Verhandlungsbericht
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Prof. Piëch - Prof. Selenz
Landgericht Berlin
Im Namen des Volkes
Urteil
Geschäftsnummer: 27
O 694/07 |
verkündet am:
20.09.2007 |
In dem Rechtsstreit
des Herrn Prof. Dr. h. c. Ferdinand Piëch,
Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg,
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- Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Prinz, Neidhardt, Engelschall,
Tesdorpfstraße 16, 20148 Hambur |
Klägers |
gegen
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en Herrn Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Selenz,
Fürstenauer Straße 17, 31224 Peine, |
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Beklagten |
- Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Dipl. Jur. Günther Schnerwitzki,
Am Markt 5, 31241 llsede |
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hat die Zivilkammer 27 des Landgerichts Berlin
in Berlin-Charlottenburg, Tegeler Weg 17-21, 10589 Berlin, auf die
mündliche Verhandlung vom 20.09.2007 durch den Vorsitzenden Richter am
Landgericht Mauck, den Richter Stoß und die Richterin am Landgericht
Becker
für Recht erkannt:
1. Der Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für
jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für
den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft
oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten
(Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 €; Ordnungshaft
insgesamt höchstens
zwei Jahre), zu unterlassen,
die Strafanzeige gegen den Kläger öffentlich zu verbreiten, wie unter
http://www.hans-joachim-selenz.de/kommentare/03448b99160695001.html
geschehen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist in der Hauptsache gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 7.500,00 € und im Übrigen in Höhe des jeweils beizutreibenden
Betrages zuzüglich 10 % vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Der Kläger ist ehemaliger Vorstandsvorsitzender und derzeitiger
Aufsichtsratsvorsitzender der VW
AG.
Der Beklagte veröffentlichte auf seiner Internetseite seine nachfolgend
in Kopie wiedergegebene
Strafanzeige wegen Untreue gegen den Kläger:
Anlage K5
Es folgen die Seite 3-8 des Urteils mit
der Strafanzeige als Anlage
K5 wie
seinerzeit auf
http://www.hans-joachimselenz.de/kommentare/03448b99160695001.html
veröffentlicht
und inzwischen verboten
Der Kläger sieht sich durch die Veröffentlichung der Strafanzeige in
seinen Rechten verletzt. Der Verdacht der Untreue sei gänzlich haltlos
und unbelegt. Der Beklagte stütze seine Anzeige auf längst bekannte
Aussagen im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Braunschweig
gegen Dr. Hartz, Herrn Gebauer, Herrn Schuster und Dr. Volkert, die den
Vorwurf der Untreue in keinster Weise trügen. Hinsichtlich des
tatsächlichen Inhalts der Aussagen von Schuster, Hartz und Gebauer wird
Bezug genommen auf die Seiten 5 bis 9 der Klageschrift. Der Beklagte
stelle die Äußerungen Dritter und Zitate aus verschiedensten Quellen in
völlig falsche Zusammenhänge und vermenge in unglaublicher Art und Weise
Aussagen, Behauptungen und reine Unterstellungen zu einem unerträglichen
und unhaltbaren Verdacht einer Straftat, der bei genauer Analyse der
gegebenen Begründung keiner Prüfung standhalte.
Der Kläger beantragt,
wie im Urteilstenor erkannt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Seines Erachtens ist die Klage wegen seiner beim Landgericht Hildesheim
am 24. Mai 2007 zum Az. 3 O 157/07 eingegangenen, denselben Streitstoff
betreffenden negativen Feststellungsklage unzulässig. Er hält sich für
berechtigt, die Strafanzeige öffentlich zu machen, weil die eigentlich
zuständigen Strafverfolgungsbehörden ganz offensichtliche Widersprüche
nicht aufgelöst hätten und ansonsten zu befürchten sei, dass diese
Strafverfolgungsbehörden auch weiterhin nur unzureichend agierten. Als
Aktionär der Volkswagen AG nehme er seine eigenen berechtigten
Aktionärsinteressen wahr. Es ginge ihm allein um eine juristisch
korrekte Aufarbeitung der sog. VW-Affäre und die persönliche
Verantwortlichkeit des Klägers dafür. Der Kläger müsse sich seine
Vorwürfe, die er u.a. sinnlogisch aus den eingereichten
Vemehmungsprotokollen des LKA Niedersachsens schlussfolgere, gefallen
lassen. Er sei als Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG in der
maßgeblich verantwortlichen Position gewesen. Er habe die
Kontrollmöglichkeiten gehabt, die
rechtswidrige Praxis der Abrechnung der „Spaßreisen" zu unterbinden und
die Möglichkeit, auf die Vergütung des Betriebsratsvorsitzenden Einfluss
zu nehmen. Die Einflussnahme habe er jedoch so ausgestaltet, dass unter
seinem Vorsitz nicht nur die Vergütung des Betriebsrates Volkert
wesentlich erhöht worden sei und rechtsfreie Räume im Unternehmen
geschaffen worden seien. Er habe als Vorstand von den ungesetzlichen
Betriebsratveranstaltungen gewusst. Er sei für die Revision
verantwortlich gewesen, die das besagte Konto 1860 vorsätzlich nicht
geprüft habe. Als „Diener zweier Herren" habe er bei der gemeinsamen
Produktion von Cayenne/Touareg Porsche zulasten von VW extreme Vorteile
verschafft, vertuscht und getarnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf
den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig.
Entgegen der Ansicht des Beklagten ist der vor dem Landgericht
Hildesheim anhängige Passivprozess umgekehrten Rubrums nicht
vorgreiflich. Die Kammer hält daran fest, dass eine negative
Feststellungsklage wegen des weitergehenden Rechtsschutzziels der
Leistungsklage keine Rechtshängigkeitssperre für die Leistungsklage
(vgl. Zöller/Greger, 26. Aufl., § 256 Rdn. 16 m.w.N.) begründet. Der
Beklagte kann es dem Kläger nicht verwehren, sein weitergehendes
Rechtsschutzziel, nämlich die Durchsetzung des materiellen Anspruchs,
vom Beklagten ein Unterlassen zu fordern und einen vollstreckbaren
Titel zu erwirken, im Rahmen der hiesigen Klage zu verfolgen. Der Kläger
muss sich nicht auf die Erhebung einer Widerklage im negativen
Feststellungsverfahren verweisen lassen (vgl. BGH NJW 1994, 3107).
Die Klage ist auch begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte
Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten aus §§ 823, analog 1004 Abs. 1
S. 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff StGB, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG zu, da die
Veröffentlichung der Strafanzeige unzulässig ist. Es liegt keine
zulässige Verdachtsberichterstattung vor.
Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung ist
zunächst das Vorliegen eines Mindestbestands an Beweistatsachen, die für
den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst
„Öffentlichkeitswert" verleihen. Dabei sind die Anforderungen an die
Sorgfaltspflicht umso höher anzusetzen, je schwerer und nachhaltiger das
Ansehen des Betroffenen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt wird.
Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen
enthalten, also durch eine präjudizierende Darstellung den
unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm
vorgeworfenen strafbaren Handlung bereits überführt. Unzulässig ist
nach diesen Grundsätzen eine auf Sensation ausgehende, bewusst
einseitige oder verfälschende Darstellung; vielmehr müssen auch die zur
Verteidigung des Beschuldigten vorgetragenen Tatsachen und Argumente
berücksichtigt werden. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine
Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um
einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch
ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (BGH NJW
2000, 1036 f. m. w. Nachw.).
Andererseits dürfen die Anforderungen an die sog. pressemäßige Sorgfalt
und die Wahrheitspflicht nicht überspannt und insbesondere nicht so
bemessen werden, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet.
Straftaten gehören nämlich zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung zu den
Aufgaben der Medien gehört. Dürfte die Presse, falls der Ruf einer
Person gefährdet ist, nur solche Informationen verbreiten, deren
Wahrheit im Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits mit Sicherheit
feststeht, so könnte sie ihre durch Art. 5 Abs. 1 GG
verfassungsrechtlich gewährleisteten Aufgaben bei der öffentlichen
Meinungsbildung nicht durchweg erfüllen, wobei auch zu beachten ist,
dass ihre ohnehin begrenzten Mittel zur Ermittlung der Wahrheit durch
den Zwang zu
aktueller Berichterstattung verkürzt sind. Deshalb verdienen im Rahmen
der gebotenen Abwägung zwischen dem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht
des Betroffenen und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit
regelmäßig die aktuelle Berichterstattung und mithin das
Informationsinteresse jedenfalls dann den Vorrang, wenn die oben
dargestellten Sorgfaltsanforderungen eingehalten sind. Stellt sich in
einem solchen Fall später die Unwahrheit der Äußerung heraus, so ist
diese als im Äußerungszeitpunkt rechtmäßig anzusehen, so dass
Unterlassung, Widerruf oder Schadensersatz nicht in Betracht kommen.
Hiernach kann auch die Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK -
soweit sie überhaupt für die Presse gelten kann - die Freiheit der
Berichterstattung zumindest dann nicht einschränken, wenn die Grenzen
zulässiger Verdachtsberichterstattung eingehalten werden (BGH NJW2000,
1036, 1037 m. w. Nachw.).
Die angegriffene Veröffentlichung der gegen den Kläger gerichteten
Strafanzeige wegen Untreue bewegt sich nach diesen Kriterien, die auf
die Veröffentlichung des Beklagten entsprechend anzuwenden sind, nicht
mehr in den Grenzen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung. Der
Beklagte selbst räumt ein, dass die Strafverfolgungsbehörden aufgrund
der in seiner Strafanzeige genannten, längst bekannten „Belegtatsachen"
gerade keinen Anfangsverdacht wegen des Vorwurfs der Untreue gegen den
Kläger sehen. Die Aussagen der Herren Schuster und Hartz belegen den beklagtenseits erhobenen Untreuevorwurf nicht. In seiner Vernehmung beim
LKA Niedersachsen hat Herr Schuster - so zu entnehmen dem als Anlage K
6 eingereichten Protokoll - den Kläger gerade nicht belastet. Konkrete
Hinweise darauf oder gar Belege dafür, dass der Kläger von
Spesenmissbrauch, Veruntreuungen auf VW-Kosten oder geleisteten
Sonderboni gewusst hätte, finden sich dort nicht. Aus dem etwaigen
„Wunsch" des Klägers, Herrn Volkert in seiner Rolle zu stärken, ihn mit
entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten auszustatten und wie einen
Top-Manager zu behandeln, ist kein Rückschluss auf die Kenntnis des
Klägers von rechtswidrigen Abrechnungen und Sachausgaben zugunsten des
Betriebsrats oder Zahlung von Sonderboni an Herrn Volkert möglich.
Den Aussagen des Herrn Hartz lässt sich ausdrücklich entnehmen, dass der
Kläger in rechtswidrige Entscheidungen und Abrechnungen gerade nicht
eingebunden gewesen sein soll.
Auch die angebliche Aussage des Herrn Gebauer,
Herr Hartz sei vom Kläger „eigens für die Betreuung des Betriebsrates
eingestellt worden", stützt den Verdacht einer Untreue des Klägers in
keiner Weise.
Wie der Beklagte zu seiner Schlussfolgerung kommt, der Kläger hätte mit
Herrn Hartz die Korruption des Betriebsrates geplant, bleibt gänzlich
offen. Die Herren Schuster, Hartz und Gebauer haben diesen Vorwurf
mitnichten bestätigt. Neue Belegtatsachen hat der Beklagte in seiner
Strafanzeige nicht benannt und im Übrigen bis heute nicht dargetan.
Selbstverständlich steht es dem Beklagten frei, die
Strafverfolgungsbehörden auch ohne jegliche neuen Erkenntnisse zu
beschäftigen und um erneute Prüfung der bekannten Umstände zwecks
„juristisch korrekter Aufklärung der VW-Affäre" zu bemühen und die Rolle
des Klägers in der Affäre bzw. dessen Mitverantwortung zu hinterfragen.
Es ist ihm jedoch verwehrt, ohne jegliche konkreten Hinweise auf und
Belege für ein strafbares Verhalten des Klägers, diesen in der
Öffentlichkeit der Untreue zu bezichtigen.
Die Wiederholungsgefahr ist aufgrund der eingetretenen Rechtsverletzung
zu vermuten und hätte nur durch die Abgabe einer strafbewehrten
Unterlassungserklärung ausgeräumt werden können (BGH NJW 1994, 1281,
1283), an der es fehlt.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
Mauck
Stoß
Becker
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Rolf Schäike
Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am17.10.07
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