Persönlichkeitsrecht keine Aufteilung einer komplexen Äußerung
BGH, Urt. v. 25. März 1997 – VI ZR 102/96
Aus einer komplexen Äußerung dürfen nicht drei Sätze mit tatsächlichem Gehalt herausgegriffen und als unrichtige Tatsachenbehauptung untersagt werden, wenn die Äußerung nach ihrem - zu würdigenden - Gesamtzusammenhang in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) fallen kann und in diesem Fall eine Abwägung zwischen den verletzten Grundrechtspositionen erforderlich wird.
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit einer Äußerung, die der Beklagte in einem Flugblatt aufgestellt hat.
Durchgreifenden Bedenken begegnet die Aufspaltung der das Flugblatt einleitenden Äußerung durch den Klagantrag als Grundlage für das Unterlassungsbegehren des Klägers. Mit Recht weist die Revision darauf hin, daß es zur Beurteilung der Frage, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung bzw. Werturteil einzustufen ist, der Ermittlung ihres vollständigen Aussagegehalts bedarf. Insbesondere ist jede beanstandete Äußerung in dem Gesamtzusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist, und darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (Senatsurteil vom 30. Januar 1996 - VI ZR 386/94 - BGHZ 132, 13 ff. - und vom 28. Juni 1994 - VI ZR 252/93 - VersR 1994, 1120, 1121, jeweils m.w.N.). Ob der Tatrichter den Aussagegehalt einer beanstandeten Äußerung zutreffend erfaßt und rechtlich einwandfrei zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen unterschieden hat, unterliegt revisionsrechtlicher Nachprüfung (Senatsurteile vom 30. Januar 1996 - aaO -, vom 17. November 1992 - VI ZR 344/91 - VersR 1993, 193, 194 - und vom 28. Juni 1994 - VersR 1994, 1120, jeweils m.w.N.). Hierbei erweist sich das Vorgehen des Berufungsgerichts schon deshalb als verfehlt, weil die Aufspaltung der Äußerung notwendig zu einer isolierten Betrachtungsweise führt, die den Aussagegehalt der gesamten Äußerung nicht erfaßt. Hierfür mußten vielmehr auch die beiden anschließenden, nicht in den Klagantrag aufgenommenen Sätze gewürdigt werden. ...
Zutreffend macht die Revision nämlich geltend, daß die Äußerung insgesamt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen kann, wenn sie sich als Zusammenspiel von Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerung darstellt und hierbei in entscheidender Weise durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt wird (st. Rspr., zuletzt Senatsurteil vom 30. Januar 1996 - aaO - m.w.N.). Für die Frage, ob ein solches Zusammenwirken von Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen vorliegt, kann es nicht ausschlaggebend sein, daß der mit dem Klagantrag abgetrennte Teil der Äußerung ausschließlich Behauptungen tatsächlicher Art enthält. Das Berufungsgericht meint zwar, der durch den Text erweckte Gesamteindruck werde in seinem Kern durch die vom Kläger mit seinem Unterlassungsbegehren aufgegriffene Äußerung bestimmt. Indessen folgt aus der Möglichkeit, den Inhalt einer komplexen Äußerung zu einer Kernaussage zu verdichten, noch nicht, daß sie in ihrer Gesamtheit nur tatsächliche Behauptungen enthielte (vgl. BVerfG NJW 1994, 1781, 1782). Vielmehr hätte das Berufungsgericht auch den vom Klagantrag abgetrennten Teil der Äußerung vollständig im Gesamtzusammenhang würdigen und insbesondere prüfen müssen, ob es sich insoweit um eine Meinungsäußerung handelt, welche die gesamte Aussage prägt und damit dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG unterstellt werden kann.
Wie die Revision unter Hinweis auf einen ähnlich gelagerten Fall (BVerfG NJW 1991, 2074, 2975 f.) aufzeigt, ist dieser Teil der Äußerung von seinem Inhalt her geeignet, den Aussagegehalt der gesamten Äußerung zu beeinflussen. (wird ausgeführt)