Verhandlungsbericht
Landgericht Hamburg
URTEIL
Im Namen des Volkes
Geschäfts-Nr.:
324 O 460/06
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Verkündet am:
30.03.2007 |
In der Sache
Prof. Dr. Porsch |
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- Kläger -
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Prozessbevollmächtigte |
RA Schwenn pp.
RA Dr. Krüger
RA Diestel |
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gegen
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Dr. Gerstenberg |
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- Beklagte -
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Prozessbevollmächtigte |
RA Rosenberger pp.
RA
Aroukatos |
erkennt das Landgericht Hamburg, Zivilkammer 24, auf die
mündliche Verhandlung vom 24.11.2006 durch den Vorsitzenden
Richter am Landgericht Buske, den Richter am Landgericht Dr.
Korte, den Richter Zink
für Recht:
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits fallen dem Kläger
zur Last.
III. Das Urteil ist für die Beklagte gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500,– Euro vorläufig
vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger begehrt ein Verbot von Äußerungen des
Beklagten, die dieser über eine Pressemitteilung verbreitete.
Der Kläger ist Vorsitzender der D. im Sächsischen
Landtag; der Beklagte ist Abgeordneter des Sächsischen Landtags und
parlamentarischer Geschäftsführer der G..
Ausweislich der Drucksache 4/2941 des
Sächsischen Landtages stellte unter dem 23. September 2005 der
Beklagte mit anderen Abgeordneten gegen den Kläger einen Antrag auf
Erhebung der Abgeordnetenklage (Anlage B 6). In der öffentlichen
Sitzung vom 23. September 2005 behandelte der Sächsische Landtag
diesen Antrag. Dabei führte der Beklagte aus (vgl. Anlage B 7):
"Ich bin jetzt nach Studium der Akten und
nach Abwägung der Überzeugung, Prof. P. war IM Christoph. Ich
bin der Überzeugung, Prof. P. ist nicht etwa 14 Jahre lang einer
Legende aufgesessen, sondern hat wissentlich und – wie die Akten
zeigen – mit übergroßer Bereitschaft für das MfS gearbeitet
...
Nach meiner Überzeugung ist die IM –
Tätigkeit festgestellt und die Frage, die sich jetzt anschließen
muss, ist: Gibt es Gründe, die für eine Entlastung und für die
Zumutbarkeit der Weiterführung des Mandates sprechen?
...
Die Entwicklung in den vergangenen
Jahren, die ich wahrnehmen musste, zeigte mir gerade in den
vergangenen zwölf Monaten, dass Sie nach wie vor keinen offenen
Umgang mit der Stasi – Verstrickung pflegen. Bis heute ist
dieser Eindruck geblieben: Prof. P. ist ein MfS – IM, der
leugnet, der verdrängt und der mit selektiver Erinnerung lebt."
Die sich anschließende Debatte in der Öffentlichkeit
außerhalb des Landtages wurde von zahlreichen Stellungnahmen der
Landtagsfraktion der PDS begleitet (vgl. Anlagenkonvolut B 13).
Am 25. April 2006 beschloss in
nichtöffentlicher Sitzung und Abstimmung der Ausschuss für
Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten, in dem der Beklagte
mitwirkte, dem Sächsischen Landtag zu empfehlen, den Antrag auf
Erhebung der Abgeordnetenklage gegen den Kläger anzunehmen. Hierzu
verhält sich die Pressemitteilung der Fraktion der G. ebenfalls vom
25. April 2006 (Anlage K 1), in der es unter der Überschrift "G.-Fraktion
begrüßt Abgeordnetenklage gegen P." u. a. heißt:
"'Es besteht kein Zweifel daran, dass
Prof. P. bewusst und aus freiem Willen Menschen bespitzelt und
gefährdet hat. Seine Abschöpfungstheorie hat sich in Luft
aufgelöst', erklärt Karl-Heinz Gerstenberg, ....
'Prof. P. hat über lange Jahre als
zuverlässiger Informant für die Staatssicherheit gearbeitet.'
'Damit hat sich die Bewertung des
Erkenntnisausschusses bestätigt, dass Prof. P. als IM Christoph
konspirativ für die Staatssicherheit gearbeitet hat', so
Gerstenberg.
'Es war für die G. – Fraktion eine
schwierige und verantwortungsvolle Abwägung, ob trotz dieser IM
– Tätigkeit von Prof. P. eine Weiterführung des Mandates tragbar
ist', so Gerstenberg. 'Diese Abwägung musste im Falle von Prof.
P. zu seien Ungunsten ausfallen. Im Umgang mit den gegen ihn
erhobenen Vorwürfen hat er sich nicht für einen offenen und
kritischen Rückblick, sondern ganz im Stile des MfS für eine
Strategie des Leugnens und Vertuschens entschieden.'"
Die Beschlussempfehlung und der Bericht des
Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten
finden sich sodann unter dem 27. April 2006 in der Drucksache 4/5073
(Anlage B 11). Der Kläger mochte die Erklärungen des Beklagten in
der Presseerklärung vom 25. April 2006 nicht hinnehmen und verlangte
vom Beklagten die Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung,
wozu sich dieser hingegen nicht verstehen konnte; im Gegenteil: er
wandte sich mit der aus der Anlage K 2 ersichtlichen
Pressemitteilung erneut an die Öffentlichkeit. Die
Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für
Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten vom 27. April 2006
wurden am 11. Mai 2006 im Sächsischen Landtag in öffentlicher
Sitzung erörtert. Der Sächsische Landtag folgte der Empfehlung und
beschloss die Anklageerhebung (Anlage B 12).
Der Kläger wandte sich wegen der
Presseerklärung vom 25. April 2006 an die Kammer und erwirkte die
einstweilige Verfügung vom 16. Mai 2005 (Anlage K 3), mit der die
angegriffenen Äußerungen mit einem Verbot belegt wurden. Er verfolgt
nunmehr sein Begehren im Wege der Hauptsache.
Der Kläger trägt vor, er habe zu keinem
Zeitpunkt wissentlich für das MfS gearbeitet. tatsächlich sei er von
MfS – Mitarbeitern, die sich als Kriminalpolizisten ausgegeben
hätten, abgeschöpft worden. Auf den Indemnitätschutz könne sich der
Beklagte nicht mit Erfolg berufen.
Der Kläger beantragt,
dem Beklagten bei Vermeidung eines vom Gericht
für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden
Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben
werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu
sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,–
Euro; Ordnungshaft höchstens zwei Jahre),
zu verbieten,
zu behaupten, zu verbreiten und/oder behaupten
oder verbreiten zu lassen,
1) "Es besteht kein Zweifel daran, dass Prof. P.
bewusst und aus freiem Willen Menschen bespitzelt (...) hat.
Seine Abschöpfungstheorie hat sich in Luft aufgelöst."
2) "Prof. P. hat über lange Jahre als
zuverlässiger Informant für die Staatssicherheit gearbeitet."
"Damit hat sich die Bewertung des
Erkenntnisausschusses bestätigt, dass Prof. P. als IM
Christoph konspirativ für die Staatssicherheit gearbeitet
hat."
und/oder
3) "Es war für die G. – Fraktion eine schwierige
und verantwortungsvolle Abwägung, ob trotz dieser IM – Tätigkeit
von Prof. P. eine Weiterführung des Mandates tragbar ist. Diese
Abwägung musste im Falle von Prof. P. zu seien Ungunsten
ausfallen. Im Umgang mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen hat
er sich nicht für einen offenen und kritischen Rückblick,
sondern ganz im Stile des MfS für eine Strategie des Leugnens
und Vertuschens entschieden."
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, der Kläger greife Werturteile
an, die die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten. Selbst wenn
man die angegriffenen Äußerungen als Tatsachenbehauptungen ansähe,
seien sie nicht mit einem Verbot zu belegen, denn sie seien samt und
sonders wahr (vgl. dazu Anlagen B 2, B 2 a und B 2 b). Jedenfalls
sei die Verbreitung der angegriffenen Äußerungen nicht rechtswidrig,
weil sie dem Indemnitätsschutz unterfielen.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf
die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Dem Kläger steht der geltend gemachte
Unterlassungsanspruch nicht zu, denn der Beklagte kann sich für die
in Rede stehenden Äußerungen mit Erfolg auf die Wahrnehmung
berechtigter Interessen berufen.
Die angegriffenen Äußerungen, wie sie
sich für den Durchschnittsleser, auf den bei der Auslegung
abzustellen ist, darstellen, haben zum Inhalt, dass der Kläger IM
gewesen sei und damit in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken für
das MfS der DDR Informationen beschafft hat, ohne gegenüber seinen
Informanten seine Tätigkeit offen zu legen. Dieser Sinngehalt der
angegriffenen Äußerung ist ein ganz überwiegend tatsächlicher, mögen
in den Äußerungen – insbesondere in Ziffer 3 – auch
Bewertungsanteile enthalten sein. Auf den Wahrheitsgehalt des
herausgeschälten Tatsachenkerns kommt es in dem hier zur
Entscheidung gestellten Fall indes nicht an, denn die Verbreitung
dieser Äußerungen ist jedenfalls gerechtfertigt. Den Beklagten
schützt die Indemnität.
Die Indemnität des Abgeordneten dient
seiner Handlungs- und Entscheidungsfreiheit in der parlamentarischen
Arbeit und damit zugleich der funktionsgerechten Parlamentsarbeit
durch die Abschirmung des Abgeordneten gegenüber äußeren Sanktionen;
sie sichert zugleich die parlamentarische Willensbildung. Die
Abgeordneten sollen sich zur Vorbereitung der von ihnen zu
treffenden Entscheidungen in freier, der Kontrolle jeder
außerparlamentarischen Stelle entzogenen Diskussion ihre Meinung
bilden können (Trute, Rdnr. 4 zu Art 46 GG, in: von Münch/Kunig, GGK
II, 3. Auflage 1995). Entsprechend regelt Art. 55 der Sächsischen
Verfassung, dass Abgeordnete zu keiner Zeit wegen ihrer Abstimmung
oder wegen einer Äußerung, die sie im Landtag oder sonst in Ausübung
ihres Mandates getan haben, gerichtlich oder dienstlich verfolgt
oder anderweitig außerhalb des Landtages zu Verantwortung gezogen
werden dürfen. Ausgenommen hiervon ist die verleumderische
Beleidigung.
Nun greift der Kläger Äußerungen aus
der Presseerklärung der Fraktion der G. vom 25. April 2006 an, die
bei isolierter Betrachtungsweise nicht im Parlament aufgestellt
wurden und auch nicht in Ausübung des Mandates erfolgten, denn die
Abgabe von Erklärungen gegenüber der Presse, sei es unmittelbar an
ein Presseorgan oder aber über eine Presseerklärung, gehört nicht
zur Mandatsausübung. Wollte man dies anders sehen, bestünde der
Indemnitätsschutz unabhängig von der Parlamentstätigkeit, was seinem
Sinn und Zweck widersprechen würde, die Willensbildung und Arbeit im
Parlament zu schützen.
Allerdings erstreckt sich der
Indemnitätschutz auch auf den Beitrag des Abgeordneten an der
Wiedergabe seiner parlamentarischen Äußerungen in der Presse,
allerdings nur soweit er diese mündlich in öffentlicher Sitzung
gemacht hatte. Das Privileg besteht gerade im Blick darauf, dass
parlamentarische Auseinandersetzung grundsätzlich in der
Öffentlichkeit, daher auch unter Anteilnahme der Presse stattfindet.
Es soll den Abgeordneten von der Verantwortlichkeit gerade auch für
solche Nachteile frei stellen, die sich für den Betroffenen aus der
Verbreitung seiner Erklärungen aus der Presse ergeben. Ob die
Berichterstattung in den Medien sich auf eigene Beobachter oder auf
die Mitteilung von Abgeordneten und gar des Abgeordneten, der die
Äußerung getan hatte, stützt, ist für diese Freistellung von
rechtlicher Verantwortung grundsätzlich ohne Belang (vgl. BGH NJW
1980, 780 (781)).
Dies zugrundegelegt dringt der Kläger
mit seinem Begehren nicht durch. Auf den Weg, den die angegriffenen
Äußerungen in die Öffentlichkeit genommen haben, kommt es nicht an.
Können die Äußerungen vom Abgeordneten selbst an die Presse gegeben
werden, dann kann der Abgeordnete sie auch über eine Presseerklärung
seiner Fraktion bekannt machen, so denn die Voraussetzung erfüllt
ist, dass es sich bei diesen Äußerungen um solche handelt, die der
Abgeordnete mündlich in öffentlicher Sitzung des Parlaments gemacht
hatte. Und so verhält es sich hier. Dabei ist noch einmal der hier
im Streit befindliche Gehalt der angegriffenen Äußerungen
herauszustellen: Es geht um den vom Beklagten erhobenen Vorwurf, der
Kläger sei IM gewesen und habe damit in bewusstem und gewolltem
Zusammenwirken für das MfS der DDR Informationen beschafft, ohne
gegenüber seinen Informanten seine Tätigkeit offen zu legen. Eben so
hatte sich der Beklagte aber bereits in der öffentlichen Sitzung des
Sächsischen Landtages vom 23. September 2005 (Anlage B 7) geäußert.
In seinem Redebeitrag erklärte der Beklagte, nach seiner Überzeugung
sei der Kläger IM Christoph gewesen, die IM – Tätigkeit sei
festgestellt und der Kläger habe wissentlich mit übergroßer
Bereitschaft für das MfS gearbeitet. Und wenn es in dem Beitrag
heißt
"Bis heute ist dieser Eindruck geblieben:
Prof. P. ist ein MfS – IM, der leugnet, der verdrängt und der
mit selektiver Erinnerung lebt.",
so überschneidet sich diese Erklärung jedenfalls mit
dem Teil der Ziffer 3), in der es heißt:
"'... Im Umgang mit den gegen ihn
erhobenen Vorwürfen hat er sich nicht für einen offenen und
kritischen Rückblick, sondern ganz im Stile des MfS für eine
Strategie des Leugnens und Vertuschens entschieden.'"
Der tatsächliche Aussagegehalt der Äußerungen des
Beklagten im Sächsischen Landtag am 23. September 2005 und in der
Presseerklärung vom 25. April 2006 ist identisch: Es geht um den
Vorwurf der IM – Tätigkeit.
Aber nicht nur die inhaltliche
Verknüpfung zwischen dem Redebeitrag des Beklagten im Parlament und
seinen Äußerungen in der Pressemitteilung vom 25. April 2006 ist
gewahrt, auch in zeitlicher Hinsicht besteht ein Zusammenhang. An
dieser Stelle muss nicht entschieden werden, ob es grundsätzlich
eine zeitliche Grenze gibt, von der an die Wiedergabe einer
Parlamentsäußerung eines Abgeordneten gegenüber der Presse nicht
mehr unter den Indemnitätsschutz fällt, denn vorliegend ist der
zeitliche Zusammenhang jedenfalls gegeben. In der öffentlichen
Sitzung des Sächsischen Landtages vom 23. September 2005 war der
Antrag auf Erhebung der Abgeordnetenklage gegen den Kläger
Gegenstand der Debatte; am 25. April 2006 beschloss der Ausschuss
für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten, in dem der
Beklagte mitwirkte, dem Sächsischen Landtag zu empfehlen, den Antrag
auf Erhebung der Abgeordnetenklage gegen den Kläger anzunehmen. Dem
folgte der Sächsische Landtag am 11. Mai 2006. Mithin war zum
Zeitpunkt der Pressemitteilung, die die angegriffenen Äußerungen
enthält, am 25. April 2006 die Frage nach der Anklageerhebung gegen
den Kläger in hohem Maße aktuell und von öffentlichem Interesse, mit
der Folge, dass der Redebeitrag des Beklagten aus der öffentlichen
Sitzung des Landtages vom 23. September 2005 keineswegs als überholt
angesehen werden kannte.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in § 709 Satz 1 ZPO.
Buske
Dr. Korte
Zink
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Rolf Schäike
Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 09.05.08
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