Fall TAZ
Abmahnanwalt zeigt keine Einsicht - TAZ 06.11.07
Amtsgericht Tiergarten
URTEIL
Im Namen des Volkes
Geschäfts-Nr.
(276 Ds) 63 Js 6608/06 (58/07)
(nicht rechtskräftig, Berufung ist eingelegt) |
Verkündet am:
11.09.2007 |
In der Strafsache
gegen
Dipl.Ing. Günter Werner
Freiherr von Gravenreuth, geborener Dörr ...
hat das Amtsgericht Tiergarten in der Sitzung
vom 11.09.2007 erkannt:
Der Angeklagte wird wegen versuchten
Betruges zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt ....
Gründe:
Der Angeklagte ist Rechtsanwalt und
vorbestraft. Das Landgericht München verurteilte den Angeklagten am 18.
April 2000 - 23 Ns 315 Js 19785/95 - wegen Urkundenfälschung in 60
Fällen zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 160,00 DM.
Am 3. Mai 2006 erhielt der Angeklagte eine
E-Mail von der taz GmbH. Am 4. Mai 2006 forderte er die taz GmbH auf,
diese E-Mail Zusendungen zu unterlassen und stellte eine Kostenrechnung
über 651,80 Euro. Auf diese Aufforderung reagierte die taz GmbH nicht,
so dass der Angeklagte am 19. Mai 2006 zum Aktenzeichen 15 0 346/06 beim
Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung gegen
die taz GmbH erwirkte. Mit Schreiben vom 21. Juni 2006 übersandte der
Angeklagte der taz GmbH eine Kostenrechnung in Höhe von 408,80 Euro.
Mit weiterem Schreiben vom 21. Juni 2006
beantragte der Angeklagte selbst, die Kosten des einstweiligen
Verfügungsverfahrens auf 667,90 Euro festzusetzen. Das Landgericht
Berlin erließ einen Kostenfestsetzungsbeschluss am 23. Juni 2006 über
eine Summe von 662,90 Euro. Am 29. Juni 2006 überwies die taz GmbH eine
Summe von 663,71 Euro, die mit folgendem Zusatz beim Angeklagten auf dem
Online Kontoauszug am 30.06.2006 erschien: TAZ VERLAGS- UND ...
150246/06 Datum 23.06.2006 BEITRAG 663,71 KTO. 700?
Den Kostenfestsetzungsbeschluss erhielt der
Angeklagte nach eigenem Empfangsbekenntnis am 1. Juli 2006 zugestellt.
Der 1. Juli 2006 war ein Samstag, das Empfangsbekenntnis wurde durch den
Angeklagten selbst am 1. Juli 2006 an das Landgericht gefaxt. Am 4. Juli
2006 teilte der Angeklagte durch selbst geschriebenes Schreiben vom 4.
Juli 2006 mit, er habe zwischenzeitlich den Zahlungseingang der
Kostenrechnung für das Abschlussschreiben vom 21. Juni 2006 verbucht. Er
sehe dies als konkludente Abschlusserklärung an. Weiterhin forderte er
die taz GmbH auf, den Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Berlin
fristgerecht auszugleichen.
Mit Schreiben vom 10. Juli 2006 teilte die taz
GmbH dem Angeklagten ausdrücklich mit, dass Zahlungsgrund für den Betrag
von 663,71 Euro der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin
vom 23.06.2006 nebst anteiliger Zinsen sei. Die Zahlung beziehe sich
nicht auf die Abschlusserklärung. Dieses Schreiben faxte die taz GmbH
sogleich auch an den Angeklagten, das auch am 10.Juli 2006 beim
Angeklagten eingeht. Das Schreiben selbst vom 10. Juli 2006 der taz GmbH
trägt beim Angeklagten den Eingangsstempel vom 13. Juli 2006. Das FAX
wurde anlässlich einer Durchsuchung der Büroräume des Angeklagten in
einem Aktenordner entdeckt, nachdem der Angeklagte zuvor mitgeteilt
hatte, er habe kein ein FAX erhalten.
Trotz der Zahlung durch die taz GmbH
beantragte der Angeklagte selbst einen Pfändungs- und
Überweisungsbeschluss beim Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg am 13. Juli
2006 hinsichtlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses des Landgerichts
Berlin vom 23.06.2006 zu 150346/06. Mit Schreiben vom 14. Juli 2006
teilte der Angeklagte der taz GmbH mit, er habe das Schreiben vom 10.
Juli 2006 nicht per FAX vorab erhalten. Weiterhin teilt er Folgendes
mit: ?Die Überweisung enthielt u.a. den Text ?RNR? was wohl
Rechnungsnummer sein soll. Rechnungen gab es bisher zwei, nämlich zur
Abmahnung (welche infolge des Verfügungsverfahrens auf deren Hälfte zu
reduzieren ist) und die Rechnung für das Abschlussschreiben.
Aufgrund des am 6. September 2006 ergangenen
Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses wurden die Nutzungsrechte der
Internetdomain der taz GmbH gepfändet. Am 16. Oktober 2006 stellte der
Angeklagte einen Antrag beim Amtsgericht auf Verwertung der
Internetdomain in Form einer Versteigerung. Eine Verwertung der
Internetdomain erfolgte nicht, weil die taz GmbH am 25. Oktober 2006
Vollstreckungsgegenklage und Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung zum Landgericht Berlin erhoben hatte. Das Landgericht Berlin
hat am 27. Oktober 2006 zu 15.0.849/06 dann die Zwangsvollstreckung
vorläufig eingestellt. Mittlerweile hat der Angeklagte den Betrag in
Höhe von 697,42 Euro am 12.03.2007 an die taz GmbH zurückgezahlt.
Am 23. November 2006 erging dann der
Durchsuchungsbeschluss für die Büroräume des
Angeklagten. Am 9. Januar 2007 begaben sich die Polizeibeamten S. und P.
in die Büroräume des Angeklagten und dieser konnte unverzüglich in der
dazugehörenden Akte dann das angeblich nicht erhaltene FAX vom 10. Juli
2006 auffinden.
Der Angeklagte ließ sich dahingehend ein, dass
er keinen Betrug begehen wollte. Er sei zwar selbst für die
Kontenverwaltung zuständig und führe diese "online", er sei aber davon
ausgegangen, er habe einen Anspruch aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss.
Er sei davon ausgegangen, die taz GmbH habe den
Kostenfestsetzungsbeschluss noch nicht beglichen. Es sei zu diesem
Zeitpunkt recht "chaotisch" in seiner Kanzlei gewesen, daher habe er
weder das Fax vom 10. Juli 2006 vorgelegt bekommen noch das Schreiben
vom 10. Juli 2006 selbst. Diese Einlassung ist nach Ansicht des Gerichts
eine Schutzbehauptung. Der Angeklagte hat wissentlich einen Pfändungs-
und Überweisungsbeschluss aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss
beantragt, dessen Anspruch zu diesem Zeitpunkt erloschen war.
Der Angeklagte ist Rechtsanwalt und führt
seine Konten und deren Eingänge selbst. Dazu benutzt er das
Onlineverfahren. Somit hatte der Angeklagte spätestens am 30. Juni 2006
Kenntnis, dass die taz GmbH auf den Kostenfestsetzungsbeschluss gezahlt
hatte. Die Zahlung betraf genau die Summe aus dem
Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin nebst anteilige
Zinsen. Sie erfolgte in unmittelbarer Beantragung des
Kostenfestsetzungsbeschlusses durch den Angeklagten. Zwischen dem Antrag
seitens des Angeklagten und der Zahlung durch die taz GmbH lagen nur
Tage. Der Beschluss erfolgte am 23. Juni 2006 und war ausdrücklich als
Datum auf dem Online Kontoauszug sichtbar. Zudem war das
Geschäftszeichen 15 0 346/06 als "150346/06" angegeben. Der Angeklagte
selbst hielt sich am 1. Juli 2006 in seiner Kanzlei auf, einem Samstag,
und sandte zu diesem Zeitpunkt das Empfangsbekenntnis über den
Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin an das Landgericht
per Fax zurück! An einem solchen Tag herrscht Ruhe in der Praxis und ein
Rechtsanwalt unterschreibt nicht einfach etwas, was er nicht gelesen
hat. Insoweit hatte der Angeklagte seit einem Tag (30.06.2006) Kenntnis
von der Zahlung durch die taz GmbH und erhält einen Tag nach Zahlung
(01.07.2006) den Kostenfestsetzungsbeschluss. Hier ist es
ausgeschlossen, dass ein im Geschäftsleben stehender Rechtsanwalt diese
Zahlung vergessen haben könnte innerhalb von höchstens 30 Stunden.
Zudem ging es um eine Streitigkeit gegen die
taz GmbH. Bei der taz GmbH handelt es sich nicht um einen kleinen
Unbekannten, sondern dieser Zeitungsverlag ist weit über die Grenzen von
Berlin bekannt. Es gab nur dieses eine Gerichtsverfahren zwischen der
taz GmbH und dem Angeklagten, weitere Geschäftsbeziehungen bestanden
nicht. Deshalb ist es ausgeschlossen, dass der Angeklagte sich hier über
irgendetwas irrte und kein Interesse am weiteren Gang des Verfahrens
hatte. Der Kostenfestsetzungsbeschluss und die Zahlung lagen zeitlich
derart eng zusammen, dass dem Angeklagten das Erlöschen der Forderung
gemäß § 362 BGB nicht entgangen sein kann.
Der Angeklagte konnte auch nicht davon
ausgehen, dass die taz GmbH auf das Abschlussschreiben vom 21. Juni 2006
gezahlt hatte, denn hier wurde seitens des Angeklagten lediglich eine
als Kostenrechnung bezeichnete Summe von insgesamt 408,80 Euro geltend
gemacht. Dieser Betrag ist nicht in Einklang zu bringen mit der Zahlung
die durch die taz GmbH am 29. Juni 2006 erfolgte, denn der Betrag
lautete auf 663,71 Euro. Auch konnte der Angeklagte die Zahlung nicht
verwechselt haben mit der vom 4. Mai 2006 geltend gemachten
Schadensersatzforderung aufgrund der Unterlassungsaufforderung in Höhe
von 651,80 Euro. Denn diesen Betrag durfte der Angeklagte gar nicht mehr
in dieser Höhe geltend machen. Aufgrund des durchgeführten einstweiligen
Verfügungsverfahrens vor dem Landgericht stand dem Angeklagten lediglich
- wenn überhaupt - ein Anspruch auf die Hälfte des Betrages zu
(Vorbemerkung 3 Abs.4 S.3 W zum RVG). Dies wusste der Angeklagte auch,
er schrieb selbst im Schreiben vom 14. Juli 2006 "(welche infolge des
Verfügungsverfahrens auf deren Hälfte zu reduzieren ist)". Also war auch
hier keine Zuordnung auf diese Rechnung möglich, da die Zahlungshöhe
drastisch divergierten. Die Zahlung seitens der taz GmbH deckte sich
allein mit der Summe aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss.
Als der Angeklagte nunmehr trotz Kenntnis der
Zahlung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss vollstreckte, hat er einen
versuchten Betrug gegenüber der taz GmbH begangen, Vergehen des
versuchten Betruges gemäß §§ 263, 22, 23 StGB. Zur Vollendung kam es
allein nicht, weil die taz GmbH im Oktober 2006 eine
Vollstreckungsgegenklage erhob und einen Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung beantragte.
Bei der Strafzumessung war zugunsten des
Angeklagten zu berücksichtigen, dass es lediglich beim Versuch geblieben
ist und die Rückzahlung des Betrages in Höhe von 697,42 Euro an die taz
GmbH erfolgt ist. Gegen ihn spricht jedoch, dass er vorbestraft ist und
die Vollstreckung mittels Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bis in
den Oktober 2006 betrieben hat, obwohl er wusste, dass er keinen
Anspruch aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss hatte. Der
Angeklagte hat sich uneinsichtig gezeigt und in einem hohen Maße hat er
sich wissentlich gegen die Rechtsordnung verhalten und dass, obwohl er
Organ der Rechtspflege ist. Trotz der klarstellenden Schreiben seitens
der taz GmbH hat er seine ihm bekannte falsche Rechtsansicht mit
Vehemenz betrieben, weil er mit aller Gewalt die Internetdomain der taz
GmbH versteigern wollte, um der taz GmbH wirtschaftlich zu schaden. Aus
diesen Gründen kommt nur eine Freiheitsstrafe in Betracht, die mit sechs
Monaten angemessen ist. Diese Freiheitsstrafe konnte nicht mehr zur
Bewährung ausgesetzt werden, weil das Gericht davon ausgeht, dass der
Angeklagte erneut Straftaten dieser Art begehen wird. Er zeigt keine
Einsicht und hätte die taz GmbH nicht einen derart guten Rechtsanwalt
gehabt, hätte der Angeklagte trotz Kenntnis aller Umstände, die zum
Erlöschen der Forderung geführt haben, die Internetdomain verwertet. Es
war unbedingt erforderlich, mit Freiheitsstrafe auf den Angeklagten
einzuwirken, um auch die Allgemeinheit vor dem Verhalten des Angeklagten
zu schützen.
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Rolf Schäike
Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 07.11.07
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