BGH Urteile | Persönlichkeitsrecht (Abgrenzung; Tatsachenbehauptung, Werturteil) | | BGHR Zivilsachen>BGB>2. Buch §§ 241-853 Recht ... >§§ 433-853 Einzelne Schul... >§§ 823-853 Unerlaubte Han... >§ 823>§ 823 Abs. 1>Persönlichkeitsrecht | BGB § 823 Abs. 1 | Persönlichkeitsrecht Abgrenzung; Tatsachenbehauptung, Werturteil | BGH, Urt. v. 28. Juni 1994 – VI ZR 252/93 | Zur Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen in einem Artikel eines Nachrichtenmagazins, der sich kritisch mit der wirtschaftlichen Tätigkeit eines Börsenjournalisten befaßt.
| | III. 1. Ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung einzustufen ist, hängt entscheidend davon ab, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsurteile vom 17. November 1992 - VI ZR 344/91 - VersR 1993, 193, 194 und vom 17. November 1992 - VI ZR 352/91 - VersR 1993, 364, 365 mit weiteren Nachweisen). Dabei kann sich auch eine Äußerung, die auf Werturteilen beruht, als Tatsachenbehauptung erweisen, wenn und soweit bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorgerufen wird (vgl. z.B. Senatsurteile vom 17. Dezember 1991 - VI ZR 169/91 - NJW 1992, 1314, 1316 und vom 17. November 1992 - VI ZR 344/91 - aaO).
Ein Zeitschriftenartikel in einem Nachrichtenmagazin, der einerseits der Berichterstattung, andererseits der Meinungsbildung dient, enthält in der Regel - häufig in schwer trennbarer Verknüpfung - Aussagen über Tatsachen und Meinungsäußerungen, die deren Bewertung dienen. Wenn in dieser Weise Tatsachenbehauptungen und Wertungen zusammenwirken, wird grundsätzlich der Text in seiner Gesamtheit von der Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfaßt. Sofern eine Äußerung, in der sich Tatsachen und Meinungen vermengen, in entscheidender Weise durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Werturteil und Meinungsäußerung in vollem Umfang vom genannten Grundrecht geschützt. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung des einerseits wertenden und andererseits auf Tatsachen abstellenden Gehalts der Aussage deren Sinn aufzuheben oder zu verfälschen geeignet wäre und der tatsächliche Gehalt der Äußerung gegenüber der Wertung in den Hintergrund tritt. Im Falle einer derartigen engen Verknüpfung von Berichterstattung und Bewertung darf der Grundrechtsschutz der Meinungsfreiheit nicht dadurch verkürzt werden, daß ein tatsächliches Element aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet wird; vielmehr ist der Begriff der Meinungsäußerung insoweit umfassend anzuwenden (vgl. hierzu BVerfGE 85, 1, 15 f. = NJW 1992, 1439, 1440; Senatsurteil vom 12. Oktober 1993 - VI ZR 23/93 - VersR 1994, 57, 58). ...
2. a) Der Äußerung, jemand sei pleite gegangen (oder habe pleite gemacht) wohnt ein Tatsachengehalt inne. Damit wird für den unbefangenen Durchschnittsleser zum Ausdruck gebracht, der betreffende Geschäftsmann sei »zahlungsunfähig«, »finanziell ruiniert«, »bankrott«, »in Konkurs gefallen« oder in eine vergleichbare Situation geraten. ...
Dem Berufungsgericht ist aber auch darin zu folgen, daß der Begriff »pleite« - auch in wirtschaftlicher Bedeutung - in einem Zusammenhang verwendet werden kann, in welchem wertende Betrachtungen der Gesamtaussage derart ihr Gepräge geben, daß insgesamt von einer Meinungsäußerung auszugehen ist. Letzteres ist etwa dann der Fall, wenn der Begriff des »Pleitegehens« in einen Kontext eingebunden ist, in dem er für den Durchschnittsleser hinter die Wertung der wirtschaftlichen Tätigkeit des Betroffenen als deren untrennbarer Bestandteil zurücktritt und sich in diesem Rahmen als im Tatsächlichen nicht konkretisierte, pauschale und gänzlich substanzarme Aussage darstellt.
b) Letztere Voraussetzungen sind bei der Äußerung, der Kläger wisse, wie man gekonnt pleite geht, erfüllt. Diese Aussage - hinsichtlich deren über das Klagebegehren bereits rechtskräftig entschieden ist - ist eingebettet in die Bewertung des Klägers als eines Mannes, der mit wirtschaftlichen Instrumentarien, wie sie die marktwirtschaftliche Ordnung zur Verfügung stellt, souverän und bedenkenlos zu eigenem Nutzen umzugehen versteht. ...
c) Anders liegen die Dinge hingegen, soweit in dem beanstandeten Artikel behauptet wird, der Kläger habe schon zweimal pleite gemacht. Zwar findet sich auch diese Aussage im Zusammenhang mit der Bewertung des Klägers als eines Mannes von zwiespältigem Ruf im Wirtschaftsleben, der »nicht viel vorzuweisen« habe und dessen Börsenblatt als »mäßiger Tipdienst« gelte. Indessen ist die Behauptung, der Kläger habe schon zweimal pleite gemacht, hier nicht derart mit diesen Wertungen verknüpft, daß ihr Tatsachengehalt gänzlich hinter die Meinungsäußerung zurücktritt. Die hier beanstandete Äußerung enthält eine gegenüber der allgemeinen Bewertung des Verhaltens des Klägers im Wirtschaftsleben selbständige Aussage, die auf ein tatsächliches Geschehen hinweist. ...
d) Zwar steht auch die Äußerung, der Kläger habe schon zweimal pleite gemacht, im Gesamtzusammenhang eines umfangreichen Artikels des Nachrichtenmagazins, der sich insgesamt mit dem Charakter und dem Geschäftsgebaren des Klägers wertend auseinandersetzt, um kritisch die Frage nach der Eignung des Klägers zur Übernahme der Nachrichtenagentur ADN aufzuwerfen. Dieser Zusammenhang vermag der Aussage aber nicht ihre Stellung als gegenüber den Meinungsäußerungen selbständige Tatsachenbehauptung zu nehmen. ... Auch wenn sie im Gesamtkontext gewürdigt wird, bleibt es dennoch dabei, daß ihre Tatsachensubstanz nicht derart von dahinterstehenden Meinungsäußerungen und Wertungen überlagert und geprägt ist, daß sie in einem durch den Artikel über den Kläger insgesamt getroffenen Werturteil aufginge.
von Carl Heymanns Verlag
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| 1993-02-20 15:03:54 |
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