Zur Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen sowie zu den Anforderungen bei Ermittlung sog. »versteckter« Behauptungen durch den Tatrichter.
3. Erfolg hat die Revision, soweit sie sich gegen die Verurteilung zu Klagantrag 1) wendet.
Hiernach hat das Berufungsgericht dem Beklagten die Aussage verboten, die Banken hätten sogleich die Konten des Dr. L. gesperrt und ihm und seiner Firma sogar sein jahrelang gewährtes Kreditlimit entzogen. In einem Aufsichtsgremium dieser Bank sitze ... (der Kläger), von dem noch die Rede sein werde; und dadurch den Eindruck zu erwecken, der Kläger habe seinen Einfluß als Aufsichtsrat einer Bank dazu benutzt, das Dr. L. oder dessen Firma gewährte Kreditlimit zu entziehen.
Das Berufungsgericht hat die im Schreiben des Beklagten an den Bundespräsidenten vom 19. Januar 1991 enthaltene Äußerung dahin gewürdigt, daß die Zusammenfügung der beiden mitgeteilten, unstreitig wahren Einzeltatsachen ohne eine Kommentierung den Leser zu der im Klagantrag wiedergegebenen Schlußfolgerung zwinge und es sich deshalb bei dem hervorgerufenen Eindruck um eine Tatsachenbehauptung handele, die unwahr und deshalb dem Beklagten zu untersagen sei. Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.
a) Zwar ist es im Grundsatz nicht zu beanstanden, daß sich das Berufungsgericht nicht auf eine Würdigung der »offen« aufgestellten Behauptungen des Beklagten beschränkt, sondern seine Prüfung auf ehrenkränkende Beschuldigungen erstreckt hat, die im Gesamtzusammenhang der offenen Einzelaussagen »versteckt« bzw. »zwischen den Zeilen« stehen könnten (Senatsurteile BGHZ 78, 9, 14 ff. sowie vom 12. Mai 1987 - VI ZR 195/86 = NJW 1987, 2225). Auch insoweit unterliegt es revisionsrechtlicher Nachprüfung, ob der Tatrichter den Aussagegehalt einer derart verdeckten Behauptung zutreffend ermittelt hat. Bei der Annahme solcher verdeckter Behauptungen ist besondere Zurückhaltung geboten, um die Spannungslage zwischen Ehrenschutz und Kritikfreiheit nicht einseitig unter Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu Lasten der letzteren zu verschieben. Das hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Es hat nämlich nicht berücksichtigt, daß bei der Ermittlung sogenannter verdeckter Aussagen zwischen der Mitteilung einzelner Fakten zu unterscheiden ist, aus denen der Leser eigene Schlüsse ziehen kann und soll, und der erst eigentlich »verdeckten« Aussage des Autors, mit der dieser durch das Zusammenspiel der offenen Äußerungen eine zusätzliche Sachaussage macht bzw. sie dem Leser als unabweisliche Schlußfolgerung nahelegt. Im Ehrenschutzprozeß kann unter dem Blickpunkt des Art. 5 Abs. 1 GG nur im zweiten Fall die »verdeckte« Aussage einer »offenen« Behauptung des Äußernden gleichgestellt werden. Denn der Betroffene kann sich in aller Regel nicht dagegen wehren, daß der Leser aus den ihm »offen« mitgeteilten Fakten eigene Schlüsse auf einen Sachverhalt zieht, für den die offenen Aussagen Anhaltspunkte bieten, der von dem Äußernden so aber weder offen noch verdeckt behauptet worden ist. Auch insofern kann der Autor nämlich verlangen, an seinem Text gemessen zu werden. Andernfalls würden in vielen Fällen Information und Kommunikation unmöglich gemacht. Deshalb bedarf es im Einzelfall genauer Prüfung, ob der Äußernde mit den »offenen« Fakten dem Leser Schlußfolgerungen aufzwingt, die einen »verdeckten« Sachverhalt ergeben.
b) Nach diesen Grundsätzen kann die vom Berufungsgericht vorgenommene Bewertung der Äußerung keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht hält die im Klagantrag zu 1) aufgezeigte Schlußfolgerung nach dem Zusammenhang der beiden unstreitigen Einzeltatsachen für zwingend, weil deren Mitteilung sonst keinen Sinn ergebe. Diese Würdigung ist schon deshalb fehlerhaft, weil das Berufungsgericht nicht erwogen hat, daß die beiden offenen Aussagen auch als Mitteilung von Fakten aufzufassen sein könnten, die dem Leser lediglich einen Denkanstoß vermitteln sollen, ohne ihm bereits eine fertige Schlußfolgerung (und zwar als eine solche des Beklagten) nahezulegen. Diese Überlegung bot sich schon deshalb an, weil jedenfalls für den angesprochenen Leserkreis - insoweit kann weder für den direkt angesprochenen Bundespräsidenten noch die interessierte Öffentlichkeit der Maßstab eines Durchschnittslesers gelten (vgl. dazu BVerfGE 43, 130, 140) - erkennbar war, daß zur Entscheidung über Kredite kaum der Aufsichtsrat einer Bank zuständig sein konnte. Auch ist der Hinweis auf den Aufsichtsratposten des Klägers in einer der Banken, die an der Entziehung des Kredits beteiligt gewesen sein sollen, so vordergründig und so wenig substantiiert, daß von einer klaren und zwingenden Schlußfolgerung, wie sie das Berufungsgericht annehmen will, nicht die Rede sein kann. Schließlich legt auch der nachfolgende Satz, den das Berufungsgericht nicht gewürdigt hat, die Auffassung nahe, daß dem Leser lediglich Anstöße für ein Weiterdenken in Richtung auf einen möglichen, indessen nicht näher erläuterten Sachverhalt unterbreitet werden sollten. Danach passe es nämlich ins Gesamtbild, daß öffentliche Unternehmen, in deren Aufsichtsgremien Landespolitiker säßen, Aufträge storniert hätten. Auch insoweit werden Verflechtungen lediglich angedeutet, ohne daß sie in Richtung tatsächlicher Behauptungen konkretisiert würden.