Persönlichkeitsrecht Öffnen eines Briefes im Postgang
BGH, Urt. v. 20. Februar 1990 – VI ZR 241/89
Das unbefugte Öffnen verschlossener Post durch einen Dritten stellt sich schon während des Postgangs als Verletzung des Persönlichkeitsrechts - auch - des Adressaten dar.
LG HH
Az.: 324 O
einstweilige Verfügung
LG HH
Az.: 324 O
einstweilige Verfügung
a) Ob durch das unbefugte Öffnen eines verschlossenen Briefs das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch des Adressaten verletzt wird und damit deliktische oder quasinegatorische Unterlassungsansprüche auch für ihn ausgelöst werden, ist nach dem Gewicht seines personalen Interesses an der Ungestörtheit dieses Kommunikationsbereichs zu beantworten. Art. 10 GG, wenn auch in erster Linie auf das Verhältnis des Einzelnen zum Staat und seinen Organen zugeschnitten, läßt erkennen, daß in diesem Bereich ein besonderes Schutzbedürfnis besteht. Die darin liegende Wertentscheidung strahlt auch auf das Privatrecht aus. Auch hier bedarf der Bereich der Kommunikation, die einen bedeutsamen Teil der Lebensgestaltung und Selbstverwirklichung des Menschen ausmacht, der Abschirmung gegen die Neugier Dritter. Zugleich ist dieser Bereich in erhöhtem Maße verletzlich; schon der Anschein einer Störung der Vertraulichkeit zieht die Unbefangenheit der Kommunikation in Mitleidenschaft. Dem außenstehenden Dritten ist eine Rücksichtnahme hierauf jedenfalls dort abzuverlangen, wo der Wunsch nach Respektierung des Ausschlusses anderer von der Kommunikation erkennbar zutage tritt und Vorsorge gegen eine versehentliche Kenntnisnahme durch Dritte getroffen ist. So liegt es bei verschlossenen Postsendungen. In dem Briefverschluß finde der Wunsch nach Vertraulichkeit sichtbaren Ausdruck. Diesen Wunsch zu beachten, bedeutet für Außenstehende nichts Unzumutbares.
Hiernach stellt sich das unbefugte Öffnen fremder Post aus der Sicht sowohl des Absenders als auch des Adressaten als Verletzung des Persönlichkeitsrechts dar: Zu der vom Persönlichkeitsrecht geschützten Sphäre gehört nicht nur die Vertraulichkeit der Mitteilung, die der Absender in einem verschlossenen Brief zur Post gegeben hat, sondern auch die auf diesem Wege eröffnete Kommunikation mit dem Absender als solche, die diesen schon vor dem Zugang der Sendung umgreift. Auch er wird durch einen Eingriff Dritter in diesen Kommunikationsbereich in seinem Anspruch auf Schutz seiner privaten Sphäre beeinträchtigt; auch aus seiner Sicht gehen verschlossene Postsendungen Dritte nichts an. Wer die Post eines anderen öffnet, drängt sich deshalb in den Individualbereich auch des Adressaten. Vom Persönlichkeitsrechtsbezug her wird nicht selten sogar dem Schwergewicht nach die Sphäre gerade des Adressaten betroffen sein, nämlich dann, wenn die in der Postsendung enthaltenen Mitteilungen - wie vorliegend denkbarerweise etwa das Schreiben des Steuerberaters oder des Notars - vor allem etwas über den Adressaten und weniger über den Absender aussagen. Auch von daher ergibt sich das rechtliche Bedürfnis, bei unbefugtem Öffnen von Postsendungen sets auch das Persönlichkeitsrecht des Adressaten als verletzt anzusehen. Er hat - ebenso wie der Absender, in den letztgenannten Fällen sogar noch weitergehend als dieser - ein schutzwürdiges personales Interesse daran, daß der mit einer verschlossenen Postsendung in die Wege geleitete Kontakt nicht durch fremde Neugier gestört wird. Diese Störung wird ggfls. bereits durch das unbefugte Öffnen der Post bewirkt, weil Absender und Adressat von da an nicht mehr sicher sein können, daß von dem Inhalt nicht schon von anderer Seite Kenntnis genommen worden ist, und daher nicht mehr in gleicher Weise unbefangen sind wie für den Fall, daß der Briefverschluß respektiert worden ist. Die Persönlichkeitsrechtsverletzung liegt mithin nicht erst darin, daß die betreffenden Briefe tatsächlich gelesen worden sind, sondern schon in dem unbefugten Öffnen der Post, weil schon dies eine Störung der Privatheit bedeutet, wie sie der Korrespondenz in verschlossenen Postsendungen zukommt. Eine Unterscheidung danach, ob ein fremder Brief nur geöffnet oder auch gelesen worden ist, wäre im übrigen auch nicht praktikabel, da letzteres - Lesen des Briefes - im Einzelfall kaum zu beweisen wäre.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts stehen der Annahme einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Adressaten vor Zugang der Post bei diesem nicht die postrechtlichen Regelungen über die postalische Verfügungsbefugnis entgegen. Sie tragen dem Umstand Rechnung, daß ein postrechtliches Nutzungsverhältnis nur mit dem Absender besteht (vgl. Ohnheiser Postrecht 4. Auflage § 7 PostG Rn. 2). Sie betreffen insoweit allein das Leistungsverhältnis zwischen der Post und dem Absender. Das Verhältnis sowohl des Absenders als auch des Adressaten zu außenstehenden Dritten lassen sie unberührt. Daß der Absender gegenüber der Post bis zur tatsächlichen Auslieferung an den Empfänger die Rückgabe der Sendung verlangen kann (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 PostO) und der Empfänger keinen selbständigen Anspruch auf Auslieferung der Sendung hat (vgl. BGHZ 12, 96, 99 sowie Ohnheiser aaO Rn. 4), bedeutet daher keineswegs, daß bis zu diesem Zeitpunkt ein Zugriff Dritter auf die Postsendungen für das Persönlichkeitsrecht des Adressaten ohne Belang wäre. Ob hierdurch dessen Persönlichkeitsrecht verletzt wird, ist vielmehr ungeachtet der postrechtlichen Regelungen allein vom Inhalt des Persönlichkeitsrechts her zu bestimmen. Danach aber liegt in dem unbefugten Öffnen fremder Post aus den dargelegten Gründen in jedem Stadium des Postgangs ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht - auch - des Adressaten. Das Öffnen der an ihn gerichteten Post ist - vorbehaltlich des rechtzeitigen Rückrufs der Sendung durch den Absender - allein seine Sache.
Dieser Beurteilung steht auch nicht die Erwägung des Berufungsgerichts entgegen, daß sich bei Lösung der Frage des Persönlichkeitsschutzes von der der postalischen Verfügungsbefugnis in diesem Bereich Überschneidungen mit dem Rückrufrechts des Absenders ergeben können. Das Persönlichkeitsrecht des Adressaten schützt ihn vor Störungen seiner Kommunikations- und Korrespondenzsphäre durch die Neugier Dritter. Das Rückrufrecht des Absenders ist etwas anderes. Es gibt diesem lediglich die Möglichkeit, die Adressatenbestimmung vor der Auslieferung der Sendung noch rückgängig zu machen. Ob der Absender befugt wäre, ohne Einwilligung des Adressaten Dritten Einsicht in bereits auf den Weg gebrachte Post zu gestatten, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
c) Das hier gefundene Ergebnis wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß im Rahmen des strafrechtlichen Schutzes des Briefgeheimnisses (§ 202 StGB) die herrschende Meinung sowohl für die Befugnis zur Bestimmung der Kenntnisnahmeberechtigten als auch für das Strafantragsrecht (§ 205 StGB) in der Phase der postalischen Übermittlung allein auf den Absender und erst ab Zugang der Sendung auf den Empfänger abstellt (vgl. Dreher/Tröndle StGB 44. Auflage § 202 Rn. 7 und § 205 Rn. 3; Schönke/Schröder/Lenckner StGB 23. Auflage § 202 Rn. 8 und § 205 Rn. 4; LK/Träger StGB 10. Auflage § 202 Rn. 24 und § 205 Rn. 4). Die Reichweite des Persönlichkeitsrechts bestimmt sich nach diesem selbst und ist nicht von dem wegen des strafrechtlichen Bestimmtheitgrundsatzes (vgl. Artikel 103 Abs. 2 GG) in besonderem Maße auf klare Abgrenzungen bedachten strafrechtlichen Schutz abhängig (s. BGB-RGRK/ Dunz 12. Aufl. § 823 Anh. I Rn. 60). Der deliktsrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechts beschränkt sich nicht auf den Anwendungsbereich strafrechtlicher Schutznormen i.S. von § 823 Abs. 2 BGB, sondern folgt aus § 823 Abs. 1 BGB. Ob die Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch Öffnen von Postsendungen zugleich die Voraussezungen des § 202 StGB erfüllt und sich deshalb die nämlichen deliktsrechtlichen Folgen auch über § 823 Abs. 2 BGB ergeben, bleibt im praktischen Ergebnis ohne Bedeutung.