Buskeismus

Fall Gysi

 

 

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Teil 1/6
Inhalt
Teil 2/6
1. - 5.3.
Teil 3/6
6 - 6.1.7.
Teil5/6
7. - 8.
Teil 6/6
Gysi

Die roten Markierungen sind von Rolf Schälike und werden kommentiert.

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Teil 4/6

6.2 Robert Havemann

      6.2.1 Die Übernahme der anwaltlichen Vertretung

      6.2.2 Die Eingabe an das MdI vom 20. August 1979

      6.2.3 Die Eingabe an den Generalstaatsanwalt der DDR vom 16. Oktober. 1979

     6.2.4 Der 70. Geburtstag Robert Havemanns

     6.2.5 Der 35. Jahrestag der Befreiung des Zuchthauses Brandenburg

     6.2.6 Das Holzhaus auf dem Grundstück von Robert Havemann

     6.2.7 Die weitere "Bearbeitung" von Robert Havemann

     6.2.8 Der Tod Robert Havemanns

     6.2.9 Namenslisten

     6.2.10 Zusammenfassung

6.3 Jutta Braband und Thomas Klein

6.4 Franz Dötterl

6.5 Annedore "Katja" Havemann

6.6 Frank-Wolf Matthies

6.7 Bettina Wegner

6.8 Gerd und Ulrike Poppe

6.9 Thomas Eckert

6.10 Bärbel Bohley

6.11 Der Empfang im Ermlerhaus

6.12 Reinhard Lampe

Deutscher Bundestag

13.Wahlperiode.

Drucksache 13/10893
29.05.98.
Sachgebiet 0000.
 

Bericht.

des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
(1.Ausschuß)

zu dem Überprüfungsverfahren des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi gemäß § 44 b Abs. 2 Abgeordnetengesetz

(Überprüfung auf eine Tätigkeit oder eine politische Verantwortung für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik).

___________________________________________________________________________________

6.2 Robert Havemann

6.2.1 Die Übernahme der anwaltlichen Vertretung

Robert Havemann wurde 1964 wegen seiner systemkritischen Äußerungen aus der SED ausgeschlossen. Danach war er - neben einem faktischen Berufsverbot - Überwachung, Hausarrest und weiteren Repressalien des MfS ausgesetzt. Als Havemann in den siebziger Jahren auch rechtlich angegriffen wurde, übernahm Götz Berger, der ehemalige Justitiar des ZK der SED, seine Verteidigung. Zum 1. Dezember 1976 wurde Berger wegen der Übernahme der Verteidigung Havemanns und seinem Eintreten für Wolf Biermann aus dem Kollegium der Rechtsanwälte in Berlin ausgeschlossen und verlor seine Zulassung als Rechtsanwalt.

Nach Götz Berger übernahm im Juni 1979 Dr. Gysi die anwaltliche Vertretung Robert Havemanns. Bereits im Hinblick auf die Mandatsanbahnung hat der Bundesbeauftragte dem Ausschuß eine Vielzahl von Dokumenten vorgelegt. So ergibt sich aus einem Telefonabhörprotokoll vom 25. Juni 1979 (Dok. Nr. 178), daß Gregor Gysi am 25. Juni 1979 mit Robert Havemann einen Besuch für den folgenden Mittwoch vereinbarte. Bei diesem Mittwoch handelte es sich um den 27. Juni 1979. Einer 'Operativen Information' der BV für Staatssicherheit Berlin vom 27. Juni 1979 (Dok. Nr. 181) ist zu entnehmen: "Der IME [Inoffizieller Mitarbeiter für einen besonderen Einsatz] „Chef`" teilte beim Treffen am 26.06.79 folgendes mit: (...) Robert Havemann sagte zum IM, daß er am 27.06.79 den Besuch des Rechtsanwalts Gysi erwarte, um sich mit diesem über die Berufungsmöglichkeit zu beraten (...).“

Eine weitere Unterlage der Hauptabteilung XX/OG vom 28. Juni 1979 (Dok. Nr. 20) trägt die Überschrift: 'Auszug aus einem Bericht'. Sodann heißt es: "Am 27.6.1979 habe ich Prof. Havemann auf seinem Grundstück im Grünheide getroffen. Er hat die Vollmacht unterzeichnet und war mit meiner Vertretung im Berufungsverfahren einverstanden. (...) Anschließend dann bin ich zum Kreisgericht Fürstenwalde gefahren und habe in die Akten Einsicht genommen und bin dann noch einmal zu Prof. Havemann gefahren, um mit ihm den Inhalt der Akteneinsicht zu besprechen. (...)“ In dem Dokument wird dann der weitere Inhalt eines Gesprächs mit Robert Havemann detailliert wiedergegeben. Am Ende des Dokuments befindet sich der Vermerk: ¹Wegen Quellengefährdung offiziell nicht auswertbar.“

Ein Bericht über die Beobachtung des Grundstücks von Robert Havemann (Dok. Nr. 181) dokumentiert für den 27. Juni 1979 Gregor Gysis Anwesenheit dort in der Zeit von 9.58 Uhr bis 11.38 Uhr und von 16.52 Uhr bis 19.45 Uhr.

Der „Auszug aus einem Bericht“ berichtet in Ich- Form und mit einer Vielzahl persönlicher Wertungen und Eindrücke versehen über den Kontakt zwischen Robert Havemann und dem ihn vertretenden Anwalt. Im Hinblick darauf, daß Gregor Gysi die anwaltliche Vertretung Robert Havemanns im Juni 1979 übernommen hatte und in dessen Haus in Grünheide anwesend war, steht außer Zweifel, daß Gregor Gysi Ursprung dieser Information war. Dabei sind insbesondere auch der Detailreichtum und die kurze zeitliche Nähe zum Gespräch bedeutsam; das Dokument der Hauptabteilung XX/OG ist bereits am Tage nach dem Gespräch gefertigt worden.

Der 1. Ausschuß verzichtet jedoch darauf, seine die Feststellungen tragende Überzeugung auf diesen Aspekt zu stützen, da zwar sehr starke Anhaltspunkte für eine diesbezügliche Zusammenarbeit von Dr. Gysi mit dem MfS vorliegen, im Hinblick auf den durchgeführten Quellenschutz sich andere Wege, wie die Hauptabteilung XX/OG zu dieser Information gekommen ist, sich jedoch nicht ausschließen lassen.

6.2.2 Die Eingabe an das MdI vom 20. August 1979

Im Rahmen des Mandatsverhältnisses richtete Gregor Gysi am 20. August 1979 eine Eingabe für Robert Havemann an das Ministerium des Inneren (MdI - s. Dok. Nr. 21). Die Eingabe richtete sich gegen die Einbeziehung verschiedener Gegenstände im Verlauf des Strafverfahrens gegen Havemann.

Unter dem 17. September 1979 vermerkt ein Bericht der HA XX/OG (Dok. Nr. 126), daß am 14. September 1979 „mit dem Genossen Gysi ein weiteres Gespräch geführt“ wurde. Gegenstand dieses Gesprächs war zunächst das Mandatsverhältnis Rudolf Bahro, erwähnt werden aber auch die Eingabe für Robert Havemann und eine von diesem an Gregor Gysi gerichtete Einladung zu einem privaten Besuch. Mit diesem Vermerk korrespondiert inhaltlich eine weitere Unterlage vom 20. September 1979 (Dok. Nr. 127). Sie besagt, daß die erhaltenen Informationen „streng vertraulich ... zuverlässig durch GMS „Gregor`“ bekannt wurden. Wie bereits angesprochen, enthält Dok. Nr. 127 der Sache nach dieselben Informationen wie der Bericht auf Dok. Nr. 126. Die inhaltliche Übereinstimmung der beiden Dokumente weist auf ein Gespräch zwischen Gregor Gysi und dem Unterzeichner des Berichts auf Dok. Nr. 126, dem MfS-Offizier Lohr, sowie eine Identität Gregor Gysis mit dem erwähnten GMS „Gregor“ hin.

Abg. Dr. Gysi trägt dazu vor, auch in diesem Fall habe er das fragliche Gespräch nicht mit Major Lohr, sondern mit einem Mitarbeiter in der Abteilung Staat und Recht des ZK der SED geführt.

Er stützt diesen Vortrag mit dem Hinweis, daß es in Dok. Nr. 126 heißt: „Havemann lud Gen. Gysi mit seinem 7jährigen Sohn zu einem Besuch nach Grünheide ein“, während sein Sohn zum damaligen Zeitpunkt nicht sieben, sondern bereits acht Jahre, fast neun Jahre alt gewesen sei.

Diese Argumentation überzeugt nicht, denn der Fehler ist offensichtlich dem Schreiber des Berichts unterlaufen. Man kann aus diesem Fehler keine Rückschlüsse hinsichtlich der Frage ziehen, ob das Gespräch beim ZK oder beim MfS geführt wurde. Auch aus der Formulierung, wonach „Gen. Gysi (...) künftig alle im Zusammenhang mit Havemann“ stehenden Aktivitäten, „mit dem ihm bekannten Mitarbeiter abstimmen wird“, ist entgegen dem Vortrag des Abg. Gysi nicht zu schließen, daß es sich bei diesem Mitarbeiter nicht um den Unterzeichner des Berichtes, den operativ zuständigen Offizier Lohr, gehandelt hat. Der Text entspricht hier einer MfS-üblichen verklausulierenden Schreibweise.

Gegen eine Identität von „Gregor“ und „Rechtsanwalt Gysi“ spricht auch nicht, daß als Informationsquelle GMS "Gregor“ angegeben ist, Gregor Gysi dann aber mit Klarnamen benannt wird. Auch dies entspricht der MfS- üblichen Praxis der internen Konspiration und Verschleierung. Dagegen spricht ein Detail eher für ein Gespräch Gregor Gysis mit dem MfS. „Ihm wurde mitgeteilt, als Rechtsanwalt die Belange Havemanns weiterhin zu vertreten und nur in dieser Eigenschaft persönliche Besuche in Grünheide wahrzunehmen“. Eine solche Anweisung macht vor allem Sinn als Weisung eines operativ zuständigen Offiziers an den von ihm geführten IM. Allerdings läßt sich auch nicht ausschließen, daß ein ZK- Mitarbeiter diese Anweisung Gregor Gysi gegeben hat.

Bereits die Unterlage vom 20. September 1979 (Dok. Nr. 127) hält als Ergebnis dieser Weisung fest, daß Gregor Gysi der Einladung von Havemann keine Folge geleistet hat.

Der 1. Ausschuß verzichtet zugunsten des Abg. Dr. Gysi darauf, seine die Feststellungen tragende Überzeugung auf diesen Aspekt zu stützen, obwohl sehr starke Anhaltspunkte für eine Zusammenarbeit von Dr. Gysi mit dem MfS in diesem Zusammenhang sprechen.

6.2.3 Die Eingabe an den Generalstaatsanwalt der DDR vom 16. Oktober 1979

Unter dem 16. Oktober 1979 schrieb Dr. Gysi eine Eingabe für seinen Mandanten. Sie richtete sich an den Generalstaatsanwalt der DDR und beanstandete, daß Havemann von Angehörigen der Deutschen Volkspolizei seit dem 14. Oktober 1979 am Verlassen seines Grundstückes gehindert worden war (Dok. Nr. 23). Über die Bearbeitung dieser Eingabe wurde - wenn auch nicht nach außen sichtbar - im MfS entschieden. Dort entwarf man zunächst einen „Vorschlag zur Beantwortung einer Eingabe von Rechtsanwalt Dr. Gysi an den Generalstaatsanwalt der DDR“, der in einer der vom Bundesbeauftragten vorgelegten Ausfertigungen den handschriftlichen Vermerk „einverstanden Mielke 29. Okt.“ trägt (Dok. Nr. 133, s.a. Dok. Nr. 186). Diesem Vorschlag zufolge sollte die Eingabe dem Staatsanwalt des Kreises Fürstenwalde zur Bearbeitung übergeben werden. Dieser sollte Gregor Gysi zu einem Gespräch einbestellen und ihm die Rechtmäßigkeit der getroffenen Maßnahmen bestätigen. Die „Konzeption für die Beantwortung der Eingabe Rechtsanwalt Dr. Gysi's an den Generalstaatsanwalt der DDR“ vom 30. Oktober 1979 (Dok. Nr. 70) sieht dazu vor, daß der Kreisstaatsanwalt des Kreises Fürstenwalde Herrn Gysi zu einem Gespräch über die Eingabe einlädt, gleichzeitig wird die vom Kreisstaatsanwalt vorzutragende Rechtfertigung der Maßnahmen gegen Havemann vorgegeben. Die „Konzeption“ schließt mit dem Vorschlag, „Rechtsanwalt Dr. Gysi sollte in absehbarer Zeit Havemann erneut aufsuchen und mitteilen, daß er sich sachkundig gemacht hat“ und Havemann über die Bedeutung der Aussetzung der Vollstreckung des Urteils des Kreisgerichts Fürstenwalde und der damit verbundenen Auflagen unterrichten. Daneben wird für den Fall, daß Havemann auf einer schriftlichen Beantwortung besteht, vorgeschlagen „2. Ist eine schriftliche Mitteilung durch den Rechtsanwalt ... rechtlich und im Interesse der Sicherung der Position des Rechtsanwaltes nicht zu umgehen, wird Gen. Gysi einen entsprechenden Entwurf erarbeiten und zur Abstimmung übergeben.“ Der Staatsanwalt des Kreises Fürstenwalde, Pilz, vermerkt schließlich, er habe am 7. November 1979 die „vorgesehene Aussprache mit dem Rechtsanwalt Dr. Gysi“ durchgeführt (Dok. Nr. 70b). Diesem sei „entsprechend der vorliegenden Konzeption das Ergebnis der Überprüfungen der Eingabe“ mitgeteilt worden. Dies habe sich Dr. Gysi im wesentlichen wörtlich notiert.

Im Anschluß an den Termin beim Kreisstaatsanwalt suchte Gregor Gysi Robert Havemann auf und „übermittelte ihm die vorher vom Kreisstaatsanwalt Fürstenwalde erhaltene Antwort auf seine (...) Eingabe“. Dies geht aus einer „Information“ der Hauptabteilung XX vom 9. November 1979 „über ein Gespräch des Rechtsanwaltes Genossen Dr. Gregor Gysi mit Robert Havemann“ (Dok. Nr.  26) hervor. Robert Havemann war mit der so übermittelten Antwort auf seine Eingabe nicht zufrieden. Er wollte, wenn schon nicht vom Staatsanwalt selbst, so doch zumindest von seinem Rechtsanwalt eine schriftliche Mitteilung. Die „Information“ dokumentiert auch den weiteren Gesprächsverlauf recht ausführlich. Sie schließt mit den bereits in der „Konzeption“ (Dok. Nr. 70 a) enthaltenen Vorschlägen.

Die als „streng geheim“ klassifizierte „Information“ der HA XX vom 9. November 1979 „über ein Gespräch des Rechtsanwaltes Genossen Dr. Gregor Gysi mit Robert Havemann“ deutet auf Dr. Gysi als Informationsquelle hin. Dafür spricht zunächst die Verwendung des Begriffs „vereinbarungsgemäß“, der im gegebenen Zusammenhang nur eine Vereinbarung zwischen Dr. Gysi und der HA XX bedeuten kann. Die Erklärung, das Wort „vereinbarungsgemäß“ könnte sich auch darauf beziehen, daß laut Telefonabhörprotokoll vom 7. November 1979 (Dok. Nr. 188) Dr. Gysi seinen Besuch bei Robert Havemann telefonisch angemeldet hat, hält der 1. Ausschuß für fernliegend. Es findet sich kein Hinweis auf dieses Telefonat im Text.

Weiter gibt die Information Eindrücke wieder, wie sie nur der direkte Gesprächspartner von Havemann gewonnen haben kann:

„Gen. Gysi betonte hierbei, daß er die Ernsthaftigkeit dieser Äußerung von Havemann nicht einschätzen kann“,
„Seine derzeitigen persönlichen Spannungen in der Ehe und Familie versuchte Havemann durch eine übertrieben wirkende Höflichkeit zu seiner ... Ehefrau zu verschleiern“,

„Havemann verabschiedete den Rechtsanwalt lächelnd ...“.

Für die Vermutung des Abg. Dr. Gysi, daß die Wohnung von Havemann abgehört worden sei, ergibt sich aus der Aktenlage keine Bestätigung. Es sind zwar zahlreiche Mitschriften von Telefonaten gefunden worden, aber keine Abhörprotokolle aus der Wohnung überliefert. Auch läßt sich ein Lächeln nicht abhören.

Der Abg. Dr. Gysi trägt auch in diesem Fall vor, nicht mit dem MfS, sondern mit dem ZK der SED Kontakt gehabt zu haben. Daß in der Angelegenheit Robert Havemanns Gespräche Gregor Gysis mit dem ZK stattgefunden haben, belegt ein Vermerk vom 19. November 1979 (Dok. Nr. 111). Danach suchte Gregor Gysi am 13. November 1979 einen Mitarbeiter des Zentralkommitees auf und berichtete ihm über Gespräche mit Rudolf Bahro und Robert Havemann. Im Anschluß daran verfaßte Gregor Gysi über das Gespräch mit Robert Havemann am 7. November 1979 eine schriftliche Information an die Abteilung Staat und Recht des Zentralkommitees der SED, von der Kopien sowohl vom unterschriebenen Original (Dok. Nr. 28 b (29, 110 b)), als auch von einer Abschrift bzw. einem Konzept (Dok. Nr. 28 a (110 a, 112)) vorliegen. Ausweislich des Vermerks auf Dok. Nr. 111 wurde zumindest letztere Ausführung vom ZK an das MfS übermittelt. Dieses Schreiben an das Zentralkommitee kann allerdings nicht der beschriebenen „Information“ der Hauptabteilung XX (Dok. Nr. 26) zugrunde liegen, weil diese bereits vom 9. November 1979 datiert, während das Gespräch Gregor Gysis mit dem Mitarbeiter des ZK erst am 13. November 1979 stattfand und Gysis Schreiben an das ZK der SED das Datum vom 18. November 1979 trägt.

Die Zusammenschau der Dokumente zeigt, daß Gregor Gysi zumindest zwei Gespräche geführt hat. Eines mit dem MfS, eines mit dem ZK der SED. Dies ergibt sich unter anderem aus den unterschiedlichen Ansatzpunkten der Berichte. Dok. Nr. 26 berichtet ausführlich über den Ablauf des Gesprächs zwischen Dr. Gysi und Havemann am 7. November 1979 und schließt mit Vorschlägen für die weitere „Bearbeitung „ Havemanns durch Gregor Gysi. Demgegenüber hält das Papier des ZK der SED nur fest, daß Gregor Gysi dort am 13. November 1979 auch zu Havemann ein Gespräch geführt hat. Details enthält dann erst der von Rechtsanwalt Dr. Gysi am 18. November 1979 für das ZK gefertigte und dem Schreiben beigefügte Vermerk. Dieser behandelt ausführlich die Ansicht Havemanns zu den NATO-Plänen zur Stationierung von Mittelstreckenraketen in Westeuropa. Gysi fragt das ZK, ob er eine entsprechende Erklärung anregen und wie er sich dazu verhalten soll. Beide Papiere haben also völlig verschiedene Ansatzpunkte.

Auch der Vortrag des Abg. Dr. Gysi, eine doppelte Kontaktaufnahme zu MfS und ZK der SED sei nicht sinnhaft gewesen, vermag nicht zu überzeugen. Gerade im Hinblick auf den betreuten Mandanten macht die Doppelgleisigkeit eines Vorgehens Sinn, da sie zum einen den offiziellen Kontakt zum ZK der SED dokumentiert und zum zweiten die Herkunft von Informationen kaschieren hilft. Der Kontakt mit dem ZK kann den Abg. Dr. Gysi daher schon im Hinblick auf den Zeitablauf nicht entlasten.

Die „Information“ vom 9. November 1979 (Dok. Nr. 26) endet, wie schon die „Konzeption“ vom 30. Oktober 1979 (Dok. Nr. 70 a), mit drei Vorschlägen, von denen einer lautet: „Ist eine schriftliche Mitteilung durch den Rechtsanwalt in Beantwortung der Eingabe Havemanns rechtlich und im Interesse der Sicherung der Position des Rechtsanwaltes nicht zu umgehen, wird Gen. Gysi einen entsprechenden Entwurf erarbeiten und zur Abstimmung übergeben.“

Damit kann - es handelt sich schließlich um eine streng geheime Information der HA XX - nur eine interne Abstimmung gemeint sein, sonst wäre die Stelle, mit der abgestimmt werden soll, etwa das ZK, benannt worden.

Für eine Abstimmung mit dem MfS spricht ein Brief Dr. Gysis vom 15. November 1979 an Robert Havemann (Dok. Nr. 27, vgl. auch Dok. Nr. 189), in dem er „noch einmal“ über das Ergebnis der Aussprache mit Kreisstaatsanwalt Pilz informiert. An einer der davon aufgefundenen Kopien (Dok. Nr. 27) befindet sich angeheftet die Notiz: „Genosse Oberst Coburger/Anliegend der Briefentwurf von Rechtsanwalt Dr. Gysi an Robert Havemann in Beantwortung seiner Eingabe. Es wird um kurzfristige Meinungsäußerung gebeten, ob so verfahren werden soll bzw. welche Änderungsvorschläge es gibt.“ Abg. Dr. Gysi bestreitet eine solche Absprache und trägt vor, es handele sich nicht um einen Entwurf, sondern um einen bereits abgesandten Brief, den Robert Havemann allerdings nie erhalten habe, der also abgefangen worden sei. Die äußere Form des Briefes spricht zunächst für diesen Vortrag, denn es handelt sich um ein mit Anwaltskopfbogen und Unterschrift versehenes Schreiben. Gegen den Vortrag, es habe sich um einen abgefangenen Brief gehandelt, spricht allerdings, daß Oberst Coburger entscheiden sollte, „ob so verfahren werden soll bzw. welche Änderungsvorschläge es gibt“. Ein bereits abgeschickter Brief kann nicht mehr geändert werden. Die Vorlage des abgefangenen Briefes mit dem o.a. Vermerktext wäre dann sinnlos. Zudem stand Oberst Coburger ja auch die Möglichkeit offen, den Brief so zu lassen, dann hätte der Brief ohne weiteres an Havemann versandt werden können. Die äußere Form des Briefes allein entlastet Dr. Gysi daher nicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß das MfS schließlich festgelegt hatte, daß Robert Havemann keine schriftliche Antwort auf seine Eingabe erhalten sollte. Unter dem 21. November 1979 erarbeitete die Hauptabteilung XX einen „Vorschlag zur Beantwortung einer Eingabe von Robert Havemann“ (Dok. Nr. 71), der u. a. vorsieht, „Genossen Gysi zu veranlassen, Havemann aufzusuchen, um 1. ihm die Antwort des Kreisstaatsanwaltes von Fürstenwalde nochmals mündlich in der Fassung des beigefügten Vermerks (Anlage) vorzutragen; 2. Havemann bei hartnäckiger Forderung diesen Vermerk auszuhändigen, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich eine Abschrift zu fertigen; 3. Havemann ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, daß er keinen Rechtsanspruch auf eine schriftliche Antwort hat (...).“

Dem „Vorschlag“ lag als Anlage ein „Vermerk - gez. Dr. Gysi, Rechtsanwalt“ bei (Dok. Nr. 72 (190)). Dieser Vermerk ist in weiten Passagen identisch mit dem Schreiben Dr. Gysis vom 15. November 1979.

Zunächst hat Abg. Dr. Gysi dazu mit einem Schreiben vom 23. September 1993 vorgetragen, er sei aufgrund seines Briefes vom 18. November 1979 (vgl. Dok. Nr. 28 a bzw. 28 b, (110 a, 112, 29. 110 b)) zur Abteilung Staat und Recht des ZK der SED bestellt worden. Bei dieser Gelegenheit habe ihm ein Mitarbeiter dieser Abteilung den Vermerk vom 21. November 1979 (Dok. Nr. 72 (190)) übergeben und ihn, Gysi gefragt, ob er bereit sei, den Vermerk Robert Havemann zu übergeben. Er habe den Mitarbeiter des ZK darauf hingewiesen, daß die Übergabe eines solchen Vermerks nicht nötig sei, da er Havemann bereits mündlich und schriftlich informiert habe. Der Mitarbeiter des ZK habe ihn dennoch gebeten, die Übergabe des Vermerks zu prüfen. Entgegen dem Vermerk der Hauptabteilung XX vom 21. November 1979 (Dok. Nr. 71) habe der Mitarbeiter des ZK allerdings größten Wert darauf gelegt, daß er, Gysi, den Vermerk Robert Havemann übergeben solle. In der Anhörung vom 11./12. Juni 1997 hat Abg. Dr. Gysi demgegenüber vorgetragen, er habe im Zusammenhang mit einem aktuellen Gerichtsverfahren den damaligen Mitarbeiter des ZK auf das Thema angesprochen, danach stelle sich der seinerzeitige Ablauf folgendermaßen dar: Dieser habe ihm damals mitgeteilt, daß nach dem Eingabengesetz der DDR das staatliche Organ entscheide, an das die Eingabe gerichtet ist, ob die Eingabe mündlich oder schriftlich beantwortet wird. Der Rechtsanwalt habe nicht das Recht, diese Entscheidung faktisch abzuändern. Daraus habe sich ergeben, daß der Mitarbeiter des ZK Kenntnis von dem Brief gehabt habe. Dieser habe  ihm, Gysi, dann einen Vermerk mit der Aussage übergeben, das sei inhaltlich das, was der Kreisstaatsanwalt gesagt habe. Das könne er, Gysi, auch Herrn Havemann sagen, aus dem Papier könne aber keine Schriftform gemacht werden.

Dieser Vortrag des Abg. Dr. Gysi ist nicht schlüssig. Die weitgehende Ähnlichkeit des „Vermerks“ mit dem eigenen, angeblich an Havemann abgeschickten Brief, hätte Dr. Gysi sofort auffallen müssen. Zudem macht die Übergabe des Vermerks nur dann Sinn, wenn der Brief von Herrn Dr. Gysi Robert Havemann nicht erreicht hat. Dies hat Dr. Gysi in seiner Anhörung am 11./12. Juni 1997 auch selbst bestätigt (Anhörungsprotokoll S. 40). Der Mitarbeiter des ZK hätte somit selbst den Beweis geliefert, daß der Brief abgefangen worden ist. Dies ist in höchstem Maße unwahrscheinlich, da hierdurch das ZK mit der Verantwortung für diese Maßnahme belastet worden wäre. Weiter hätte sich Dr. Gysi nach Lesen des Vermerks (Dok. Nr. 72 (190)) fragen müssen, weshalb der Vermerk mit „gez. Dr. Gysi Rechtsanwalt“ abschloß, obwohl er von dem Mitarbeiter des ZK stammte und nicht übergeben werden sollte. Eine Erklärung hierfür versucht auch der vom Abg. Dr. Gysi zum Gegenstand seiner Anhörung am 21. April 1998 gemachte Schriftsatz seiner Rechtsanwälte vom 26. März 1998 im Verfahren 2 BvE 1/98 nicht.

Eine weitere „Information“ der Hauptabteilung XX vom 5. Dezember 1979 (Dok. Nr. 193, s.a. Dok. Nr. 30) dokumentiert schließlich, wie die Angelegenheit zu einem Abschluß kam: Danach suchte nämlich „am 30.11. und 4.12.1979 (...) vereinbarungsgemäß Rechtsanwalt Dr. Gysi Robert Havemann (...) auf. Er übermittelte Havemann nochmals mündlich die Antwort des Kreisstaatsanwaltes von Fürstenwalde über seine Eingabe vom 16.10.1979 und machte Havemann aufmerksam, daß er keinen Rechtsanspruch auf eine schriftliche Antwort hat. Dr. Gysi erklärte ihm, daß er sich einen Vermerk über die sinngemäße Wiedergabe der vom Staatsanwalt erhaltenen Antwort gemacht hat, die Havemann einsehen und sich Notizen daraus machen kann.“ Aus der Information geht hervor, daß dies sodann auch geschah.

Damit wird deutlich, daß sich Gregor Gysi in diesem Punkt exakt entsprechend des Vorschlags der Hauptabteilung XX vom 21. November 1979 (Dok. Nr. 71) verhielt. Die Information vom 5. Dezember 1979 hat der Bundesbeauftragte (als Dokument Nr. 30 - offenbar als Durchschlag von Nr. 193 und ohne Kopfteil) erstmals mit der Gutachterlichen Stellungnahme vom 26. Mai 1995 vorgelegt.

Diese Zusammenhänge zeigen, daß die Aussprache mit dem Mitarbeiter der Abteilung Staat und Recht des ZK der SED nicht in der vom Abg. Dr. Gysi unter dem 23. September 1993 vorgetragenen Weise stattgefunden haben kann. Dabei berücksichtigt der Ausschuß, daß der Mitarbeiter des ZK, auf den sich der Abg. Dr. Gysi bezieht, bereits in seinem vom Abg. Dr. Gysi mit dessen Stellungnahme vom 26. Februar 1996 vorgelegten Brief darauf verweist, daß seine Erinnerung an diese Gespräche nach fast 15 Jahren eingeschränkt sei. Zur Überzeugung des Ausschusses ergibt sich für diesen Zusammenhang daher, daß Dr. Gysi seinerzeit Anweisungen von der HA XX des MfS angenommen und dementsprechend gehandelt hat. Ein Zusammenwirken mit dem MfS hält der Ausschuß insoweit für gegeben.

6.2.4 Der 70. Geburtstag Robert Havemanns

Über die Vorbereitungen des MfS zum 70. Geburtstag von Robert Havemann geben eine streng geheime „Information“, gefertigt in 5 Exemplaren, „Über die gegenwärtigen Verhaltensweisen von Robert Havemann und seinem bevorstehenden Geburtstag am 11.3.1980“ vom 5. Februar 1980 (Dok. Nr. 196 ) und ein undatierter „Hinweis“ (Dok. Nr. 201), der im wesentlichen mit der „Information“ identisch ist, Auskunft. Die Dokumente geben Aufschluß darüber, daß dem MfS Ansichten und Pläne Havemanns bekannt waren, und welche Maßnahmen geplant waren, „um Provokationen, mögliche Demonstrativhandlungen oder anderweitige Aktivitäten im Sinne einer Aufwertung von Havemann auszuschließen“. Havemann sollte „mit den spezifischen Mitteln und Möglichkeiten des MfS“ beeinflußt werden, um die Anzahl der Besucher zum Geburtstag möglichst kleinzuhalten und insbesondere keine Korrespondenten und andere Personen westlicher Länder „ einzuladen und zu empfangen. Dafür sollte geprüft werden, „ob es zweckmäßig ist, daß Rechtsanwalt Dr. Gysi bzw. Genosse (...) eine Aussprache mit Havemann (...) durchführt.“

Am Vorabend des Geburtstages, am 10. März 1980, suchte Dr. Gysi Robert Havemann auf. Am selben Abend um 22.45 Uhr rief laut einem „Lagefilm“ der HA XX/OG vom 10. März 1980 (Dok. Nr. 200) IM „Gregor“ an, der wie es heißt, „in den Abendstunden auftragsgemäß bei Havemann weilte.“

IM „Gregor“ berichtete: „Havemann hofft auf wenig Gäste, befürchtet aber viele. Er erwartet keine westlichen Presseleute.“ Es wurde sodann besprochen, wie Havemann sich verhalten würde, falls doch welche auftauchen sollten, wobei Havemanns Ehefrau „für das Wegschicken“ plädierte. Schließlich wird festgehalten: „„Gregor` hat entsprechend den Instruktionen argumentiert und dabei die Meinung der Ehefrau von Havemann unterstützt. (...) Zum Schluß des Gesprächs war Havemann bereit, die Verhaltenslinie seiner Ehefrau gegenüber möglichen westlichen Pressevertretern zu akzeptieren.“

Eine „Information über den 70. Geburtstag von Robert Havemann am 11. März 1980 (Dok. Nr. 202 (205, 206), s. a. Dok. Nr. 203, 204) der Hauptabteilung XX, wieder streng geheim und in 5 Exemplaren gefertigt, enthält sodann u.a. folgenden Vermerk: „Seinem am Vorabend erschienenen Rechtsanwalt erklärte er (Havemann), daß nach seiner Kenntnis zahlreiche Gäste, jedoch keine Vertreter von westlichen Presse und Publikationsorganen erscheinen werden. Da weder er noch seine Gäste an einer Konfrontation mit der Westpresse interessiert wären, würde er diese bei Erscheinen abweisen oder ihnen „Dinge erzählen, die diesen keinesfalls passen würden“. Seine anwesende Ehefrau (...) vertrat die Meinung, Westkorrespondenten in jedem Falle abzuweisen.“ Dr. Gysi wird in der „Information“ (Dok. Nr. 202), wie in anderen streng geheimen Dokumenten auch mit Klarnamen genannt.

Diese Dokumente zeigen, daß Dr. Gysi am Vorabend des Geburtstages Robert Havemann auftragsgemäß aufgesucht hat, um etwas über den geplanten Ablauf des Geburtstages zu erfahren. Die erhaltenen Informationen hätte Gregor Gysi dann noch in der Nacht der zuständigen MfS-Lagegruppe telefonisch übermittelt.

Allgemein erläutert der Bundesbeauftragte, daß ein Lagefilm des MfS ergebnisbezogen in zeitlicher Abfolge Informationen, Feststellungen, Hinweise und Bemerkungen festhalte. Lagefilme hätten der Kontrolle, Analyse und Entscheidungsfindung gedient. Mit ihrer Erstellung seien Lageoffiziere betraut gewesen, die regelmäßig über den Einsatz von Mitteln und Kräften informiert gewesen seien, um die eingehenden Informationen richtig zuordnen zu können. Nur durch diesen Hintergrund werde verständlich, daß sie einen Anrufer, der sich als „Gregor“ melde, als IM identifizieren und den Rang der Information hätten bestimmen können. Abg. Dr. Gysi hat dazu vorgetragen, er sei vom ZK der SED gebeten worden, Robert Havemann zu bitten, auf Presseöffentlichkeit zu seinem 70. Geburtstag zu verzichten. Dieser Bitte habe er entsprochen und entsprechend dem Wunsch des Mitarbeiters des ZK noch am selben Abend beim ZK der SED zurückgerufen. Dort sei er mit einem Diensthabenden verbunden worden und habe ihn über das Ergebnis des Gesprächs informiert. Abg. Dr. Gysi vermutet, dieser Anruf sei im ZK mitgeschnitten und von dort an das MfS weitergeleitet worden. Damit steht zumindest auch nach dem Vortrag des Abg. Dr. Gysi fest, daß in diesem Fall Gregor Gysi die Person war, die im Lagefilm auf Dok. Nr. 200 als „IM „Gregor`“ bezeichnet wird.

Abgesehen davon vermag der 1. Ausschuß den Ausführungen des Abg. Dr. Gysi nicht zu folgen. Es ist ein recht ungewöhnlicher Vorgang, nachts in einer Behörde anzurufen. Zudem war der Mitarbeiter des ZK, mit dem Dr. Gysi eine Verabredung getroffen haben will, ihn in der Angelegenheit Havemann zurückzurufen, - der Uhrzeit (22.45 Uhr) entsprechend - nicht mehr an seinem Arbeitsplatz. Daß Dr. Gysi statt dessen in einer hochbrisanten Angelegenheit, immerhin handelte es sich bei Robert Havemann um einen „Staatsfeind“ der DDR, einen zufällig anwesenden „Diensthabenden“ informiert haben will, ist wenig glaubhaft. Sinn hätte eine solche Information nur gemacht, wenn sie einer Stelle übermittelt worden wäre, die auch die Kompetenz hat, anschließend zu handeln. Schließlich war der Geburtstag Havemanns am darauf folgenden Tag. Auch die weiteren Ausführungen des Abg. Dr. Gysi in seiner „Stellungnahme zum Ergänzenden Bericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheitsdienste der ehemaligen DDR vom 13. März 1997“ sind nicht schlüssig. Er schließt aus der Tatsache, daß der „Lagefilm“ auch über Anrufe von Jürgen Fuchs und einer „männlichen Person“ berichtet, daß es sich offensichtlich um „mitgehörte Telefongespräche“ handelt. Er schreibt weiter: „Und das bezieht sich dann auch auf die dritte Eintragung, aus der sich lediglich ergibt, daß ich um 22.45 Uhr, nicht aber, mit wem ich telefoniert habe. In dem zum Gegenstand seiner Anhörung am 21. April 1998 gemachten Schriftsatz seiner Rechtsanwälte vom 26. März 1998 im Verfahren 2 BvE 2/98 hat Dr. Gysi darüber hinaus vortragen lassen, daß es nicht ausgeschlossen sei, daß das Telefon, von dem aus er telefonierte, abgehört worden sei.

Allerdings wird im dritten Eintrag die anrufende Person als „IM „Gregor`“ und nicht mit Klarnamen bezeichnet. Der Anrufer hat sich demnach also nicht als Dr. Gysi oder Rechtsanwalt Gysi, sondern als „Gregor` gemeldet. Die von Dr. Gysi vorgetragenen Erklärungsmuster für diesen Sachverhalt vermögen den 1. Ausschuß daher nicht zu überzeugen.“

Auch der vom Abg. Dr. Gysi vorgelegte Brief von Wolfgang Harich (Anlage zum Schreiben vom 25. Juni 1997) führt zu keiner abweichenden Einschätzung.

Wolfgang Harich schildert in diesem Brief, daß sich ein ZK- Mitarbeiter „Lohse“ ihm [Harich] genähert habe. Von ihm hätte er auch eine Telefonnummer mit der ZK - Einwahl 202 erhalten, unter der der angebliche Mitarbeiter zu erreichen wäre. Erst nach der Wiedervereinigung wäre ihm nun bekannt geworden, daß der angebliche ZK-Mitarbeiter „Lohse“ der MfS-Offizier Lohr gewesen sei.

Mit der gleichen Stellungnahme hat der Abg. Gysi auch ein Schreiben des ehemaligen MfS-Offiziers Wolfgang Schmidt übermittelt, in dem dieser bestätigt, daß das MfS Hauptabteilung XX über zwei sogenannte „ZK- Nummern“ verfügte, also Nummern, bei denen die Anrufer glaubten, mit dem ZK zu sprechen, in Wirklichkeit aber mit dem MfS sprachen.

Beides kann den Abg. Gysi nicht entlasten. „Lohse“ hatte sich nach Dr. Gysis Vortrag als Staatsanwalt, nicht als ZK-Mitarbeiter vorgestellt, der Abg. Dr. Gysi hat auch zu keiner Zeit behauptet, von ihm eine sogenannte ZK-Nummer erhalten zu haben.

Bei der Anhörung des 1. Ausschusses hat der Abg. Dr. Gysi die Frage, von wem er die Telefonnummer erhalten habe, die er in der Nacht des 10. März 1980 angerufen hat, nicht beantwortet. Er betonte allerdings: „Herr Gefroi hat mir gesagt, wenn ich das Gespräch geführt habe, ist er daran interessiert, daß ich ihn sofort anrufe ...“.

Unterstellt man, daß der Abg. Dr. Gysi seinem Vortrag entsprechend von Herrn Gefroi die Nummer erhalten hat, unter der er ihn zurückrufen sollte, kann es keine der sogenannten ZK- Nummern des MfS gewesen sein. Für eine inoffizielle Zusammenarbeit von Herrn Gefroi und dem MfS gibt es keinerlei Hinweise. Die stimmige Abfolge der nach diesen Dokumenten geplanten bzw. erfolgten Maßnahmen spricht hingegen für eine Zusammenarbeit Gregor Gysis mit dem MfS. Er nahm demnach die Instruktionen des MfS entgegen und setzte sie in Gesprächen mit Robert Havemann um.

Zusammenfassend kommt der 1. Ausschuß auch beim Komplex „70. Geburtstag von Robert Havemann „ zu der Überzeugung, daß Dr. Gysi vom MfS Instruktionen entgegennahm, weisungsgemäß ausführte und über den Vollzug sofort berichtete, also mit dem MfS zusammenarbeitete.

6.2.5 Der 35. Jahrestag der Befreiung des Zuchthauses Brandenburg

Für den 26. April 1980 war eine Veranstaltung anläßlich des 35. Jahrestages der Befreiung des Zuchthauses Brandenburg geplant. Robert Havemann hatte deshalb einen Brief an das Kommitee für Antifaschistische Widerstandskämpfer geschrieben, in dem er seine feste Absicht bekundete, an dieser Veranstaltung teilzunehmen (Dok. Nr. 216).

Aus einer streng geheimen „Information“, gefertigt in 4 Exemplaren am 26. April 1980 (Dok. Nr. 216) und einem Bewegungsablauf vom 18. April 1980 (Dok. Nr. 209) geht hervor, daß Dr. Gysi mit seinem PKW (Kennzeichen IM 90-92) am 18. April 1980 Robert Havemann am Nachmittag aufsuchte, um ihm eine „interne Mitteilung“ über die „Möglichkeit einer Teilnahme“ zu überbringen. Robert Havemann „reagierte ... erfreut“ (Dok. Nr. 216), bestand jedoch auf einer schriftlichen Einladung.

In einem detaillierten „Plan zur Verhinderung von Provokationen Robert Havemanns in Zusammenhang mit der Veranstaltung anläßlich des 35. Jahrestages der Befreiung des Zuchthauses Brandenburg am 26. April 1980“ vom 24. April 1980 (Dok. Nr. 74) ist vorgesehen, daß GMS „Gregor“ am selben Tag Robert Havemann in Grünheide aufsucht und ihm genaue Instruktionen gibt, wie er sich zu verhalten habe.

Aus mehreren Telefonabhörprotokollen (Dok. Nr. 211, 213, 214, 215) geht hervor, daß sich Dr. Gysi tatsächlich am 24. April 1980 bei Robert Havemann aufhielt, „um ihm mitzuteilen, daß er mit seiner Ehefrau am 26. 4.1980 gegen 9.00 Uhr zur Teilnahme an den Feierlichkeiten in Brandenburg mit seinen damaligen Kameraden zusammentreffen kann.“ (Dok. Nr. 216).

Das Protokoll eines abgehörten Telefonats der Ehefrau Havemanns vom selben Tag (Dok. Nr. 215) dokumentiert ebenfalls die Anwesenheit Dr. Gysis bei Havemann. In Bezug auf die bevorstehende Veranstaltung heißt es dort u. a. „Er (Gysi) hat ja nun auch den Ablauf geschildert (...)“.

Bei der Anhörung durch den 1. Ausschuß am 11./12. Juni 97 bestritt der Abg. Dr. Gysi auf Fragen nicht, an diesem Tag nicht die von Robert Havemann gewünschte schriftliche Einladung, sondern Anstecknadeln überbracht und die Instruktionen abgeliefert zu haben. Diese Einladung fand Frau Havemann später in den MfS-Akten ihres Mannes (Anhörungsprotokoll S. 67/68).

Der Abg. Dr. Gysi behauptet auch in diesem Fall, lediglich Instruktionen vom ZK der SED bekommen zu haben. Er räumte im Rahmen der Anhörung allerdings ein, daß aufgrund der Brisanz des Ereignisses „Erich Honecker und Robert Havemann auf der Tribüne“, es „hier durchaus möglich“ war, „die Instruktionen sowohl von den einen [MfS], als auch von den anderen [ZK] zu bekommen.“

Allerdings hält es der 1. Ausschuß für ausgeschlossen, daß eine Information über ein Gespräch, daß Dr. Gysi am frühen Abend des 24. April 1980 mit Robert Havemann geführt hat, bereits am 26. April 1980 in einer streng geheimen Information verarbeitet worden sein kann, wenn es den Umweg über das ZK genommen hätte. Der einzige bekannte Vermerk über ein Gespräch von ZK-Mitarbeiter Gefroi und Dr. Gysi, der ans MfS gegeben wurde, ist fast eine Woche nach dem Gespräch gefertigt worden (Anhörungsprotokoll S. 49/50).

Auch geht aus dem „Plan zur Verhinderung von Provokationen ...“ (Dok. Nr. 74) eindeutig hervor, daß nur das MfS, nicht das ZK für die operative Absicherung der Veranstaltung zuständig war. „Alle getroffenen Feststellungen sind an Major Lohr weiterzuleiten „, „denn Major Lohr ist verantwortlich für die Durchsetzung aller operativen Belange mit Havemann „. Von einer Parallelplanung von MfS und ZK, wie sie vom Abg. Dr. Gysi vorgetragen wurde (Anhörungsprotokoll S. 68) gibt es weder im „Plan zur Verhinderung von Provokationen“ noch in der „Information „ einen Hinweis. Diese Behauptung wird auch durch keinerlei Dokumente aus dem ZK gestützt.

Die Zusammenschau der Dokumente ergibt hingegen deutlich, daß auch in diesem Fall mit dem GMS „Gregor“ Dr. Gysi gemeint war und daß er gemäß der Planung und den Instruktionen des MfS handelte. Für eine Absprache mit dem ZK gibt es demgegenüber keine Hinweise.

Der 1. Ausschuß kommt auch hinsichtlich des Komplexes „35. Jahrestag der Befreiung des Zuchthauses Brandenburg“ zu der Überzeugung, daß ein Zusammenwirken von Gregor Gysi mit dem MfS im Sinne der Feststellungskriterien vorliegt.

6.2.6 Das Holzhaus auf dem Grundstück von Robert Havemann

Im Jahr 1980 beauftragte Robert Havemann Gregor Gysi mit der Wahrnehmung seiner Interessen bezüglich eines Holzhauses, das sich auf seinem Grundstück befand (vgl. Dok. Nr. 207 und 219). Die Eigentumsverhältnisse an diesem Haus waren zwischen Robert Havemann und seiner geschiedenen Ehefrau Karin streitig. Aus einem „Vorschlag zum Erwerb des auf dem Grundstück von Havemann vorhandenen Holzhauses für operative Zwecke“ der Hauptabteilung XX vom 14. Januar 1980 (Dok. Nr. 73) sowie einer „Information über den geplanten Verkauf des Holzhauses auf dem Grundstück von Robert Havemann „ der Hauptabteilung XX vom 6. August 1980 (Dok. Nr. 219) geht hervor, daß das MfS ein Interesse daran hatte, „durch einen geeigneten IM dieses Objekt von Karin Havemann zu einem Preis von ca. 20 Tausend Mark (...) käuflich zu erwerben“ (Dok. Nr. 73). Die „endgültige Zielstellung“ bestand „in der Veräußerung des Holzhauses an einen bereits operativ ausgewählten Käufer, um damit dauerhaft zu verhindern, daß Havemann dieses Objekt für die zeitweilige oder ständige Unterbringung ihm gleichgesinnter oder genehmer Personen benutzen kann“ (Dok. Nr. 219, S. 2). In dem Vorschlag vom 14. Januar 1980 (Dok. Nr. 73) wird u.a. weiter ausgeführt: „Da zu erwarten ist, daß Havemann Rechtsanwalt Dr. Gysi zur Wahrnehmung seiner Interessen beauftragen wird, besteht zugleich die Möglichkeit, über diesen auf Havemann in der vom MfS gewünschten Form einzuwirken.“ Hier zeigt sich, daß das MfS davon ausging, über Dr. Gysi verfügen zu können.

In der vom Abg. Dr. Gysi vorgelegten Broschüre der PDS „Gysi ./. Gauck“ heißt es, Gregor Gysi sei nachweislich erfolgreich dagegen angegangen, daß das MfS jemals einen Fuß in das Holzhaus habe setzen können. Abg. Dr. Gysi meint, gerade aus diesem Beispiel werde deutlich, daß er sich entgegen den Interessen des MfS verhalten habe (Stellungnahme vom 17. Juni 1997). Für seinen Vortrag beruft Dr. Gysi sich auch auf eine Formulierung in Dokument Nr. 207, wo es u.a. heißt: „Da er (Havemann) einen möglichen Rechtsstreit nicht ausschließt, hat er gleichfalls seinen Rechtsanwalt Gen. Dr. Gregor Gysi in Kenntnis gesetzt und konsultiert. Sowohl ihm als auch IM gegenüber betonte er, (...)“ und „Über Rechtsanwalt Gen. Dr. Gysi und vorhandener IM wird auf Havemann Einfluß genommen (...)“. Abg. Dr. Gysi weist darauf hin, daß in beiden Fällen deutlich zwischen ihm und inoffiziellen Mitarbeitern des MfS unterschieden werde. Diese Formulierungen sprächen gegen eine Zusammenarbeit mit dem MfS. Nach Ansicht des 1. Ausschusses ist demgegenüber jedoch der konkrete Hintergrund der Information vom 19. März 1980 (Dok. Nr. 207) bei der Beurteilung einzubeziehen. Es handelt sich um eine Information der HA XX, also eine Vorlage für die Leitung oder andere Hauptabteilungen des MfS. In der Information wird u.a. mitgeteilt, daß Robert Havemann seinen Rechtsanwalt Dr. Gysi eingeschaltet hat. Aufgrund der internen Konspiration und Verschleierung des MfS zum Schutze der IM mußte somit zwischen dem mit Klarnamen bezeichneten Dr. Gysi und IM sprachlich getrennt werden, da eine andere Formulierung eine dekonspirative Aufdeckung einer Quelle bedeutet haben könnte. Die Formulierung in Dok. Nr. 207 ist daher nicht geeignet, Dr. Gysi zu entlasten.

Weiterhin liegt dem 1. Ausschuß in diesem Zusammenhang ein „Bericht über den Besuch des Rechtsanwaltes Gysi bei Dr. Havemann am 21.7.1980 in den Nachmittagsstunden“ vor (Dok. Nr. 5). Dieses Dokument stammt ebenfalls von der Hauptabteilung XX, ist als „Abschrift vom Tonband“ gekennzeichnet und enthält den abschließenden Vermerk: „gez. „Gregor` „. Der Bericht beschäftigt sich auf den ersten beiden Seiten mit Publikationen Havemanns, während es auf Seite 3 dann unvermittelt heißt: „In Sachen Holzhaus gab es am 21.7.80 ein neues Gespräch zwischen Dr. Havemann und seinem Rechtsanwalt.“ Diese Seite ist, ebenso wie die beiden vorangegangenen, in der 3. Person gehalten und gibt den Gesprächsverlauf zu dem bezeichneten Thema wieder. Auf der vierten Seite wird dann in die Ich-Form gewechselt: „Meiner Meinung nach gibt es zur Zeit keine Möglichkeit, Havemann zu zwingen, den Kaufinteressenten am Haus der geschiedenen Ehefrau den Zutritt zu gewähren. Allerdings kann die geschiedene Ehefrau verlangen, daß sie selbst und selbstverständlich auch ein staatlicher Taxator die Möglichkeit zum Betreten des Hauses erhalten. (...) Meines Erachtens dürfte er Kaufinteressenten den Zutritt auch dann nicht verwehren, wenn seine geschiedene Ehefrau dabei ist.“

In dem Abhörprotokoll eines zwischen Gregor Gysi und Robert Havemann am 28. August 1980 geführten Telefonats (Dok. Nr. 138 (221)) heißt es u.a.: „Gysi will den Anwalt [Anm.: der geschiedenen Ehefrau Havemanns] anschreiben und darauf verweisen, daß es fraglich sei, ob seine Mandantin überhaupt Eigentümer des Hauses ist. Sollte sie es sein, dann nach damals geltendem Recht von beweglichem Eigentum. Sie könnte sich das Haus abbauen und taxieren lassen, wo sie will. (...) Gysi erklärt, daß sie ja auch Zeit haben, weil „die' etwas haben will. Sie könnten ja auch die Zeit hinauszögern in Bezug auf den Taxator.“

Abg. Dr. Gysi bestreitet auch in diesem Fall eine Zusammenarbeit mit dem MfS. In seiner Stellungnahme vom 17. April 1997 trägt er hierzu vor, auf den ersten drei Seiten des Berichts (Dok. Nr. 5) spiegele sich eine Information wider, die er an die Abteilung Staat und Recht des ZK der SED gegeben habe. Mit der rechtlichen Einschätzung auf Seite 4 des Berichts habe er hingegen nichts zu tun. Seines Erachtens handele es sich um einen juristischen Hinweis aus dem ZK, aus dem MfS oder durch eine dritte Person. Das Telefonabhörprotokoll auf Dok. Nr. 138 (221) widerlege, daß der Bericht auf Dok. Nr. 5 von ihm stammen könne. Denn der Verfasser habe im Gegensatz zu ihm, Gysi, die Auffassung vertreten, daß Robert Havemann die Taxierung des Holzhauses auf seinem Grundstück gestatten müsse. Diese Interpretation ist indes nicht zwingend; zum einen müssen das Aufzeigen rechtlicher Möglichkeiten und rechtsanwaltliches Handeln nicht die gleiche Rechtsauffassung widerspiegeln. Zum anderen deutet die letzte Erklärung von Dr. Gysi im Telefonat vom 28. August 1980 daraufhin, daß auch er der Auffassung gewesen ist, letztlich sei eine Taxierung auf dem Grundstück nicht zu vermeiden. Einen Nachweis, daß Dr. Gysi nicht die hinter dem Bericht vom 23. Juli 1980 (Dok. Nr. 5) stehende Quelle „Gregor` ist, kann der Abg. Dr. Gysi hierdurch nicht erbringen. Der Sachverhalt weist insgesamt stärker auf ein Zusammenwirken von Gregor Gysi und dem MfS hin, jedoch verzichtet der Ausschuß darauf, diesen Aspekt seiner die Feststellungen tragenden Überzeugung zugrunde zu legen.

Als Dokument Nr. 33 liegt dem 1. Ausschuß eine Tonbandabschrift der Hauptabteilung XX/OG vom 1. September 1980 vor. Sie trägt den Titel „Aktennotiz über die Rücksprache mit Ulrich Havemann und Rechtsanwalt Gysi am 25.8.1980 in den Abendstunden im Büro des Rechtsanwaltes“. Daraus geht hervor, daß Ulrich Havemann Gregor Gysi darüber informierte, daß seine Mutter, Karin Havemann nicht an ihren geschiedenen Ehemann verkaufen wollte. Dok. Nr. 33 ist mit „Reuter“ unterschrieben, trägt im übrigen aber keinen Quellenvermerk.

In dem Telefongespräch vom 28. August 1980 (vgl. Dok. Nr. 138 (221)) zwischen Havemann und Gregor Gysi wurde auch ein Besuch Gysis für denselben Tag vereinbart, da dieser noch ein Schriftstück bei Havemann abholen wollte. Daß diese Vereinbarung eingehalten wurde, bezeugt ein Beobachtungsbericht vom selben Tag (Dok. Nr. 222). Als Dokument Nr. 6 liegt dem 1. Ausschuß dazu eine weitere Tonbandabschrift der Hauptabteilung XX/OG „über die Rücksprache mit Robert Havemann am“ vor. Als Quelle wird „IM-Vorlauf „Gregor`“ angegeben, das Dokument enthält außerdem den Vermerk „entgegengenommen: Major Lohr, 29.8.1980“. Das wiedergegebene Gespräch mit Robert Havemann hat zunächst politische Inhalte zum Thema, aber „schwerpunktmäßig wurde über die zivilrechtliche Angelegenheit mit dem Holzhaus auf seinem Grundstück gesprochen.“

Aus einem Beobachtungsbericht (Dok. Nr. 222) des MfS ist zu schließen, daß sich Dr. Gysi am 28. August 1980 bei Robert Havemann aufhielt. Seine Anwesenheit wird für die Zeit ab 20.45 Uhr ausgewiesen.

Nach Einschätzung des Abg. Dr. Gysi liegen dem Dokument Nr. 6 verschiedene Quellen zugrunde. Zum Teil hätte er auch in diesem Fall mit dem zuständigen Mitarbeiter der Abteilung Staat und Recht des ZK über die politischen Einschätzungen von Robert Havemann gesprochen, was Havemann auch gewollt habe. Offensichtlich habe das ZK wiederum die Staatssicherheit informiert. Dies beziehe sich auch auf die Problematik mit dem Holzhaus, weil es ihm, Gysi, immer darum gegangen sei, der Partei klarzumachen, daß sie nicht so weit gehen dürfte, die Staatssicherheit auf das Grundstück von Robert Havemann zu setzen. Die Staatssicherheit habe aber auch andere Quellen gehabt, die sich in diesem Dokument widerspiegelten.

In seiner Anhörung am 11./12. Juni 1997 hat der Abg. Dr. Gysi allerdings einräumen müssen, daß es klare Aufträge Havemanns für Gespräche mit dem ZK der SED nicht gegeben hat. Anhaltspunkte für die These des Abg. Dr. Gysi, Dokument Nr. 6 beruhe auf den Mitteilungen verschiedener IM, finden sich ebenfalls nicht. Diktion, Darstellung und Detailreichtum der übermittelten Informationen weisen vielmehr auf den Gesprächspartner Havemanns als Quelle hin. Von besonderer Bedeutung ist dabei, daß „Schwerpunktmäßig (...) über die zivilrechtliche Angelegenheit mit dem Holzhaus“ gesprochen wurde. Thema und Inhalt dieses Abschnittes der Tonbandabschrift weisen bereits auf einen juristisch gebildeten Gesprächspartner hin, was auf Gregor Gysi hindeutet. Der Gesprächspartner orientiert Havemann aber auch über das zwischen Dr. Gysi und Ulrich Havemann geführte Gespräch. Entscheidend ist aber, daß „nicht er [Havemann] selbst, sondern sein Gesprächspartner antworten wird.“ Auch dies weist auf einen Anwalt hin; mit der Vertretung Robert Havemanns in diesem Zusammenhang war ausschließlich Dr. Gysi betraut.

Der 1. Ausschuß ist insoweit der Auffassung, daß die Quelle für die mit „IM-Vorlauf „Gregor`“ gekennzeichnete Information über das Gespräch mit Havemann am 28. August 1980 nur Gregor Gysi selbst sein kann. Hierfür sprechen vor allem die Darstellung des Gesprächsablaufs, die auf einen Gesprächsteilnehmer hinweist und die Anwesenheit Gregor Gysis bei Havemann an diesem Tag. Dabei ist auch zu sehen, daß Dr. Gysi wegen des Schreibens von Frau Havemanns Rechtsanwalt Strodt in Sachen Holzhaus überhaupt zu Havemann nach Grünheide gefahren ist. Der Hinweis des Abg. Dr. Gysi auf ein entsprechendes Gespräch beim ZK der SED vermag den 1. Ausschuß nicht zu überzeugen. Das Tonband ist Major Lohr bereits einen Tag nach dem Gespräch, nämlich am 29. August 1980 von der Quelle „Gregor „ übergeben worden (Dok. Nr. 6). Dies läßt sich schon zeitlich nicht mit dem Vortrag des Abg. Dr. Gysi vereinbaren. Der Ausschuß stellt dabei nicht in Frage, daß der Abg. Dr. Gysi möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt auch beim ZK der SED Gespräche über dieses Thema geführt hat.

Der 1. Ausschuß ist der Auffassung, daß eine Zusammenarbeit Dr. Gysis mit dem MfS insoweit feststeht.

Auch eine Tonbandabschrift der HA XX/9 vom 11. April 1981 (Dok. Nr. 9) enthält Hinweise, daß Dr. Gysi das MfS über ein Gespräch mit seinem Mandanten Robert Havemann am 10. April 1981 unterrichtete. Demnach sollte Havemanns Rechtsanwalt in Verhandlungen mit dem Rechtsanwalt der geschiedenen Frau Havemann bewirken, daß das Holzhaus abgebaut und ihr dafür eine Entschädigung gezahlt werde. Die Tonbandabschrift enthält eine genaue Darstellung der geplanten rechtlichen Vorgehensweise. Vorher berichtet der Vermerk kurz über eine Rechtsauskunft durch Dr. Gysi an die Nachbarin der Havemanns, Frau Haeseler.

Diese Darstellung in der Tonbandabschrift entspricht dem tatsächlichen Ablauf der Geschehnisse. Nach einem Beobachtungsbericht und einem Bewegungsablauf (Dok. Nr. 230 und 229) hielt sich Dr. Gysi am 10. April 1981 bei Robert Havemann in der Zeit von 11.10 bis 12.28 Uhr auf. Im Rahmen von Dr. Gysis Besuch bei Havemann hielt sich von 12.03 Uhr bis 12.15 Uhr dessen Nachbarin, Frau Haeseler, dort auf, um eine, bereits am Tage vorher Katja Havemann telefonisch von Dr. Gysi zugesagte Rechtsauskunft zu erhalten (Dok. Nr. 40). Danach hielt sich Dr. Gysi noch etwa 10 Minuten bei Havemanns auf. Dies entspricht der Struktur der Tonbandabschrift, die zunächst ein längeres politisches Gespräch wiedergibt, das Gespräch mit Frau Haeseler und zuletzt kurz über das weitere Vorgehen in Sachen Holzhaus informiert. Bereits einen Tag nach dem Gespräch erhält der MfS-Offizier Major Lohr das Tonband.

Auch in diesem Zusammenhang ist der 1. Ausschuß der Überzeugung, daß Gregor Gysi die Quelle der mit „GMS Notar“ gekennzeichneten Tonbandabschrift war und insoweit inoffiziell mit dem MfS zusammengearbeitet hat.

Unter dem 7. Januar 1982 liegt schließlich eine weitere Tonbandabschrift über ein „Gespräch zwischen Rechtsanwalt Gysi und Havemann am 5.1.1982“ vor (Dok. Nr. 10), auf der als Quelle „IM „Notar`“ und „entgegengen. 6.1.1982, OSL Lohr“ angegeben wird. Ein Telefonabhörprotokoll vom vorangegangenen Tag (Dok. Nr. 45) dokumentiert, daß Katja Havemann auf Gysis Besuchswunsch erklärte, „daß sich wegen des Häuschens noch nichts getan hat (...). Gysi könne aber gerne kommen.“ Der Bericht auf Dok. Nr. 10 beschäftigt sich dann auch nur in seinem ersten Abschnitt mit der „Hausangelegenheit“, gibt dabei aber eine ausführliche Darstellung über einen Besuch des Käufers des Holzhauses; zum größten Teil dokumentiert er die Ansichten Havemanns zu bestimmten aktuellen politischen Themen. Die Darstellung des Ablaufs wird durch einen Beobachtungsbericht der dafür zuständigen HAVIII/12 vom 28. Januar 1982 über den 5. Januar 1982 für die HA XX/9 bestätigt. Der Beobachtungsbericht beginnt um 7.05 Uhr und endet mit der Abfahrt Dr. Gysis um 14.25 Uhr. Andere Besucher in Grünheide werden für diesen Tag nicht erwähnt. Auch hier erfolgt die Übergabe des Tonbandes bereits einen Tag nach dem Gespräch zwischen Dr. Gysi und Robert Havemann (Dok. Nr. 10).

Abg. Dr. Gysi vermutet, daß für diesen Bericht verschiedene Quellen benutzt worden seien. Im Umkreis von Robert Havemann seien zum Teil bis zu 200 IM eingesetzt gewesen. Alles, was in dessen Haus gesprochen wurde, sei abgehört worden. Über bestimmte politische Themen habe er, Gysi, immer auch im Auftrag von Havemann mit einem zuständigen Mitarbeiter der Abteilung Staat und Recht des ZK gesprochen.

Im Zusammenhang mit der Überwachung Robert Havemanns sind über die Telefonüberwachung hinausgehende Abhörmaßnahmen in den Unterlagen nicht nachweisbar. Einen Auftrag Havemanns für Gespräche mit dem ZK der SED gab es nicht (s.o.). Auch hier sind Anhaltspunkte dafür, daß mehrere Quellen diesem Bericht zugrunde liegen, nicht erkennbar. Vielmehr wird ausschließlich über ein nur zwischen Dr. Gysi und Robert Havemann geführtes Gespräch berichtet. Wendungen wie „... ging er überhaupt nicht ein. Dr. Gysi erläuterte dann seine schweren Bedenken gegen eine solche Bewegung ...“, „Er wußte darauf auch nicht sofort eine Erwiderung ...“, „Er zeigte dann Dr. Gysi einen Brief (...) Der Brief (...) war offensichtlich schon im Original abgesandt. „ und „Im Brief selbst formuliert...“ zeigen, daß der Verfasser an dem Gespräch teilgenommen und auch die entsprechenden Handlungen (Zeigen und Lesen des Briefs) erlebt hat. Dies trifft alles so nur für Dr. Gysi zu.

Der 1. Ausschuß ist daher auch hier der Auffassung, daß Gregor Gysi die mit „IM Notar“ bezeichnete Quelle ist und inoffiziell das MfS über die Ansichten Robert Havemanns unterrichtet hat.

Der 1. Ausschuß sieht, daß auf Robert Havemann eine Vielzahl von IM des MfS angesetzt waren. Unabhängig hiervon ist der 1. Ausschuß der Überzeugung, daß in Zusammenhang mit dem Holzhaus in Robert Havemanns Garten eine Zusammenarbeit von Dr. Gysi mit dem MfS vorliegt. Die mit „Gregor“, „IM-Vorlauf Gregor“, „GMS Notar“ oder „IM Notar“ gekennzeichneten Dokumente über die Treffen zwischen Dr. Gysi und Robert Havemann am 28. August 1980, 10. April 1981 und 5. Januar 1982 zeigen im Hinblick auf die übermittelten Informationen und die Form der Wiedergabe, daß Gregor Gysi diese Quelle war und mit dem MfS inoffiziell zusammengearbeitet hat.

6.2.7 Die weitere „Bearbeitung“ von Robert Havemann

Im März 1981 entwarf die Hauptabteilung XX/9 eine „Konzeption zur weiteren politisch-operativen Bearbeitung des Operativ-Vorgangs „Leitz` (...) gegen Havemann, Robert“ (Dok. Nr. 227 (79, 228)). Ziel dessen war die weitere „Unterbindung und Einschränkung öffentlichkeitswirksamer Feindhandlungen bzw. anderer negativ-feindlicher Aktivitäten des Havemann und seiner engsten Kontaktpartner.“ Dafür wird u. a: der Einsatz der IM „Kurt“, „Julia“, „Lorenz“, „Engel „, „Horst Berkhoff“ und „Notar“ vorgesehen.

Im persönlichen Aufzeichnungsbuch des MfS-Offiziers Lohr (Dok. Nr. 82) existiert unter dem 31. März 1981 der Vermerk: „Durchgängige Kontrolle Havemanns in Spannungszeiten organisieren (...) zum P.T. täglich ein IM / Chef, Diamant, Guido, Engel Kurt, Gregor“. Damit war gemeint, daß während des Parteitages der SED jeden Tag ein IM bei Havemann erscheinen und mit ihm sprechen sollte, um dessen Haltung festzustellen.

„Notar“ wiederum wird auch in Dokument Nr. 8 b erwähnt. Es handelt sich um einen Bericht der Hauptabteilung XX/9 „über einen Treff mit GMS „Notar` am 7.4.1981 in der IMK „Ellen`“, einer konspirativen Wohnung in Berlin-Mitte. Dieser Bericht enthält unter anderem folgende Informationen: „Am Treff nahm Genosse OSL Reuter teil. Mit „Notar` wurde die Möglichkeit eines weiteren Besuches bei Robert Havemann in Grünheide beraten und festgelegt, daß er ihn zum Zwecke der Informierung über den Stand des Holzhauses am 10.4.1981 aufsucht. Er wird sich telefonisch über die H[.] anmelden lassen. Die Zielstellung des Besuches besteht festzustellen, welche Meinung Havemann zum bevorstehenden Parteitag der SED vertritt, (...) wie er die derzeitige Lage in der VR Polen einschätzt, (...) wie die familiäre Situation (...) ist.“ Weiter heißt es in dem Bericht: „Der GMS teilte anschließend zu seinen Mandanten Rathenow, Lutz und Matthies, Frank-Wolfgang folgendes mit: (...) Abschließend sprach der GMS einen Bericht über die Sängerin Bettina Wegener auf Tonband (Anlage, die im Herbst 1980 einen Auftrag zur Verteidigung für den Liedermacher Karl-Ulrich Winkler übergab. (...) Nächster Treff: 11.4.1981.“

Dieser Bericht liegt dem 1. Ausschuß als Dokument Nr. 7 vor. Es handelt sich ebenfalls um eine Tonbandabschrift, die als Quelle „IMS „Notar'„ angibt und den Vermerk „entgegengenommen: Major Lohr am 7.4.1981“ enthält. Sie gibt Auskunft darüber, daß „Bettina Wegener (...) im Herbst 1980 an Rechtsanwalt Dr. Gysi einen Verteidigungsauftrag für Karl- Ulrich Winkler [erteilte]“ und enthält Einzelheiten aus der dazugehörigen Unterredung.

Telefonabhörprotokolle über Gespräche vom 9. April 1981 (Dok. Nr. 39 und 40) belegen sodann, daß Katja Havemann „vom Anschluß der H [.] aus“ mit Gregor Gysi einen Besuchstermin für den folgenden Tag vereinbarte. Dabei wurde abgesprochen, bei dieser Gelegenheit auch Frau H. rechtlich zu beraten. Beobachtungsberichte vom 10. April 1981 (Dok. Nr. 229 und 230) dokumentieren sodann einen etwa eineinhalbstündigen Aufenthalt Gysis bei Robert Havemann diesem Tag. Über das zwischen beiden geführte Gespräch gibt die Tonbandabschrift vom 11. April 1981 (Dok. Nr. 9 - „GMS „Notar`/entgegengenommen: Major Lohr, 11.4.1981“) Auskunft. Themen waren der Parteitag der SED und die Lage in Polen. „Anschlie-ßend“, so heißt es in der Tonbandabschrift, „erschien FrauH[.], weil sie eine Rechtsauskunft hatte.“

Die vorliegenden Dokumente zeigen, daß sich Gregor Gysi mit den MfS-Offizieren Reuter und Lohr in der konspirativen Wohnung „Ellen“ getroffen hat. Die Tatsache, daß das MfS selbst einen Treff in der konspirativen Wohnung „Ellen“ den üblichen Usancen (Nennung des Treffortes, Datum, Unterschrift, Teilnehmer) entsprechend dokumentiert hat, die dabei sichtbar werdende Abstimmung zwischen dem GMS „Notar“ und den MfS-Offizieren Lohr und Reuter zum bevorstehenden Besuch bei Robert Havemann, die unter Berufung auf den GMS „Notar“ angefertigte Tonbandabschrift, aus der hervorgeht, daß die am 7. April 1981 besprochenen Maßnahmen durch den genannten GMS bereits am 10. April 1981 umgesetzt worden sind und daß das MfS einen Tag später Kenntnis erhalten hat, sind typische Merkmale einer inoffiziellen Zusammenarbeit. Die Dokumente zeigen, daß Gregor Gysi in einer konspirativen Wohnung einen Auftrag erhalten und ihn ausgeführt hat. Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist auch der lockere Umgang der MfS-Offiziere mit IM-Kategorien bei der Einordnung von „Notar“, der in unmittelbaren zeitlichem Zusammenhang einmal als „IMS“ und einmal als „GMS“ bezeichnet wurde.

Abg. Dr. Gysi bestreitet demgegenüber, sich jemals mit Offizieren der Staatssicherheit in irgendeiner konspirativen Wohnung getroffen zu haben. Die „Information „ über Polen und den X. Parteitag stamme nicht von ihm, weil er das Zentralkomitee mit Sicherheit nicht über die Rechtsauskunft an Frau H. informiert hätte. Dr. Gysi hatte zunächst in seiner Anhörung am 11./12. Juni 1997 (Anhörungsprotokoll S. 77) vorgetragen, daß das ZK zu diesem Gespräch eine andere Informationsquelle gehabt habe, diese Darstellung hat er durch seine Rechtsanwälte mit dem Schriftsatz vom 26. März 1998 Seite 42, den er sich im Rahmen seiner Anhörung am 21. April 1998 zu eigen gemacht hat, als falsch widerrufen. Es ist daher davon auszugehen, daß in diesem Zusammenhang keine andere Gesprächsquelle vorhanden war. Im übrigen hat Dr. Gysi vorgetragen, er sei er auf Wunsch von Robert Havemann gehalten gewesen, Kontakt zur Abteilung Staat und Recht des ZK der SED zu suchen. Havemann habe auf diese Weise erreichen wollen, daß nicht alle Kontakte zum Zentralkomitee abbrächen. Er, Gysi, sei gelegentlich von Havemann, gelegentlich aber auch von einem Mitarbeiter der Abteilung Staat und Recht gebeten worden, bestimmte politische Gespräche zu führen. Über das Ergebnis hätte er dann jeweils Robert Havemann oder auftragsgemäß den Mitarbeiter des ZK informiert. In diesem Zusammenhang hätten auch wunschgemäß mit Robert Havemann Gespräche zum X. Parteitag der SED, zur Lage in Polen usw. stattgefunden. Im Rahmen der Anhörung am 11./12. Juni mußte der Abg. Dr. Gysi allerdings einräumen, daß konkrete Aufträge Havemanns nicht bestanden haben.

Er hat weiter vorgetragen: Offensichtlich habe die Abteilung Staat und Recht des ZK der SED ihrerseits auch die Staatssicherheit informiert. Davon habe man auch ausgehen können. Dies sei auch Robert Havemann klar gewesen. Abg. Dr. Gysi trägt vor, es sei bekannt, daß solche Informationen vom ZK der SED durch die Staatssicherheit in operative Vorgänge nicht als Information des ZK der SED hätten aufgenommen werden dürfen, es habe offensichtlich eine sogenannte „Umschreibung“ stattfinden müssen. Nur so ließen sich die Tonbandabschrift und der Treffbericht auf Dok. Nr. 9 und 8 b erklären (Schreiben vom 25. November 1994; ähnlich Schreiben vom 17. Juni 1996). Zusätzlich hat sich der Abg. Dr. Gysi auf eine Erklärung des ehemaligen MfS-Offiziers Wolfgang Reuter bezogen, in der dieser ebenfalls bestreitet, jemals in der genannten Wohnung gewesen zu sein (Anlage 1 zum Schreiben der Abg. Lederer vom 26. April 1996).

Die Zusammenschau der vorgelegten Dokumente läßt nur eine Interpretation zu, nämlich daß Gregor Gysi und „GMS/IMS Notar“ in diesem Fall identisch sind. Nur Gregor Gysi war zu diesem Zeitpunkt nicht nur der Anwalt von Robert Havemann, sondern auch der von Frank-Wolfgang Matthies. Ihm hatte Bettina Wegener den Auftrag zur Vertretung von Karl-Ulrich Winkler erteilt. Gregor Gysi besprach - mit Ausnahme der familiären Situation, die nur am Rande gestreift wurde - exakt am vereinbarten Tag exakt die gemäß des Berichtes vom 8. April 1981 (Dok. Nr. 86) vereinbarten Themen. Es kann dahingestellt bleiben, ob Gregor Gysi im Kontext der dargestellten Geschehnisse auch mit dem ZK der SED Kontakt hatte, wiewohl sich keine Hinweise darauf in den Akten finden.

Dr. Gysi hat mit dem Schriftsatz seiner Rechtsanwälte vom 26. März 1998 seinen bisherigen Vortrag präzisiert, daß Informationen des ZK der SED nur durch „Umschreibung“ vom MfS hätten verwertet werden können. Eine solche Umschreibung sei nur notwendig, soweit die Informationen des ZK der SED Einzug in Opferakten fanden, weil dort das ZK der SED nicht vorkommen sollte.

Die auf diesem Vortrag basierende Annahme eines fiktiven Treffberichts und einer darauf bezogenen Tonbandabschrift (Dok. Nr. 8b und 9) überzeugt den Ausschuß - auch unter Berücksichtigung der internen Konspiration des MfS - nicht. Dabei muß auch die kurzfristige Berichterstattung durch GMS „Notar „ einen Tag nach dem Treffen mit Robert Havemann (Dok. Nr. 9) berücksichtigt werden. Eine Umschreibung dieser Information binnen eines Tages erscheint auch im Hinblick auf den Inhalt des Gesprächs unwahrscheinlich.

Die vom Abg. Dr. Gysi vorgelegte Darstellung des ehemaligen MfS-Offiziers und Abteilungsleiters der HA XX/9, Wolfgang Reuter, er sei niemals in der von seiner Abteilung genutzten Wohnung gewesen, erscheint dem 1. Ausschuß im Hinblick auf den Treffbericht (Dok. Nr. 8b) nicht glaubhaft.

In Würdigung aller Aspekte dieses Sachverhalts kommt der 1. Ausschuß hier zu der Überzeugung, daß eine Zusammenarbeit zwischen Dr. Gysi und dem MfS im Sinne der Feststellungskriterien vorlag.

6.2.8 Der Tod Robert Havemanns

Am 9. April 1982 verstarb Robert Havemann. Aus Beobachtungsberichten (Dok. Nr. 237 und 250) geht hervor, daß Gregor Gysi am darauf folgenden Tag, dem 10. April 1982, sich ca. eineinhalb Stunden auf dem Grundstück Havemanns aufhielt. Aus Berichten sowie aus der Liste in der „Information“ vom 11. April 1982 auf Dok. Nr. 242 ergibt sich außerdem, daß an diesem Tag 21 weitere Personen die Witwe Havemanns aufsuchten.

Telefonabhörprotokolle (Dok. Nr. 238, 244, 245) geben weiterhin Auskunft darüber, daß die Tochter des Verstorbenen, Sibylle Havemann, sowie dessen Ehefrau, Annedore „Katja“ Havemann, Gysi im Hinblick auf die Trauerfeier um „Unterstützung bei der Erlangung von Einreiseerlaubnissen für Verwandte und gute Bekannte Havemanns, die in der BRD und in Westberlin wohnhaft sind“ (Dok. Nr. 238), baten. Sie hatten Gysi eine Liste mit den Namen der in Betracht kommenden Person übergeben. Katja Havemann besprach mit Gregor Gysi auch die Veröffentlichung einer Todesanzeige (vgl. Dok. Nr. 245).

In einer „Information über Vorhaben im Zusammenhang mit der bevorstehenden Beisetzung von Robert Havemann“ der Hauptabteilung XX vom 10. April 1982 (Dok. Nr. 239 (240, 241)) heißt es sodann: „Am 10.4.1982 suchte eine zuverlässige inoffizielle Quelle Annedore Havemann auf ihrem Grundstück in Grünheide auf und bot ihr Unterstützung bei der Regelung anstehender Fragen, die sich aus dem Tod ihres Ehemannes ergeben. Dabei wurde streng vertraulich bekannt, daß Annedore Havemann die Teilnahme folgender Personen aus Westberlin, der BRD und anderen Ländern an der Beisetzung von Robert Havemann erwartet, bzw. wünschen würde, sofern diese eine Einreise dafür beantragen: (...).“ Sodann folgt eine Liste mit 14 Namen. Weiter berichtet dieses Dokument: „Die Beisetzung soll am folgenden Wochenende (...) erfolgen. Als Redner habe man sich auf den Ortspfarrer (...) festgelegt (...). Für eine Todesanzeige käme nur das ND [Neues Deutschland] in Betracht. Im Falle der Zustimmung wolle Frau Havemann den Text mit Rechtsanwalt Dr. Gysi, Gregor, abstimmen. Im Falle einer Ablehnung würde sie ganz verzichten. Ein regionales Presseorgan käme dafür nicht in Betracht. (...) Was eine mögliche Teilnahme westlicher Rundfunk-, Fernseh- oder Pressekorrespondenten betrifft, so sei das nicht ihre Sache. (...)“ In der Version auf Dokument Nr. 239 enthält diese Unterlage den handschriftlichen Vermerk: „Vorschlag gem. R./mi/10.4.82“. Die Unterlage ist, wie sich aus diesen Vermerken und der Paraphe ergibt, noch am späten Abend des 10. Aprils 1980 dem stellvertretenden Minister Mittig vorgelegt worden.

Die erlangten Informationen fanden Eingang in eine „Information über bedeutsame Aspekte im Zusammenhang mit der bevorstehenden Beisetzung von Robert Havemann“ vom 12. April 1982 (Dok. Nr. 243). Hierbei handelt es sich um ein Dokument mit dem Kopf „Ministerium für Staatssicherheit“ („Streng geheim!“). Es sieht vor, daß „die Einreise in die DDR (...) den unmittelbar der Familie Havemann angehörenden Personen gestattet werden [sollte]“, während für den Fall, daß „Personen (in der Anlage genannte und eventuell in den nächsten Tagen weiter hinzukommende) die Einreise beantragen, gegen die auf Grund ihrer feindlichen Tätigkeit Einreisesperre verhängt wurde, (...) ihnen die Einreise nicht gestattet werden [sollte]“.

Die erwähnte Anlage enthält eine Liste mit denselben Namen, die laut Dokument Nr. 239 (240, 241) nach dem Besuch der zuverlässigen inoffiziellen Quelle bei Katja Havemann „streng vertraulich bekannt „ geworden sind. Aus weiteren Telefonabhörprotokollen (Dok. Nr. 246, 247) geht hervor, daß Katja Havemann offenbar mit der Tätigkeit Gregor Gysis nicht zufrieden war, weil die von ihr gewünschten Einreisegenehmigungen nicht erteilt wurden. Sie übermittelte dann dem Ministerium des Inneren (MdI) per Telegramm eine Liste mit 13 Namen von Personen, „die um Einreise ersuchen.“ (Dok. Nr. 246). Diese Telefonate führte Katja Havemann am 15. April 1982, wobei nicht genau erkennbar ist, zu welchem Zeitpunkt sie das Telegramm abgeschickt hatte. Die Liste auf Dokument Nr. 239 (240, 241) stammt vom 10. April 1982; das war der Tag, an dem Katja Havemann Gregor Gysi die ursprüngliche Liste der Einreisewilligen übergeben hatte. Laut Dokument Nr. 247 soll die an das MdI übermittelte Liste einen Umfang von 13 Namen gehabt haben, während die Liste auf Dokument Nr. 239 (240, 241) und 243 14 Namen umfaßt.

Unter dem 16. April 1982 verfaßte die Hauptabteilung XX schließlich eine „Information über operativ bekannt gewordene Hinweise im Zusammenhang mit der Beisetzung von Robert Havemann.“ Diese Unterlage hat der Bundesbeauftragte sowohl als Dokument Nr. 248 als auch als Dokument Nr. 46 vorgelegt. Dort heißt es auf Seite 3: „Inoffiziellen Hinweisen zufolge setzte sich der Mitarbeiter der ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Kaiser, (...) mit dem Rechtsanwalt Gysi in Verbindung, da er gehört hätte, daß dieser sich persönlich für die Einreise von (...) zur Trauerfeier einsetzen wolle. Von Gysi wurde diese Behauptung entschieden zurückgewiesen.“ In der Version auf Dok. Nr. 248 ist neben dieser maschinengeschriebenen Passage handschriftlich der Vermerk „(IM „Gregor`)“ angefügt, während in der Version auf Dokument Nr. 46 keine handschriftlichen Hinweise angebracht sind.

Abg. Dr. Gysi meint, es sei völlig unklar, warum von den 22 Besuchern bei Annedore „Katja“ Havemann gerade er derjenige gewesen sein müßte, der das MfS über die Liste informiert hätte. Tatsache sei allerdings, daß Annedore Havemann ihm eine Liste von Personen genannt habe, für die sie eine Einreisegenehmigung in die DDR zur Trauerfeier für ihren verstorbenen Ehemann gewünscht habe. Er habe diese Liste dann unverzüglich sowohl der Polizei als auch der Abteilung Staat und Recht des ZK der SED übergeben. Dies sei möglicherweise noch am selben Tag geschehen. Dabei sei er davon ausgegangen, daß letztlich auf höchster Ebene entschieden werden würde, ob Personen, gegen die die DDR ein Einreiseverbot verhängt gehabt hätte, eine Ausnahmegenehmigung erhalten würden.

Das gleiche habe für die Frage gegolten, ob das Zentralorgan des ZK der SED, die Tageszeitung „Neues Deutschland“, eine Traueranzeige für Robert Havemann veröffentlichen würde. Dazu habe er in der Abteilung Staat und Recht des ZK ein längeres Gespräch geführt und um wohlwollende Prüfung gebeten. Er widerspreche auch den Wertungen, daß Frau Havemann mit ihm unzufrieden gewesen sei, weil sie geglaubt habe, er hätte die Liste nicht schnell genug weitergeleitet. Selbst wenn er die Liste dem MfS am gleichen Tag übergeben hätte, wäre gesichert gewesen, daß all jene informiert werden würden, die diese Frage zu entscheiden gehabt hätten.

Die Liste ist am gleichen Tage, dem 10. April 1982, dem MfS übergeben worden. Im Hinblick auf die Vielzahl von Personen, die an diesem Tag Katja Havemann besucht haben, läßt sich jedoch nicht eindeutig feststellen, wer sie dem MfS übermittelt hat.

Eine Zusammenarbeit zwischen Gregor Gysi und dem MfS erscheint dem 1. Ausschuß aufgrund der vorgelegten Dokumente naheliegend, zumal er eine entsprechende Liste von Katja Havemann erhalten hat, allerdings lassen sich nach Auffassung des Ausschusses letzte Zweifel nicht ausräumen, so daß der Ausschuß diesen Sachverhalt nicht zur Grundlage seiner die Feststellungen tragenden Überzeugung macht.

6.2.9 Namenslisten

Im Zusammenhang mit Robert Havemann sind noch zwei Namenslisten zu nennen, von denen eine überschrieben ist mit „Personen, die in der Zeit vom 9. Mai 1979 bis 30. September 1979 im Zusammenhang mit „Leitz` in Erscheinung traten (...)“ (Dok. Nr. 185 vom 8. Oktober 1979). Die andere Liste trägt denselben Titel, gibt aber als Zeitraum den 9.5.1979 bis 30.9.1980 an (Dok. Nr. 76 vom 15. Oktober 1980; vgl. a. Dok. Nr. 223). In beiden Listen taucht auch der Name Gregor Gysi auf; in beiden Fällen ist neben seinem Namen handschriftlich „IM“ vermerkt.

Die Listen sind jeweils von der für die Beobachtung zuständigen HA VIII des MfS erstellt worden und dann in den Aktenbeständen der HA XX aufgefunden worden. Die Namen sind von jeweils einer Person, wie sich aus der einheitlichen Schrift ergibt, im Hinblick auf eine Erfassung eingeordnet worden.

Auch diese Listen stellen nach Auffassung des 1. Ausschusses ein starkes Indiz für die Zusammenarbeit zwischen dem MfS und Gregor Gysi dar, ohne jedoch hierfür einen hinreichenden, allein tragfähigen Nachweis zu bilden.

6.2.10 Zusammenfassung

Zur Überzeugung des 1. Ausschusses steht fest, daß Dr. Gysi zumindest seit Ende 1979 bis 1982 personenbezogene Informationen über seinen Mandanten Robert Havemann an die HA XX/OG, die spätere HA XX/9, des MfS geliefert hat. Mit Bezug auf Gregor Gysi wurden in diesem Zusammenhang die Decknamen „Gregor“ und „Notar“ verwendet. Wesentlicher Ansprechpartner für Dr. Gysi bei der HA XX/OG waren nach den vorliegenden Dokumenten die MfS-Offiziere Lohr und Reuter.

6.3 Jutta Braband und Thomas Klein

Aus dem Jahre 1979 stammt eine Unterlage, die sich auf die in Untersuchungshaft befindlichen Jutta Braband und Thomas Klein bezieht (Dok. Nr. 128 [184, 24]).

Dort heißt es u. a.: „Streng vertraulich wurde bekannt, daß am 18.9.1979 und 1.10.1979 nachfolgende Personen im Büro von Rechtsanwalt Dr. Gysi mit der Bitte vorstellig wurden, für Klein und Braband Rechtsbeistand zu übernehmen.“

Der 1. Ausschuß sieht angesichts der Quellenlage davon ab, in diesem Zusammenhang eine den Abg. Dr. Gysi belastende Schlußfolgerung zu ziehen.

6.4 Franz Dötterl

Dem Ausschuß liegen drei Unterlagen aus den Jahren 1979 und 1980 vor, die einen Kameramann des DDR-Fernsehens, Franz Dötterl, betreffen. Zwischen diesem und dem DDR-Fernsehen waren Streitigkeiten entstanden, über die zunächst die „Information über bekannt gewordene Aktivitäten und Verhaltensweisen des [Franz Dötterl]“ der Hauptabteilung XX vom 10. Juli 1979 berichtet (Dok. Nr. 299). Aus dieser Unterlage geht hervor, daß Franz Dötterl Gregor Gysi mit seiner Rechtsvertretung beauftragt hatte.

Dazu heißt es in der Unterlage u. a.: „Der von [Dötterl] und der (...) einbezogene Rechtsanwalt, Gen. Dr. Gysi, erhält den Auftrag, im Rahmen der „erfolgreich" gelösten Aufgaben hinsichtlich der finanziellen Forderungen des D., weiterhin auf diesen beruhigend einzuwirken, ihm geduldig und langfristig zu helfen und als Vertrauter und Freund schrittweise klarzumachen, was für D. machbar ist und was nicht.“

Der Streit zwischen Franz Dötterl und dem DDR-Fernsehen wurde schließlich im Vergleichswege beigelegt, worüber ein „Protokoll zum Abschluß der Verhandlungen zwischen dem bevollmächtigen Vertreter des Staatlichen Komitees für Fernsehen beim Ministerrat der DDR (...) und dem Bevollmächtigten von Herrn [Franz Dötterl], Rechtsanwalt Dr. Gysi, Berlin“ nähere Auskunft gibt (Dok. Nr. 300).

Unter dem 11. Juni 1980 erstellte die Hauptabteilung XX/OG schließlich eine Tonbandabschrift mit einem „Aktenvermerk zu der Angelegenheit [Dötterl]“ (Dok. Nr. 301) Sie trägt im Kopf den Vermerk „Quelle: IM „Gregor`“ und „entgegengenommen: Major Lohr am 10.6.1980“. Am Ende ist sie gekennzeichnet mit „gez. „Gregor`“. Inhaltlich geht sie ausführlich auf die Angelegenheiten des Franz Dötterl ein, schildert die Entwicklung des Konfliktes und enthält auch Einschätzungen zur Person Franz Dötterls. Dabei wird mehrfach „Rechtsanwalt Dr. Gysi“ erwähnt.

In Dokument Nr. 301 heißt es u. a.: „Durch Anrufe von Rechtsanwalt Dr. Gysi im ZK wurde dann noch erreicht, daß die Aufenthaltsgenehmigung für [Dötterl] verlängert wird“ und: „Sein [Franz Dötterls] Rechtsanwalt hatte nämlich Kontakt wegen der gesamten Angelegenheit zur Abteilung Staat und Recht beim ZK aufgenommen (Gen. Gefroy). Dieser wiederum hatte einen Kontakt zur Abteilung Agitation und Propaganda hergestellt und versucht, die Angelegenheit zu klären. In einem späteren Gespräch hat Genosse (...) dem Rechtsanwalt mitgeteilt, daß das Fernsehen sämtliche Forderungen des [Dötterl] begleichen wird (...). Auftragsgemäß hatte der Rechtsanwalt dann auch Herrn [Dötterl] mitgeteilt, daß dieser sich beruhigen konnte. Erst später stellte sich heraus, daß es sich da um eine Fehlinformation gehandelt haben muß (...). Seitdem gab es natürlich einen gewissen Vertrauensbruch von [Dötterl] zu seinem Rechtsanwalt und auch zum ZK.“

Abg. Dr. Gysi trägt in diesem Zusammenhang vor, es gebe keinen Hinweis in Dokument Nr. 299, daß der dort erwähnte Auftrag an ihn vom MfS hätte erteilt werden können oder sollen, geschweige denn tatsächlich erteilt worden sei (Stellungnahme vom 6. Juni 1997). Im Zusammenhang mit Dokument Nr. 301 sei sogar ganz offenkundig, daß ein entsprechendes Gespräch mit dem ZK der SED geführt worden sei. In dem Bericht auf Dokument Nr. 301 befanden sich Informationen, die er selbst, nicht gehabt hätte und bei denen es deshalb ausgeschlossen sei, daß er sie habe übermitteln können. Vor allem aber werde durch Dokument Nr. 301 seine bereits mehrfach vorgetragenen Auffassung bestätigt, daß er seine Gespräche mit einem Mitarbeiter des ZK der SED geführt habe. Auch sein Mandant sei davon unterrichtet gewesen, weil anders nicht zu erklären wäre, daß er auch vom ZK der SED enttäuscht gewesen sei. Deutlich werde hervorgehoben, daß er in Absprache mit dem ZK der SED und nicht mit dem MfS auf seinen Mandanten beruhigend eingewirkt habe. Der Mitarbeiter des ZK habe ihm in keinem Falle erklärt, mit wem er über bestimmte Dinge sprechen werde. Dies schließe nicht aus, daß Informationen, die er diesem Mitarbeiter gegeben habe, sich auch in dem Bericht auf Dokument Nr. 301 widerspiegelten, allerdings nur neben anderen Informationen, die er nicht besessen habe und deshalb auch an den Mitarbeiter des ZK nicht habe weitergeben können.

Der Ausschuß kann den Ausführungen von Abg. Dr. Gysi nicht folgen.

Nach Überzeugung des Ausschusses läßt sich der in der Information auf Dok. Nr. 299 enthaltene Maßnahmevorschlag bezüglich Gregor Gysi erklären. Zuständig für die „politisch-operative“ Sicherung des Fernsehens der DDR war die HA XX/7. Die Quelle IM „Gregor“ stand aber nur mit der HA XX/OG inoffiziell in Kontakt. Demnach konnte sie unter Beibehaltung der bestehenden Verbindungen zur HA XX/ OG für die „Sicherung“ des DDR-Fernsehens nur genutzt werden, indem ihre Informationen über Franz Dötterl der HA XX/7 von der HA XX/OG zur Verfügung gestellt wurden. Es ist belegt, daß die Quelle IM „Gregor“ dem MfS-Offizier Lohr ausführlich über Franz Dötterl und über dessen Probleme mit dem DDR-Fernsehen berichtet hat. Dr. Gysi hat nach der Überzeugung des 1. Ausschusses als „IM Gregor“ diese ihm vom MfS übertragenen Aufgaben im Bezug auf die Einwirkung auf seinen Mandanten erfüllt, indem er unter anderem die Einigung zwischen dem DDR-Fernsehen und Franz Dötterl im Einklang mit den vom Leiter der HA XX am 10. 7.1979 vorgeschlagenen Maßnahmen herbeigeführt hat (Dok. Nr. 299). Von ausschlaggebender Bedeutung ist dabei die Auswertung der in Dokument Nr. 301 niedergelegten Tonbandabschrift der Quelle „IM Gregor, entgegengenommen Major Lohr am 10.06.1980“. IM „Gregor“ macht zunächst einmal Angaben über die berufliche Stellung von Franz Dötterl im DDR-Fernsehen sowie den Ursachen seiner Konflikte mit dem Fernsehen. Das Besondere an dieser Niederschrift ist jedoch die allgemeine Personeneinschätzung und die genaue Beschreibung der Persönlichkeit von Franz Dötterl sowie dessen geschäftlichen und privaten Beziehungen. Sie verbindet sich zudem mit einer detaillierten rechtlichen Würdigung der komplizierten Vorgänge, einschließlich der Darstellung der Interessenkollision des Anwalts Dr. Gysi selbst. Diese Charakterisierung des Franz Dötterl sowie die fachmännische Würdigung der rechtlichen Probleme kann nur aus erster Hand stammen. Der Ausschuß ist deshalb davon überzeugt, daß nur Dr. Gysi selbst in der Lage war, diese Schilderung vorzunehmen.

Dieser Einschätzung steht der in der Tonbandabschrift dargelegte Kontakt von Dr. Gysi mit dem ZK der SED in dieser Angelegenheit nicht entgegen. In dem ausführlichen Maßnahmeplan der HA XX mit dem ausdrücklichen Ziel einer Beruhigung der Situation ist im Hinblick auf die Konzipierung eines Betätigungsfeldes auf journalistisch-wissenschaftlichem Gebiet sogar ausdrücklich die Einbindung des ZK des SED geplant. Vorgesehen war die „Abstimmung dieser Linie und Aufgabenstellung zwischen der Abteilung Agitation, Auslandsinformation, Staats- und Rechtsfragen, Internationale Verbindung und der Westabteilung im ZK der SED. (Dok. Nr. 299). Die Kontakte mit dem ZK standen von daher keineswegs der Zusammenarbeit Dr. Gysis mit dem MfS im Wege, sondern waren vielmehr integraler Bestandteil der Strategie des MfS im Hinblick auf den Umgang mit Franz Dötterl.

Der Ausschuß hält von daher die inoffizielle Tätigkeit Gregor Gysis für das MfS im Falle des Franz Dötterl für erwiesen.

6.5 Annedore „Katja“ Havemann

Nach dem Tod von Robert Havemann wurde dessen Witwe, Annedore „Katja“ Havemann, weiter vom Staatssicherheitsdienst beobachtet. Dies ergibt sich aus dem Bericht „über festgestellte Aktivitäten und Vorhaben von Annedore Havemann seit Juni 1982“ vom 20. August 1982 (Dok. Nr. 47). Als Katja Havemann im Januar 1983 einen Brief mit dem Titel „In den Schulen üben sie Krieg“ im “Stern“ veröffentlichen ließ, erarbeitete die HA XX des MfS den streng geheimen, in fünf Exemplaren gefertigten „Vorschlag zur Einleitung von Maßnahmen gegen Havemann, Annedore ...“ vom 12. Januar 1983 (Dok. Nr. 251 (83a, 83b)). Ausweislich des Verteilers auf Dokument Nr. 251 erhielten Minister Mielke, sein Stellvertreter Mittig sowie die Leiter der HA IX, XX und XX/9 jeweils ein Exemplar des Vorschlags. Darin schlug die HA XX des MfS die Einleitung strafrechtlicher Maßnahmen gegen Annedore Havemann vor (s. Dok. Nr. 251 (83a, 83b)). In diesem Zusammenhang heißt es: „Sollte aus rechtspolitischen Gründen die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens nicht zweckmäßig sein, wird vorgeschlagen, durch operative Einflußnahme Rechtsanwalt Dr. Gysi, der Havemann, Annedore, in allen juristischen Angelegenheiten vertritt, zu veranlassen, aufgrund der Veröffentlichung ein Gespräch mit ihr zu führen. Dabei ist ihr in Verbindung mit einer Rechtsbelehrung zu erklären, derartige oder ähnliche Aktivitäten im eigenen Interesse zu unterlassen, da ansonsten die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung besteht.“ In einer dazugehörigen „Kurzauskunft über (...) Havemann, geb. Grafe, Annedore“ taucht - unter anderem - der  „IM „Notar`“ als „mit der op. Bearbeitung beauftragt“ auf.

Aus einem Telefonabhörprotokoll vom 1. Februar 1983 (Dok. Nr. 253) ergibt sich, daß Gregor Gysi an diesem Tag über den Anschluß der Frau H. Katja Havemann anrief. In der Unterlage heißt es u. a:: „Dieser [Gysi] äußert, daß er mal mit ihr [Katja Havemann] sprechen müßte. (...) Er will mit Katja etwas wegen des Hauses besprechen und noch etwas anderes.“ In einem weiteren Telefonabhörprotokoll vom folgenden Tag (Dok. Nr. 254), das ein Gespräch Katja Havemanns mit ihrer Schwester wiedergibt, findet sich u. a: die Aussage: „Katja erklärt, sie wäre in Eile, weil sie auf Gysi wartet.“

Aus dem handschriftlichen „Monatsbericht Februar 1983“ der HA XX/9/II (Dok. Nr. 50) ist dann schließlich zu erfahren, daß „entsprechend den vorgeschlagenen op. Maßnahmen (...) durch eine zuverlässige inoffizielle Quelle hinsichtlich in der BRD-Zeitung „Stern“ Nr. 2 vom 06.01.1983 erfolgten Veröffentlichung eines Briefes der Havemann, Annedore (...) unter dem Titel „In den Schulen üben sie Krieg“ mit der Havemann, Annedore ein Gespräch geführt und sie auf die möglichen strafrechtlichen Folgen nach § 219 Abs. 2 Ziff. 1 StGB hingewiesen [wurde]“.

Abg. Dr. Gysi hat hierzu in der Anhörung vom 11./12. Juni 1997 vorgetragen, er sei wegen des Stern-Artikels von Katja Havemann zu einer Staatsanwältin Heier von der Generalstaatsanwaltschaft der DDR bestellt worden. Diese habe ihm gesagt, daß sich seine Mandantin mit der Veröffentlichung des Artikels eigentlich strafbar gemacht hätte. Sie wolle noch einmal davon absehen, ein Ermittlungsverfahren gegen Katja Havemann einzuleiten, würde dies im Wiederholungsfalle allerdings tun. Dies solle er, Gysi, Katja Havemann sagen. Die Staatsanwältin habe ihm zunächst den fraglichen Artikel nicht zeigen wollen, weil sie sich nicht sicher gewesen sei, ob sie dies gedurft hätte. Sie habe es schließlich doch getan, aber eindringlich darum gebeten, dies niemandem zu sagen. Dies habe ihn, Gysi, dann in eine schwierige Situation gebracht, weil er Katja Havemann zwar die Belehrung habe mitteilen können, nicht hingegen, woher er den Artikel gekannt habe.

Im übrigen heiße es in Dokument Nr. 251 (83a, 83b), Rechtsanwalt Gysi solle durch operative Einflußnahme für das Gespräch mit Katja Havemann gewonnen werden. Dies heiße, daß das MfS einen Dritten, in diesem Fall die Staatsanwältin, veranlaßt habe, auf ihn, Gysi, Einfluß zu nehmen. Im anderen Fall wäre von einem Auftrag an IM „Notar“ oder IM „Gregor“ die Rede gewesen.

Die Verwendung des Begriffs „operative Einflußnahme „ in bezug auf Gregor Gysi im Dokument Nr. 251 (83a, 83b) anstelle einer direkten Beauftragung des IM „Notar“ kann aber auch der inneren Konspiration im MfS selbst gedient haben. Ausgehend von einem größeren Verteilerschlüssel des Maßnahmeplanes (Dok. Nr. 251 (83a, 83b)) hätte eine derartige Verfahrensweise als angebracht erscheinen können. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß dem Quellenschutz beim MfS hohe Bedeutung zukam. So waren „Informationen an leitende Partei- und Staatsorgane (...) grundsätzlich so abzufassen, daß keine Rückschlüsse auf die Quellen gezogen werden können. (...) Qu. ist innerhalb des MfS gegenüber anderen Angehörigen sowie gegenüber anderen operativen Diensteinheiten zu gewährleisten.“ (Suckut (Hrsg.), Das Wörterbuch der Staatssicherheit, Stichwort: Quellenschutz).

Aufgrund des konkreten Ablaufes der Geschehnisse liegt ein gezieltes Zusammenwirken von Gregor Gysi mit dem MfS nahe. Denn Gregor Gysi hat dem Vorschlag des MfS entsprechend Annedore Havemann über mögliche strafrechtliche Konsequenzen ihres Handelns unterrichtet. Auch die zweite Erklärung für die Formulierung „operative Einflußnahme“ ist im Hinblick auf die auch innerhalb des MfS durchgeführte Konspiration und Verschleierung hinsichtlich der Identität der IM schlüssig. Demgegenüber kann jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, daß der Vortrag des Abg. Gysi die Geschehnisse zutreffend darstellt. Der 1. Ausschuß stützt daher seine Überzeugung bezüglich einer Zusammenarbeit Gregor Gysis mit dem MfS nicht auf diese Ereignisse.

Dem Ausschuß liegen weitere Dokumente mit Bezug zu Annedore (Katja) Havemann vor. Im Arbeitsbuch des Majors Lohr (Dok. Nr. 82, vgl. a. Dok. Nr. 252) finden sich auch zu Katja Havemann Einträge. Dieser notierte sich am 18. Januar 1983:

„II.) Katja Havemann

- Pkt. 2 durchführen mit „Notar`.

  Ziel: H. wegkraulen DDR-verlassen.

      a) Antrag stellen

      b) Reisen lassen - nicht zurück lassen.

  (...)“.

Unter dem 14.Oktober 1983 findet sich der Eintrag:

 „RGW - Verteidig.ministertagung (...)

- was vorher tun?

mit welcher Frau auf welcher Grundlage sprechen.

Havemann XX/9 Gysi (Notar) mit VIII reden.

Poppe

Rathenow

Die Durchstreichungen sind im Original stärker und lassen die durchgestrichenen Namen fast unleserlich werden.

Abg. Dr. Gysi hat dazu vorgetragen, auch diese Eintragungen seien kein Beleg dafür, daß der Deckname „Notar“ in jedem einzelnen Fall zwingend ihm zuzuordnen wäre. Es sei nicht erklärlich, warum Major Lohr, der allein Zugang zu dem Aufzeichnungsbuch gehabt hätte, seinen, Gysis, „Klarnamen“ hätte ausstreichen sollen, wenn er ihn einmal hingeschrieben hätte und er tatsächlich „Notar“ gewesen sei. Das Durchstreichen seines Namens und das Hinschreiben des Decknamens „Notar“ könne genauso als Hinweis darauf interpretiert werden, daß er nicht gemeint gewesen sei (Schreiben vom 9. August 1995).

Der Ausschuß gibt dem Abg. Dr. Gysi insoweit Recht, daß die Streichung des Namens vieldeutig ist und Rückschlüsse auf eine Zusammenarbeit mit dem MfS sich allein hieraus nicht ergeben. Allerdings hält der Ausschuß in diesem Zusammenhang fest, daß die Verwendung des Decknamens in persönlichen Notizen im Arbeitsbuch des MfS-Offiziers Lohr und die dort festgehaltene Absicht mit „Notar“ etwas durchzuführen, für eine konkrete Person sprechen. Dies steht dem allgemeinen, durch ein Schreiben des ehemaligen MfS-Offiziers Wolfgang Reuter (Anlage zum Schreiben der Abg. Lederer vom 26. April 1995) gestützten, Vortrag des Abg. Dr. Gysi entgegen, bei „Notar“ habe es sich um eine Materialsammlung gehandelt.

Mit Bezug auf Katja Havemann liegt schließlich eine weitere Tonbandabschrift der Hauptabteilung XX/9 vor (Dok. Nr. 264). Sie datiert vom 26. März 1985 und gibt als Quelle „IMS „Notar`“ an, entgegengenommen hat sie „OSL Lohr, 23.3.1985“. Wiedergegeben wird „eine Rücksprache zwischen Frau Katja Havemann und Rechtsanwalt Dr. Gysi. Die Rücksprache fand am 19.3.1985 im Büro von Rechtsanwalt Dr. Gysi statt.“ Die Tonbandabschrift schildert detailliert zwei Anliegen von Frau Havemann und die jeweilige Beratung durch Gregor Gysi.

Der 1. Ausschuß hält auch in diesem Zusammenhang aufgrund der konkreten Darstellungsweise des Berichts eine Zusammenarbeit zwischen Gregor Gysi und dem MfS für naheliegend. Dennoch macht der Ausschuß, im Hinblick darauf, daß der Bericht keine Wendungen enthält, die zwingend auf eine Teilnahme am Gespräch zwischen Gregor Gysi und Katja Havemann hinweisen und damit eine andere Informationsquelle aus dem Dokument heraus nicht ausgeschlossen werden kann, diesen Sachverhalt nicht zur Grundlage seiner für die Feststellung einer Zusammenarbeit zwischen Gregor Gysi und dem MfS notwendigen Überzeugung.

6.6 Frank-Wolf Matthies

Zu Frank-Wolf Matthies liegt ein als Tonbandabschrift gekennzeichneter Bericht der „Hauptabteilung XX/OG“ vom 21. November 1980 vor (Dok. Nr. 224). Nach diesem Bericht, der keine besondere Quellenangabe enthält, erschien am 19. November 1980 im Büro von Rechtanwalt Dr. Gysi die Ehefrau von Frank-Wolf Matthies und bat um Übernahme der Verteidigung ihres Mannes. Dr. Gysi war zu diesem Zeitpunkt nach Angaben des Berichts nicht in seinem Büro.

Aus einer weiteren Unterlage (Dok. Nr. 35), die ebenfalls keine Quellenangabe enthält, ergibt sich, daß Frank-Wolf Matthies gemeinsam mit seiner Ehefrau am 1. Dezember 1980 „seinen Rechtsanwalt Dr. Gysi“ aufsuchte. Dieses Dokument gibt den wesentlichen Inhalt des Gesprächs wieder und endet mit folgender Aussage: „An der Erlangung weiterer Informationen wird gearbeitet.“

Mit Datum vom 15. Dezember 1980 (Dok. Nr. 225) bzw. 16. Dezember 1980 (Dok. Nr. 78) liegt eine Zusammenstellung von „Maßnahmen zur Verhinderung der Zusammenkunft in der Wohnung des MATTHIES, Frank-Wolf am 23.12.1980“ der „Hauptabteilung XX“ vor. Hierin heißt es unter Ziffer 2.: „Unter Ausnutzung der bestehenden op. Möglichkeiten wird der Verteidiger des Beschuldigten Matthies, Dr. Gregor Gysi, veranlaßt, Matthies im Interesse eines günstigen Strafverfahrensausganges zu beeinflussen, den an ihn seitens des Staatsanwaltes gestellten Forderungen nachzukommen.“

Abg. Dr. Gysi erklärt zum Bericht auf Dokument Nr. 224, dieser belege, daß die HA XX/OG eine von ihm unabhängige Quelle in seinem Büro gehabt haben müsse, da er bei den hierin aufgeführten Vorgängen nicht anwesend gewesen sei.

Der 1. Ausschuß sieht in der Zusammenstellung der HA XX von „Maßnahmen zur Verhinderung der Zusammenkunft in der Wohnung des Matthies, Frank-Wolf“ (Dok. Nr. 225, 78) einige Anhaltspunkte, daß Dr. Gysi auch im Rahmen des Mandatsverhältnisses Frank-Wolf Matthies mit der HA XX/OG des MfS inoffiziell zusammengearbeitet hat. Insgesamt erscheinen dem 1. Ausschuß die hierzu vorliegenden MfS-Unterlagen jedoch nicht ausreichend, um seine bereits im anderen Zusammenhang begründete Überzeugung einer inoffiziellen Zusammenarbeit Gregor Gysis mit dem MfS auch hierauf zu stützen. Entgegen der Auffassung des Abg. Dr. Gysi wird durch den Bericht vom 21. November 1980 (Dok. Nr. 224) jedoch nicht belegt, daß eine von ihm unabhängige Quelle der HA XX in seiner Umgebung tätig gewesen ist. Obwohl Dr. Gysi nach dem Bericht auf Dokument Nr. 224 zum Zeitpunkt des Besuches von Frau Matthies am 19. November 1980 nicht in seinem Büro anwesend war, konnte ihm deren Anliegen auch noch nachträglich von Mitarbeitern seines Büros mitgeteilt worden sein.

6.7 Bettina Wegner

Mit Bezug auf Bettina Wegner liegen dem 1. Ausschuß zunächst die Dokumente Nr. 7 und 8b vor; dabei geht es neben anderen Informationen um einen Verteidigungsauftrag für Karl-Ulrich Winkler, den Bettina Wegner im Herbst 1980 dem Rechtsanwalt Gregor Gysi erteilte. Diese Dokumente hat der Ausschuß bereits unter Ziffer 6.2.7 gewürdigt, hierauf wird verwiesen.

Daneben liegt dann noch ein weiteres Dokument (Nr. 256 (49)) vor, bei dem es sich ebenfalls um eine Tonbandabschrift handelt. Sie enthält einen „Vermerk über eine Rücksprache zwischen Bettina Wegner und ihrem Rechtsanwalt Dr. Gregor Gysi am 2.3.1983“. Hier ist der Name des als Quelle angegebenen IMS sowohl im Kopf als auch am Ende des Dokuments geschwärzt.

Zu diesem Dokument lassen sich aufgrund der Schwärzung keine eindeutigen Aussagen treffen.

6.8 Gerd und Ulrike Poppe

Der Bundesbeauftragte hat dem 1. Ausschuß verschiedene Unterlagen vorgelegt, die das Mandatsverhältnis mit Gerd und Ulrike Poppe betreffen. Zu diesen Unterlagen gehört ein „Vermerk über einen Besuch von Gerd Poppe bei Rechtsanwalt Dr. Gregor Gysi am 29.11.1982, nachmittags in der Sprechstunde„ (Dok. Nr. 48). Die Kopfzeile dieses Vermerks weist darauf hin, daß er von der HA XX/2 stammt. Die IM-Vorlaufakte zu Dr. Gysi selbst wurde aber von der HA XX/9 geführt, in der auch die MfS-Offiziere Lohr und Reuter tätig waren, deren Namen in den hier zu untersuchenden Akten häufig auftauchen.

Abg. Dr. Gysi zieht aus diesem Umstand die Schlußfolgerung, daß nicht allein die HA XX/OG, sondern auch die HA XX/2 über eine von seiner Person unabhängige Informationsquelle in seinem Büro verfügt habe. Als Beleg hat Abg. Dr. Gysi eine weitere Unterlage aus den Beständen des MfS vorgelegt, die ein im Büro von Dr. Gysi geführtes Mandantengespräch aus dem Jahre 1979 wiedergibt. Das Dokument wurde laut Kopfzeile ebenfalls in der HA XX/2 angefertigt (Schreiben vom 17. April 1997, Anlage 33). Es ist davon auszugehen, daß sich neben der HA XX/9 auch die HA XX/2 des MfS mit der Angelegenheit befaßt hat. Für diese Einschätzung spricht auch die handschriftlich eingefügte Ergänzung in der Kopfzeile des Vermerks der HA XX/9 (Dok. Nr. 13). Der Vermerk (Dok. Nr. 48) stammt aus der HA XX/2. Im Gegensatz etwa zu der Tonbandabschrift (Dok Nr. 12) handelt es sich hier nicht um einen vom OSL Lohr entgegengenommenen Bericht der Quelle IM „Notar“, sondern um einen nicht gezeichneten internen Bericht ohne jede externe Quellenangabe. Nach Auffassung des Ausschusses kann aus dieser Erkenntnis jedoch nicht abgeleitet werden, daß es eine weitere externe Quelle gegeben hat.

Die dem Ausschuß vorliegenden Akten ergeben vielmehr, daß es im Rahmen des Informationsaustausches zwischen den verschiedenen Abteilungen des MfS einen internen Austausch von Unterlagen über Gerd Poppe gegeben hat. Die Existenz eines solchen internen Austauschs belegt die handschriftlich eingefügte Ergänzung in der Kopfzeile des Vermerks der HA XX/9 (Dok. Nr. 13).

Weitere Unterlagen stehen im Zusammenhang mit den Ereignissen nach der Verhaftung und Inhaftierung von Ulrike Poppe im Dezember 1983. Hierüber liegen zwei Vermerke der HA XX/9 über Besprechungen zwischen Gerd Poppe und Dr. Gregor Gysi, dem Verteidiger von Ulrike Poppe, vor (Dok. Nr. 11, 12). Bei Dokument Nr. 12 handelt es sich um eine Tonbandabschrift. In beiden Unterlagen wird „Notar“ bzw. „IM Notar“ als Quelle angegeben. Wiederum besteht ein unmittelbarer Bezug zwischen „Notar“ und Rechtsanwalt Dr. Gysi als Gesprächspartner.

Als Dokument Nr. 13 liegt dem Ausschuß ein nicht datierter Vermerk der HA XX/9 vor, in dem es heißt: „Am 4.1.1984 übergab der IM „Notar` eine Erklärung des Poppe, Gerd (Anlage), die er am 4.1.1984 um 16 Uhr bei seinem Rechtsanwalt Dr. Gysi abgab.“ Die hier erwähnte Erklärung hat der Bundesbeauftragte als Dokument Nr. 139 übersandt. Die Erklärung selbst trägt das Datum 3. Januar 1984. Sie ist mit der Maschine geschrieben und ebenfalls maschinenschriftlich mit „Gerd Poppe“ unterzeichnet.

Der Bundesbeauftragte hat dazu ausgeführt, das in dem Vermerk (Dok. Nr. 13) angegebene Datum „4.1.1984“ beziehe sich sowohl auf die Übergabe der Erklärung von Gerd Poppe an Gregor Gysi als auch auf die Übergabe dieser Erklärung an das MfS durch Gregor Gysi vom gleichen Tag (BStU, Schreiben vom 5. März 1997). Die beiden Unterlagen (Dok. Nr. 13 und 139) wurden als aufeinander folgende Blätter von Band 16 des Operativen Vorgangs (OV) „Zirkel“ aufgefunden. Diesen Operativvorgang führte das MfS u. a: zu Gerd Poppe.

 Abg. Dr. Gysi folgert aus diesen Unterlagen, daß er nicht „IM Notar“ gewesen sein könne. Gerd Poppe sei zwar an dem fraglichen 4. Januar 1984 in seinem Büro gewesen und habe ihn gebeten, dessen Erklärung vom 3. Januar 1984 dem Generalstaatsanwalt der DDR zuzusenden. Gerd Poppe habe aber lediglich ein Exemplar der Erklärung bei sich gehabt und dieses auch wieder mitgenommen. Er habe daher den Text von dieser Vorlage mit der Hand abgeschrieben, da er selbst nicht im Besitz eines Kopiergerätes gewesen sei. Seine Sekretärin habe die handschriftliche Fassung erst am 6. Januar 1984 mit der Maschine abgeschrieben und diesen Text zusammen mit einem Anschreiben an den Generalstaatsanwalt der DDR übergeben. Abg. Dr. Gysi führt in seinem Anschreiben weiter aus, daß die maschinenschriftliche Fassung mit der handgeschriebenen Vorlage inhaltlich identisch sei. Bei einem Vergleich der von seiner Sekretärin hergestellten Fassung mit der dem MfS übergebenen Fassung (Dok. Nr.13) ergebe sich schon im Schriftbild ein erheblicher Unterschied. Darüber hinaus seien auch die Texte selbst unterschiedlich. Er sei also am 4. Januar 1984 nicht im Besitz einer schreibmaschinenschriftlichen Fassung der Erklärung von Gerd Poppe gewesen. Für die Richtigkeit dieser Darstellung der Ereignisse spreche die Angabe von Gerd Poppe selbst, daß er seinem Rechtsanwalt eine inhaltlich und orthographisch korrekte Erklärung vorgelegt habe. Demgegenüber sei die Fassung in der MfS-Akte inhaltlich und orthographisch fehlerhaft.

Der mit dieser Darstellung von Abg. Dr. Gysi verbundene Entlastungsbeweis ist nach Überzeugung des Ausschusses nicht erbracht. So ist es unstreitig, daß die als Dokument Nr. 139 vorliegende Erklärung die in der Einlassung von Abg. Dr. Gysi beschriebenen Unterschiede gegenüber der ihm von Gerd Poppe am Nachmittag des 4. Januar 1984 zur Kenntnis gebrachten Fassung enthält. Die Ereignisse vom 4. bis zum 6. Januar 1984 legen nach Überzeugung des Ausschusses vielmehr eine andere Schlußfolgerung nahe. Aus den Akten ergibt sich, daß der Zugang der Erklärung beim MfS bereits am 4. Januar 1984 erfolgt ist. Dem Ausschuß liegen keinerlei Erkenntnisse vor, daß die Erklärung aus der Umgebung von Gerd Poppe in den Besitz des MfS gelangt sein kann. Wie von Abg. Dr. Gysi unwidersprochen festgestellt, war Gerd Poppe im Besitz der selbst verfaßten stilistisch und orthographisch korrekten Originalfassung, die Poppe selbst wieder mitgenommen hatte, weil er keine Durchschrift besaß. Abg. Dr. Gysi hat in seiner Stellungnahme selbst nicht behauptet, ein möglicherweise fehlerhaftes Original von Gerd Poppe bei seiner Abschrift korrigiert zu haben.

Nach Überzeugung des Ausschusses kommt für die Übermittlung der fehlerhaften Zweitfassung der Erklärung an das MfS nur Rechtsanwalt Dr. Gysi selbst oder seine unmittelbare Umgebung in Betracht. Dieser Befund wird durch den Vermerk (Dok. Nr. 13) belegt, aus dem hervorgeht, daß die Erklärung von Gerd Poppe an Rechtsanwalt Dr. Gysi übergeben und aus dessen Bereich noch ab dem späten Nachmittag des gleichen Tages, dem 4. Januar 1984, der HA XX/9 des MfS zugeleitet wurde.

Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, daß die vom Original abweichende maschinenschriftliche Niederschrift der Erklärung im Büro von Rechtsanwalt Dr. Gysi entstanden sein muß. Die stilistischen Mängel, orthographischen Fehler und Abweichungen vom Original lassen es vielmehr als sicher erscheinen, daß diese Niederschrift beim MfS aufgrund fernmündlicher Übermittlung selbst erfolgt ist. Da das Gespräch zwischen Dr. Gysi und Gerd Poppe erst am späten Nachmittag nach 16 Uhr beendet war, kann diese Übermittlung nur in einem relativ kurzen zeitlichen Abstand nach dem Ende dieses Gesprächs erfolgt sein. Die Umstände des Geschehens lassen keinen anderen Schluß zu, als daß der Kontakt zum MfS telefonisch hergestellt wurde. Die handgeschriebene Abschrift der Erklärung aus dem Gespräch mit Gerd Poppe lag im Büro vor, so daß der Text nur vorgelesen werden mußte.

Die Abweichungen der beim MfS am 4. Januar 1984 vorliegenden Fassung vom Original lassen sich leicht als übliche Ungenauigkeiten beim Ablesen, der telefonischen Übermittlung und der Niederschrift eines Schriftstücks erklären. Auffällig ist, daß die von Abg. Dr. Gysi dem Ausschuß vorgelegte Kopie seiner handschriftlichen Abschrift der Erklärung bestimmte Fehler der dem MfS vorliegenden maschinenschriftlichen Exemplars nicht enthielt. So ist beispielsweise die Schreibweise von „Dementi“ richtig, während das MfS-Exemplar „Dimenti“ schreibt. In Abschnitt 3 fehlt ausgerechnet das erste Wort „Es“ und in Abschnitt 4 fällt der Kommafehler auf, der in dem Handschriftexemplar von Dr. Gysi nicht vorhanden ist. Die FAZ [Frankfurter Allgemeine Zeitung] wird wiederum in der Maschinenschrift in Anführungsstriche gesetzt, während die Handschrift darauf verzichtet. Gerade die Art dieser Fehler sind typisch für Übermittlungsfehler beim Vorlesen von Texten. Sie sind aber untypisch für Fehler beim Abschreiben von Texten. Eine Bestätigung erfährt diese Beweiswürdigung durch die spätere Abschrift des Textes in der Anwaltskanzlei selbst, die originalgetreu vom handschriftlichen Original abgeschrieben wurde und die genannten Fehler nicht enthält. Die fernmündliche Übermittlung erschließt sich auch aus der handschriftlich falschen Datumsangabe in der letzten Zeile („4.1.83“). In der Kanzlei wurde - von dieser fehlerhaften Handschrift - der Fehler wiederum übertragen und später offensichtlich handschriftlich korrigiert. Bei der Telefonübermittlung an das MfS erfolgte die Korrektur aber bereits während der Übermittlung. Dort heißt es korrekt „4. 1. 1984“.

Es läßt sich aber nicht mit der notwendigen Gewißheit die Feststellung treffen, daß Rechtsanwalt Dr. Gysi persönlich diese telefonische Übermittlung vorgenommen hat. Aus der Tatsache, daß Dr. Gysi die Erklärung mit der Hand abgeschrieben hat, statt sie wie ansonsten üblich zu diktieren, legt die Vermutung nahe, daß er dieses Verfahren wählte, um auf diese Weise nach dem Ende des Gesprächs mit Gerd Poppe dessen Erklärung schneller fernmündlich der HA XX/9 zu übermitteln zu können. Da seine Mitschrift in jedem Fall die Quelle des MfS-Vermerks ist, läßt es als äußerst unwahrscheinlich erscheinen, daß er aus seinem Bereich in den Bereich eines Mitarbeiters gelangt sein könnte, der unter dem Decknamen „IM Notar“ den Text binnen weniger Stunden beim MfS telefonisch übermittelt und abschreiben lassen konnte.

Der Ausschuß sieht aus den vorgenannten Gründen davon ab, aus diesem Vorgang der Übergabe der Erklärung vom 4. Januar 1984 Rücksschlüsse über eine inoffizielle Mitarbeit von Dr. Gysi mit dem MfS zu ziehen.

Insgesamt ist der Ausschuß jedoch davon überzeugt, daß Dr. Gysi dem MfS personenbezogene Informationen aus dem Mandatsverhältnis zu Gerd und Ulrike Poppe zugeleitet und somit inoffiziell mit dem MfS zusammengearbeitet hat.

Unmittelbare Belege für eine inoffizielle Zusammenarbeit ergeben sich durch die Auswertung der Dokumente 11, 12 und 48. In allen drei Dokumenten finden sich persönliche Bewertungen und Einschätzungen zur Person Gerd Poppes, die sich ausschließlich auf Inhalt und Atmosphäre des jeweils vorangegangenen Gesprächs beziehen und nur von einem unmittelbaren Gesprächsteilnehmer getroffen werden können.

So enthält die Tonbandabschrift von IM „Notar“ vom 4. Januar 1984 über ein Gespräch zwischen Dr. Gysi und Gerd Poppe vom 29. Dezember 1983 (Dok. Nr. 12) die Bemerkung, „Im Laufe des Gespräches stellte sich dann heraus, daß Herr Poppe sehr gut informiert ist“. Es folgen dann Beispiele aus der Unterredung. Dieser Vermerk muß als Beleg für die inoffizielle Zusammenarbeit von Dr. Gysi mit dem MfS betrachtet werden. Der Vermerk enthält die Quellenangabe „Notar“ und ist vom MfS-Ofizier Lohr erstellt worden. Es geht aus dem Vermerk hervor, daß Dr. Gysi berichtet hat. Der Bezug zwischen dem Klarnamen und dem Decknamen „Notar“ wird hergestellt.

In dem Vermerk von IM „Notar“ für die HA XX/9 vom 15. Dezember 1983 über ein Gespräch vom gleichen Tag wird eine psychologische Einschätzung der Verfassung von Gerd Poppe angesichts der Inhaftierung seiner Frau und seiner familiären Situation gegeben (Dok. Nr. 11). Diese Darstellungen sind juristisch völlig irrelevant. Sie können auch nicht als Gedächtnisstütze oder als Schutz vor möglichen standesrechtlichen Problemen angesehen werden. Die Qualität einer Rechtsberatung hat mit schriftlich niedergelegten Beobachtungen in der hier vorliegenden Form nichts gemein. Die Ausführungen sind einzig für das MfS von Belang, daß auf diese Erkenntnisse seine Strategien beim Umgang oder sogar bei der versuchten „Zersetzung“ von Oppositionellen aufbauen konnte.

Es ist ausgeschlossen, daß diese Erkenntnisse durch Abhören der Gespräche entstanden sind. Nach Mitteilung des Bundesbeauftragten beziehen sich Abh örprotokolle nur auf den eigentlichen Gesprächsverlauf und enthalten keine Aussagen zur Atmosphäre zwischen den Gesprächspartnern oder Einschätzungen zum Befinden von Personen (BStU, Gutachterliche Stellungnahme, S. 7).

Zur Überzeugung des 1. Ausschusses steht eine inoffizielle Zusammenarbeit von Dr. Gysi mit dem MfS in diesem Zusammenhang fest.

6.9 Thomas Eckert

Im Jahre 1984 war Dr. Gysi für den wegen seiner Übersiedlung nach West-Berlin aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassenen Thomas Eckert anwaltlich tätig. Anläßlich der Übersiedlung entstand ein Streit zwischen der Staatsleitung und Thomas Eckert hinsichtlich der Ausfuhr von vier antiken Möbelstücken.

Aus einem „Vorschlag zur Durchführung einer Maßnahme“ der HA XX/2 vom 9. März 1984 (Dok. Nr. 261) ergibt sich, daß das MfS ein Verbringen der vier antiken Möbel nach West-Berlin nicht für möglich hielt, weil es sich um Kulturgut der DDR handelte. Unter anderem wird ausgeführt: „Der (...) [Anm.: Thomas Eckert] beabsichtigte, sich über rechtliche Konsequenzen dieses Vorgehens am 8. 3.1984 mit Rechtsanwalt Gysi zu beraten.“ Der Maßnahmeplan endete mit dem handschriftlich ergänzten Vorschlag: „Über die Abt. VI sollte der Umzug beim Zoll entsprechend avisiert werden oder über die HA XX ist die Genehmigung der Ausfuhr der 4 Kulturgüter aus pol. Gründen offiziell zu gestatten.“ In einem Schreiben des Leiters der Hauptabteilung XX vom 25. Oktober 1983 an die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit, Abteilung XX (Dok. Nr. 261) wird u. a. dargelegt: „Zur Realisierung Ihrer Anfrage wurde dem Minister für Kultur (...) das Anliegen der Ausfuhr von Kunstgut des Eckert, Thomas nach Berlin-West vorgetragen. Der Minister für Kultur sicherte dem MfS seine Unterstützung zu, die Angelegenheit nochmals in dem von uns vorgetragenen Sinne zu prüfen (...).“ Zu dieser Angelegenheit existiert ein Eintrag im persönlichen Aufzeichnungsbuch des MfS-Offiziers Lohr vom 31. Januar 1984 (Dok. Nr. 82). Der Eintrag ist teilweise unleserlich und enthält den folgenden Inhalt:

 „I.

- SFB Thomas Eckert (...)

- Einschätzung „Notar“ zu E.

(...) schon verkauft an „Notar“ (?) was ist mit 4 Schränken,

(Kulturgut der DDR) muß angemeldet werden

Unbedenklichkeitsbescheinigung(?) [...?] „Notar „ [...?].

1. Schränke bleiben in DDR`.

Abg. Dr. Gysi erklärt, er sei nicht befugt gewesen, Unbedenklichkeitsbescheinigungen auszustellen. Zudem sei er von Thomas Eckert nicht beauftragt worden, sich um eine Ausfuhrbescheinigung zu kümmern. Aus Dokument Nr. 261 ergebe sich, daß sich Thomas Eckert allein um die Ausfuhrgenehmigung seines Kulturgutes bemüht habe und die HA XX des MfS selbst auf Erteilung der Genehmigung beim Kulturminister der DDR gedrängt habe. Abg. Dr. Gysi meint, insofern sei auch der eindeutige Nachweis erbracht, daß der MfS-Offizier Lohr den Decknamen „Notar“ auch dann benutzt habe, wenn kein Zusammenhang mit seiner Person bestanden habe.

Nach Auffassung des 1. Ausschusses enthält die Verwendung des für Gregor Gysi genutzten Decknamens „Notar“ im persönlichen Aufzeichnungsbuch des MfS-Offiziers Lohr Hinweise dafür, daß er in die Überlegungen des MfS-Offiziers Lohr mit Bezug auf Thomas Eckert einbezogen wurde. Aufgrund der zu Thomas Eckert nur fragmentarisch vorliegenden MfS-Unterlagen stützt der 1. Ausschuß seine Überzeugung, daß Dr. Gysi inoffiziell mit der HA XX des MfS zusammengearbeitet hat, nicht auf diese Dokumente. EntgegendemVortrag des Abg. Dr. Gysi erbringen die zu Thomas Eckert vorliegenden Dokumente jedoch nicht den Nachweis, daß der Deckname „Notar“ auch dann vom MfS benutzt worden sei, wenn kein Zusammenhang zu seiner Person bestünde.

6.10 Bärbel Bohley

Dem 1. Ausschuß liegt zunächst das Schreiben eines West-Berliner Anwalts an Gregor Gysi vom 5. Januar 1984 (Dok. Nr. 52) vor. In einem Vermerk der Hauptabteilung XX vom 10. Januar 1984 (Dok. Nr. 53) heißt es dazu: „Am 9.1.1984 wurde inoffiziell bekannt, daß Rechtsanwalt Dr. Gysi ein Schreiben des Westberliner Rechtsanwaltes (...) in der Angelegenheit Bärbel Bohley erhielt (Anlage). Nach Auffassung von Dr. Gysi bestehen folgende Möglichkeiten, zu reagieren: (...).

Um eine kurzfristige Entscheidung zur Verfahrensweise wird gebeten.“ Das Dokument Nr. 53 läßt keinen Adressaten oder Verfasser erkennen. Hinreichende Rückschlüsse für eine diesbezügliche Zusammenarbeit des MfS mit Gregor Gysi lassen sich aus diesen Dokumenten nach Auffassung des Ausschusses nicht ziehen.

Bärbel Bohley war im Januar 1988 verhaftet worden. Im Februar 1988 reiste sie zusammen mit Werner Fischer aus der DDR aus, mit der Absicht, nach Ablauf von sechs Monaten zurückzukehren. Dieses Verhalten war wohl Ergebnis eines Kompromisses (siehe dazu Dok. Nr. 279). Offenbar bestand jedoch beim MfS zunächst das Interesse, Bärbel Bohley und auch Werner Fischer dauerhaft aus der DDR fernzuhalten. Der Bundesbeauftragte hat dazu ein undatiertes Fragment eines Maßnahmeplanes vorgelegt (Dok. Nr. 88), das vorsieht, die „Voraussetzungen der IM (...) „Sputnik` /Verantw.: HA XX/9/Gen. Oberstltn. Lohr / zur persönlichen Einflußnahme auf BOHLEY und FISCHER (...) zu nutzen , um zu erreichen, daß beide von ihren Absichten der Rückkehr in die DDR Abstand nehmen.“ Diese Konzeption ist jedoch offenbar nicht weiterverfolgt worden. Hier ist festzuhalten, daß die Bezeichnung „Sputnik“ für einen IM verwendet wird. Nach Auskunft des Bundesbeauftragten wurde zu diesem Zeitpunkt der Deckname „Sputnik“ nur für die zu Gregor Gysi geführte OPK vom MfS genutzt.

Der „Maßnahmeplan im Zusammenhang mit der Wiedereinreise von Bärbel Bohley und Werner Fischer „ der HA XX vom 15. Juli 1988 (Dok. Nr. 89) sieht dann unter Nr. 1.6 vor: „In Vorbereitung der Wiedereinreise erfolgt durch die Generalstaatsanwaltschaft der DDR mit den Rechtsanwälten von Bärbel Bohley, Dr. Gysi und Schnur, ein Gespräch.“ Nach Anweisungen für die Gesprächsinhalte heißt es dann weiter: „Darüber hinaus ist Rechtsanwalt Dr. Gysi zu veranlassen, mit der Bohley Ende Juli 1988 in der BRD oder einem anderen Land ein persönliches Gespräch zu führen, in dem

-       ihr mitgeteilt wird, daß sie am 3.8.1988 gemeinsam mit Fischer und (...) über Prag in die DDR einreisen kann und sie in Prag im Auftrag der Kirchenleitung von Konsistorialpräsident Stolpe und Rechtsanwalt Schnur mit PKW abgeholt werden;

-       ihr die festgelegten Forderungen und Auflagen dargelegt und ihre Zustimmung zu deren Einhaltung abverlangt werden;

-       sie nach ihren weiteren Plänen und Absichten in politischer, beruflicher und persönlicher Hinsicht zu befragen ist und evtl. offene Fragen und Probleme zwecks Prüfung entgegen zu nehmen sind. (...)

Verantwortlich:

für Zusammenwirken mit der Generalstaatsanwaltschaft und Erarbeitung der Forderungen an Bohley und Fischer HA IX

für den Kräfteeinsatz und Erarbeitung einer Instruktion zur Abholung in Prag HA XX.

“Ein Maßnahmeplan vom 15. Juli 1988 (Dok. Nr. 89) enthält die gesamte Strategie zur künftigen operativen Bearbeitung von Bärbel Bohley aus Sicht der Hauptabteilung XX. Soweit in dem Plan auch Bezug genommen wird auf Vorhaben der Staatsanwaltschaft bzgl. Bärbel Bohley und Werner Fischer, so ist dies im wesentlichen Ausdruck der Abstimmung zwischen Untersuchungsorgan des MfS auf zentraler Ebene, der HA IX, und der Generalstaatsanwaltschaft der DDR. Diese Vorhaben sind jedoch eingebettet in die von der HA XX insgesamt vorgesehenen Maßnahmen.

In der vom Abg. Gysi vorgelegten Broschüre „Gysi ./. Gauck“ wird zu Dokument Nr. 88 darauf verwiesen, daß Gregor Gysi entgegen den Absichten des MfS für die Wiedereinreise von Bärbel Bohley „agierte“. Der IM „Sputnik“ tauche an anderen Stellen nicht mehr auf, wahrscheinlich habe es ihn nie gegeben, es sei jedenfalls nicht Gregor Gysi. Zu dem Maßnahmeplan auf Dokument Nr. 89 trägt der Abg. Dr. Gysi in seiner Stellungnahme vom 9. August 1995 vor, daß das MfS keine direkte Einflußnahmemöglichkeit auf ihn gehabt habe. Es habe sich der Generalstaatsanwaltschaft bedienen müssen, dies werde aus den Dokumenten deutlich.

Mehrere weitere Dokumente zeigen dann, daß Gregor Gysi tatsächlich dem Plan entsprechend handelte. Nachdem ein Gespräch in der Bundesrepublik mit Bärbel Bohley nicht vereinbart werden konnte (Dok. Nr. 57, 58), traf er sie in Prag, von woher sie aus London kommend anschließend in die DDR weiterreiste (Dok. Nr. 281, 282, 60). Aus Dokument Nr. 59 läßt sich ersehen, daß dieses Gespräch die in dem Maßnahmeplan als Aufgabe für Gregor Gysi vorgesehenen Gegenstände behandelte. Zudem war Dr. Gysi von der HA XX/9 an der Grenze avisiert worden, dabei waren er und ein Mitreisender von jeder Zollkontrolle befreit, auch war eine bevorzugte Grenzabfertigung angeordnet (Dok. Nr. 283/284). Diese Behandlung läßt sich kaum mit der gleichzeitig gegen ihn geführten OPK „Sputnik“ in Einklang bringen (siehe dazu auch unter Ziffer 7.3.2).

Auch hier deuten die vorgelegten Dokumente auf eine Zusammenarbeit von Gregor Gysi und dem MfS hin. Jedoch fehlt es hier an der für eine entsprechende Feststellung notwendigen Eindeutigkeit der vorliegenden Dokumente, die für verschiedene Versionen letztlich Raum lassen. Obwohl der Maßnahmeplan ausdrücklich nur von Gregor Gysi zu lösende Aufgaben enthält und die Darstellung wie auch die Avisierungen mehr für eine Einbindung in die Gesamtplanung des MfS sprechen, so läßt sich im Hinblick auf die Formulierung „ist ... Dr. Gysi zu veranlassen „ auch nicht völlig ausschließen, daß eine Beeinflußung durch die Generalstaatsanwaltschaft vorgesehen war. Diese Alternative wird zwar vom weiteren Ablauf der Geschehnisse nur eingeschränkt gestützt, der Ausschuß sieht jedoch davon ab, diesen Zusammenhang für seine die Feststellungen tragenden Überzeugung heranzuziehen.

Als Dokument Nr. 15 hat der Bundesbeauftragte eine Tonbandabschrift vom 8. September 1988 vorgelegt, die eine Rücksprache zwischen Bärbel Bohley und „Rechtsanwalt Dr. Gysi“ zum Gegenstand hat. Das Dokument enthält die Angaben „Quelle, IM „Notar`“ und „angenommen: Oberst Reuter am 8. Sept. 1988“. In der Abschrift heißt es u. a: „Das wichtigste Anliegen von Frau Bohley bestand darin, eine rechtlich verbindliche Erklärung bei RA Dr. Gysi dahin gehend abzugeben, daß künftige Ausreiseanträge ihrerseits nur noch wirksam sind, wenn sie im Beisein von RA Dr. Gysi, Frau Havemann und einer weiteren, nicht näher benannten Freundin abgegeben wird.“ und „Sie (Bohley) habe nunmehr die Absicht, im Oktober 1988 zusammen mit (...) für ca. 1 Woche nach Prag zu reisen. Sie fragte, ob RA Dr. Gysi diesbezüglich eine Unterstützung geben könne.“

Die in Dokument Nr. 15 enthaltenen Informationen fanden dann Eingang in verschiedene Informationen und Berichte der Hauptabteilung XX bzw. XX/9 zu Bärbel Bohley (s. Dok. Nr. 285, 286, 287, 295). So heißt es in einem Sachstandsbericht der Hauptabteilung XX/9 vom 30. Dezember 1988 (Dok. Nr. 287) auf S. 4: „Inoffiziell wurde bekannt, daß die B. am 6. 9.1988 beim Rechtsanwalt Dr. Gysi eine rechtlich verbindliche Erklärung abgeben wollte, daß künftige Ausreiseanträge ihrerseits nur noch wirksam werden, wenn sie im Beisein von Dr. Gysi (erf. HA XX/9), Katja Havemann (erf. HA XX/9, „Leitz II`) und einer nicht näher benannten Freundin abgegeben werden. (Quelle IM „Notar`, 8.9.88)“. Im Sachstandsbericht vom 4. Juli 1989 (Dok. Nr. 295) wird diese Information auf S. 5/6 vollständig wiederholt, hier heißt es ergänzend: „Im Ergebnis der Aussprache mit Rechtsanwalt Gysi nahm die Bohley von ihrem Vorhaben Abstand.“

Abg. Dr. Gysi trägt mit seiner Stellungnahme vom 17. Juni 1997 vor, in Dokument Nr. 287 werde ganz eindeutig zwischen Bärbel Bohley, Katja Havemann und ihm sowie der jeweiligen Erfassung bei der Hauptabteilung XX/9 einerseits und der Quelle IM „Notar“ andererseits unterschieden. Es gebe keine vernünftige Erklärung, weshalb hinter seinem Namen nicht diese Quellenbezeichnung gesetzt worden sei, wenn er dieser IM gewesen wäre. Dieser Vortrag steht allerdings nicht mit den für das MfS - auch intern - geltenden Regeln der Konspiration und Verschleierung in Einklang. Im Hinblick auf den Inhalt des Dokuments war die Klarnamennennung von Gregor Gysi notwendig, da es um außenwirksames Handeln von Bärbel Bohley mit Bezug zu Gregor Gysi ging. Eine Gleichsetzung mit IM „Notar“ wäre unter diesen Umständen eine Enttarnung gewesen, der entsprechende Quellenhinweis ermöglicht der HA XX/9 hingegen die Einordnung des Wahrheitsgehalts der Information aufgrund der Kenntnis der Quelle.

Abg. Dr. Gysi weist darüber hinaus mit seiner Stellungnahme vom 17. August 1997 darauf hin, daß dies als richtig unterstellt, bedeuten würde, er habe gleichzeitig sowohl hinter dem Decknamen „Sputnik" als auch hinter dem Decknamen „Notar“ als Quelle des MfS gestanden. Da beim MfS streng nach Richtlinien und Befehlen gehandelt worden sei, hätte es dann Gründe für die Verwendung verschiedener Decknamen geben müssen. In dem von Abg. Dr. Gysi mit dieser Stellungnahme vorgelegten Schreiben eines ehemaligen MfS-Offiziers wird dazu ausgeführt, die Zuordnung von Decknamen im MfS habe der Konspiration gedient und sei stets konkret gewesen. Die Verwendung von verschiedenen Decknamen für die gleiche Sache würde zu Mißverständnissen geführt haben, sei nicht üblich gewesen und wäre fast auch immer korrigiert worden.

Hieraus entnimmt der Ausschuß, daß eine solche Verwendung verschiedener Decknamen für die gleiche Person beim MfS vorkam und eine Korrektur nicht zwingend war.

Aus den vorgelegten Dokumenten ergeben sich deutliche Anhaltspunkte für ein Zusammenwirken zwischen Gregor Gysi und dem MfS, jedoch verzichtet der Ausschuß darauf, diesen Sachverhalt für seine die Feststellungen tragende Überzeugung heranzuziehen.

Eine „Rechtliche Stellungnahme“ der Hauptabteilung IX vom 22. Februar 1989 (Dok. Nr. 289) läßt erkennen, daß Bärbel Bohley „in der Schrift „Grenzfall" Nr. 1-12/88 als Verfasserin des mit „DDR-Zwischenzeiten" überschriebenen Textes“ ausgewiesen war. Dieser Text war nach der „rechtlichen Einschätzung der HA IX/2 (...) inhaltlich geeignet (...), die Tatbestandsanforderungen einer Straftat der Öffentlichen Herabwürdigung gemäß § 220 Abs. 2 StGB objektiv zu erfüllen“.

Nach Ausführungen zur Rechtslage sowie Vorschlägen zum Vorgehen heißt es in diesem Text abschließend: „Nach erfolgreicher Durchführung dieser Maßnahme sollte eine Einbeziehung des Rechtsanwaltes Dr. Gysi in die Disziplinierung der BOHLEY geprüft werden. Ausgehend von dessen Zusage im Zusammenhang mit der Wiedereinreise der BOHLEY in die DDR im August 1988, sich für die Einhaltung der Gesetze der DDR durch diese zu verwenden, sollte er durch den Staatsanwalt schriftlich auf den Verdacht einer erneuten Rechtsverletzung und damit auf die Gefahr einer neuen Strafverfolgung gegen seine frühere Mandantin aufmerksam gemacht und ersucht werden, im Rahmen seiner anwaltschaftlichen Rechte und Pflichten vorbeugend tätig zu werden.“

In diesem Zusammenhang liegt dem 1. Ausschuß auch eine Tonbandabschrift der Hauptabteilung XX/9 vom 20. Februar 1989 mit der Überschrift „Vermerk zur Reaktion auf das Erscheinen des „Grenzfall` 1-12/88“ vor (Dok. Nr. 288). Dort wird u.a. ausgeführt: „Es bestünde auch die Möglichkeit, den Rechtsanwalt von Frau Bohley auf andere Art und Weise mit dem Ziel zu informieren, daß er mit Frau Bohley ein Gespräch über die im Zusammenhang mit dem „Grenzfall" aufgetretenen Fragen führt (...).“ Der Vermerk auf Dokument Nr. 288 trägt die abschließende Kennzeichnung „gez. IM“.

Rückschlüsse auf eine Zusammenarbeit von Gregor Gysi mit dem MfS im Zusammenhang mit dem „Grenzfall“ ergeben sich aus den vorliegenden Dokumenten nicht.

6.11 Der Empfang im Ermlerhaus

Eine vom Bundesbeauftragten vorgelegte Tonbandabschrift (Dok. Nr. 129) der HA XX/9 des MfS datiert vom 13. Mai 1986 und berichtet „über ein Gespräch, das anläßlich des Empfangs der Redaktion des „Spiegel` in der DDR in Berlin im Ermlerhaus zwischen dem Korrespondenten des „Spiegel` Herrn Schwarz und dem Rechtsanwalt Dr. Gysi stattgefunden hat“.

Die Quellenangabe lautet hier „IM Notar“, außerdem enthält die Unterlage den Vermerk „entgegengenommen OSL Lohr, 13. Mai 1986“. Das Gespräch drehte sich um einen Mandanten Gregor Gysis, zu dem der Spiegelkorrespondent recherchierte.

Die Unterlage ist nicht als Ergebnis von Abhörmaß nahmen gekennzeichnet, eine solche Quelle ist daher auszuschließen. Dagegen spräche auch die räumliche Situation bei einem Empfang mit den mehr oder weniger zufällig entstehenden Gesprächskontakten dort.

Abg. Dr. Gysi bestreitet auch in diesem Fall, der Informant der Staatssicherheit gewesen zu sein. Die Information über ein Gespräch mit Herrn Schwarz stamme nicht von ihm. Es sei selbstverständlich, daß der Empfang der Spiegel-Redaktion in Ostberlin das besondere Interesse der Staatssicherheit habe wecken müssen und daß selbstverständlich Leute anwesend gewesen seien, die anschließend bei der Staatssicherheit berichtet hätten, wer mit wem was gesprochen habe. Um sich selbst abzusichern habe er, Gysi, im Anschluß an den Empfang über das Gespräch mit Herrn Schwarz einen Vermerk für seine Handakte notiert. Es sei nicht auszuschließen, daß dieser Vermerk als Grundlage für eine Information an die Staatssicherheit gedient hätte. Es sei aber nicht er, Gysi gewesen, der die Information an das MfS übergeben habe.

Diese Argumentation des Abg. Dr. Gysi vermag den 1. Ausschuß nicht zu überzeugen.

Aus dem Text der Tonbandabschrift ergibt sich, daß es sich um eine detaillierte Wiedergabe eines etwa halbstündigen Gespräches handelt. Die Initiative für dieses Gespräch ging vom Spiegelredakteur Schwarz aus. Keinem der bei diesem Empfang zweifellos anwesenden sonstigen Mitarbeiter des MfS kann es möglich gewesen sein, eine halbe Stunde ununterbrochen einem Gespräch zu lauschen. Er müßte sich in Hörnähe aufgehalten haben, ohne daß dies bemerkt worden wäre und außerdem vermeiden müssen, selbst angesprochen zu werden. Dies ist bei einem Empfang, insbesondere einem, von dem alle Teilnehmer wissen, daß die Staatssicherheit ein „besonderes Interesse“ an ihnen hat, ausgeschlossen. Daneben fällt auf, daß der Vermerk detailliert lediglich die Äußerungen des Spiegelkorrespondenten darstellt. Hätte ein Dritter über das Gespräch berichtet, so würde dieser auch und gerade die Äußerungen des DDR - Bürgers Gysi wiedergeben. Dies gilt gleichermaßen für das Ergebnis einer Abhörmaßnahme. Zudem ergibt die genaue Analyse des Vermerks, daß er eine sehr detaillierte, bruchlose Schilderung des Gesprächs enthält, wie sie nur jemand geben kann, der dieses Gespräch selbst geführt hat.

Daß die Tonbandabschrift in der 3. Person abgefaßt wurde, gehörte zu den beim MfS häufig angewandten Darstellungsformen.

Als Grundlage des Berichts kommt entgegen dem Vortrag des Abg. Dr. Gysi kein von ihm später für seine Handakte diktierter Vermerk in Betracht. Dem widersprechen zum einen Sätze wie „In einem etwa halbstündigem Gespräch ist es Rechtsanwalt Dr. Gysi gelungen, den Korrespondeten Schwarz zu überzeugen, ... Er konnte einfach anhand der Gesetze der Logik nachweisen, daß es mehr als unwahrscheinlich ist, daß hinter dieser ganzen Aktion ein Sicherheitsorgan steht.“

Eine solche Wortwahl macht nur gegenüber einem Dritten Sinn, nicht für den eigenen Gebrauch. Dagegen spricht aber auch die umfassende Darstellung der von Herrn Schwarz wiedergegebenen Angaben des Mandanten von Herrn Dr. Gysi. Auch diese für den Mandanten eher belastende Information macht für die eigene „Absicherung“ keinen Sinn. Dies gilt auch für die Darstellung der Mitteilung des Korrespondenten des Spiegel, daß Gregor Gysi die Zeitschrift „Spiegel“ nunmehr erhalten werde und dessen Reaktion darauf. Den angeblichen Vermerk aus seiner Handakte hat der Abg. Dr. Gysi nicht vorgelegt, so daß auch kein Vergleich möglich ist.

Auch der Vortrag des Abg. Dr. Gysi, aus weiteren Unterlagen gehe hervor, daß es in seinem Umfeld mehrere IM gegeben habe, die das MfS informiert hätten, führt hier zu keinem anderen Ergebnis. Die vom Abg. Dr. Gysi als Anlagen 45 bis 47 seiner Stellungnahme zum Ergänzenden Bericht vom 17. April 1997 überreichten Dokumente haben zum konkreten Fall ohnehin keinen Bezug, überdies wird in diesen Dokumenten von dem jeweiligen „IM“ nicht gezielt über Gregor Gysi berichtet, so daß sich aus diesen Materialien keine Rückschlüsse für das Vorbringen des Abg. Dr. Gysi ziehen lassen.

Insgesamt ist der 1. Ausschuß deshalb der Auffassung, daß Dr. Gysi die Informationen für diesen Vermerk an die Staatssicherheit geliefert hat. Der Abgeordnete Dr. Gysi hat vor dem 1. Ausschuß und vor Gericht immer wieder geltend gemacht, es existierten keine Berichte von „Gregor“ oder „Notar“ über Gespräche die außerhalb seines Büros, der Haftanstalt Bautzen, des Hauses von Havemann und dem ZK geführt worden seien. Dies wird durch den vorliegenden Fall der Zusammenarbeit von Gregor Gysi und dem MfS eindeutig widerlegt.

Der 1. Ausschuß stellt fest, daß nach seiner Überzeugung eine inoffizielle Zusammenarbeit von Gregor Gysi mit dem MfS hier vorliegt.

6.12 Reinhard Lampe

Dem Ausschuß liegt ein undatierter Vermerk „über Rücksprachen von Rechtsanwalt Dr. Gysi mit weiteren Personen im Zusammenhang mit dem Fall Lampe“ (Dok. Nr. 123) vor, der mit dem Buchstaben „z.V. OPK“, einer Paraphe und dem Datum „15.12. 1986“ versehen ist.

In dieser Unterlage werden summarisch mehrere Gespräche zusammengefaßt, die Dr. Gysi im Dezember 1986 als Verteidiger von Reinhard Lampe mit verschiedenen Personen über den Prozeß geführt hat. Die Unterlage enthält keine Quellenangabe.

Rückschlüsse für eine Zusammenarbeit von Gregor Gysi mit dem MfS lassen sich nach Auffassung des 1. Ausschusses aus diesem Dokument nicht ziehen.

 

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Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 15.06.06
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