Internet-Archive müssen auf nicht mehr zulässige
Berichte geprüft werden.
Der Name des Mörders von Jakub Fiszman muss aus den
Internet-Archiven - genannt mit Bezug auf den Mord - verschwinden.
Urteil als
pdf-Datei
Verhandlungsbericht
03.11.2006
Der Kläger nahm seinen Antrag auf Erlass einer
Einstweiligern Verfügung im Berufungsverfahren vor dem OLG Hamburg
zurück.
Landgericht Hamburg
URTEIL
Im Namen des Volkes
Geschäfts-Nr.
324 O 521/06 |
Verkündet am:
07.11.2006 |
In der Sache
R.K.
JVA Schwalmstadt., Paradeplatz 5, 34613 Schwalmstadt |
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- Antragsteller -
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Prozessbevollmächtigte |
Rechtsanwälte Stopp pp.
Arnsburger Straße 5, 61184 Karben
Gz.: 142/06, |
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gegen
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Berliner Verlag GmbH,
vertreten durch den Geschäftsführer Peter Skulimma,
Karl-Liebknecht-Straße 29, 10178 Berlin |
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- Antragsgegnerin - |
Prozessbevollmächtigte |
Rechtsanwälte Schertz pp.
Kurfürstendamm 53, 10707 Berlin,
Gz.: 01672 - 06/CS/MO |
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erkennt das Landgericht Hamburg, Zivilkammer 24
auf die mündliche Verhandlung vom 3.11'2006
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Buske
den Richter am Landgericht Dr. Weyhe
den Richter am Landgericht Dr. Korte
für Recht:
I Die einstweilige Verfügung vom 16. August 2006 wird bestätigt.
[über den Antragsteller in Zusammenhang mit dem Mord an Jakub Fiszman
bei voller Namensnennung zu berichten]
II. Die Antragsgegnerin hat auch die weiteren Kosten des Verfahrens
zu
tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Bestand der einstweiligen
Verfügung der Kammer vom
16. August 2006, durch die der Antragsgegnerin verboten
worden ist, über den Antragssteller im Zusammenhang mit dem Mord
an Jakub Fiszman bei voller Namensnennung zu berichten.
Der Antragsteller war in den 90er Jahren
wegen Mordes an dem Geschäftsmann Jakub Fiszman festgenommen und
ist 1998 wegen Mordes zu lebenslanger Haft mit
anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Über den Fall,
der für erhebliches Aufsehen in Deutschland sorgte, berichteten die Medien bundesweit
ausführlich. Die Antragsgegnerin ist die Verlegerin der Tageszeitung "Berliner
Zeitung",
deren Beiträge über die Domain
www.berlinonline.de/berliner-zeitung
auch im lnternet verbreitet werden. In den 90er Jahren wurde
in der Druckausgabe der "Berliner
Zeitung" unter Nennung des Namens des Antragstellers über die Entführung
und
Ermordung von Jakub Fiszman über die Festnahme des Antragstellers
und dessen
Sohn und der anschließenden Verurteilung des Antragstellers zu
lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung berichtet.
Wegen der Einzelheiten der
Berichterstattung wird auf Anlage AS 1 verwiesen. Diese Artikel stellte
die Antragsgegnerin auch in das Internet unter der Rubrik „Archiv" ein.
Die dortigen Inhalte sind durch eine gezielte Schlagwortsuche kostenlos
und ohne vorherige Registrierung auf den Internetseiten der
Antragsgegnerin abrufbar. Eine Suchabfrage über die
Internetsuchmaschine "Google" führt über eine Trefferliste zu den
entsprechenden Links, über die die Artikel zu erreichen sind. Die
abgerufenen Artikel erscheinen jeweils unter Angabe des ursprünglichen
Erscheinungsdatums und sind mit „Textarchiv" überschrieben. Anfang Juli
2006 erhielt der Antragsteller, der selbst nicht über einen
Internetanschluss verfügt, durch seinen Prozessbevollmächtigten davon
Kenntnis, dass sich die angegriffene Berichterstattung im Internet
abrufen ließ (anwaltliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten des
Antragstellers in Anlage AS 3). Nach Abmahnung vom 11. Juli 2006
entfernte die Antragsgegnerin den Namen des Antragstellers von der
Website, eine Unterlassungserklärung gab sie nicht ab. Der Antragsteller
hat daraufhin auf seinen Antrag vom 3. August 2006 die einstweilige
Verfügung der Kammer vom 16. August 2006 erwirkt, gegen die sich der
Widerspruch der Antragsgegnerin richtet.
Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, dem
Antrag fehle es an der Eilbedürftigkeit. Durch die Berichterstattung sei
der Antragsteller zudem nicht in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt.
Er greife hier eine ursprünglich zulässige Berichterstattung an, die
nicht durch bloßen Zeitablauf unzulässig werden könne. Die
Resozialisierung des Antragstellers sei zudem durch die
Berichterstattung nicht gefährdet, da der Antragsteller zur Verbüßung
einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung
verurteilt worden ist und mit seiner baldigen Entlassung aus der Haft
oder auch nur der Gewährung von Hafterleichterungen nicht zu rechnen
sei.
Die Antragsqeqnerin beantragt,
die einstweilige Verfügung aufzuheben und den ihr zugrunde liegenden
Antrag zurückzuweisen.
Der Antragsteller beantragt.
die einstweilige Verfügung zu bestätigen.
Der Antragsteller ist der Ansicht, dass eine ihn identifizierbar
machende Berichterstattung unter vollständiger Namensnennung über die
zehn Jahre zurückliegende Tat unzulässig sei und ihn in seinem
allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletze. Für die Allgemeinheit bestehe
kein berechtigtes Informationsbedürfnis mehr über allgemeine
Informationen zu seiner Person.
Entscheidungsgründe
Die einstweilige Verfügung war zu bestätigen, weil sie sich auch unter
Berücksichtigung des Vorbringens der Antragsgegnerin in der
Widerspruchsbegründung als zu Recht erlassen erweist. Verfügungsgrund
und Verfügungsanspruch sind gegeben.
l. Ein Verfügungsgrund im Sinne des
§ 935 ZPO liegt vor. Insbesondere
ist die Dringlichkeit der Sache nicht deshalb entfallen, weil der
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung einen Monat nach
Kenntniserlangung von den Beiträgen bei Gericht einging. Ein solcher
Zeitraum ist nicht ausreichend, um davon ausgehen zu können, dass der
Antragsteller durch zu langes Zuwarten selbst zum Ausdruck bringen
würde, dass ihm die Sache nicht dringlich sei. Denn regelmäßig benötigt
der Betroffene eine gewisse Zeitspanne ab Kenntnis von der
Rechtsverletzung, um Rechtsrat einzuholen, sich die geeigneten
rechtlichen Schritte zu überlegen und die erforderlichen
Mittel zur Glaubhaftmachung heranzuschaffen. Eine gewisse Zeitspanne bis
zur Antragstellung ist zudem schon deshalb erforderlich, weil der
zukünftige Antragsteller in aller Regel - um auch im Interesse der
Gegenseite ein gerichtliches Verfahren eventuell zu vermeiden - den Äußernden
zunächst außerprozessual zur Abgabe einer
Unterlassungsverpflichtungserklärung aufzufordern hat, wie dies auch
hier durch den Antragsteller geschehen ist.
II. Auch ein Verfügungsanspruch ist gegeben. Dem Antragsteller steht der
geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1
Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, denn
die angegriffene Berichterstattung verletzt bei fortbestehender
Wiederholungsgefahr das allgemeine Persönlichkeitsrecht des
Antragstellers.
1. Die angegriffenen Artikel verletzen das Persönlichkeitsrecht des
Antragstellers. Die Berichterstattung bei voller Namensnennung berührt
den Schutzbereich seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 1 Abs. 1 GG. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und
die Menschenwürde sichern jedem Einzelnen einen autonomen Bereich
privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und
wahren kann. Hierzu gehört auch das Recht, in diesem Bereich "für sich
zu sein", "sich selber zu gehören" (so schon Arndt, Bespr. v. BGH, NJW
1966, S. 2353, in NJW 1967, S. 1845 ff., 1846) und ein Eindringen oder
einen Einblick durch andere auszuschließen (BVerfG, Urt. v. 5. 6. 1973,
BVerfGE 35, S. 202 ff., 233 ff. - Lebach l, m.w.N.). Es umfasst damit
das Verfügungsrecht über Darstellungen der eigenen Person (BVerfG aaO. -
Lebach l), das auch dann beeinträchtigt ist, wenn - und sei es
wahrheitsgemäß - öffentlich darüber berichtet wird, dass der Betroffene
in der Vergangenheit eine Straftat begangen hat. Eine Beeinträchtigung
liegt insbesondere in Darstellungen, die die Resozialisierung, mithin
die Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft nach
Verbüßung der Strafe wesentlich zu erschweren drohen (vgl. BVerfG aaO. -
Lebach l; BVerfG, Beschl. v. 25. 11. 1999, NJW 2000, S. 1859 ff., 1860
f. - Lebach II). Gerade bei einer Berichterstattung unter voller
Namensnennung, wie sie die Antragsgegnerin vorgenommen hat, liegt diese
Gefahr nahe.
Für die Antragsgegnerin streiten zwar vorliegend die Pressefreiheit, die
Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit aus Art. 5
Abs. 1 GG. Diese Grundrechte sind schlechthin konstituierend für die
freiheitlich-demokratische Grundordnung (BVerfG aaO. - Lebach l, m.w.N.).
Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses Einzelfalles hat
das Interesse der Öffentlichkeit,
etwas über die Person des Antragstellers zu erfahren, indessen hinter
seinem Individualinteresse, mit seiner Tat „in Ruhe gelassen" zu werden
und so eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen (a.),
im Rahmen der erforderlichen Abwägung (b.) zurückzutreten.
a. Die angegriffene Berichterstattung
gefährdet die Resozialisierung des Antragstellers, weil sie ihn mit
seiner Tat erneut an das Licht der Öffentlichkeit
zerrt und sich so bereits in der Haftsituation schädliche Wirkungen
ergeben können, die eine spätere Wiedereingliederung erschweren. Dem
steht nicht entgegen, dass für die Zeit nach Ablauf der lebenslangen
Freiheitsstrafe (aa.) eine Sicherungsverwahrung des Antragstellers
angeordnet ist (bb.) und eine unklare relative zeitliche Nähe zur
Haftentlassung besteht (cc.). Gemäß § 2 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG)
dient der Vollzug der Freiheitsstrafe ausschließlich der
Resozialisierung und dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren
Straftaten (§ 2 Satz 1, 2 StVollzG). Schädlichen Folgen des
Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken (§ 3 Abs. 2 StVollzG).
aa. Das allgemeine Vollzugsziel der Resozialisierung gilt auch für die
Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Für den nach §§ 211 Abs.
1, 38 Abs. 1 StGB zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten
Antragsteller ergibt sich ein Resozialisierungsinteresse aus Art. 2
Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 GG, denn auch der verurteilte Mörder
muss nach deutschem Recht grundsätzlich die Chance haben, nach Verbüßung
einer gewissen Strafzeit - in der Regel nach Verbüßung des gesetzlich
angeordneten Mindestmaßes von 15 Jahren, § 57a Abs. 1 StGB - wieder in
die Freiheit zu gelangen; bei diesem Grundsatz handelt es sich mithin um
ein Gebot mit Verfassungsrang (BVerfG, Beschl. v. 3. 6. 1992, NJW 1992,
S. 2947 ff., 2948 -Lebenslange Freiheitsstrafe). Schon nach
systematischer Betrachtung des Strafvollzugsgesetzes - und des in § 2
normierten Vollzugszieles für die Freiheitsentziehung - bezieht dieses
auch die lebenslange Freiheitsstrafe mit ein. Aber auch nach dem Sinn
und Zweck der Vorschriften wirkt sich das im Strafvollzugsgesetz
gesicherte Resozialisierungsziel für diese Täter aus. Es wird so
sichergestellt, dass sie bei einer späteren Entlassung noch
lebenstüchtig und wieder eingliederungsfähig sind (BVerfG aaO. -
Lebenslange Freiheitsstrafe). Die Vollzugsanstalten sind so auch bei den
zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen verpflichtet,
auf deren Resozialisierung hinzuwirken und schädlichen Auswirkungen des
Freiheitsentzugs
und damit auch und vor allem deformierenden Persönlichkeitsveränderungen
entgegenzuwirken (BVerfG aaO. - Lebenslange Freiheitsstrafe, m.w.N.).
Der verurteilte Straftäter muss die Chance erhalten, sich nach Verbüßung
seiner Strafe wieder in die Gemeinschaft einzuordnen (BVerfG aaO. -
Lebach l). Folgerichtig steht auch dem zu lebenslanger Haft verurteilten
Mörder ein Anspruch auf Resozialisierung zu, der stets aktuell ist, mag
für den Verurteilten auch erst nach langer Strafverbüßung die Aussicht
bestehen, sich auf das Leben in Freiheit einrichten zu dürfen (vgl.
BVerfG aaO. - Lebenslange Freiheitsstrafe).
bb. Das allgemeine Vollzugsziel der Resozialisierung gilt auch für den
Fall, dass gegen den Verurteilten nach § 66 StGB die anschließende
Sicherungsverwahrung angeordnet wird, da es sich bei der
Sicherungsverwahrung nicht lediglich um einen Verwahrvollzug des
gefährlichen Täters im Sinne eines „Wegsperren für immer" handelt. Denn
auch im Rahmen der Sicherungsverwahrung ist auf eine Resozialisierung
des Untergebrachten hinzuwirken (BVerfG, Urt. v. 5. 2. 2004, NJW 2004,
S. 739 ff., 740 - Sicherungsverwahrung). Die Sicherungsverwahrung ist
normativ wie tatsächlich geradezu am Resozialisierungsgedanken
ausgerichtet (BVerfG aaO., S. 740 - Sicherungsverwahrung): Speziell für
den Verurteilten in Sicherungsverwahrung regelt § 129 S. 2 StVollzG,
dass ihm zu helfen sei, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern.
Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Anordnung
der Unterbringung ohne zeitliche Obergrenze erfolgt. Damit das Resozialisierungsziel zum Tragen kommt, hat der Gesetzgeber für jedes
Vollzugsstadium der Maßregelüberprüfungsregelungen getroffen, die zur
Freilassung des Betroffenen führen können. Nach dem Willen des
Gesetzgebers ist die Erledigung der Sicherungsverwahrung nach dem
Ablauf von zehn Jahren die Regel. Eine Fortdauer ist nur ausnahmsweise
gestattet. Der Sicherungsverwahrte kann so bereits vor
Vollstreckungsbeginn voraussehen, zu welchen Zeitpunkten sich seine
Chance auf Entlassung realisieren kann. Das Gesetz stellt Überprüfungen
in jedem Vollzugsstadium der Maßregel sicher, die zur Freilassung des
Betroffenen führen können; gemäß § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB hat das
Gericht vor dem Ende des Strafvollzugs zu prüfen, ob von dem
Verurteilten unter Berücksichtigung seiner Entwicklung im Strafvollzug
nach Strafende noch eine Gefahr ausgeht, die den Vollzug der
Sicherungsverwahrung gebietet (vgl. BVerfG aaO. - Lebenslange
Freiheitsstrafe). Nach Beginn der Unterbringung ist im Abstand von
höchstens zwei Jahren (§ 67e Abs. 2 StGB) von Amts wegen zu untersuchen,
ob der Maßregelvollzug gemäß § 67d Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Sind zehn Jahre der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung vollzogen worden, so erklärt das Gericht gemäß §
67d Abs. 3 StGB die Maßregel für erledigt, sofern nicht die
qualifizierte Gefahr fortbesteht. Sollte eine Entlassung des Verwahrten
dennoch nicht möglich sein, ist anschließend jeweils spätestens vor dem
Ablauf von zwei Jahren über die Notwendigkeit weiterer Vollstreckung zu
entscheiden (§ 67e StGB; dazu BVerfG aaO. S. 740 -
Sicherungsverwahrung). Auch in diesem Zusammenhang gilt, dass die
Vollzugsanstalten im Blick auf die Grundrechte der eine lebenslange
Freiheitsstrafe verbüßenden Gefangenen verpflichtet sind, schädlichen
Auswirkungen des Freiheitsentzugs, vor allem deformierenden
Persönlichkeitsveränderungen, die die Lebenstüchtigkeit ernsthaft in
Frage stellen und es ausschließen, dass sich der Gefangene im Falle
einer Entlassung aus der Haft im normalen Leben noch zurechtzufinden
vermag, im Rahmen des Möglichen zu begegnen (BVerfG aaO. S. 740 -
Sicherungsverwahrung).
cc. Auch ohne eine relative zeitliche Nähe zur Haftentlassung können die
möglichen Folgen eines Berichts über die Straftat eines Verurteilten für
sein Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gravierend sein,
indem sie zu Stigmatisierung, sozialer Isolierung und einer darauf
beruhenden grundlegenden Verunsicherung führen (dazu vgl. BVerfG aaO. -
Lebach II). Mit dem Anspruch des Betroffenen, mit seiner Tat „in Ruhe
gelassen" zu werden, gewinnt es mit zeitlicher Distanz zur Straftat und
zum Strafverfahren zunehmende Bedeutung, vor einer Reaktualisierung
seiner Verfehlung verschont zu bleiben (vgl. jüngst BVerfG, Beschl v.
13. 6. 2006, NJW 2006, S. 2835 f. m.w.N.). Die Grenze zwischen dem
Zeitraum, in dem eine den Täter nennende Berichterstattung als aktuelle
Berichterstattung über ein Ereignis von öffentlichem Interesse
grundsätzlich zulässig ist, und dem Zeitraum, zu dem wegen
Zurück-tretens des berechtigten öffentlichen Interesses eine spätere
Darstellung oder Erörterung unzulässig geworden ist, lässt sich nicht
allgemein, jedenfalls nicht mit einer nach Monaten und Jahren für alle
Fälle fest umrissenen Frist fixieren (so schon BVerfG aaO. - Lebach l;
nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls kann bereits nach einem
Zeitraum von nur sechs Monaten nach Rechtskraft des Strafurteils die
Namensnennung unzulässig geworden sein, s. etwa BGH, Urt. v. 9. 6. 1965,
NJW 1965, S. 2148 ff. - Spielgefährtin l). Der maßgebende Zeitpunkt für
eine die Resozialisierung gefährdende, unzulässige Berichterstattung
unter Namensnennung ist aber jedenfalls erheblich früher anzusetzen, als
auf das Ende der Strafverbüßung. § 2 StVollzG gebietet es, vom Beginn
der Strafzeit an auf das Vollzugsziel der Resozialisierung hinzuarbeiten. Dem Gefangenen sollen Fähigkeit und Willen
zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden. Er soll es lernen,
sich unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch
zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre Risiken zu bestehen (BVerfG
aaO. - Lebach l). Eine Gefährdung der Resozialisierung ist durch eine
Berichterstattung auch dann zu befürchten, wenn die Tat bereits lange
Zeit zurückliegt. Gerade ein Mord ist derart persönlichkeitsbestimmend,
dass der Mörder mit der Tat praktisch lebenslang identifiziert wird (BVerfG
aaO. - Lebach II). Bezogen auf den Antragsteller bedeutet dies, dass in
der besonderen Situation der Haft, die seine derzeitige Umwelt
darstellt, sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt schädliche Wirkungen für
ihn ergeben können. So ist nicht auszuschließen, dass der Antragsteller
durch eine mediale Reaktualisierung von seinen Mithäftlingen und den
Vollzugsbeamten als Fiszman-Mörder erkannt und er sich aus Furcht vor
Missachtung und Ablehnung isolieren wird. In einer Situation, die
ohnehin von Isolation geprägt ist, kann ein innerer und äußerer Rückzug
des Betroffenen - z.B. durch Einrichtung von Einzelfreistunde, Aufgabe
einer Teilnahme an Gruppenveranstaltungen - dazu führen, dass die
Resozialisierung scheitert. Eine solche Isolierung kann gerade labilen
Naturen den Mut zu neuem Anfang nehmen und sie auf den gleichen Weg
zurückwerfen, der sie schon einmal in die Kriminalität führte (s. hierzu BVerfG aaO. - Lebach l). Das aber widerspräche den oben dargelegten
Vollzugszielen, wonach auch ein Straftäter wie der Antragsteller ein
Recht darauf haben soll, schon während seiner Haftzeit die Erfahrung
machen zu können, dass ihn seine Umwelt vorurteilslos wieder aufnimmt.
b. Es besteht auch kein vorrangiges, die
Interessen des Antragstellers überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an einer Aufrechterhaltung
einer solchen Berichterstattung über die nunmehr beinahe zehn Jahre
zurückliegende Straftat, durch die der Antragsteller ohne Weiteres
identifizierbar gemacht wird.
aa. Das Bereithalten der - zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung im
Hinblick auf die Nennung des Namens des Antragstellers zulässigen -
Artikel durch die Antragsgegnerin auf ihren Internetseiten begründet
nunmehr nach Zeitablauf die Gefahr der ständigen Reaktualisierung der
Persönlichkeitsrechtsverletzung des Antragstellers, die sich durch jeden
Abruf der Berichterstattung erneut realisiert. Die Unzulässigkeit einer
solchen Berichterstattung beschränkt die Antragsgegnerin in ihren
Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 GG nur geringfügig. Denn die Tat selbst
wird dadurch nicht dem Bereich der Gegenstände, über die öffentlich
berichtet werden darf, entzogen. Eingeschränkt wird das Recht, über die spektakuläre Tat des Antragstellers
zu berichten, nur dadurch, dass er den Lesern nicht durch Nennung
seines Namens ohne Weiteres erkennbar gemacht werden darf. Es ist nicht
ersichtlich, inwieweit dadurch die Berichterstattungsfreiheit mehr als
nur marginal begrenzt würde.
bb. Auch der für Fälle der vorliegenden Art aufgebrachte Grundgedanke
eines „Archivprivilegs" vermag zu keiner abweichenden Beurteilung zu
führen, jedenfalls soweit es um so genannte „Online-Archive" im
Internet geht.
(a) Es erscheint schon als zweifelhaft, ob es sich bei dem Bereich
des Internetautritts der Antragsgegnerin, an dem sich die beanstandete
Berichterstattung befand,um ein „Archiv" handelt. Denn für den
Internetnutzer handelt es sich bei diesem Bereich letztlich um nichts
anderes als einen der Bereiche, unter denen Meldungen aufzufinden sind; der Unterschied zu den Meldungen anderer Bereiche ist
lediglich der,
dass es sich unter den hier vorgehaltenen Meldungen um solche älteren
Datums
handelt. Weshalb aber das schlichte Alter einer Meldung als solches ein
taugliches Kriterium sein soll, um das Verbreiten der einen Meldung
gegenüber dem einer anderen zu privilegieren, ist nicht einzusehen. Aber auch aus
grundsätzlichen Erwägungen heraus, erscheint der Archivgedanke nicht als tragfähig:
(b) Auf ein Archivprivileg, das analog dem des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG gestaltet wäre,
kann sich die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg berufen. Insoweit kann es
für die Abwägung der Interessen zwischen der von der Berichterstattung betroffenen
Person
und dem Verbreiter der Berichterstattung nicht darauf ankommen, ob
letzterer der
Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechtes im Sinne des
Urhebergesetzes an
den betreffenden Artikeln ist. Gegen eine analoge Anwendung der
urheberrechtlichen Archivregelung spricht zudem, dass für eine solche Privilegierung
hier bereits deshalb kein Raum besteht, weil ein Zugriff auf das Archiv
der Antragsgegnerin jedermann möglich ist. Die Regelung in § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG, die den
„Archivar" von
Ansprüchen des Urhebers freistellt, wenn zur Aufnahme in sein Archiv
fremde
Werkstücke vervielfältigt werden, findet nicht für jedes Archiv
Anwendung. Nach § 53
Abs. 5 UrhG ist das Archivprivileg insbesondere auf solche Datenbanken
beschränkt,
die nicht mit elektronischen Mitteln zugänglich sind. Diese
Ausnahmevorschrift
kommt bereits dann nicht zum Tragen, wenn das Archiv auch nur von einer
Mehrzahl
von Unternehmensangehörigen genutzt werden kann (BGH, Urt. v.
10.12.1998,
GRUR 1999, S. 325 ff., 327 m.w.N.). Erst recht findet sie keine
Anwendung, wenn
außenstehenden Dritten Zugriff auf das Archiv gewährt wird (BGH, Urt. v.
16.1. 1997, GRUR 1997, S. 459 ff., 463 - CB-Infodatenbank l). Das hat
seinen Grund darin, dass eine Multiplikatorfunktion mit der bezweckten
Beschränkung auf bloße Bestandssicherung nicht zu vereinbaren ist,
weshalb auch eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 53 Abs. 2
Nr. 2 UrhG nicht angängig ist (vgl. BGH, Urt. v. 10. 12. 1998, GRUR
1999, S. 325 ff., 327 m.w.N. - elektronische Pressearchive).
Вiese für das Urheberrecht entwickelten Grundsätze sind es, die gerade
dafür sprechen, dass es ein „Archivprivileg" für in das Internet
eingestellte ehemals aktuelle Meldungen nicht geben kann, sondern dass
ein Medienunternehmen, das sein Archiv - insbesondere durch Gewährung
des Zugangs über das Internet - auch für dritte Nutzer zugänglich macht,
dafür Sorge zu tragen hat, dass Beiträge, deren Verbreitung nicht oder
nicht mehr zulässig ist, gelöscht oder so archiviert werden, dass ihre
weitere Verbreitung ausgeschlossen ist. Denn der technische Fortschritt,
der die Speicherung und Zugänglichmachung von Daten in immer weiterem
Umfang zulässt, darf nicht dazu führen, dass
Persönlichkeitsrechtsverletzungen eher hinzunehmen sind (BGH, Urt. v.
16. 9. 1966, NJW 1966, S. 2353 ff., 2354; BVerfG, Beschl. v. 9. 10.
2002, NJW 2002, S. 3619 ff., 3621; s. auch BVerfG, Urt. v. 15. 12. 1983,
BVerfGE 65, S. 1 ff. = NJW 1984, S. 419 ff., 421 f. - Volkszählung).
(c) Im Übrigen wird auch aus den gesetzlichen Regelungen über die
Verwaltung von Archivgut deutlich, dass nach gesetzgeberischer Wertung
zeitliche Schutzfristen für archivierte Beiträge zu beachten sind, die
den Schutz der Persönlichkeitsrechte der von dem Archivgut betroffenen
Personen dienen, und dass solche Schutzfristen geradezu zum Wesen des
Archivrechts gehören. So darf etwa nach § 5 Abs. 2 BArchG Archivgut, das
sich auf natürliche Personen bezieht, erst 30 Jahre nach dem Tode der
betroffenen Person durch Dritte benutzt werden; ist das Todesjahr nicht
oder nur mit unvertretbarem Aufwand festzustellen, endet die Schutzfrist
erst 110 Jahre nach der Geburt des Betroffenen. Entsprechende Regelungen
enthalten auch die Archivgesetze der Länder (s. z.B. § 5 des
Hamburgischen Archivgesetzes v. 21. 1. 1991). Mit derartigen
Schutzfristen wird ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen
der von den Inhalten des zu archivierenden Schrift- oder Bildguts
betroffenen Personen und der Notwendigkeit, kulturell bedeutsames
Mediengut dauerhaft zu erhalten und der Öffentlichkeit zur Nutzung zur
Verfügung zu stellen, geschaffen. Schon zuvor darf Archivgut genutzt
werden, ggf. sind aber die von ihm betroffenen Personen unkenntlich zu
machen (s. z.B. auch § 12 Abs. 4 und 5 Stasi-Unterlagen-Gesetz, § 30 BDSG). Auch dies zeigt, dass der Gesetzgeber es als
durchaus zumutbar ansieht, wenn ggf. eine nur unter Anonymisierung (§ 3
Abs. 6 BDSG) der betreffenden Person erfolgende Verbreitung von
Informationen zugelassen wird.
Einen allgemeinen Rechtsgedanken, wonach die Verbreitung archivierter
Materialien gegenüber der von aktuellen Meldungen in weiterem Umfange
generell zulässig wäre, solange die von den Inhalten des Materials
betroffenen Personen noch am Leben sind, gibt es damit nicht.
d. Damit schuldet die Antragsgegnerin als
Störerin Unterlassung. Das Eingreifen von Rechtsfertigungsgründen - etwa
wegen eines überwiegenden Interesses der Öffentlichkeit an der Führung gerade des
streitgegenständlichen Archivs - ist weder dargelegt noch ersichtlich.
Wie ausgeführt, erfüllt die hier praktizierte schlichte öffentliche
Bereithaltung älterer, von der Antragsgegnerin selbst erstellter
Veröffentlichungen bereits nicht die spezifischen Funktionen eines
Archivs, das an dem grundsätzlich berechtigten Interesse ausgerichtet
ist, publizistische Erzeugnisse „dem wissenschaftlich und kulturell
Interessierten möglichst geschlossen zugänglich zu machen und künftigen
Generationen einen umfassenden Eindruck vom geistigen Schaffen früherer
Epochen zu vermitteln" (BVerfG, B. v. 14. 7. 1981, NJW 1982, S. 633 ff.,
634 - zu Pflichtexemplaren). Demnach kann es im vorliegenden Fall auch
dahinstehen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang den Betreiber eines
derartigen „Archivs" Prüfungspflichten bezüglich ursprünglich
rechtmäßiger Veröffentlichungen treffen.
3. Die nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB den Unterlassungsanspruch
auslösende Wiederholungsgefahr ist aufgrund der eingetretenen
Rechtsverletzung indiziert.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO
Buske
Weyhe
Korte
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Rolf Schäike
Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 30.04.07
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