Persönlichkeitsrecht Luftbildaufnahmen eines Grundstücks; Eingriff in Privatsphäre
BGH, Urt. v. 9. Dezember 2003 – VI ZR 373/02
Grundsätzlich stellt es einen Eingriff in die Privatsphäre dar, wenn jemand unter Überwindung bestehender Hindernisse oder mit geeigneten Hilfsmitteln (z.B. Teleobjektiv, Leiter, Flugzeug) den räumlichen Lebensbereich eines anderen ausspäht.
1. Das Berufungsgericht wertet das Verhalten des Beklagten zutreffend als einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Das von der Klägerin als Ruhe- und Erholungsort genutzte Anwesen war auch in seinem Außenbereich Teil des räumlichen Schutzbereichs ihrer Privatsphäre.
a) In Übereinstimmung mit der Auffassung des erkennenden Senats geht das Berufungsgericht davon aus, daß die Privatsphäre nicht an der Haustür endet, wenn sie auch zunächst den räumlich inneren Hausbereich umfaßt. Eine schützenswerte Privatsphäre besteht außerhalb des häuslichen Bereichs in gleicher Weise beispielsweise auch dann, wenn sich jemand in eine örtliche Abgeschiedenheit zurückgezogen hat, in der er objektiv erkennbar für sich allein sein will (dazu ausführlich BVerfGE 101, 361, 382 ff. unter cc; Senatsurteile, BGHZ 131, 332, 338 ff. und vom heutigen Tag - VI ZR 404/02). Danach ist ein umfriedetes Grundstück jedenfalls dann der Privatsphäre zuzurechnen, wenn es dem Nutzer die Möglichkeit gibt, frei von öffentlicher Beobachtung zu sein.
b) Der Schutz der Privatsphäre entfällt nicht bereits deshalb, weil Vorbeikommende aufgrund der landschaftlichen Gegebenheiten Grundstücksteile einsehen können. Bei einem umfriedeten Wohngrundstück bleibt der typisch private Charakter für Dritte bereits durch dessen erkennbaren Nutzungszweck bestimmt.
2. Die Einordnung des Grundstücks als räumlicher Schutzbereich der Privatsphäre besagt aber noch nichts darüber, ob bzw. inwieweit dieser Bereich selbst - neben dem Grundrechtsträger - am Grundrechtsschutz teilhat. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob die Veröffentlichung und Verbreitung der Fotografien des Anwesens als solchem unter namentlicher Zuweisung an die Klägerin in deren Privatsphäre eingreift.
a) Eine Persönlichkeitsrechtsverletzung wird regelmäßig nicht gegeben sein, wenn lediglich das Fotografieren der Außenansicht eines Grundstücks von einer allgemein zugänglichen Stelle aus und die Verbreitung dieser Fotos in Frage stehen, weil die Aufnahmen nur den ohnehin nach außen gewandten Bereich betreffen. Ob demgegenüber die Veröffentlichung von Fotos umfriedeter Außenanlagen gegen den Willen des Grundstücksbesitzers eine Persönlichkeitsverletzung darstellt, läßt sich nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände für den Einzelfall beantworten. So verliert der Bereich, der lediglich zur Privatsphäre wird, weil sich jemand an einen Ort zurückzieht, der zwar einer begrenzten Öffentlichkeit zugänglich ist, in der konkreten Situation aber zu einem Ort der Abgeschiedenheit wird (vgl. Senatsurteil BGHZ 131, 332, 338 ff.), die Eigenschaft der Privatheit wieder, wenn diese besondere Situation endet, indem sich z.B. die betreffende Person entfernt oder von sich aus den Zutritt der Öffentlichkeit gestattet. Anders hingegen ist der häusliche Bereich zu beurteilen, der stets eine Rückzugsmöglichkeit gewähren soll.
b) Unter den Umständen des Streitfalls ist ein Eingriff in die Privatsphäre der Klägerin zu bejahen, auch wenn die Fotografien lediglich das Anwesen ohne Personen zeigen. Ausschlaggebend ist, daß der Beklagte die Bilder aufgenommen hat, um sie unter Nennung des Namens der Klägerin gegen deren Willen zu veröffentlichen und zu verbreiten. Der Beklagte dringt dadurch in die von der Klägerin durch die Umfriedung ihres Grundstücks dort geschaffene Privatsphäre ein und beeinträchtigt außerdem ihr Recht auf Selbstbestimmung bei der Offenbarung ihrer persönlichen Lebensumstände (vgl. zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung: Senatsurteil vom 13. November 1990 - VI ZR 104/90 - VersR 1991, 433, 434 sowie vom heutigen Tag - VI ZR 404/02). Dieses Recht schützt nicht nur vor einer überzogenen Ausforschung von personenbezogenen Daten durch den Staat, sondern es weist auch auf der Ebene bürgerlichrechtlicher Verhältnisse dem Schutzbedürfnis der Person einen entsprechend hohen Rang gegenüber Eingriffen zu, die sie gegen ihren Willen für die Öffentlichkeit »verfügbar« machen (vgl. BVerfGE 84, 192, 194 f.; Senat, Urteil vom 12. Juli 1994 - VI ZR 1/94 - VersR 1994, 1116, 1117).
c) Das ist unter den Umständen des Falles anzunehmen. Durch die Beiordnung des Namens wird die Anonymität des Anwesens aufgehoben. Die Abbildungen werden einer Person zugeordnet und gewinnen einen zusätzlichen Informationsgehalt. Hierdurch entsteht die Gefahr, daß das Grundstück in seiner Eignung als Rückzugsort für die Klägerin beeinträchtigt wird. Die Information gewährt außerdem einem breiten Publikum Einblicke in Lebensbereiche, die sonst allenfalls den Personen bekannt werden, die im Vorübergehen oder Vorüberfahren das Anwesen betrachten und zudem in Erfahrung gebracht haben, daß die Klägerin dort wohnt.
Hinzu kommt, daß der Beklagte, der mit dem Hubschrauber aus frei gewählter Position heraus fotografiert, den zur Sicherung der Privatheit des Anwesens angebrachten Sichtschutz durchbricht und sich damit gegen den Willen des Berechtigten in gewisser Weise Zugang verschafft. Grundsätzlich muß niemand hinnehmen, daß seine Privatsphäre gegen seinen Willen unter Überwindung bestehender Hindernisse oder mit geeigneten Hilfsmitteln (z.B. Teleobjektiv, Leiter, Flugzeug) gleichsam »ausgespäht« wird, um daraus ein Geschäft zu machen und die so gewonnenen Einblicke Dritten gegen Bezahlung zur Verfügung zu stellen.