Persönlichkeitsrecht Geldentschädigung; nicht feststehende Unwahrheit
BGH, Urt. v. 30. Januar 1996 – VI ZR 386/94
Zu den Voraussetzungen, unter denen bei einem schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht Geldersatz für immateriellen Schaden auch dann zugesprochen werden kann, wenn weder die Wahrheit noch die Unwahrheit der verbreiteten herabsetzenden Behauptung festgestellt werden kann.
Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß nicht jede Verletzung des Persönlichkeitsrechts eines Betroffenen einen Anspruch auf immaterielle Geldentschädigung auszulösen vermag, daß ein solcher Anspruch vielmehr nur dann in Betracht kommt, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann. ...
Entgegen der Auffassung der Revision setzt die Zuerkennung der Geldentschädigung im Falle einer das Persönlichkeitsrecht verletzenden Tatsachenbehauptung nicht die Feststellung ihrer Unrichtigkeit voraus. Auch dann, wenn sich hinsichtlich der Wahrheitsfrage ein »non liquet« ergeben hat, kommt auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB ein derartiger Entschädigungsanspruch in Betracht, wobei allerdings bei der Gewichtung der Schwere des Eingriffs die offenbleibende Möglichkeit mitzuberücksichtigen ist, daß die inkriminierte Behauptung wahr sein kann (vgl. Senatsurteil in BGHZ 95, 212, 215).
Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage rechtsfehlerfreier Erwägungen einen hinreichend schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers bejaht. Die Weiterverbreitung des in der Aussage des »Po.« enthaltenen Vorwurfs, der Kläger habe als leitender Polizeibeamter für einen Bordellbesitzer »gearbeitet«, ist in einem außerordentlich erheblichen Maße herabsetzend. Die hiergegen vorgebrachten Einwendungen der Revision rechtfertigen keine andere Beurteilung.
Das Berufungsgericht durfte ohne Rechtsverstoß von der Richtigkeit des Vortrags des Klägers ausgehen, daß ihm Mitbürger seit der Veröffentlichung des Buches »Der Lohnkiller« mit Zurückhaltung und Vorbehalten begegnen. Dem steht nicht entgegen, daß die Beklagten diesen Vortrag bestritten haben. Es ist dem Tatrichter nicht verwehrt, allein aufgrund des Parteivortrags und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist (vgl. BGHZ 82, 13, 20; BGH, Beschluß vom 29. Oktober 1987 - III ZR 54/87 - BGHR ZPO § 141 - Würdigung 1). Das Berufungsgericht durfte auch auf die von ihm für glaubhaft erachteten Angaben des Klägers bei seiner Anhörung nach § 141 ZPO abstellen; denn der Tatrichter ist nicht gehindert, derartige Erklärungen im Rahmen der Beweiswürdigung zu verwerten (vgl. Senatsurteile vom 8. Dezember 1987 - VI ZR 79/87 - BGHR ZPO § 286 Abs. 1 S. 1 - Parteibehauptung 2 - und vom 3. Dezember 1991 - VI ZR 48/91 - VersR 1992, 358, 359; BGH, Urteil vom 8. November 1989 - I ZR 14/88 - BGHR ZPO § 141 - Anhörung 2).
Die vom Berufungsgericht verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen seine Beurteilung, daß der gute Ruf des Klägers insbesondere in der Stadt K. und ihrem Umkreis, aber - vor allem im Hinblick darauf, daß der Kläger als Spezialist für römische Provinzialarchäologie überregional bekannt ist - auch darüber hinaus auf längere Zeit erheblichen Beeinträchtigungen ausgesetzt ist.
Entgegen der Auffassung der Revision konnte das Berufungsgericht ferner rechtsfehlerfrei von einem erheblichen Verschulden des Beklagten zu 2) ausgehen; die diesbezüglichen Ausführungen im Berufungsurteil geben keinen Anlaß zur Beanstandung. Aufgrund der getroffenen Feststellungen konnte das Berufungsgericht von einem vorsätzlichen Verstoß gegen § 186 StGB ausgehen; die Nichterweislichkeit der Wahrheit der verbreiteten Tatsache ist kein Tatbestandsmerkmal dieser Strafbestimmung, auf das sich der Vorsatz beziehen müßte. Hinsichtlich der Wahrheitsfrage stellt es ein jedenfalls erheblich fahrlässiges Verhalten des Beklagten zu 2) dar, daß er eine so stark in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreifende Behauptung ohne Anhörung des Klägers hierzu unter dessen voller Namensnennung in einer Weise verbreitet hat, die keine Distanzierung des Beklagten zu 2) von ihrem Inhalt erkennen läßt. Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß die Behauptung in die Bearbeitung eines die Öffentlichkeit stark berührenden Themas eingebettet ist.
Dem Berufungsgericht ist auch darin zu folgen, daß die Zuerkennung einer immateriellen Geldentschädigung im vorliegenden Fall nicht durch die Geltendmachung eines Widerrufsanspruchs entbehrlich gemacht werden konnte.
Es kann offenbleiben, ob und in welchem Umfang hier die Voraussetzungen eines Widerrufsanspruchs überhaupt erfüllt sein könnten. Das Berufungsgericht legt zu Recht dar, daß ein Widerruf, auch wenn er zuerkannt werden könnte, angesichts der Eigenart der hier vorliegenden Rechtsverletzung nicht geeignet wäre, dem schwerwiegenden Eingriff hinreichend zu begegnen. Dem steht vor allem entgegen, daß die beanstandete Tatsachenbehauptung in Buchform verbreitet worden ist. Hiergegen hilft weder ein Widerruf in einer weiteren Auflage des Buches noch ein solcher in der regionalen oder überregionalen Tagespresse; denn in beiden Fällen ist in keiner Weise sichergestellt, daß gerade die Leser der hier inkriminierten Buchauflagen in der gebotenen Weise erreicht werden.