreiheit eintreten. Eine staatliche Sanktion könnte in einem
solchen Fall wegen ihrer einschüchternden Wirkung die freie Rede, freie
Information und freie Meinungsbildung empfindlich berühren und damit
die Meinungsfreiheit in ihrer Substanz treffen (vgl.BVerfGE 43, 130 <136> 54, 129 <136> 94, 1 <9>).
| 33 |
(2)
Ein gleicher Schutzbedarf für die individuelle Grundrechtsausübung und
die Funktionsfähigkeit des Meinungsbildungsprozesses besteht indessen
nicht bei gerichtlichen Entscheidungen über die Unterlassung
zukünftiger Äußerungen. Hier ist im Rahmen der rechtlichen Zuordnung
von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz zu berücksichtigen, dass
der Äußernde die Möglichkeit hat, sich in der Zukunft eindeutig
auszudrücken und damit zugleich klarzustellen, welcher Äußerungsinhalt
der rechtlichen Prüfung einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu
Grunde zu legen ist. An diesen Inhalt werden die für die Abwägung bei
Persönlichkeitsbeeinträchtigungen durch Werturteile oder
Tatsachenbehauptungen in der Rechtsprechung entwickelten Prüfkriterien
und Abwägungsmaßstäbe angelegt. Handelt es sich bei der Äußerung um
eine Tatsachenbehauptung, wird entscheidend, ob der Wahrheitsbeweis
gelingt. Bei Werturteilen wird maßgebend, ob sie als Schmähung,
Formalbeleidigung oder Verletzung der Menschenwürde anzusehen und
deshalb zu unterlassen sind oder, wenn dies zu verneinen ist, ob sie im
Rahmen einer Abwägung dem Persönlichkeitsschutz vorgehen (vgl.BVerfGE 90, 241 <248 f.>; 93, 266 <293 f.>).
| 34 |
Ist
der Äußernde nicht bereit, der Aussage einen eindeutigen Inhalt zu
geben, besteht kein verfassungsrechtlich tragfähiger Grund, von einer
Verurteilung zum Unterlassen nur deshalb abzusehen, weil die Äußerung
mehrere Deutungsvarianten zulässt, darunter auch solche, die zu keiner
oder nur einer geringeren Persönlichkeitsverletzung führen. Der
Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht sind vielmehr alle nicht entfernt
liegenden Deutungsvarianten zu Grunde zu legen, die dieses Recht
beeinträchtigen. Dem Äußernden steht es frei, sich in Zukunft eindeutig
zu äußern und - wenn eine persönlichkeitsverletzende Deutungsvariante
nicht dem von ihm beabsichtigten Sinn entspricht - klarzustellen, wie
er seine Aussage versteht. Eine auf Unterlassung zielende Verurteilung
des Zivilgerichts kann der Äußernde nach der Rechtsprechung vermeiden,
wenn er eine ernsthafte und inhaltlich ausreichende Erklärung abgibt,
die mehrdeutige Äußerung, der eine Aussage mit dem
persönlichkeitsverletzenden Inhalt entnommen werden kann, nicht oder
nur mit geeigneten Klarstellungen zu wiederholen (allgemein zur
Abwendung der Verurteilung zur Unterlassung vgl. BGHZ 14, 163
<167>; 78, 9 <20>; BGH, NJW 1994, 1281 <1283>;
Burkhardt, in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung,
5. Aufl. 2003, Kap. 12 Rn. 20 f.).
| 35 |
Anders
als bei straf- oder zivilrechtlichen Sanktionen, die nachträglich an
eine schon gefallene Äußerung anknüpfen, ist ein den Prozess freier
Meinungsäußerung und -bildung beeinträchtigender Einschüchterungseffekt
durch diese Anforderungen an den sich Äußernden nicht zu erwarten. Sein
Selbstbestimmungsrecht über den Inhalt der Äußerung bleibt gewahrt.
Zugleich wird der Schutz des Persönlichkeitsrechts des nachteilig
Betroffenen gewährleistet. Der Äußernde kann sein Äußerungsanliegen in
freier Selbstbestimmung in einer das Persönlichkeitsrecht nicht
verletzenden Art und Weise weiterverfolgen. Sieht er sich dazu nicht in
der Lage, trifft er auf die im Persönlichkeitsschutz begründete
Schranke der Meinungsäußerungsfreiheit.
| 36 |
(3)
Der Bundesgerichtshof hat der vom Beschwerdeführer und vom
Berufungsgericht zu Grunde gelegten Deutungsvariante eine andere
gegenübergestellt und die rechtliche Beurteilung der
Persönlichkeitsverletzung allein an ihr vorgenommen. Dadurch hat er
seine Entscheidung nicht an den für Unterlassungsansprüche maßgebenden
Grundsätzen ausgerichtet.
| 37 |
Der
Beschwerdeführer und das Berufungsgericht verstehen die Aussage des
Beklagten als Behauptung, er habe auf Grund einer ausdrücklichen oder
konkludenten Verpflichtungserklärung im Auftrag des
Staatssicherheitsdienstes gearbeitet und Informationen über Dritte an
diesen als "Dienstherrn" zu dessen Nutzen weitergegeben. Der
Bundesgerichtshof hält diese Auslegung zwar für vertretbar, hat aber
als weitere Deutungsvariante angenommen, die Äußerung enthalte die
Aussage, der Beschwerdeführer habe dem Staatssicherheitsdienst Dienste
geleistet, indem er diesem im Rahmen seiner zu ihm bestehenden Kontakte
entsprechend dessen Erwartungen Informationen über Dritte oder
bestimmte Vorgänge geliefert habe; hierbei habe er in Kenntnis dessen,
dass diese Informationen dem Staatssicherheitsdienst dienlich, also
nützlich gewesen seien, der Sache nach wie ein Beauftragter gehandelt.
Dieses Verständnis der Äußerung lasse sich jedenfalls nicht
ausschließen.
| 38 |
Der
Bundesgerichtshof hat diese Deutungsvariante in Anwendung der vom
Bundesverfassungsgericht für straf- und zivilrechtliche Sanktionen
entwickelten Rechtsprechung auch für den streitgegenständlichen
Unterlassungsanspruch zu Grunde gelegt. Damit hat er dem Unterschied
zivilrechtlicher Ansprüche auf Unterlassung zukünftiger Äußerungen
gegenüber straf- oder zivilrechtlichen Sanktionen für eine in der
Vergangenheit erfolgte Äußerung nicht Rechnung getragen. Der Prüfung
hätte die das Persönlichkeitsrecht stärker verletzende Deutungsvariante
zu Grunde gelegt werden müssen. Bereits wegen des unzutreffend
gewählten Ausgangspunkts sind die hier maßgeblichen
verfassungsrechtlichen Anforderungen verfehlt worden.
| 39 |
bb)
Die unzutreffende Wahl des Ausgangspunkts der Prüfung hat sich zum
Nachteil des Beschwerdeführers auf die Abwägung der betroffenen
Rechtsgüter ausgewirkt. Diese entspricht auch im Übrigen den
verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht in jeder Hinsicht.
| 40 |
(1)
Die Aussage, der Beschwerdeführer habe als "IM-Sekretär" im Dienste des
Staatssicherheitsdienstes gestanden, ist - wie auch der
Bundesgerichtshof feststellt - eine schwerwiegende
Persönlichkeitsverletzung. Da es sich um eine Tatsachenbehauptung
handelt, ist sie dem Wahrheitsbeweis zugänglich.
| 41 |
Beweisbelastet
für die Richtigkeit einer persönlichkeitsverletzenden
Tatsachenbehauptung ist nach der fachrichterlichen Rechtsprechung
derjenige, der sie aufstellt (vgl. BGHZ 132, 13 <23>). Dies
entspricht auch dem Rechtsgedanken des § 186 StGB, dessen
Anwendung im Äußerungsrecht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden
ist. Für die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen gibt es in der
Regel keinen rechtfertigenden Grund (vgl. BVerfGE 61, 1 <8>; 94, 1 <8>; 99, 185 <197>
). Grundsätzlich tritt die Meinungsfreiheit daher bei
Tatsachenbehauptungen, die bewusst unwahr oder erwiesenermaßen falsch
sind, hinter das Persönlichkeitsrecht zurück (vgl. BVerfGE 85, 1 <17>).
| 42 |
Nach
den Feststellungen des Oberlandesgerichts ist die Wahrheit oder
Unwahrheit im Hinblick auf die von ihm zu Grunde gelegte, dem Beklagten
ungünstigere Deutungsvariante nicht feststellbar. Nach Auffassung des
Bundesgerichtshofs ist der Wahrheitsbeweis ebenso wenig für die dem
Beklagten günstigere Deutung seiner Äußerung erbracht. Es war somit bei
jeder der Deutungsvarianten von einem "non liquet" auszugehen.
| 43 |
Für
die Verbreitung von Tatsachenbehauptungen, deren Wahrheitsgehalt nicht
endgültig festgestellt werden kann, prüft die Rechtsprechung der
Zivilgerichte den Ausgleich zwischen den Anforderungen der
Meinungsfreiheit und den Belangen des Persönlichkeitsschutzes daran, ob
der Äußernde die Anforderungen erfüllt hat, die bei der Verbreitung von
Tatsachenbehauptungen ungeklärten Wahrheitsgehalts an eine
Rechtfertigung durch Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193
StGB) zu stellen sind (vgl. BGH, NJW 1987, S. 2225 <2226>
m.w.N.). Jedenfalls in Fällen, in denen es um eine die Öffentlichkeit
wesentlich berührende Angelegenheit geht, kann nach dieser
Rechtsprechung auch eine möglicherweise unwahre Behauptung demjenigen,
der sie aufstellt oder verbreitet, so lange nicht untersagt werden, wie
er vor der Aufstellung und Verbreitung seiner Behauptung hinreichend
sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt hat (vgl.
BGHZ 132, 13 <23 f.>).
| 44 |
Gegen
die Entwicklung derartiger Pflichten bestehen verfassungsrechtlich
keine Einwände, sofern der Umfang dieser Sorgfaltspflichten von den
Fachgerichten im Einklang mit den grundgesetzlichen Anforderungen
bemessen wird (vgl.BVerfGE 99, 185 <198>
). Die Fachgerichte dürfen deshalb einerseits an die Wahrheitspflicht
im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen stellen, die die
Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen und so auf die
Meinungsfreiheit insgesamt einschnürend wirken können (vgl.BVerfGE 54, 208 <219 f.>; 85, 1 <17>
). Sie haben andererseits aber auch zu berücksichtigen, dass die
Wahrheitspflicht Ausdruck der Schutzpflicht ist, die aus dem
allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt (vgl.BVerfGE 12, 113 <130>; 99, 185 <198>
). Liegt ein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vor,
sind deshalb hohe Anforderungen an die Erfüllung der Sorgfaltspflicht
zu stellen (vgl. BGHZ 95, 212 <220>; 132, 13 <24>). Diese
sind verletzt, wenn sich der Äußernde selektiv und ohne dass dies für
die Öffentlichkeit erkennbar wäre, allein auf dem Betroffenen
nachteilige Anhaltspunkte stützt und hierbei verschweigt, was gegen die
Richtigkeit seiner Behauptung spricht (vgl.BVerfGE 12, 113 <130 f.>; BGHZ 31, 308 <318>).
| 45 |
(2)
Diesen Anforderungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist der
Bundesgerichtshof bei der Bemessung des Umfangs der Wahrheits- und
Sorgfaltspflicht des Beklagten nicht einmal von seinem eigenen
Ausgangspunkt her bei der minder eingriffsintensiven Deutung der in
Frage stehenden Äußerung gerecht geworden. Erst recht sind sie nicht
bei der vorliegend maßgebenden Deutungsvariante erfüllt.
| 46 |
Zu
Unrecht beruft sich der Bundesgerichtshof auf die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts, wenn er meint, der Beschwerdeführer müsse
die nicht erwiesene Behauptung schon deshalb auch für die Zukunft
hinnehmen, weil diese eine Stellungnahme in einer die Öffentlichkeit
wesentlich berührenden Angelegenheit betreffe. Auch bei solchen
Äußerungen sind die schon erwähnten Sorgfaltsanforderungen zur
Sicherung des grundrechtlichen Schutzanspruchs zu beachten. Diese sind
vorliegend nicht schon dadurch erfüllt, dass dem Beklagten keine
Nachforschungen möglich waren, die über den bereits allgemein bekannten
Kenntnisstand hinausführten.
| 47 |
Das
Bundesverfassungsgericht hat zwar anerkannt, dass der dem Äußernden
neben seiner Wahrheits- und Sorgfaltspflicht obliegenden erweiterten
Darlegungslast für ehrenrührige Behauptungen durch den Verweis auf
unwidersprochene Pressemitteilungen genügt werden kann (vgl. BVerfGE 85, 1 <21 ff.>). Jedoch gilt dies nur, wenn diese Presseberichte zur Stützung der aufgestellten Behauptung geeignet sind (vgl. BVerfGE 99, 185 <199>
). Ist dem Äußernden bekannt, dass die Richtigkeit der verbreiteten
Behauptung in Frage gestellt ist, so kann er sich auf diese
Berichterstattung nicht stützen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten
Senats, Beschluss vom 23. Februar 2000 - 1 BvR 456/95 -, NJW-RR 2000,
S. 1209 <1211>). Die Wahrheitspflicht geht somit über die
Verpflichtung hinaus, die dem Äußernden offen stehenden
Nachforschungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Der Äußernde muss kenntlich
machen, wenn von ihm verbreitete Behauptungen durch das Ergebnis seiner
Nachforschungen nicht gedeckt sind. Eine nach seinem Kenntnisstand
umstrittene oder zweifelhafte Tatsache darf er nicht als feststehend
hinstellen (vgl. BVerfGE 12, 113 <130 f.>
; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 23. Februar 2000 -
1 BvR 456/95 -, NJW-RR 2000, S. 1209 <1211>; BGHZ 132, 13
<24>).
| 48 |
Vorliegend
war die Art der Tätigkeit des Beschwerdeführers im Kontakt mit dem
Staatssicherheitsdienst selbst für die vom Bundesgerichtshof gefundene
weniger eingriffsintensive Deutungsvariante streitig. Die auch von
öffentlichen Stellen verbreiteten Aussagen hierzu waren ebenso wie die
Medienberichterstattung kontrovers. Zu beurteilen war nicht die
Verbreitung einer konkreten Tatsachenbehauptung auf Grund einer in den
Medien unwidersprochen verbreiteten Meldung, sondern die selektive
Darstellung allein einer bestimmten Sicht auf die bekannten Tatsachen
als zutreffend. Über deren Richtigkeit aber herrschte Streit.
| 49 |
Von
dem Äußernden ist im Interesse des Persönlichkeitsschutzes des
Betroffenen zu verlangen, dass er dann, wenn er sich eine bestimmte,
das Persönlichkeitsrecht verletzende Sicht auf bekannte Tatsachen zu
Eigen macht, zum Ausdruck bringt, dass diese Sicht umstritten und der
Sachverhalt nicht wirklich aufgeklärt ist. Steht die Wahrheit nicht
fest und lässt sie sich auch nicht mit hinreichender Sorgfalt
ermitteln, hat der Äußernde jedenfalls Sorgfalt auf die Wiedergabe des
Kenntnisstandes zu verwenden. Hiervon war der Beklagte auch nicht schon
wegen der durch den Bundesgerichtshof angeführten Erwägung entbunden,
der Beschwerdeführer habe sich aus eigenem Entschluss in das
Rampenlicht der Öffentlichkeit begeben und der Beklagte habe seine
Behauptung nicht etwa ohne jeden Anhaltspunkt aufgestellt, wie die
bekannten Indizien über die Kontakte des Beschwerdeführers mit dem
Staatssicherheitsdienst zeigten. Es führt nicht zu einer mit der
Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede unvereinbaren
Überspannung der Wahrheitspflicht des Beklagten, wenn dieser, falls er
künftig erneut Stellung nehmen will, offen legen muss, dass eine
gesicherte Tatsachengrundlage für die von ihm aufgestellte Behauptung
fehlt.
| 50 |
Die weiteren Rügen des Beschwerdeführers sind unbegründet.
| 51 |
Die
Ansprüche auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs.1 GG), auf
effektiven Rechtsschutz und auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs.
1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) sind nicht dadurch verletzt
worden, dass der Bundesgerichtshof die Sache nicht an die
Tatsacheninstanz zurückverwiesen hat, um dem Beschwerdeführer
Gelegenheit zu geben, Beweisanträge zu der vom Bundesgerichtshof seiner
Entscheidung zu Grunde gelegten Deutung der Äußerung zu stellen.
Insbesondere ist der Beschwerdeführer nicht dadurch in seinen
Verfahrensgrundrechten verletzt worden, dass es nicht zu einer
Vernehmung des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt zu der Behauptung
gekommen ist, dieser habe den Beschwerdeführer persönlich gebeten, mit
dem Staatssicherheitsdienst Kontakt aufzunehmen. Es ist schon nicht
erkennbar, dass dieser oder ein ähnlicher Beweisantrag zur
hinreichenden Aufklärung des Verhältnisses zwischen dem
Staatssicherheitsdienst und dem Beschwerdeführer führen kann.
| 52 |
Es
kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Bundesgerichtshof zu einem
anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn er seiner Prüfung die den
Beschwerdeführer stärker belastende Deutung der Äußerung zu Grunde
gelegt und die zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des
Beschwerdeführers gebotenen Anforderungen an die Wahrheitspflicht des
Beklagten gestellt hätte. Die angegriffene Entscheidung ist daher
aufzuheben und die Sache an den Bundesgerichtshof zurückzuverweisen
(§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
| 53 |
Die Kostenentscheidung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
| 54 |
Papier |
Haas |
Hömig |
Steiner |
Hohmann-Dennhardt |
Hoffmann-Riem |
Bryde | |
Gaier |
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Rolf Schälike
Dieser mein Web-Auftritt wurde zuletzt aktualisiert am 06.11.06
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