BGH Urteile | Persönlichkeitsrecht (Ermittlung des Aussagegehalts einer Äußerung) | | BGHR Zivilsachen>BGB>2. Buch §§ 241-853 Recht ... >§§ 433-853 Einzelne Schul... >§§ 823-853 Unerlaubte Han... >§ 823>§ 823 Abs. 1>Persönlichkeitsrech | BGB § 823 Abs. 1 | Persönlichkeitsrecht Ermittlung des Aussagegehalts einer Äußerung; verdeckte Aussage; Gesamtzusammenhang; Beurteilung des günstigeren Aussagegehalts | BGH, Urt. v. 25. November 2003 – VI ZR 226/02 | Sind mehrere sich nicht gegenseitig ausschließende Deutungen des Inhalts einer Äußerung möglich, so ist der rechtlichen Beurteilung diejenige zugrunde zu legen, die dem in Anspruch Genommenen günstiger ist und den Betroffenen weniger beeinträchtigt.
| | 1. Die Revision rügt mit Recht, daß das Berufungsgericht bei Ermittlung des Aussagegehalts der ersten Äußerung deren Gesamtzusammenhang außer Acht gelassen und deshalb ihren Sinn nicht zutreffend erfaßt hat.
a) Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Sie unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. Senatsurteile, BGHZ 78, 9, 16; 132, 13, 21; vom 7. Dezember 1999 - VI ZR 51/99 - VersR 2000, 327, 330 und vom 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - VersR 2000, 1162, 1163). Ziel der Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut, der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann, sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für die Leser, Hörer oder Zuschauer erkennbar sind. Hingegen wird die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (vgl. BVerfGE 93, 266, 295; Senatsurteile, BGHZ 139, 95, 102 und vom 25. März 1997 - VI ZR 102/96 - VersR 1997, 842, 843 m.w.N.).
b) Nicht zu beanstanden ist, daß sich das Berufungsgericht bei der Ermittlung des Aussagegehalts nicht auf »offene« Behauptungen beschränkt hat, sondern die Prüfung auf ehrenkränkende Beschuldigungen erstreckt hat, die im Gesamtzusammenhang der offenen Einzelaussagen »versteckt« bzw. »zwischen den Zeilen« stehen könnten (vgl. Senatsurteile BGHZ 78, 9, 14 ff. sowie vom 28. Juni 1994 - VI ZR 273/93 - VersR 1994, 1123, 1124). Das Berufungsgericht gibt auch die Grundsätze zur Nachprüfung solcher verdeckter Aussagen zutreffend wieder.
Danach ist bei der Ermittlung sogenannter verdeckter Aussagen zu unterscheiden zwischen der Mitteilung einzelner Fakten, aus denen der Leser eigene Schlüsse ziehen kann und soll, und der erst eigentlich »verdeckten« Aussage, mit der der Autor durch das Zusammenspiel offener Äußerungen eine zusätzliche Sachaussage macht bzw. sie dem Leser als unabweisliche Schlußfolgerung nahelegt. Unter dem Blickpunkt des Art. 5 Abs. 1 GG kann nur im zweiten Fall die »verdeckte« Aussage einer »offenen« Behauptung des Äußernden gleichgestellt werden. Denn der Betroffene kann sich in aller Regel nicht dagegen wehren, daß der Leser aus den ihm »offen« mitgeteilten Fakten eigene Schlüsse auf einen Sachverhalt zieht, für den die offenen Aussagen Anhaltspunkte bieten, der von dem sich Äußernden so aber weder offen noch verdeckt behauptet worden ist (vgl. Senatsurteil vom 28. Juni 1994 - VI ZR 273/93 - aaO).
c) Mit Recht beanstandet die Revision, daß das Berufungsgericht nach diesen Grundsätzen eine verdeckte Sachaussage dahin angenommen hat, daß der Kläger die Verschuldung durch fehlerhafte Entscheidungen herbeigeführt habe. Die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung, durch die Verknüpfung »als Modernisierer hatte man ihn (Kläger) nach K. geholt« mit der weiteren Äußerung »doch jetzt stehen die K. Politiker belämmert vor einem verschuldeten Haus« erhalte der Zuschauer nicht lediglich einen Denkanstoß, sondern die bereits fertige Schlußfolgerung, daß der mit einer bestimmten Absicht (»Modernisierer«) geholte Kläger die an ihn gestellten Erwartungen nicht erfüllte (»belämmert«) und ein verschuldetes Haus hinterlassen habe, läßt außer Acht, daß diese Verknüpfung nicht zwingend ist.
d) Bei der Ermittlung des Aussagegehalts ist nämlich auch der Gesamtzusammenhang der Äußerung zu berücksichtigen. Darauf weist die Revision mit Recht hin. Bei der gebotenen Betrachtung des gesamten Textes unter Einbeziehung der begleitenden Aussagen, ist die Äußerung keineswegs nur so zu verstehen, wie das Berufungsgericht meint.
Der Begleittext lautet:
»K. am B. - malerisch gelegen. Doch im Krankenhaus am Rande der Stadt gibt es ein Problem: Nach kurzer Zeit ist der Klinikdirektor abhanden gekommen.
H.M. kehrt dem Haus nach nur 16 Monaten den Rücken. Als den großen Modernisierer hatte man ihn nach K. geholt.
Doch jetzt stehen die K.er Politiker belämmert vor einem verschuldeten Haus.
H.F. (B90/Grüne) Oberbürgermeister von K.: »Die Sachen, die er angestoßen hat, sind sicher nur teilweise auf den Weg. Und es wird jetzt nicht einfach sein, die Dinge fertig zu machen.««
Der Text berichtet nach dem Gesamtzusammenhang vorrangig nicht über wirtschaftliche Fehlentscheidungen des Klägers als Klinikdirektor, sondern über die Konsequenzen seines vorzeitigen Ausscheidens aus den Diensten des Krankenhauses. Das wird bestätigt durch die anschließende Äußerung des Oberbürgermeisters von K., daß der Kläger »Sachen angestoßen habe« und »Dinge fertig zu machen seien.« In der Äußerung werden damit zum einen Folgen des vorzeitigen Ausscheidens des Klägers aus den Diensten des Krankenhauses aufgezeigt, zum anderen wird die Bewältigung dieser Folgen angesprochen. Darauf weist die Revision zu Recht hin.
e) Die Auffassung des Berufungsgerichts, »zwischen den Zeilen« werde der Vorwurf erhoben, der Kläger habe die Verschuldung durch fehlerhafte Entscheidungen herbeigeführt, ist zwar nicht unvertretbar, doch ist die eben dargestellte Sinndeutung mindestens ebenso naheliegend. Sind indessen mehrere sich nicht gegenseitig ausschließende Deutungen des Inhalts einer Äußerung möglich, so ist der rechtlichen Beurteilung diejenige zugrunde zu legen, die dem in Anspruch Genommenen günstiger ist und den Betroffenen weniger beeinträchtigt (vgl. Senatsurteil, BGHZ 139, 95, 104). Das ist die hier aufgezeigte Alternative. Folglich liegt eine verdeckte Tatsachenbehauptung, wie das Berufungsgericht sie annehmen will, nicht vor, so daß hierauf kein Entschädigungsanspruch gestützt werden kann. Vielmehr steht den Beklagten das Recht auf freie Meinungsäußerung und Berichterstattung im Rahmen der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisteten Pressefreiheit zu.
von Carl Heymanns Verlag |
| 2006-02-22 15:38:10 |
|
|