Dem Organstreitverfahren liegt ein Antrag des Bundestagsabgeordneten Dr. Gregor Gysi zugrunde. Der Antragsteller begehrte die Feststellung, daß die Durchführung eines Verfahrens gem. § 44b AbgG seine Rechte als Abgeordneter aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG verletze.
Gemäß dem am 26. Januar 1992 in Kraft getretenen § 44b Abs. 2 AbgG kann ein Bundestags-Ausschuß einen Abgeordneten des Bundestages ohne dessen Zustimmung auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit oder politische Verantwortung für den "Stasi" der DDR überprüfen, wenn konkrete Anhaltspunkte für den Verdacht einer solchen Tätigkeit oder Verantwortung vorliegen. Weitere Einzelheiten und Kriterien des Überprüfungsverfahrens sind in Richtlinien und Absprachen festgelegt.
In den Richtlinien heißt es u.a., daß die Feststellung des Ausschusses unter Angabe der wesentlichen Gründe als Drucksache veröffentlicht wird.
Am 9. Februar 1995 beschloß der zuständige Bundestags-Ausschuß die Überprüfung des Abgeordneten Dr. Gysi nach § 44b Abs. 2 AbgG. Dieses Überprüfungsverfahren ist im Hinblick auf den beim BVerfG gestellten Antrag noch nicht abgeschlossen.
II.
Der Zweite Senat hat entschieden, daß der Antrag des Abgeordneten, soweit er sich gegen das zu seiner Person durchgeführte Verfahren wendet, zwar zulässig, aber unbegründet ist.
Das Überprüfungsverfahren berührt zwar die Rechte aus dem Abgeordnetenstatus, weil es dazu führen kann, daß die Legitimität des Mandats in Abrede gestellt wird. Allerdings ist im vorliegenden Fall eine Verletzung oder unmittelbare Gefährdung des Abgeordnetenstatus nicht festzustellen.
Zwar darf der Bundestag nur ausnahmsweise zur Wahrung seiner Integrität und politischen Vertrauenswürdigkeit ein der Wahl vorausliegendes Verhalten von Abgeordneten untersuchen. Ein solcher Ausnahmefall liegt in Anbetracht des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie in den neuen Ländern der Bundesrepublik vor. Diese besondere historische Situation gestattet es, ein Verfahren einzuführen, durch das Abgeordnete unter bestimmten Voraussetzungen auf ihre frühere Tätigkeit oder Verantwortung für den "Stasi" überprüft werden. Sind Abgeordnete in den Deutschen Bundestag gewählt worden, bei denen im Sinne des § 44b Abs. 2 AbgG besondere Verdachtsmomente für eine solche Tätigkeit vorliegen, so kann der Bundestag ein öffentliches Untersuchungsinteresse annehmen. Er darf dann davon ausgehen, daß das Vertrauen in das Repräsentationsorgan in besonderer Weise gestört wäre, wenn ihm Repräsentanten angehörten, bei denen der Verdacht besteht, daß sie durch politische Kontrolle und Unterdrückung der Bevölkerung eine Diktatur unterstützt und Freiheitsrechte der Bürger verletzt haben.
Der Senat führt im einzelnen aus, daß ein solches, nur in Ausnahmefällen zulässiges Verfahren jedoch von Verfassungs wegen Sicherungen zum Schutz des Abgeordnetenstatus hinsichtlich der abschließenden Verfahrensfeststellung, der Beteiligungsrechte des betroffenen Abgeordneten und der weiteren Verfahrensgestaltung enthalten muß.
Das vom Bundestag beschlossene Verfahren wird diesen Anforderungen gerecht, und zwar auch, soweit es auf die Beweismittel des Zeugen- und Sachverständigenbeweises verzichtet und sich auf eine Überprüfung des Verdachts lediglich anhand von Urkunden und Angaben des Betroffenen beschränkt. Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß der Ausschuß von der Verstrickung des betroffenen Abgeordneten eine so sichere Überzeugung gewinnen müsse, daß auch angesichts der beschränkten Beweismöglichkeiten vernünftige Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung ausgeschlossen seien. Anderenfalls steht es dem Ausschuß offen, in den Gründen die Beweislage darzustellen. Mutmaßungen sind ihm verwehrt.
Beschluß vom 21. Mai 1996 - 2 BvE 1/95
Karlsruhe, den 3. Juli 1996