Persönlichkeitsrecht Ehrverletzung durch bewußt unvollständige Presseberichterstattung
BGH, Urt. v. 26. Oktober 1999 – VI ZR 322/98
Läßt sich aus mitgeteilten wahren Tatsachen eine bestimmte (ehrverletzende) Schlußfolgerung ziehen, so ist jedenfalls eine bewußt unvollständige (Presse-) Berichterstattung rechtlich wie eine unwahre Tatsachenbehauptung zu behandeIn, wenn die Schlußfolgerung bei Mitteilung der verschwiegenen Tatsache weniger naheliegend erscheint und deshalb durch das Verschweigen dieser Tatsache beim unbefangenen Durchschnittsleser ein falscher Anschein entstehen kann (Anschluß an BGH, Urteile v. 30. Januar 1979 - VI ZR 163/77 - NJW 1979, 1041 und vom 9. November 1965 - VI ZR 276/64 - NJW 1966, 245, 246).
LG HH
Az.: 324 O
einstweilige Verfügung
LG HH
Az.: 324 O
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2. ... Das Berufungsurteil begegnet schon im Ansatz durchgreifenden Bedenken, weil es die von der Klägerin beanstandeten Äußerungen unter dem Blickpunkt der Verdachtsberichterstattung (vgl. hierzu Senatsurteil vom 26. November 1996 - VI ZR 323/95 - NJW 1997, 1148, 1149 f. m.w.N.) prüft und von daher zu der Auffassung gelangt, daß es auf ihren Wahrheitsgehalt nicht ankomme. Tatsächlich wenden sich die Kläger jedoch mit ihren Anträgen nicht eigentlich gegen eine Berichterstattung über den in dem Artikel angesprochenen Korruptionsverdacht, sondern verlangen das Verbot einzelner Tatsachenbehauptungen, weil diese nicht der Wahrheit entsprächen. Deshalb kann schon vom Klageziel her nicht außer Betracht bleiben, ob die beanstandeten Äußerungen wahr oder unwahr sind.
Bei dieser Prüfung ist freilich der Aussagehalt zu beachten und insbesondere zu berücksichtigen, daß jede Äußerung in ihrem Kontext zu sehen ist und nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden darf (vgl. Senatsurteile BGHZ 132, 13, 20; vom 28. Juni 1994 - VI ZR 252/93 - NJW 1994, 2614, 2615, jeweils m.w.N.). Ob das Berufungsgericht den Aussagegehalt zutreffend erfaßt hat, unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. Senatsurteil vom 25. März 1997 - VI ZR 102/96 - NJW 1997, 2513 f.).
a) Hiernach hat die Revision zum Klageantrag I 1 mit der im Hilfsantrag formulierten Maßgabe Erfolg (§§ 823 Abs. 1, 1004 BGB). Zwar sind die in diesem Antrag genannten beiden Tatsachenbehauptungen (höchstpersönlich verhandelt; Auftrag an H.) unstreitig wahr. Indessen legen diese Äußerungen in ihrer unmittelbaren Aufeinanderfolge und besonders im Zusammenhang mit der Überschrift und dem sonstigen Inhalt des Artikels dem unbefangenen Durchschnittsleser die Schlußfolgerung nahe, der Auftrag sei H. zumindest mit entscheidend wegen des höchstpersönlichen Gesprächs des Klägers zu 2) mit S. erteilt worden. Eine solche Folgerung ist auch geeignet, die persönliche Ehre des Klägers zu 2, dem die Bevorzugung persönlicher Bekannter im geschäftlichen Bereich unterstellt wird, ebenso zu beeinträchtigen wie das Ansehen des Klägers zu 1, wenn dieser ein solches Verhalten seiner leitenden Angestellten duldet. Von daher könnte es darauf ankommen, ob die beanstandeten Äußerungen eine solche Schlußfolgerung derart nahelegen, daß das beantragte Verbot unter dem Blickpunkt der verdeckten Tatsachenbehauptung gerechtfertigt sein könnte (vgl. Senatsurteile BGHZ 78, 9, 14 ff. sowie je vom 28. Juni 1994 - VI ZR 273/93 - NJW-RR 1994, 1242, 1244 und - VI ZR 274/93 - NJW-RR 1994, 1246, 1247, jeweils m.w.N.). Nach den vom erkennenden Senat in den genannten Entscheidungen aufgestellten Grundsätzen erscheint dies jedoch zweifelhaft, weil die betreffende Schlußfolgerung dem Leser nicht im Sinn einer verdeckten Tatsachenbehauptung als unabweislich nahegelegt oder aufgezwungen wird, sondern ihm lediglich unstreitige Tatsachen unterbreitet werden, aus denen er sich eine eigene Meinung über die Vorgänge bilden soll.
Gerade unter dem zuletzt genannten Blickpunkt muß der Antrag I 1 Erfolg haben. Wenn nämlich dem Leser Tatsachen mitgeteilt werden, aus denen er erkennbar eigene Schlußfolgerungen ziehen soll, so dürfen hierbei keine wesentlichen Tatsachen verschwiegen werden, die dem Vorgang ein anderes Gewicht geben könnten (vgl. BVerfGE 12, 113, 130; Senatsurteil BGHZ 31, 308, 318) und deren Kenntnis für den Leser unerläßlich ist, der sich im Kernpunkt ein zutreffendes Urteil bilden will. Liegt es - wie im Streitfall - nahe, aus mehreren unstreitigen Tatsachen eine bestimmte (ehrverletzende) Schlußfolgerung zu ziehen, so ist jedenfalls eine - wie hier - bewußt unvollständige Berichterstattung rechtlich wie eine unwahre Tatsachenbehauptung zu behandeln, wenn die Schlußfolgerung bei Mitteilung der verschwiegenen Tatsache weniger naheliegend erscheint und deshalb durch das Verschweigen dieser Tatsache beim unbefangenen Durchschnittsleser ein falscher Anschein entstehen kann.
Von daher müssen für die Vollständigkeit einer solchen Berichterstattung die gleichen Grundsätze gelten, die von der Rechtsprechung für die Verdachtsberichterstattung aufgestellt worden sind. Auch hier ist nämlich eine vollständige Berichterstattung erforderlich, so daß dem Leser auch die entlastenden Umstände mitgeteilt werden müssen (vgl. Senatsurteil vom 26. November 1996 - VI ZR 323/95 - aaO 1150).
Um einen solchen Umstand handelt es sich hier. Ungeachtet der Erwägungen, die das Berufungsgericht dazu anstellt, ist die Tatsache, daß H. das betragsmäßig niedrigste Angebot abgegeben hatte, geeignet, den Vorgang in den Augen des unbefangenen Durchschnittslesers in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Deshalb durfte hier dieser Umstand, der eine Entlastung bewirken konnte, im Rahmen der konkreten Berichterstattung nicht verschwiegen werden.