erkennt das Landgericht Hamburg, Zivilkammer 24, auf die
mündliche Verhandlung vom 07.12.2007 durch den Vorsitzenden
Richter am Landgericht Buske, den Richter am Landgericht Dr.
Korte, den Richter Dr. Link
für Recht:
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom
Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden
Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht
beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer
Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im
Einzelfall höchstens 250.000,00 Euro; Ordnungshaft insgesamt
höchstens 2 Jahre)zu unterlassen,
über den Kläger im Zusammenhang mit dem Mord an Walter
Sedlmayr unter voller Namensnennung zu berichten oder solche
Berichte zu verbreiten oder öffentlich zugänglich zu machen;
sowie
das in "Der Spiegel" 49/1992 auf Seite 130 mit der
Bildunterschrift "Angeklagte Brüder L. , W. (r.): Keine
Klarheit über den Todeszeitpunkt durch den Rechtsmediziner"
veröffentlichte Bildnis des Klägers sowie das in "Der
Spiegel" 39/1992 auf Seite 77 mit der Bildunterschrift
"Angeklagter L. (r.): Hammer im Auto" veröffentlichte
Bildnis des Klägers im Zusammenhang mit dem Mord an Walter
Sedlmayr zu veröffentlichen oder öffentlich zugänglich zu
machen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreites zu
tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich Ziffer 1. des Tenors gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von Euro 20.000,-- und
hinsichtlich Ziffer 2. des Tenors gegen Sicherheitsleistung
in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages
vorläufig vollstreckbar;
und beschließt: Der Streitwert wird auf Euro 20.000,-- festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.
Der Kläger wurde im Jahr 1992 wegen Mordes an dem
Geschäftsmann Walter Sedlmayr festgenommen und im Jahr 1993
wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Über den Fall,
der für erhebliches Aufsehen in Deutschland sorgte,
berichteten die Medien bundesweit ausführlich. Im Jahr 2004
wandte sich der Kläger im Zusammenhang mit seinem
Wiederaufnahmeverfahren an die Presse und stellte ihr
Unterlagen aus dem Wiederaufnahmeverfahren sowie weitere
Informationen zur Verfügung.
Die Haftentlassung des Klägers steht nunmehr bevor.
Die Beklagte ist für die Online-Seiten des Spiegel –
www.s.de – verantwortlich. Über diese Online-Seite vertreibt
sie sogenannte "Dossiers". Darunter war das "Dossier"
"Walter Sedlmayr – Der Mord mit dem Hammer", in dem Beiträge
enthalten waren, die über den Mord an Walter Sedlmayr unter
voller Namensnennung des Klägers berichteten und die zum
Teil auch mit Bildern des Klägers, auf denen dieser zu
erkennen war, versehen waren (Anlagenkonvolut K 1). Wegen
der Einzelheiten der Berichterstattung wird auf das
Anlagenkonvolut K1 verwiesen. Dieses Dossier und drei der
fünf darin genannten Beiträge werden inzwischen von der
Beklagten nicht mehr zum Abruf bereitgehalten.
Der Kläger ist der Ansicht, dass eine ihn
identifizierende Berichterstattung unter Nennung seines
vollen Namens und insbesondere unter Verbreitung seines
Bildes über die fünfzehn Jahre zurückliegende Tat unzulässig
sei und ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht
verletze. Für die Allgemeinheit bestehe kein berechtigtes
Informationsbedürfnis mehr, das über allgemeine
Informationen über den Fall hinausgehe.
Der Kläger
beantragt,
der Beklagten zu untersagen, bei Vermeidung eines in
jedem Fall der Zuwiderhandlung fälligen
Ordnungsgeldes bis zum Betrag von Euro 250.000,-
ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu
vollstrecken an ihrem Geschäftsführer,
über den Kläger im Zusammenhang mit dem Mord an
Walter Sedlmayr unter voller Namensnennung zu
berichten oder solche Berichte zu verbreiten oder
öffentlich zugänglich zu machen; sowie
das Bildnis des Klägers ohne dessen Zustimmung im
Zusammenhang mit dem Mord an Walter Sedlmayr zu
veröffentlichen oder öffentlich zugänglich zu
machen.
Die Beklagte
beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, dass sie das in Rede stehende "Dossier"
mit den Presseartikeln über den Mordfall Sedlmayr lediglich
in ihrem Online-Archiv archiviert und zum Abruf bereit
gehalten habe. Insoweit ist sie der Ansicht, die
Archivierung sei wegen der sozialen Bedeutung von Archiven
auch geboten und verletze die persönlichkeitsrechtlichen
Belange des Klägers nicht. Die Bereithaltung in einem
Online-Archiv habe nicht die Breitenwirkung einer erneut
identifizierenden Berichterstattung im Internet, da die
Artikel nicht ohne weiteres zugänglich seien. Dagegen
beeinträchtige das Verbot die Pressefreiheit
unverhältnismäßig. Im Übrigen beruhe ein Teil der zum Abruf
bereit gehaltenen Berichterstattung darauf, dass der Kläger
selbst sich im Zusammenhang mit seinem
Wiederaufnahmeverfahren an die Presse gewandt und ihr
Unterlagen aus dem Wiederaufnahmeverfahren sowie weitere
Informationen zur Verfügung gestellt habe (insoweit nimmt
die Beklagte Bezug auf das Urteil des LG Frankfurt, MMR
2007, 59).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte
gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das
Protokoll der Sitzung vom 07. 12. 2007 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Klagantrag war
hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung so auszulegen, dass
die Androhung der gesetzlichen Zwangsmittel des § 890 Abs. 1
ZPO beantragt werden sollte. Der Tenor wurde entsprechend
dieser Auslegung angepasst.
Dem Kläger steht der geltend gemachte
Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2
BGB analog in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG zu,
denn die angegriffene Berichterstattung verletzt bei
fortbestehender Wiederholungsgefahr sein allgemeines
Persönlichkeitsrecht.
Die Kammer hat hierzu im Urteil vom 23.03.2007 (Az.:
324 O 783/06) zu einem anderen, in verschiedenen Aspekten
ähnlich gelagerten Sachverhalt folgendes ausgeführt:
"1. Die angegriffenen Artikel verletzen das
Persönlichkeitsrecht des Klägers. Die Berichterstattung bei
voller Namensnennung berührt den Schutzbereich seiner
Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs.
1 GG. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und
die Menschenwürde sichern jedem Einzelnen einen autonomen
Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine
Individualität entwickeln und wahren kann. Hierzu gehört
auch das Recht, in diesem Bereich "für sich zu sein", "sich
selber zu gehören" (so schon Arndt, Bespr. v. BGH, NJW 1966,
S. 2353, in NJW 1967, S. 1845 ff., 1846) und ein Eindringen
oder einen Einblick durch andere auszuschließen (BVerfG,
Urt. v. 5. 6. 1973, BVerfGE 35, S. 202 ff., 233 ff. – Lebach
I, m.w.N.). Es umfasst damit das Verfügungsrecht über
Darstellungen der eigenen Person (BVerfG aaO. – Lebach I),
das auch dann beeinträchtigt ist, wenn – und sei es
wahrheitsgemäß – öffentlich darüber berichtet wird, dass der
Betroffene in der Vergangenheit eine Straftat begangen hat.
Eine Beeinträchtigung liegt insbesondere in Darstellungen,
die die Resozialisierung, mithin die Wiedereingliederung von
Straftätern in die Gesellschaft nach Verbüßung der Strafe
wesentlich zu erschweren drohen (vgl. BVerfG aaO. – Lebach
I; BVerfG, Beschl. v. 25. 11. 1999, NJW 2000, S. 1859 ff.,
1860 f. – Lebach II). Gerade bei einer Berichterstattung
unter voller Namensnennung, wie sie die Beklagte vorgenommen
hat, liegt diese Gefahr nahe.
Die Beklagte hat den Kläger durch die angegriffenen
Artikel in Bezug zu der Tat gesetzt, wegen der er verurteilt
worden ist; dies erfolgte zudem öffentlich. Unstreitig hat
die Beklagte die in Rede stehenden Artikel, in denen er als
Täter des Mordes an …namentlich genannt wird, in ihrem
Online-Archiv in der Weise zum Abruf vorgehalten, dass
Nutzer diese lesen konnten. Bei einer derartigen
"Archivierung" handelt es gerade nicht um ein lediglich
internes Archiv der Beklagten, denn diese Artikel waren für
jedermann über das Internet öffentlich zugänglich. Hierdurch
wurde die Täterschaft des Klägers für die Öffentlichkeit
ständig aktualisiert, indem die Artikel jederzeit abrufbar
waren.
Für die Beklagte streitet zwar vorliegend die Freiheit
der Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht
ist schlechthin konstituierend für die
freiheitlich-demokratische Grundordnung (BVerfG aaO. –
Lebach I, m.w.N.). Unter Berücksichtigung der besonderen
Umstände dieses Einzelfalles hat das Interesse der
Öffentlichkeit, etwas über die Person des Klägers zu
erfahren, indessen hinter seinem Individualinteresse, mit
seiner Tat "in Ruhe gelassen" zu werden und so eine
Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen (a.),
im Rahmen der erforderlichen Abwägung (b.) zurückzutreten.
a. Die angegriffene Berichterstattung gefährdet die
Resozialisierung des Klägers, weil sie ihn mit seiner Tat
erneut an das Licht der Öffentlichkeit zerrt und sich so
bereits in der Haftsituation schädliche Wirkungen ergeben
können, die eine spätere Wiedereingliederung erschweren.
(...) Gemäß § 2 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) dient
der Vollzug der Freiheitsstrafe ausschließlich der
Resozialisierung und dem Schutz der Allgemeinheit vor
weiteren Straftaten (§ 2 Satz 1, 2 StVollzG). Schädlichen
Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken (§ 3 Abs. 2
StVollzG).
aa. Das allgemeine Vollzugsziel der Resozialisierung
gilt auch für die Verhängung einer lebenslangen
Freiheitsstrafe. Für den … zu lebenslanger Freiheitsstrafe
verurteilten Kläger ergibt sich ein
Resozialisierungsinteresse aus Art. 2 Abs. 1 GG in
Verbindung mit Art. 1 GG, denn auch der verurteilte Mörder
muss nach deutschem Recht grundsätzlich die Chance haben,
nach Verbüßung einer gewissen Strafzeit – in der Regel nach
Verbüßung des gesetzlich angeordneten Mindestmaßes von 15
Jahren, § 57a Abs. 1 StGB – wieder in die Freiheit zu
gelangen; bei diesem Grundsatz handelt es sich mithin um ein
Gebot mit Verfassungsrang (BVerfG, Beschl. v. 3. 6. 1992,
NJW 1992, S. 2947 ff., 2948 – Lebenslange Freiheitsstrafe).
Schon nach systematischer Betrachtung des
Strafvollzugsgesetzes – und des in § 2 normierten
Vollzugszieles für die Freiheitsentziehung – bezieht dieses
auch die lebenslange Freiheitsstrafe mit ein. Aber auch nach
dem Sinn und Zweck der Vorschriften wirkt sich das im
Strafvollzugsgesetz gesicherte Resozialisierungsziel für
diese Täter aus. Es wird so sichergestellt, dass sie bei
einer späteren Entlassung noch lebenstüchtig und wieder
eingliederungsfähig sind (BVerfG aaO. – Lebenslange
Freiheitsstrafe). Die Vollzugsanstalten sind so auch bei den
zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen
verpflichtet, auf deren Resozialisierung hinzuwirken und
schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzugs und damit auch
und vor allem deformierenden Persönlichkeitsveränderungen
entgegenzuwirken (BVerfG aaO. – Lebenslange Freiheitsstrafe,
m.w.N.). Der verurteilte Straftäter muss die Chance
erhalten, sich nach Verbüßung seiner Strafe wieder in die
Gemeinschaft einzuordnen (BVerfG aaO. – Lebach I).
Folgerichtig steht auch dem zu lebenslanger Haft
verurteilten Mörder ein Anspruch auf Resozialisierung zu,
der stets aktuell ist, mag für den Verurteilten auch erst
nach langer Strafverbüßung die Aussicht bestehen, sich auf
das Leben in Freiheit einrichten zu dürfen (vgl. BVerfG aaO.
– Lebenslange Freiheitsstrafe).
(...)
cc. Auch ohne eine relative zeitliche Nähe zur
Haftentlassung können die möglichen Folgen eines Berichts
über die Straftat eines Verurteilten für sein Grundrecht auf
freie Entfaltung der Persönlichkeit gravierend sein, indem
sie zu Stigmatisierung, sozialer Isolierung und einer darauf
beruhenden grundlegenden Verunsicherung führen (dazu vgl.
BVerfG aaO. – Lebach II). Mit dem Anspruch des Betroffenen,
mit seiner Tat "in Ruhe gelassen" zu werden, gewinnt es mit
zeitlicher Distanz zur Straftat und zum Strafverfahren
zunehmende Bedeutung, vor einer Reaktualisierung seiner
Verfehlung verschont zu bleiben (vgl. jüngst BVerfG, Beschl
v. 13. 6. 2006, NJW 2006, S. 2835 f. m.w.N.). Die Grenze
zwischen dem Zeitraum, in dem eine den Täter nennende
Berichterstattung als aktuelle Berichterstattung über ein
Ereignis von öffentlichem Interesse grundsätzlich zulässig
ist, und dem Zeitraum, zu dem wegen Zurücktretens des
berechtigten öffentlichen Interesses eine spätere
Darstellung oder Erörterung unzulässig geworden ist, lässt
sich nicht allgemein, jedenfalls nicht mit einer nach
Monaten und Jahren für alle Fälle fest umrissenen Frist
fixieren (so schon BVerfG aaO. – Lebach I; nach den
Umständen des jeweiligen Einzelfalls kann bereits nach einem
Zeitraum von nur sechs Monaten nach Rechtskraft des
Strafurteils die Namensnennung unzulässig geworden sein, s.
etwa BGH, Urt. v. 9. 6. 1965, NJW 1965, S. 2148 ff. –
Spielgefährtin I). Der maßgebende Zeitpunkt für eine die
Resozialisierung gefährdende, unzulässige Berichterstattung
unter Namensnennung ist aber jedenfalls erheblich früher
anzusetzen, als auf das Ende der Strafverbüßung. § 2
StVollzG gebietet es, vom Beginn der Strafzeit an auf das
Vollzugsziel der Resozialisierung hinzuarbeiten. Dem
Gefangenen sollen Fähigkeit und Willen zu verantwortlicher
Lebensführung vermittelt werden. Er soll es lernen, sich
unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne
Rechtsbruch zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre
Risiken zu bestehen (BVerfG aaO. – Lebach I). Eine
Gefährdung der Resozialisierung ist durch eine
Berichterstattung auch dann zu befürchten, wenn die Tat
bereits lange Zeit zurückliegt. Gerade ein Mord ist derart
persönlichkeitsbestimmend, dass der Mörder mit der Tat
praktisch lebenslang identifiziert wird (BVerfG aaO. –
Lebach II). Bezogen auf den Kläger bedeutet dies, dass in
der besonderen Situation der Haft, die seine derzeitige
Umwelt darstellt, sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt
schädliche Wirkungen für ihn ergeben können. So ist es
jedenfalls nicht a priori auszuschließen, dass sich der
Kläger durch eine mediale Reaktualisierung aus Furcht vor
Missachtung und Ablehnung isolieren wird. In einer
Situation, die ohnehin von Isolation geprägt ist, kann ein
innerer und äußerer Rückzug des Betroffenen – z.B. durch
Einrichtung von Einzelfreistunde, Aufgabe einer Teilnahme an
Gruppenveranstaltungen – dazu führen, dass die
Resozialisierung scheitert. Das aber widerspräche den oben
dargelegten Vollzugszielen, wonach auch ein Straftäter wie
der Kläger ein Recht darauf haben soll, schon während seiner
Haftzeit die Erfahrung machen zu können, dass ihn seine
Umwelt vorurteilslos wieder aufnimmt.
b. Es besteht auch kein vorrangiges, die Interessen
des Klägers überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an
einer Aufrechterhaltung einer Berichterstattung über die
nunmehr mehr als zehn Jahre zurückliegende Straftat bzw. die
nahezu zehn Jahre zurückliegende Verurteilung unter Nennung
des Namens des Klägers.
aa. Die Bereithaltung der streitgegenständlichen
Artikel durch die Beklagte auf ihren Internetseiten
begründet – wie ausgeführt – die Gefahr der ständigen
Reaktualisierung der Persönlichkeitsrechtsverletzung des
Klägers, die sich durch jeden Abruf der Berichterstattung
erneut realisiert. Die Unzulässigkeit einer solchen
Berichterstattung beschränkt die Beklagte in ihren
Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 GG nur geringfügig. Denn die
Tat selbst wird dadurch nicht dem Bereich der Gegenstände,
über die öffentlich berichtet werden darf, entzogen.
Eingeschränkt wird das Recht, über die spektakuläre Tat des
Klägers zu berichten, nur dadurch, dass er den Lesern nicht
durch Nennung seines Namens ohne weiteres erkennbar gemacht
werden darf. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit dadurch die
Berichterstattungsfreiheit mehr als nur geringfügig begrenzt
würde. Auf der anderen Seite ist nicht ersichtlich, weshalb
es für den Kläger weniger gravierend sein soll, wenn dem
Leser einer Veröffentlichung deutlich wird, dass diese
bereits vor vielen Jahren erstmals veröffentlicht worden
war; die stigmatisierende Wirkung, die mit einer Verknüpfung
seines Namens mit seinen schrecklichen Taten einhergeht,
wird durch alte Artikel genauso perpetuiert wie durch
solche, die aktuell veröffentlicht wurden. Auch ist der
Aufmerksamkeitswert für die Öffentlichkeit zwar zweifellos
höher, wenn eine derartige Berichterstattung im aktuellen
Teil einer Online-Veröffentlichung erfolgt, denn nur dieser
Bereich wird vom Leser ähnlich einer Zeitung "durchgelesen",
während der Zugriff auf ältere Veröffentlichungen regelmäßig
ein gezieltes Tätigwerden des Lesers – in der Regel durch
Eingabe von Suchbegriffen – erfordert. Damit sind derartige
Artikel aber nicht gänzlich aus dem Blickfeld der
Öffentlichkeit verschwunden, denn durch die heute weit
verbreitete Verwendung von Suchmaschinen sind Artikel, die
seit Jahren im Internet stehen, in genau der gleichen Weise
erreichbar, wie der Artikel vom Vortage, der soeben erst in
den "Archivbereich" verschoben wurde. Für den vorliegenden
Fall bedeutet dies, dass jeder Internetnutzer, der den Namen
des Mordopfers … in eine Suchmaschine eingibt, in
Bruchteilen von Sekunden Artikel wie die
streitgegenständlichen auffinden kann, die den Namen des
Klägers mit dieser Tat verknüpfen. Mit anderen Worten: Zwar
ist zutreffend, dass "archivierte" Artikel in der Regel
nicht "zufällig" gelesen werden, die durch den Einsatz
hocheffizienter Suchmaschinen ermöglichte einfache und
blitzschnelle Auffindbarkeit befördert aber alle älteren
Artikel gleichberechtigt auf eine Ebene der Wahrnehmbarkeit
und Reichweite, die nur knapp unterhalb der einer
Veröffentlichung im "aktuellen" Teil einer Internetplattform
liegt. Demnach stellt es für den Kläger keine Erleichterung
dar, dass ihn betreffende Artikel "nur" über Suchmaschinen
auffindbar sind, sondern die Möglichkeit einer derartigen
Auffindbarkeit begründet gerade ein gegenüber anderen Formen
der Publikation erheblich intensiviertes und ganz eigenes
Maß an perpetuierter Beeinträchtigung.
bb. Auch der von der Beklagten angeführte Grundgedanke
eines "Archivprivilegs" vermag zu keiner abweichenden
Beurteilung zu führen, jedenfalls soweit es um so genannte
"Online-Archive" der vorliegend streitgegenständlichen Art
geht.
(a) Es erscheint schon als zweifelhaft, ob es sich bei
dem Bereich des Internetauftritts der Beklagten, an dem sich
die beanstandete Veröffentlichung befand, um ein "Archiv"
handelt. Denn für den Internetnutzer handelt es sich bei
diesem Bereich letztlich um nichts anderes als einen der
Bereiche, unter denen Meldungen aufzufinden sind; der
Unterschied zu den Meldungen anderer Bereiche ist lediglich
der, dass es sich unter den hier vorgehaltenen Meldungen um
solche älteren Datums handelt. Weshalb aber das schlichte
Alter einer Meldung als solches ein taugliches Kriterium
sein soll, um das Verbreiten der einen Meldung gegenüber dem
einer anderen zu privilegieren, ist nicht einzusehen. Aber
auch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus, erscheint der
Archivgedanke nicht als tragfähig:
(b) Auf ein Archivprivileg, das analog dem des § 53
Abs. 2 Nr. 2 UrhG gestaltet wäre, kann sich die Beklagte
nicht mit Erfolg berufen. Insoweit kann es für die Abwägung
der Interessen zwischen der von der Berichterstattung
betroffenen Person und dem Verbreiter der Berichterstattung
nicht darauf ankommen, ob letzterer der Inhaber eines
ausschließlichen Nutzungsrechtes im Sinne des
Urhebergesetzes an den betreffenden Artikeln ist. Gegen eine
analoge Anwendung der urheberrechtlichen Archivregelung
spricht zudem, dass für eine solche Privilegierung hier
bereits deshalb kein Raum besteht, weil ein Zugriff auf das
Archiv der Beklagten jedermann möglich ist. Die Regelung in
§ 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG, die den "Archivar" von Ansprüchen
des Urhebers freistellt, wenn zur Aufnahme in sein Archiv
fremde Werkstücke vervielfältigt werden, findet nicht für
jedes Archiv Anwendung. Nach § 53 Abs. 5 UrhG ist das
Archivprivileg insbesondere auf solche Datenbanken
beschränkt, die nicht mit elektronischen Mitteln zugänglich
sind. Diese Ausnahmevorschrift kommt bereits dann nicht zum
Tragen, wenn das Archiv auch nur von einer Mehrzahl von
Unternehmensangehörigen genutzt werden kann (BGH, Urt. v.
10. 12. 1998, GRUR 1999, S. 325 ff., 327 m.w.N.). Erst recht
findet sie keine Anwendung, wenn außenstehenden Dritten
Zugriff auf das Archiv gewährt wird (BGH, Urt. v. 16. 1.
1997, GRUR 1997, S. 459 ff., 463 – CB-Infodatenbank I). Das
hat seinen Grund darin, dass eine Multiplikatorfunktion mit
der bezweckten Beschränkung auf bloße Bestandssicherung
nicht zu vereinbaren ist, weshalb auch eine Ausdehnung des
Anwendungsbereiches des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG nicht
angängig ist (vgl. BGH, Urt. v. 10. 12. 1998, GRUR 1999, S.
325 ff., 327 m.w.N. – elektronische Pressearchive).
Diese für das Urheberrecht entwickelten Grundsätze
sind es, die gerade dafür sprechen, dass es ein
"Archivprivileg" für in das Internet eingestellte ehemals
aktuelle Meldungen nicht geben kann, sondern dass jedenfalls
ein Medienunternehmen, das sein Archiv gerade durch
Gewährung des Zugangs über das Internet auch für dritte
Nutzer zugänglich macht, dafür Sorge zu tragen hat, dass
Beiträge, deren Verbreitung nicht oder nicht mehr zulässig
ist, gelöscht oder so archiviert werden, dass ihre weitere
Verbreitung ausgeschlossen ist. Denn der technische
Fortschritt, der die Speicherung und Zugänglichmachung von
Daten in immer weiterem Umfang zulässt, darf nicht dazu
führen, dass Persönlichkeitsrechtsverletzungen eher
hinzunehmen sind (BGH, Urt. v. 16. 9. 1966, NJW 1966, S.
2353 ff., 2354; BVerfG, Beschl. v. 9. 10. 2002, NJW 2002, S.
3619 ff., 3621; s. auch BVerfG, Urt. v. 15. 12. 1983,
BVerfGE 65, S. 1 ff. = NJW 1984, S. 419 ff., 421 f. –
Volkszählung).
(c) Im Übrigen wird auch aus den gesetzlichen
Regelungen über die Verwaltung von Archivgut deutlich, dass
nach gesetzgeberischer Wertung zeitliche Schutzfristen für
archivierte Beiträge zu beachten sind, die den Schutz der
Persönlichkeitsrechte der von dem Archivgut betroffenen
Personen dienen, und dass solche Schutzfristen geradezu zum
Wesen des Archivrechts gehören. So darf etwa nach § 5 Abs. 2
BArchG Archivgut, das sich auf natürliche Personen bezieht,
erst 30 Jahre nach dem Tode der betroffenen Person durch
Dritte benutzt werden; ist das Todesjahr nicht oder nur mit
unvertretbarem Aufwand festzustellen, endet die Schutzfrist
erst 110 Jahre nach der Geburt des Betroffenen.
Entsprechende Regelungen enthalten auch die Archivgesetze
der Länder (s. z.B. § 5 des Hamburgischen Archivgesetzes v.
21. 1. 1991). Mit derartigen Schutzfristen wird ein
angemessener Ausgleich zwischen den Interessen der von den
Inhalten des zu archivierenden Schrift- oder Bildguts
betroffenen Personen und der Notwendigkeit, kulturell
bedeutsames Mediengut dauerhaft zu erhalten und der
Öffentlichkeit zur Nutzung zur Verfügung zu stellen,
geschaffen. Schon zuvor darf Archivgut genutzt werden, ggf.
sind aber die von ihm betroffenen Personen unkenntlich zu
machen (s. z.B. auch § 12 Abs. 4 und 5
Stasi-Unterlagen-Gesetz, § 30 BDSG). Auch dies zeigt, dass
der Gesetzgeber es als durchaus zumutbar ansieht, wenn ggf.
eine nur unter Anonymisierung (§ 3 Abs. 6 BDSG) der
betreffenden Person erfolgende Verbreitung von Informationen
zugelassen wird.
Einen allgemeinen Rechtsgedanken, wonach die
Verbreitung archivierter Materialien gegenüber der von
aktuellen Meldungen in weiterem Umfange generell zulässig
wäre, solange die von den Inhalten des Materials betroffenen
Personen noch am Leben sind, gibt es damit nicht.
c. Damit schuldet die Beklagte als Störerin
Unterlassung. Das Eingreifen von Rechtsfertigungsgründen –
etwa wegen eines überwiegenden Interesses der Öffentlichkeit
an der Führung gerade des streitgegenständlichen Archivs –
ist weder dargelegt noch ersichtlich. Wie ausgeführt,
erfüllt die hier praktizierte schlichte öffentliche
Bereithaltung älterer Veröffentlichungen bereits nicht die
spezifischen Funktionen eines Archivs, das an dem
grundsätzlich berechtigten Interesse ausgerichtet ist,
publizistische Erzeugnisse "dem wissenschaftlich und
kulturell Interessierten möglichst geschlossen zugänglich zu
machen und künftigen Generationen einen umfassenden Eindruck
vom geistigen Schaffen früherer Epochen zu vermitteln"
(BVerfG, B. v. 14. 7. 1981, NJW 1982, S. 633 ff., 634 – zu
Pflichtexemplaren)."
Die Erwägungen aus dieser Entscheidung zur
Resozialisierung gelten für den hier zu entscheidenden
Sachverhalt in ganz besonderem Maße, weil für den Kläger im
vorliegenden Fall, knapp 15 Jahre nach seiner Verurteilung,
unstreitig die Haftentlassung auf Bewährung bevorsteht. In
dieser konkreten Situation (relativ kurz vor Haftentlassung)
kommt dem Resozialisierungsgesichtspunkt im Rahmen der
Interessenabwägung ein ganz besonderes Gewicht zu.
Angesichts des Umstandes, dass die Tat nunmehr über 15 Jahre
zurückliegt, kommt dagegen dem Interesse an weiterem
Vorhalten der Berichterstattung unter voller Namensnennung
des Klägers in einem "Online-Archiv" hier (auch unter
Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich um einen
spektakulären und die Öffentlichkeit damals besonders
interessierenden Mordfall gehandelt hatte) kein derartiges
Gewicht zu, dass es das hier besonders stark zu gewichtende
Resozialisierungsinteresse des Klägers überwiegen würde.
Hinsichtlich der Pflichten der Betreiber von Online-Archiven
wird ergänzend auf das Urteil des Hanseatischen
Oberlandesgerichts vom 09.10.2007 (Az.: 7 U 53/07)
verwiesen, wo es ausführt, dass es dem Betreiber eines
online gestellten Pressearchivs als Verbreiter obliege,
zuvor die Zulässigkeit des Dritten zur Verfügung gestellten
archivierten Materials zu prüfen.
Die Beklagte betreibt auch ein "Online-Archiv", für
das sie sich nicht auf das Archivprivileg nach § 53 Abs. 2
Nr. 2 UrhG berufen kann, da auch hier außenstehenden Dritten
der Zugriff auf das Archiv gewährt wird. Die Besonderheit,
dass die Verbreitung bei der Beklagten über "Dossiers"
erfolgt, die gebührenpflichtig sind, führt zu keiner
abweichenden Beurteilung. Die Suche nach Beiträgen mittels
Stichworten durch außenstehende Dritte ist hier genau so
möglich, wie bei anderen "Online-Archiven". Hinsichtlich des
Abrufs besteht zwar die Hemmschwelle der
Gebührenpflichtigkeit. Auf der anderen Seite erhält der
interessierte Leser dafür gleich mehrere Beiträge zum Thema
und es liegt eine unmittelbar kommerzielle Nutzung durch den
Vertrieb der Beiträge vor.
Dass die Beklagte das Dossier sowie drei der darin
genannten Artikel inzwischen nicht mehr abrufbar vorhält,
ändert nichts an dem Fortbestehen der Wiederholungsgefahr,
da die Beklagte keine strafbewehrte
Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben hat und auch
sonst nichts getan hat, was der Vermutung der
Wiederholungsgefahr bei rechtswidriger Erstbegehung (vgl.
dazu: BGH NJW 1994, 1281 (1283)) entgegenstünde.
Die Beklagte dringt auch nicht mit ihrem Einwand
durch, der Kläger müsse die umstrittene Nennung seines
Namens hinnehmen, da er sich selbst noch im Oktober 2004
unstreitig selbst in Zusammenhang mit seinem
Wiederaufnahmeverfahren an die Presse gewandt habe. Denn
gegenüber dem Jahr 2004 haben das Resozialisierungsinteresse
und der Anonymitätsschutz angesichts der kurz bevorstehenden
möglichen Haftentlassung des Klägers erheblich an Gewicht
gewonnen (vgl. Beschluss des Hanseatischen
Oberlandesgerichts vom 28.02.2007, Az.. 7 W 13/07).
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 3, 91
Abs. 1, 709 S. 1, 2 ZPO.
Buske
Dr. Korte
Dr. Link
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