Persönlichkeitsrecht von Unternehmen; veröffentlichte Jahresabschlüsse
BGH, Urt. v. 8. Februar 1994 – VI ZR 286/93
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Unternehmens ist verletzt, wenn ein Wissenschaftler, der für Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Fortbildungsseminare durchführt, Ablichtungen eines im Bundesanzeiger veröffentlichten Jahresabschlusses, der die finanzielle Situation dieses Unternehmens offenbart, an Banken und Seminarteilnehmer weitergibt, ohne den Namen und die Adresse des Unternehmens unkenntlich zu machen.
Zwar können sich Kapitalgesellschaften nur begrenzt auf den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berufen. Eine Ausdehnung der Schutzwirkung dieses Rechts über natürliche Personen hinaus auf juristische Personen ist nur insoweit gerechtfertigt, als sie aus ihrem Wesen als Zweckschöpfung des Rechts und ihren Funktionen dieses Rechtsschutzes bedürfen. Das ist insbesondere der Fall, wenn sie in ihrem sozialen Geltungsanspruch als Arbeitgeber oder als Wirtschaftsunternehmen betroffen werden (Senat BGHZ 98, 94, 97 m.w.N.). In diesem begrenzten Schutzbereich ist die Klägerin aber durch das Vorgehen des Beklagten bei der Vorbereitung und Durchführung der Seminarveranstaltungen verletzt worden.
Der Jahresabschluß 1987 der Klägerin erweist sich mit seinem Anhang als umfassende Darstellung und Durchleuchtung ihrer finanziellen Situation. Damit wird die Klägerin durch die Weitergabe dieser Daten an die Empfänger, denen der Beklagte den Jahresabschluß ausgehändigt hat, in ihrem sozialen Geltungsanspruch als Wirtschaftsunternehmen betroffen. Der Senat vermag dem Berufungsgericht nicht in der Überlegung zu folgen, daß die Weitergabe des nicht anonymisierten Jahresabschlusses an Dritte und seine Verwendung als »Fallstudie« in den Seminarveranstaltungen deshalb nicht als Eingriffe in die Rechtsposition der Klägerin gewertet werden könnten, weil der Jahresabschluß durch seine Veröffentlichung im Bundesanzeiger den interessierten Kreisen ohnehin schon bekannt bzw. zugänglich gewesen sei. Diese Erwägung trägt nicht hinreichend der Wirkung Rechnung, die auf das Ansehen der Klägerin als Wirtschaftsunternehmen davon ausging, daß gerade der Beklagte zur Vorbereitung bzw. Durchführung eines Seminars mit dem Titel »Jahresabschlußanalyse aus der Sicht der Banken« den Jahresabschluß an den hier in Rede stehenden Adressatenkreis - Banken, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater - weitergab und in dem Seminar als »Fallstudie« behandelte. Wenn ein kompetenter Fachmann im Zuge der Vorbereitung bzw. Durchführung eines Seminars mit einem solchen Thema derartiges Material an einen fachkundigen Empfängerkreis weitergibt, dann verbindet sich damit ein Hinweiseffekt, der die Aufmerksamkeit der Adressaten gerade auf solche Daten zur finanziellen Situation des betroffenen Unternehmens lenkt, die zu kritischen Wertungen Anlaß geben können. Durch sein Vorgehen führte der Beklagte die Klägerin den Adressaten des Jahresabschlusses in ihrer finanziellen Situation gezielt vor. Diese Wirkung trat erst recht ein, als der Beklagte den Jahresabschluß zum Gegenstand der Seminarveranstaltungen machte, in deren Verlauf er auf tatsächliche oder vermeintliche Schwachstellen in der finanziellen Lage der Klägerin hinwies. Es kommt hinzu, daß diese gezielte Hervorhebung kritischer Werte gegenüber einem zahlenmäßig beachtlichen Personenkreis erfolgt ist, von dem jeder als Multiplikator wirken konnte.
Entgegen der Revisionserwiderung scheidet die Annahme eines Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht deshalb aus, weil die Veröffentlichung des Jahresabschlusses gesetzlich vorgeschrieben ist (§§ 325 ff. HGB). ... Mit dieser Regelung verfolgt der Gesetzgeber den Schutz Dritter, die mit dem betroffenen Unternehmen in Beziehungen stehen oder treten wollen. Die Vorschrift berechtigt aber nicht, das Unternehmen der Klägerin ohne deren Zustimmung mit diesen Daten unter Namensnennung in die eigenerwerbswirtschaftlichen Zwecke einzuspannen. Nicht einmal gibt sie einem Außenstehenden das Recht, die in der Veröffentlichung des Jahresabschlusses liegende Offenlegung der finanziellen Lage des betroffenen Unternehmens noch dadurch zu verstärken, daß er das Interesse fachkundiger Kreise gezielt auf diese Veröffentlichung lenkt. Ein solches Vorgehen ist durch den Schutzzweck des § 325 HGB nicht gedeckt. Es findet entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung auch nicht in der in Art. 5 Abs. 3 GG gewährleisteten Wissenschaftsfreiheit eine Stütze (vgl. dazu die bei GG Art. 5 Abs. 3 - Wissenschaftsfreiheit 1 abgedruckten Gründe).