Persönlichkeitsrecht Namenslisten von »informellen Mitarbeitern des MfS«
BGH, Urt. v. 12. Juli 1994 – VI ZR 1/94
Eine Bürgerbewegung im Gebiet der ehemaligen DDR war 1992 nicht befugt, in einer öffentlich ausgelegten Liste mit den Namen, Vornamen, Decknamen, Personenkennziffern sowie Einsatzorten und -richtungen von ca. 4.500 angeblichen inoffiziellen Mitarbeitern (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), die keine näheren Angaben über Art und Umfang der jeweiligen IM-Tätigkeit enthält, den Namen einer Person zu veröffentlichen, die weder im IM-Gefüge des MfS eine exponierte Stellung innehatte noch heute im öffentlichen Leben eine herausgehobene Position bekleidet. Die in der Namensnennung liegende Prangerwirkung muß der Betroffene nicht hinnehmen.
Der Beklagte hat durch die Offenlegung der Namensliste nicht nur die Klägerin an der Basis ihrer Persönlichkeit getroffen. ... Die Wirkung dieser Beeinträchtigung wurde noch dadurch verstärkt, daß die Namensangaben über die Klägerin in einer Liste mit den Daten von 4.500 weiteren angeblichen Mitarbeitern des MfS aufgeführt waren. Durch diese Massierung und die darin liegende Verstärkung einer Abstempelung als Zugehörige einer mit dem DDR-Regime zu identifizierenden Personengruppe kam der Veröffentlichung des Namens der Klägerin ein besonders großes Gewicht zu. Dies insbesondere auch deshalb, weil die 4.500 genannten Personen aus einem räumlich eng begrenzten Gebiet stammten, so daß sie für die Leser der Liste eher aus dem Bereich der Anonymität in den einer persönlichen Bekanntheit gerückt werden konnten. ...
Zwar kann der Beklagte für seinen Beitrag zur Auseinandersetzung in einer die Öffentlichkeit berührenden Frage die Meinungsfreiheit in Anspruch nehmen, die Art. 5 Abs. 1 GG prinzipiell mit gleichem Rang gewährleistet. Jedoch kam gegenüber der schwerwiegenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin dem Recht des Beklagten auf Veröffentlichung der Namensliste nur ein geringeres Gewicht zu. ...
Dem Engagement des Beklagten, einen Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und zur Bewältigung der Probleme aus der früheren Stasi-Mitarbeit weiter Bevölkerungskreise zu leisten, kann kein so starkes Gewicht beigemessen werden, daß die Klägerin die in der Veröffentlichung ihres Namens liegende Beeinträchtigung ihrer Persönlichkeit hinnehmen müßte. Zur Aufarbeitung dieser Probleme war die Namensliste nach ihrem Inhalt kaum geeignet. ... Die pauschalierende, nach Umfang und Grad der Tätigkeit der genannten Personen nicht unterscheidende Nennung ihrer Namen diente hier nicht der Verdeutlichung eines sachlichen Anliegens durch Personalisierung des angeprangerten Geschehens (vgl. dazu Senatsurteil vom 12. Oktober 1993 - VI ZR 23/93 - VersR 1994, 57, 58); sie konnte zur Aufdeckung der Strukturen des Stasi-Apparates nichts Wesentliches beitragen (wird ausgeführt). ...
Nicht zu befinden hat der Senat über die Frage, ob und in welcher Weise es zur Bewältigung der Probleme aus der Vergangenheit der DDR auch im Juli 1992 hätte angezeigt sein können, die besonders schuldbeladenen IM zu erfassen und ihre Namen zu veröffentlichen. Der Klägerin kam weder eine exponierte Stellung im Gefüge des IM-Systems des MfS zu, noch bekleidete sie im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Namensliste eine herausgehobene Position im politischen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben.
Auf dieser tatsächlichen Grundlage hat das Berufungsgericht im Rahmen der Abwägung mit Recht auch die gesetzgeberischen Wertungen berücksichtigt, die den Vorschriften des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz-StUG) vom 20. Dezember 1991 (BGBl. I 2272) zugrunde liegen. Freilich findet dieses Gesetz auf die vom Beklagten veröffentlichte Namensliste mangels ihrer Eigenschaft als einer Unterlage des Staatssicherheitsdienstes im Sinne der §§ 6 Abs. 1, 10 Abs. 3 StUG keine unmittelbare Anwendung. Auch ist zu bedenken, daß dieses Gesetz in erster Linie auf den Opferschutz ausgerichtet ist. Immerhin lassen aber seine Vorschriften das gesetzgeberische Anliegen erkennen, den einzelnen auch insoweit, als er in seiner Eigenschaft als Mitarbeiter zugleich Betroffener ist (vgl. dazu Weberling, Stasi-Unterlagen-Gesetz, 1993, § 6 Rdn. 15), vor einer Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts durch den Umgang mit den vom MfS zu seiner Person gespeicherten Informationen zu schützen (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 StUG). ...
Die Veröffentlichung der Namensliste wird schließlich auch nicht durch das vom Beklagten in Anspruch genommene Parteienprivileg nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG gerechtfertigt. Zwar hat das Berufungsgericht offen gelassen, ob es sich bei dem Beklagten um eine Partei im Sinne dieser Norm handelt. Es hat aber rechtsfehlerfrei ausgeführt, daß auch eine Partei nicht befugt ist, das Persönlichkeitsrecht der Klägerin in der hier gegebenen Weise zu verletzen.