Hauptsacheverfahren
Gregor Gysi vs. Bärbel Bohley
Gysi darf nicht als
"Stasi-Spitzel" bezeichnet werden
Leitsatz (Rolf Schälike):
"Stasi-
Spitzels" gewesen zu sein, setzt notwendiger Weise voraus, dass bei anderen
Informationen abgeschöpft wurden und diese anschließend zum MfS getragen
worden sind.
Die Korrespondenz, einchließlich Vorschläge eines Anwalts
politisch Verfolgter im Rahmen eines Strafsverfahrens mit der Abteilung "Staat und Recht" des
Zentralkomitees der SED gibt nichts für einen unmittelbaren Kontakt des
Anwalts zum MfS
her.
Die
gegen einen Anwalt sprechenden Gesichtspunkte müssen eine erforderliche Eindeutigkeit
besitzen, um die im
Bericht von Staasicherheitsoffizieren erwähnten GMS, IM derselben Person
(dem Anwalt) zuzuschreiben.
Hervorhebungen
rot und
fett sind von RS. Unterstreichungen entsprechen dem
Original.
Landgericht Hamburg
U R T E I L
Im Namen des Volkes
Geschäfts-Nr.:
324 O 729/94 |
Verkündet am:
19. Mai 1995 |
In der Sache
|
Feurhahn, JAe als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle |
Dr.
Gregor Gysi, MdB,
........
Berlin |
|
|
- Kläger - |
Prozessbevollmächtigte |
Rechtsanwälte
Dr. Senfft pp., Schlüterstraße 6, 20146 Hamburg,
GK.: 262 |
gegen |
Bärbel Bohley,
........
Berlin |
-
Beklagte -
|
Prozessbevollmächtigte |
Rechtsanwälte Quack pp. Deichstraße 11, 20459 Hamburg |
erkennt das Landgericht Hamburg, Zivilkammer 24 auf die mündliche
Verhandlung vom 24. Februar 1995 durch
den
Vorsitzenden Richter am Landgericht Ficus
den
Richter am Landgericht Meyer
den
Richter am Landgericht Schulz für Recht:
I.
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden
Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den
Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder
einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall
höchstens 500.000,- DM; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre),
zu unterlassen,
zu behaupten, zu verbreiten und/oder zu behaupten
oder verbreiten zu lassen,
der Kläger sein ein Stasi-Spitzel gewesen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Das
Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 23.500,-- DM vorläufig
vollstreckbar;
und
beschließt:
Streitwert wird auf 20.000,-- festgelegt.
Tatbestand
Die
Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, den Kläger
als einen Stasi-Spitzel zu bezeichnen.
Der
Kläger ist Rechtsanwalt und Mitglied des Deutschen Bundestages. In der
DDR vertrat er als Anwalt verschiedene Bürgerrechtler - darunter auch
die Beklagte, die ihn während eines Aufenthaltes in der Haftanstalt
Hohenschönhausen 1988 beauftragte.
In
der Ausgabe vom 18. November 1993 berichtete die BERLINER ZEITUNG auf
Seite 27 unter der Überschrift "Ort des gelebten Widerstands" über eine
Demonstration, die das neue Forum vor der ehemaligen Wohnung Wolf
Biermanns veranstaltete. In diesem Zusammenhang ließ die BERLINER
ZEITUNG in einem vom Bericht abgegrenzten Kasten mit der Überschrift
"O-Ton Bärbel Bohley" die Beklagte zu Wort kommen. In ihrer
Stellungnahme heißt es auszugsweise:
".Ja, so hätten wir
damals den Prozeß der Genugtuung für die Opfer einleiten müssen. Aber
wir wollten ja eine "friedliche" Revolution und haben uns lieber mit den
Stasi-Spitzeln an den runden Tischen rumgedrückt (Böhme, Schnur, de
Maizière, Gysi und alle, die noch nicht enttarnt sind)."
Für
die weiteren Einzelheiten der Stellungnahme der Beklagten wird auf die
Anlage K 1 verwiesen.
Nachdem der Kläger die Beklagte ohne Erfolg zur Unterlassung
aufgefordert hatte, erwirkte er eine einstweilige Verfügung der Kammer
vom 24. November 1993 (Az.: 324 0 768/93), mit der der Beklagten unter
Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten wurde, zu behaupten,
zu verbreiten und/oder behaupten oder verbreiten zu lassen, der Kläger
sei ein Stasi-Spitzel gewesen.
Die
Kammer bestätigte die einstweilige Verfügung mit Urteil vom 25. Januar
1994. Die von der Beklagten gegen das Urteil eingelegte Berufung wies
das Hanseatische Oberlandesgericht mit Urteil vom 13. Oktober 1994 (Az.:
3 U 61/94) zurück. Das Oberlandesgericht führte in seiner Entscheidung
aus, dass es sich bei der von der Beklagten in der BERLINER ZEITUNG vom
18. November 1993 gemachten Äußerung, der Kläger sei ein Stasi-Spitzel
gewesen, um eine Tatsachenbehauptung handele, und dass es der Beklagten
nicht gelungen sei, glaubhaft zu machen, dass diese von ihr aufgestellte
Behauptung zutreffe. Hinsichtlich der Einzelheiten, insbesondere der
Auseinandersetzung mit den verschiedenen im Verfügungsverfahren von
beiden Parteien eingereichten Dokumenten, wird auf das den Parteien
bekannte Urteil vom 13. Oktober 1994 verwiesen.
Der
Kläger trägt unter Bezugnahme auf sein Vorbringen im Verfügungsverfahren
vor, er sei niemals für das Ministerium für Staatssicherheit tätig
gewesen (Beweis: Zeugen Reuter u. Lohr).
Die
Beklagte verschweige auch, dass zahlreiche seiner Mandanten, z.B. Rainer
Eppelmann, Lutz Rathenow, Jutta Braband und Thomas Klein, die für die
Stasi von großem Interesse gewesen seien, in ihren Stasi-Unterlagen
offenbar nicht den geringsten Hinweis auf
ihn gefunden hätten (Beweis: deren Zeugnis). Von einer Ausnahme
abgesehen {Gespräch mit Frau Lampe im Cafe) gebe es im übrigen nur
Informationen über seine Gespräche bei Behörden oder der SED, über
Gespräche in den Haftanstalten, im Hause Havemann und über Gespräche in
seinem Anwaltsbüro.
Er
beantragt,
die Beklagte zu
verurteilen, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der
Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass
dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer
Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens
500.000,- DM; Ordungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre),
zu unterlassen,
zu behaupten, zu
verbreiten und/oder behaupten
oder verbreiten zu
lassen,
der Kläger sei ein
Stasi-Spitzel gewesen.
Die
Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie
trägt vor, die Klage sei unzulässig, da die vom Kläger eingereichte
Klageschrift vom 7. Dezember 1994 nicht den Anforderungen des § 253 Abs.
2 ZPO entspreche; die dortige Bezugnahme auf andere Urkunden sei nicht zulässig.
Ihre
Äußerung sei nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Meinungsäußerung
zu qualifizieren; insoweit verweise sie auf die von ihr bereits in der
Berufungsbegründung des Verfügungsverfahrens zitierte Rechtsprechung.
Diese Rechtsprechung sei inzwischen durch Urteile anderer Gerichte
bestätigt worden (vgl. Anl. B 1 u, 2). Falls man entgegen dieser
Rechtsprechung vorliegend von einer Tatsachenbehauptung ausgehe, so
treffe den Kläger die Darlegungs- und Beweislast für sein Klagebegehren;
dies folge aus einer Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts
vom 6. Mai 1993 (DtZ 1993, 349; Anl. B 3).
Der
Kläger habe mit dem MfS kooperiert; dies ergebe sich aus den bereits im
Verfügungsverfahren vorgelegten Aktenstücken (diese z.T. nochmals in
diesem Verfahren vorgelegt als Anlagen B 4, B 5, B 6, B 7, B 9, B 10, B
12, B 13, B 17, A, B, C, D, E). Auch die folgenden weiteren
Schriftstücke belegten die Zusammenarbeit des Klägers mit dem MfS:
Das
als Anlage B 8 überreichte Aktenstück (Information der Hauptabteilung XX
vom 9.11.1979 über ein Gespräch zwischen Kläger und Robert Havemann)
beweise die enge Verzahnung zwischen MfS und dem Kläger. Wichtig für den
Rechtsstreit sei "vereinbarungsgemäß" in Zeile 1 sowie der MfS
-Vorschlag für den Kläger auf Seite 3 des Berichtes. Auch der als
Anlage B 11 vorgelegte "Vorschlag" den Kläger auf Seite 3 des
Berichtes.
Auch
der als Anlage B 11 vorgelegte "Vorschlag" des MfS vom 21.11.1979
beweise, in welchem Umfang der Kläger von der Stasi gesteuert worden
sei.
Die
"Konzeption" des MfS vom 15.3.1981 (Anl. B 14) spreche in erheblichem
Maß dafür, dass der Kläger als "Notar" anzusehen sei, wie sich aus Seite
2 ergebe.
Letzte Zweifel an der Identität des "Notar" dürften durch den Bericht
vom 8.4.1981 (Anl. B 15) zerstreut werden. Auch die "Tonbandabschrift"
vom 11.04.1981 (Anl. B 16) bestätige die Identität des Klägers mit dem GMS "Notar". Aus der als Anlage B 18 überreichten
"Operativgeldabrechnung" sei zu entnehmen, dass der Kläger am 27.12.1985
als "Notar" einen Betrag von 45,10 Mark erhalten habe. Auch die Witwe
von Robert Havemann sei dem Kläger seitens des MfS zur Observierung
anvertraut worden, wie aus den Anlagen B 19 und B 20 zu ersehen sei.
Zum
Beweis dafür, dass aus den der nachstehenden Behörde vorliegenden Akten
ersichtlich sei, dass der Kläger Informant und Beauftragter des MfS, in
jedem Fall ein "Stasi-Spitzel" gewesen sei, beziehe sie sich auf das
Zeugnis des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen
Republik. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die von den
Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf den
Inhalt der Akte 324 0 768/93, die zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemacht worden ist, Bezug genommen. Dies gilt auch für die
von der Beklagten nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten
nicht nachgelassenen Schriftsätze vom 8. März und 20. April 1995.
Entscheidungsgründe
Die
Klage ist zulässig und begründet. Der von der Beklagten erhobene Einwand
gegen die Zulässigkeit der Klage verfängt nicht. Selbst wenn die
Klageschrift vom 7. Dezember 1994 den Anforderungen gemäß § 253 Abs. 2
ZPO nicht entsprochen haben sollte, wäre die Zulässigkeit der Klage zu
bejahen. Mängel beim notwendigen Inhalt der Klageschrift können nämlich
jederzeit bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung behoben werden (vgl.
nur Greger in Zöller, ZPO, 19. Aufl., § 253 Rn. 23), was vorliegend in
jedem Fall durch die Schriftsätze des Klägers vom 10. Januar 1995 sowie
vom 6. Februar 1995 erfolgt ist.
Die
Beklagte ist gemäß §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB zur Unterlassung der
angegriffenen Äußerung verpflichtet. Die den Kläger in der öffentlichen
Meinung herabwürdigende Behauptung, er sei ein "Stasi-Spitzel" gewesen,
ist - davon muß die Kammer auch im Hauptsacheverfahren ausgehen - nicht
erweislich wahr und beeinträchtigt den Kläger bei fortbestehender
Wiederholungsgefahr rechtswidrig in seinem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht.
1.
der angegriffenen Äußerung handelt es sich nicht um eine
Meinungsäußerung, sondern um eine Tatsachenbehauptung. Zur Begründung
ist zunächst auf die Ausführungen der Kammer im Urteil vom 25. Januar
1994 (Seiten 9 f.) sowie des Hanseatischen Oberlandesgerichts im Urteil
vom 13. Oktober 1994 (Seiten, 3 - 5) zu verweisen. Im letztgenannten
Urteil hat das Oberlandesgericht bereits im Einzelnen aufgezeigt, dass
sich an dieser Beurteilung nichts durch die von der Beklagten für sich
angeführte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in NW 1992, 1439
ff. ändern kann.
Vielmehr bestätigt auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,
dass vorliegend von einer Tatsachenbehauptung auszugehen ist. In jener
Entscheidung heißt es in den hier relevanten Passagen:
"Im 'Bespitzeln' liegt die
Tatsachenbehauptung, dass Beobachtungen stattgefunden haben. Die
Berichte haben aber nicht berücksichtigt, dass die Bf. durch die von
ihnen verwendeten Formulierungen zu diesen Vorgängen Stellung
beziehen und sie bewerten, wird der tatsachliche Vorgang der auf
Informationsbeschaffung gerichteten Beobachtung des Verhaltens Dritter
unter anderen mündlichen Ausdrücken mit dem Wort 'bespitzeln'
bezeichnet, so kommt darin vor allem ein Unwerturteil des Sprechers über
die Art und Weise der Beobachtung zum Ausdruck.
Gerichte dürfen lediglich
prüfen,
ob die in den Werturteilen 'bespitzeln" und ... enthaltenen
Tatsachen-Behauptungen. dass die Kl. Unternehmenskritiker beobachten
ließ und .... zutreffen oder ohne jeden Anhaltspunkt aufgestellt
worden sind."
Auch
nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts läge also eine unwahre und
somit verbietbare Tatsachenbehauptung vor, wenn im "Bayer"-Fall der
Vorwurf "bespitzeln" ohne jede tatsächliche Grundlage, nämlich
Beobachtung von Unternehmenskritikern, erhoben worden wäre.
Dementsprechend ist die Kammer im vorliegenden Fall gehalten, zunächst
zu prüfen, ob der Kläger Handlungen begangen hat, an die ein
Unwerturteil "Stasi-Spitzel" anknüpfen könnte.
Auch
die von der Beklagten herangezogene "Zwangsdemokrat"-Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts (NJW 1991, 95) gibt nichts für ihren
Rechtsstandpunkt her, knüpfte doch das Werturteil "Zwangsdemokrat" an
ein tatsächliches Verhalten des verstorbenen bayrischen
Ministerpräsidenten, nämlich dessen politische Betätigung, an.
Die
als Anlage B 2 überreichte Entscheidung des Kammergerichts vom
10.12.1993 in der Sache Dr. Stolpe ./. SPIEGEL TV GmbH betrifft
ebenfalls eine Fallgestaltung, die mit der vorliegenden nicht
vergleichbar ist. Das Kammergericht führt zwar auf Seite 10 des Urteils
aus, dass es sich bei der Dr. Stolpe betreffenden Äußerung, er sei
"Stasi-Spitzel" gewesen, um eine Wertung und nicht um eine
Tatsachenbehauptung handele. Auf Seiten 11 und 12 des Urteils macht das
Kammergericht indessen deutlich, dass die Äußerung vor dem Hintergrund
der Diskussion über Dr. Stolpes "Zusammenarbeit mit dem MfS" zulässig
sei (Seite 11). Dr. Stolpe habe beteuert, "er habe stets nur dienstliche
Kontakte mit dem MfS unterhalten" (Seite 12). Das Kammergericht hat also
die Äußerung "Stasi-Spitzel" in einem Fall als Meinungsäußerung
qualifiziert, in dem diese Äußerung an ein tatsächliches Verhalten,
nämlich die unstreitigen Kontakte Dr. Stolpes zum MfS anknüpfte.
Auf
der gleichen Linie liegen die nur in Form von Presseberichten (Anl. B l)
wiedergegebenen Fälle der Oberlandesgerichte Braunschweig und Karlsruhe.
Das Werturteil "Klimakiller" knüpft an ein tatsächliches Verhalten des
Vorstandsvorsitzenden von VW an, nämlich die Produktion Abgase
abgebender Autos. Die Bezeichnung "Vetternwirtschaft" knüpfte nach der
Pressemeldung daran an, dass das SPD-Mitglied Staeck von der von der
SPD-Oberbürgermeisterin regierten Stadt einen Schuppen vermietet
erhalten hatte.
2.
Die Beklagte hat nicht dargelegt und bewiesen, dass in Bezug auf den
Kläger der Tatsachenkern erfüllt ist, den der
Begriff des "Stasi-
Spitzels" notwendig voraussetzt, dass nämlich der Kläger bei anderen
Informationen abgeschöpft und diese anschließend zum MfS getragen hat.
a)
Die Beklagte ist insoweit darlegungs- und beweisbelastet; zur Begründung
wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst auf die
Ausführungen im Urteil der Kammer vom 25. Januar 1994, Seiten 19 bis 21,
und im Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 13. Oktober 1994,
Seiten 12 bis 14, Bezug genommen.
Die
Beklagte kann sich auch nicht unter Hinweis auf die von ihr zitierte
Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 6. Mai 1993 (DtZ
1993, 349 = AfP 1993, 756; Anl. B 3) auf die Wahrnehmung berechtigter
Interessen berufen. Der zitierten Entscheidung lag ein völlig anderer
Sachverhalt zugrunde. Anders als im vorliegenden Fall ging es dort um
die Veröffentlichung wesentlicher Teile der den dortigen Beklagten
betreffenden "Stasi-Akte", wobei der Inhalt der Akte wörtlich
wiedergegeben wurde. Die Interessenlage war mit dem vorliegenden Fall
nicht vergleichbar, da es um die Veröffentlichung der "Stasi-Akte" des
Betroffenen selber ging. Lediglich für diese Fallgestaltung hat das
Hanseatische Oberlandesgericht in seiner Entscheidung festgestellt, dass
es angesichts der Vielzahl von in der "Stasi-Akte" vermerkten
Äußerungen
und dem öffentlichen Informationsinteresse unzumutbar sei, vor der
Veröffentlichung eine journalistische Recherche zu verlangen. Für den
vorliegenden Fall ergibt diese Entscheidung nichts.
b)
Bei einer zusammenfassenden Würdigung des von den Parteien beigebrachten
Aktenmaterials kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger
Informationen bei anderen abgeschöpft und zum MfS getragen hat. Das
Hanseatische Oberlandesgericht hat sich in seinem Urteil vom 13. Oktober
1994 intensiv mit den im Verfügungsverfahren von beiden Parteien
vorgelegten Urkunden auseinandergesetzt und im Ergebnis ausgeführt, dass
die Frage, ob der Kläger ein "Stasi-Spitzel" gewesen ist, letztlich
offen bleibe. Auf die ausführliche Begründung (Seiten 6 bis 12 des
Urteils), die auch für das vorliegende Hauptsacheverfahren gilt und der
sich die Kammer anschließt, wird Bezug genommen.
Auch
die im vorliegenden Verfahren zusätzlich von der Beklagten vorgelegten
Urkunden ergeben weder für sich allein genommen noch, im Zusammenhang
mit dem im Verfügungsverfahren vorgelegten Material, dass der Kläger
Handlungen begangen hat, die den Vorwurf "Stasi-Spitzel" rechtfertigen:
aa)
Das mit "Information über ein Gespräch des Rechtsanwaltes Genossen Dr.
Gregor Gysi mit Robert Havemann" überschriebene Schriftstück aus der
Hauptabteilung XX vom 9.11.1979 (Anl. B 8) läßt einen Verfasser nicht
erkennen. Auszuschließen ist jedenfalls nicht, dass die Wiedergabe des
Gesprächs zwischen dem Kläger und Havemann auf eine Abhörmaßnahme
zurückzuführen ist. Das Wort "vereinbarungsgemäß" in der ersten Zeile läßt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht den Schluß auf eine
entsprechende Vereinbarung zwischen Kläger und MfS zu. Ebenso plausibel
erscheint die hierzu abgegebene Erklärung des Klägers, dass der
unbekannte Verfasser hier die zwischen dem Kläger und Havemann
getroffene Geprächsverabredung gemeint haben dürfte.
Ebenso wenig Aussagekraft kommt im Ergebnis den "Vorschlägen" auf Seite 3
des Schreibens zu. Die vom Kläger hierzu abgegebene Erklärung, es
handele sich um Vorschläge der Stasi an die Abteilung "Staat und Recht",
die diese an ihn habe weitergeben sollen, ist nicht von der Hand zu
weisen, dass der Kläger mit der Abteilung "Staat und Recht" des
Zentralkomitees der SED korrespondierte, steht unstreitig fest (vgl.
Anl. B 10, B 9). Für einen unmittelbaren Kontakt des Klägers zum MfS
geben die "Vorschläge" jedenfalls nichts her.
bb)
Die als Anlage B 14 überreichte "Konzeption" vom 15. März 1981 gibt
entgegen der Auffassung der Beklagten keinen Anhaltspunkt für die
Annahme, dass der Kläger als "IM Notar" anzusehen ist. Unter Ziff. 1.2.
der "Konzeption" wird zwar festgehalten, dass "IM Notar" neben den IM
"Kurt", "Julia", "Lorenz", "Engel" und "Horst Berkhoff" zum Zwecke der
Durchführung von Diskussionen mit Havemann zum Einsatz zu bringen sei.
Der "Konzeption" ist aber weder zu entnehmen, welche Person
sich hinter der
Bezeichnung "IM Notar" verbirgt, noch gibt sie Auskunft darüber, welche
Personen sich hinter den anderen genannten Decknamen verbergen.
cc)
Der als Anlage B 15 überreichte "Bericht über einen Treff mit GMS 'Notar' am 7.4.1981" erscheint ebenfalls nur auf den ersten Blick für
den Kläger belastend.
Gegen den Kläger scheint zunächst zu sprechen, dass eingangs von einem
für "Notar" geplanten Besuch bei Havemann am 10. April 1981 die Rede
ist, und dass - so jedenfalls der Bericht vom 11. April 1981 (Anlage B
16) - am 10. April 1981 ein Gespräch zwischen Havemann und "seinem
Rechtsanwalt" - der Kläger hat insoweit offen eingeräumt, dass er der
Gesprächspartner von Havemann gewesen sei - tatsächlich stattgefunden
hat. Auch korrespondiert die in der Anlage B 15 für den "GMS Notar
vorgegebene "Zielstellung des Besuches" mit dem im Bericht Anlage B 16
wiedergegebenen Gesprächsinhalt; tatsächlich wurden im Gespräch des
Klägers mit Havemann die auch in der Anlage B 15 erwähnten Themen
"Parteitag der SED" sowie "Lage in Polen" erörtert. Auch der Satz "Der
GMS teilte anschließend zu seinen Mandanten Rathenow, Lutz und ....
folgendes mit: ..." scheint dafür zu sprechen, dass der Kläger mit dem
beschriebenen GMS 'Notar' identisch ist, zumal der Kläger Lutz Rathenow
anwaltlich vertreten hat. Schließlich scheint der letzte Absatz des
Berichts vom 8.4.198l (Anl. B 15) gegen den Kläger zu sprechen: Danach
sprach der GMS - wohl in Gegenwart von OSL Reuter und Major Lohr - einen
Bericht über die Sängerin Bettina Wegner auf Tonband. Dieser Bericht ist
in der Sache 324 0 768/93 als Anlage eV B 7 - dort wird die
"Quelle" allerdings als IMS 'Notar' bezeichnet - vorgelegt worden. Dieser
Tonbandvermerk ist in einem recht flüssigen und straffen Stil gehalten,
was angesichts der Tatsache , dass der Vermerk doch wohl sehr rasch im
unmittelbaren Anschluß an das Gespräch mit Reuter und Lohr diktiert
worden ist, auf eine Person hinweist, die sehr gut über den im Vermerk
niedergelegten Sachverhalt informiert war.
Die
vorgenannten durchaus gegen den Kläger sprechenden Gesichtspunkte
zeigen
jedoch nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit, dass der im
Bericht erwähnte GMS "Notar" und der Kläger eine und dieselbe Person sind.
Die
vorstehend beschriebenen Übereinstimmungen von Termin "10.4.1981" und
"Zielstellung des Besuches" im Bericht vom 8. April 1981 (Anl. B 15) und
dem zwischen Kläger und Havemann geführten Gespräch (Anl. B 16) weisen
nicht zwingend auf eine Identität von "GMS Notar" und Kläger hin. Bei
"Notar" könnte es sich ebenso gut um einen Mitarbeiter der damaligen Anwaltssozietät des Klägers handeln, mit dem Reuter und Lohr
verabredeten, dass er Havemann am 10.4.1981 aufsuchen solle.
Möglicherweise kam es stattdessen zum Besuch des Klägers bei Havemann,
über dessen Verlauf sich "Notar" entweder durch Berichte des Klägers
oder durch Abhörmaßnahmen Kenntnis verschafft haben konnte. Auch die
Passage "Der GMS teilte anschließend zu seinen Mandanten Rathenow, Lutz
und ..." sowie das Diktat des Vermerkes "Wegner" fänden auf diese Weise
eine Erklärung.
Hinzuweisen ist hier nochmals darauf, dass einzelne
MfS-Unterlagen nicht isoliert betrachtet, sondern ist Zusammenhang mit
dem gesamten aufgetauchten Aktenmaterial zu würdigen sind. Es kann nicht
angehen, einzelne gegen den Kläger sprechende Gesichtspunkte
herauszupicken und andere Unterlagen, die gegen eine MfS-Tätigkeit des
Klägers sprechen - hier sei insbesondere auf die vom Kläger vorgelegten
Anlagen K 2 bis K 7, mit denen sich die Kammer bereits ist Urteil vom
25. Januar 1994 (Seiten 10 f.) auseinandergesetzt hat, verwiesen - außer
Acht zu lassen. Die aufgrund des Aktenmaterials, das zahlreiche
Ungereimtheiten aufweist, letztlich verbleibenden Zweifel müssen sich zu
Lasten der darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten auswirken.
dd)
Die Anlage B 16 gibt - dies ist im Zusammenhang mit der Behandlung der
Anlage B 15 ausgeführt worden - ebenfalls keinen Aufschluß darüber, wer
sich hinter dem "GMS Notar" verbirgt.
ee)
Die als Anlage B 18 vorgelegte "Operativgeldabrechnung Notar" vom
27.12.1985 besagt nichts darüber, dass der Kläger für das MfS tätig war.
Ebenso gut könnte ein MfS-Mitarbeiter "Notar" den ausgewiesenen Betrag
von 45,- Mark im Rahmen von gegen den Kläger geführten Maßahmen
erhalten haben. dass die Unterschrift in der Rubrik "Betrag erhalten" vom
Kläger stammt, behauptet nicht einmal die Beklagte.
ff)
Die Anlagen B 19 und B 20 bringen ebenfalls nicht den von der Beklagten
gewünschten Nachweis. Lediglich in der Anlage B 19 findet der Name des
Klägers im letzten Absatz Erwähnung. Aus dem dortigen Text ist aber
nichts für die Annahme herzuleiten, dass der Kläger davon wußte, dass der
MfS ihn zu einer operativen Einflussnahme auf Annedore Havemann zu
veranlassen beabsichtigte.
c)
Dem Beweisantrag der Beklagten, den
Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der
ehemaligen DDR (im folgenden kurz: der Bundesbeauftragte) als "Zeugen"
zum Beweis für die Behauptung zu vernehmen, dass sich aus den der
Behörde vorliegenden Akten ergebe, dass der Kläger Informant und
Beauftragter des MfS gewesen sei, ist nicht nachzugehen.
In der Sache handelt es sich bei diesem Antrag um
das Begehren, eine entsprechende Auskunft oder ein
Sachverständigengutachten der Behörde einzuholen bzw. diese zu ersuchen,
entsprechende Akten bzw. Aktenbestandteile zur Verfügung zu stellen.
Einem derartigen Antrag auf Aktenbeiziehung konnte nicht entsprochen
werden, weil es an der erforderlichen genauen Bezeichnung der
beizuziehenden Urkunden fehlt. Der Beweisantritt wäre unsubstantiiert;
bei umfangreichen Akten sind die Urkunden, aus denen sich die
Beantwortung der Beweisfrage ergeben soll, präzise; zu bezeichnen.
Es
ist nicht Aufgabe des Gerichts, aus beigezogenen Akten das wesentliche
selbst herauszusuchen (vgl. nur Zöller-Geiser, ZPO, 19. Aufl., § 432 Rn.
2).
Einem entsprechenden Antrag auf Einholung einer behördlichen Auskunft
bzw. eines Sachverständigengutachtens könnte ebenfalls nicht
entsprochen werden, da der Antrag ersichtlich auf Ausforschung
ausgerichtet ist. Der Antrag soll der Erschließung von Erkenntnisquellen
dienen, die es vielleicht ermöglichen, sodann den Urkundenbeweis
antreten zu können. Ein solcher Ausforschungsantrag ist unzulässig (vgl.
Zöller-Greger, aaO., Rn. 5 vor § 284); dies gilt insbesondere vor dem
Hintergrund, dass sich der Bundesbeauftragte unter dem. 21. Februar 1992
(Anl. eV B 11. in der Sache 324 O 768/93) und unter dem 9. Dezember 1992
(Anl. K 15) dahingehend geäußert hat, dass nicht ersichtlich sei, dass der
Deckname "Gregor" vor der Anlage des IM-Vorlaufs für den Kläger
Verwendung gefunden habe und um wen es sich bei IM "Notar" gehandelt
habe.
3.
Die nach dem Schluß der mündlichen Verhandlung von der Beklagten
eingereichten Schriftsätze vom 8. März 1995 und 20. April 1995 geben
keine Veranlassung, die Verhandlung wiederzueröffnen.
Aus
der mit dem Schriftsatz vom 8 März 1995 überreichten "Richtlinie" (Anl.
B 21) wird, wie die Beklagte selbst einräumt, nicht der Nachweis
geführt, dass der Kläger ein IM war bzw. in anderer Funktion für den MfS
tätig war.
Auf
die im Schriftsatz vom 20. April 1995 unter Ziff. 1 aufgestellte
Beweisbehauptung kommt es nicht an. Auch die Kammer geht
nicht davon
aus, dass aufgrund des "Beschlusses über die Archivierung des
IM-Vorlaufs" vom 14.
August 1986 (Anl.
K 5) "feststehe",
dass aus dem IM-Vorlauf unter dem Namen Gregor ein "IM-Notar"
nie
geworden sei.
Der
unter Ziff. 2 aufgestellten Beweisbehauptung ist ebenso wenig
nachzugehen. Der "Operativgeldabrechnung" vom 27.12.1985 (Anl. B 18)
ist nicht zu entnehmen, dass die "Reg.-Nr. XV/5647/80" dem Decknamen
"Notar" zugeordnet worden ist. Wie oben unter 2.b) ee) ausgeführt worden
ist, kann der Name "Notar" auf dem Beleg auch bedeuten, dass ein nicht
mit dem Kläger identischer "Notar" 45 Mark im Rahmen einer gegen den
Kläger gerichteten Maßnahme erhielt. Hierfür bedarf es keines
Sachverständigengutachtens.
Der
unter Ziff. 3 gestellte Beweisantrag ist unzulässig; insoweit gelten die
oben unter 2. c) gemachten Ausführungen.
4.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. l, 709 Satz 1 ZPO.
Ficus Meyer RiLG Schulz ist in
Urlaub und kann nicht unterzeichnen
Ficus
Bitte senden Sie Ihre Kommentare an
Rolf Schäike
Dieses
Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 04.08.06
Impressum |