BGH Urteile | Persönlichkeitsrecht (Tatsachenbehauptung; pressemäßige Sorgfalt) | | BGHR Zivilsachen>BGB>2. Buch §§ 241-853 Recht ... >§§ 433-853 Einzelne Schul... >§§ 823-853 Unerlaubte Han... >§ 823>§ 823 Abs. 1>Persönlichkeitsrecht | BGB § 823 Abs. 1 | Persönlichkeitsrecht Tatsachenbehauptung; pressemäßige Sorgfalt | BGH, Urt. v. 30. Januar 1996 – VI ZR 386/94 | Zur Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil sowie zu den Anforderungen an die »pressemäßige Sorgfalt« im Rahmen der Recherchierungspflicht desjenigen, der eine nicht erweislich wahre herabsetzende Tatsachenbehauptung über einen anderen unter Berufung auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen verbreitet.
| | II. 1. b) bb) Ob der Tatrichter den Aussagegehalt einer beanstandeten Äußerung zutreffend erfaßt und rechtlich einwandfrei zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen unterschieden hat, unterliegt revisionsrechtlicher Nachprüfung (vgl. z.B. Senatsurteile vom 17. November 1992 - VI ZR 344/91 - VersR 1993, 364, 365, und vom 28. Juni 1994 - VI ZR 252/93 - VersR 1994, 1120, 1121, jeweils m.w.N.). Auf der Grundlage einer solchen Überprüfung ist dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, daß die im Buch des Beklagten als Aussage des »Po.« zitierte Äußerung: »Ich weiß, daß der damalige Polizeibeamte St. (der Kläger), ein Polizeirat, für M. arbeitete«, trotz hierin zum Ausdruck kommender wertender Elemente in entscheidendem Maße Tatsachengehalt aufweist.
Die Aussage, der Kläger habe für M. gearbeitet, ist, auch wenn in ihr selbst nähere Einzelheiten zu konkreten Sachverhalten nicht mitgeteilt werden, dennoch nicht gänzlich substanzarm, sondern enthält bereits für sich genommen für den unbefangenen Leser Tatsacheninformationen dahin, zwischen dem Kläger als leitendem Polizeibeamten und dem Bordellinhaber M. hätten besondere Beziehungen bestanden, wie sie üblicher- und korrekterweise zwischen Polizei und »Rotlichtmilieu« nicht bestehen; der Kläger habe sich zugunsten des Bordellbetreibers in einer Weise verhalten, die letzterem nützlich gewesen sei. Diese Tatsacheninformationen werden - worauf das Berufungsgericht zu Recht abstellt - weiter konkretisiert durch den in die Betrachtung miteinzubeziehenden Kontext, in welchen das Zitat im Buch des Beklagten zu 2) eingebettet ist.
In den weiteren Schilderungen der Verhältnisse in der Stadt K., wie sie sich aus den Ermittlungen des Beklagten zu 2) ergeben haben, findet der Leser eine Reihe von tatsächlichen Anhaltspunkten, welche die »besondere Beziehung« des Klägers und der von ihm geleiteten Polizei zu dem Bordellbetrieb des J. M. und der »Rotlichtszene« der Stadt K. zu erläutern geeignet sind.
Rechtsfehlerfrei gelangt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, die Wahrheit oder Unwahrheit dieser Tatsachenbehauptung sei nicht festzustellen, da weder das der zitierten Aussage des »Po.« zugrundeliegende Protokoll noch die weiteren vom Beklagten zu 2) herausgefundenen »Indizien« zu einer Überzeugungsbildung ausreichten. Gegenüber dieser Beweiswürdigung vermag die Revision keine relevanten Verfahrensrügen vorzubringen.
d) Dem Berufungsgericht ist auch insoweit zu folgen, als es die Nichterweislichkeit der Wahrheit der über den Kläger verbreiteten Behauptung im Hinblick auf den geltend gemachten Unterlassungsanspruch zu Lasten des Beklagten zu 2) hat durchgreifen lassen. Auch den hiergegen gerichteten Angriffen der Revision muß der Erfolg versagt bleiben.
aa) Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, daß es gemäß der über § 823 Abs. 2 BGB in das Zivilrecht transformierten Beweisregel des § 186 StGB Sache der Beklagtenseite gewesen wäre, die Wahrheit der Behauptung nachzuweisen.
Dem steht nicht entgegen, daß auch eine Behauptung, deren Unwahrheit nicht erwiesen ist, jedenfalls in Fällen, in denen es um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit geht, auf der Grundlage der nach Art. 5 Abs. 1 GG und § 193 StGB vorzunehmenden Güterabwägung demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden kann, als er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (vgl. Senatsurteile vom 12. Februar 1985 - VI ZR 225/83 - VersR 1985, 592, 593; vom 12. Mai 1987 - VI ZR 195/86 - VersR 1987, 1016, 1017; vom 17. November 1992 - VI ZR 344/91 - VersR 1993, 193, 194 und vom 28. Juni 1994 - VI ZR 252/93 - VersR 1994, 1120, 1122). Eine Berufung hierauf setzt voraus, daß der auf Unterlassung in Anspruch Genommene vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt hat.
Da das streitgegenständliche Buch, wovon auch die Revision ausgeht, nach den Grundsätzen zu behandeln ist, die für Presseveröffentlichungen gelten, sind an die Erfüllung der Recherchierungspflicht sog. »pressemäßige Sorgfaltsanforderungen« zu stellen (vgl. dazu Senatsurteile vom 12. Mai 1987 - VI ZR 195/86 - VersR 1987, 1016, 1018 sowie vom 15. Dezember 1987 - VI ZR 35/87 - VersR 1988, 405). Allerdings dürfen solche Anforderungen nicht überspannt, insbesondere nicht so bemessen werden, daß die Funktion der Meinungsfreiheit in Gefahr gerät; dies ist insbesondere dort zu beachten, wo über Angelegenheiten berichtet werden soll, die für die Allgemeinheit von erheblicher Bedeutung sind (vgl. hierzu z. B. BVerfGE 61, 1, 8; 85, 1, 15). Demgemäß ist stets unter Würdigung aller Umstände des Falles eine sorgfältige Güterabwägung vorzunehmen, bei der sowohl dem Grundrecht des Äußernden aus Art. 5 Abs. 1 GG als auch der verfassungsrechtlich geschützten Position des von der Äußerung Betroffenen aus Art. 1, 2 Abs. 1 GG das gebotene Gewicht beizumessen ist.
bb) Das Berufungsgericht hat unter Berücksichtigung dieser Grundsätze rechtsfehlerfrei dargelegt, daß der Beklagte zu 2) im vorliegenden Fall seinen Pflichten zur sorgfältigen Recherche nicht im gebotenen Umfang nachgekommen ist.
Dabei ist mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, daß es einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die persönliche Ehre des Klägers darstellt, wenn er als ein Mann dargestellt wird, der als Polizeichef der Stadt K. für einen dort maßgeblichen Bordellbesitzer »gearbeitet« hat. Angesichts der Schwere dieses Vorwurfs war der Beklagte zu 2) in besonderem Maße zu sorgfältigem Vorgehen verpflichtet.
Im Berufungsurteil ist unter zutreffender Würdigung aller in Betracht kommenden Indizien dargelegt, daß weder die zitierte Aussage des »Po.« als solche noch andere Anhaltspunkte, die sich für den Beklagten im Zuge seiner Ermittlungen ergeben haben, eine ausreichende Tatsachengrundlage für die Verbreitung der den Kläger schwer belastenden Aussage abzugeben vermochten. Aus der Aussage des »Po.« ergab sich nichts, was in entscheidender Weise für ihren Wahrheitsgehalt sprechen konnte. Es ist aus den getroffenen Feststellungen auch nichts dafür ersichtlich, daß diese Aussage seinerzeit zu (etwa strafrechtlichen) Ermittlungen oder sonstigen Untersuchungen gegen den Kläger geführt hätte; der Beklagte zu 2) hat darüber auch keine Nachforschungen angestellt. Zu der Frage, ob und in welcher Weise (gute) Beziehungen zwischen der Polizei der Stadt K. und ihrem Leiter einerseits, dem Bordellbesitzer J. M. andererseits bestanden haben sollen, haben die vom Beklagten zu 2) durchgeführten Ermittlungen ebenfalls keine auch nur einigermaßen verläßlichen Ergebnisse zutage gefördert. Daß insoweit der unstreitigen Tatsache, daß es J. M. gelungen ist, in K. neue Personalpapiere zu erhalten, hinsichtlich des Klägers keine Relevanz zukommen kann, hat das Berufungsgericht beanstandungsfrei begründet.
Zwar hat, wie auch das Berufungsgericht keineswegs verkennt, der Beklagte zu 2) in seinem Buch »Der Lohnkiller« über ein Thema berichtet, das die Öffentlichkeit außerordentlich stark berührt, nämlich die Grundlagen und Auswirkungen des organisierten Verbrechens. In diesem Zusammenhang kommt gewiß auch der Information über undurchsichtige Vorgänge, die sich in dem Verhältnis zwischen »Rotlichtmilieu« und der zuständigen Polizei abgespielt haben, eine die Allgemeinheit erheblich interessierende Bedeutung zu. Dies vermag unter den hier gegebenen Umständen jedoch die Verbreitung der über den Kläger in der Aussage des »Po.« enthaltenen, ihn im Kern seiner Persönlichkeit als Polizeichef treffenden Behauptung jedenfalls in der geschehenen Weise, nämlich ohne vorherige Anhörung des Klägers, ohne hinreichende Distanzierung seitens des Autors und mit voller Namensnennung des Klägers nicht zu rechtfertigen.
Angesichts der Tragweite, welche die Verbreitung dieser Behauptung für den Betroffenen erkennbar haben konnte, war der Beklagte zu 2) gehalten, dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, um auch dessen Standpunkt zu erfahren und gegebenenfalls zum Ausdruck bringen zu können (vgl. hierzu Senatsurteile vom 25. Mai 1965 - VI ZR 19/64 - VersR 1965, 879, 881 und vom 15. Dezember 1987 - VI ZR 35/87 - VersR 1988, 405). Dessen war der Beklagte zu 2) hier nicht schon deshalb enthoben, weil vom Kläger keinerlei weitere Aufklärung zu erwarten gewesen wäre; der Beklagte zu 2) konnte nicht von vornherein ausschließen, daß der Kläger die Beziehungen zwischen der Polizei und dem »Rotlichtmilieu« möglicherweise näher geschildert hätte, wenn er mit der in der Aussage des »Po.« enthaltenen Verdächtigung unmittelbar konfrontiert worden wäre.
dd) Das Berufungsgericht hat auch - entgegen der Auffassung der Revision - zu Recht den Gesichtspunkt in seine Interessenabwägung miteinbezogen, daß der Beklagte zu 2) das Zitat aus der Aussage des »Po.« unter voller Namensnennung des Klägers in sein Buch aufgenommen hat, während er bei den meisten in seinem Buch vorkommenden Personen Anonymisierungen gewählt hat, darunter auch bei »Po«. Dieses Vorgehen ist unter den hier gegebenen Umständen nicht damit zu rechtfertigen, daß es sich bei dem Kläger um den Inhaber eines wichtigen öffentlichen Amtes gehandelt habe, der sich ggfls. auch unter voller Namensnennung im Interesse der Allgemeinheit kritischen Äußerungen über seine Amtsführung zu stellen habe. Beruht eine mit einer so erheblichen Ehrenkränkung verbundene Behauptung auf einer derart dürftigen Tatsachen- und Recherchengrundlage, wie dies vorliegend der Fall ist, gebietet eine an den verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern beider Seiten ausgerichtete Abwägung der Interessen, die betroffene Person, hier den Kläger, nicht unter voller Namensnennung »an den Pranger zu stellen«; vielmehr hätte es für den Beklagten zu 2) nahegelegen, wenn er schon auf die Aussage des »Po.« im Rahmen seiner Darstellungen nicht verzichten wollte, auch hier eine Anonymisierung vorzunehmen.
von Carl Heymanns Verlag
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| 2006-02-20 15:23:55 |
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