Zur Klage auf Widerruf gegen eine Verdachtsdiagnose, die ein Sachverständiger in einem im sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten über den Antragsteller dieses Verfahrens geäußert hat.
2. In Anlehnung an § 1004 BGB gewährt die Rechtsprechung demjenigen, der das Ziel einer unwahren Tatsachenbehauptung geworden ist, gegen den Störer einen Anspruch auf Widerruf dieser Behauptung, um einem Zustand fortdauernder Rufbeeinträchtigung ein Ende zu machen und so die rechtswidrige Störung abzustellen. Die Gewährung von Widerruf ist auf Tatsachenbehauptungen beschränkt, weil niemand gezwungen werden kann, seiner subjektiven Meinung öffentlich abzuschwören (vgl. BGHZ 128, 1, 6 ff.; Senatsurteil vom 3. Mai 1988 - VI ZR 276/87 - NJW 1989, 774).
a) Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist, was bei Meinungsäußerungen ausscheidet, weil sie durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt sowie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet werden und sich deshalb nicht als wahr und unwahr erweisen lassen.
Gutachten von Sachverständigen können sowohl Tatsachenbehauptungen als auch Werturteile enthalten. Aufgabe des Gutachters ist es häufig, kraft seiner Sachkunde zu bestimmten Tatsachen Stellung zu nehmen. Dann hat er einmal Auskunft über Sätze der Wissenschaft, Erfahrungssätze und dergleichen zu geben, wendet diese Sätze aber gleichzeitig auf den konkreten Fall an und gelangt so zu Schlußfolgerungen über das Vorliegen konkreter Tatsachen. Meint er, aufgrund seiner Untersuchungen und Überlegungen Gewißheit über die erfragte Tatsache erlangt zu haben, so wird er deren Existenz im Einzelfall uneingeschränkt behaupten. Gleichwohl ist rechtlich in der Regel der Schluß, den der Sachverständige aus seinem Gutachten zieht, ein Werturteil und nicht Behauptung einer Tatsache. Es liegt im Wesen des Gutachtens, daß es auf der Grundlage bestimmter Verfahrensweisen zu einem Urteil kommen will, das, selbst wenn es äußerlich als Tatsachenbehauptung formuliert worden ist, auf Wertungen beruht. Freilich kann im Einzelfall auch die gutachtliche Aussage im Rechtssinne eine das Widerrufsbegehren rechtfertigende Tatsachenbehauptung sein, etwa dann, wenn die der Schlußfolgerung vorausgehende methodische Untersuchung oder die zum Ergebnis führende Anwendung spezieller Kenntnisse und Fähigkeiten nur vorgetäuscht oder grob leichtfertig vorgenommen worden ist. Dann mag das Gutachten seinen Charakter als Werturteil verlieren und dem Erfordernis, die Ehre des Betroffenen zu schützen, der Vorzug gegenüber dem Schutz der freien Meinungsäußerung zu geben sein. In solchen Fällen genießen auch Gutachten von Sachverständigen ebensowenig wie Veröffentlichungen wissenschaftlichen Charakters absoluten Schutz (vgl. Senatsurteil vom 18. Oktober 1977 - VI ZR 171/76 - NJW 1978, 751, 752).
b) Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht die Klage auf Widerruf zu Recht abgewiesen.
Die beanstandete Äußerung des Beklagten hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler als Verdachtsdiagnose aufgrund bloßen Besichts gewürdigt. Das beanstandet auch die Revision nicht.
Diese Verdachtsdiagnose beinhaltet die Wertung, beim Kläger hätten nicht näher dargelegte »Zeichen« vorgelegen, die für den Fachmann auf eine »chronische Alkoholintoxikation« hindeuten könnten. Das ist entgegen der Ansicht der Revision nicht die Mitteilung beliebiger, nicht näher bezeichneter Tatsachen, sondern die Wiedergabe der auf einer Schlußfolgerung beruhenden persönlichen Meinung des Beklagten.
Die Revision beanstandet zwar die Verdachtsdiagnose »Zeichen der chronischen Alkoholintoxikation« als fehlerhaft. Eine ärztliche Schlußfolgerung bleibt aber selbst dann eine dem Widerruf nicht zugängliche Äußerung ärztlicher Meinung, wenn sie sich als unrichtig erweisen könnte. Das hat der erkennende Senat für die ärztliche Diagnose mehrfach ausgesprochen (vgl. Senatsurteile vom 11. April 1989 - VI ZR 293/88 - NJW 1989, 2941, 2942; vom 3. Mai 1988 - VI ZR 276/87 - NJW 1989, 774, 775). Gründe für eine andere Betrachtung sind auch im Streitfall nicht ersichtlich.