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Stasi-Fall Gysi

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Gregor Gysi vs. Bundesrepublik Deutschland

VG1 A 173.05
3. Mai 2006

Schriftliche_Entscheidunq
Mitgeteilt durch Zustellung an
a)     Kl.-Vertr.   am
b)     Bekl.        am
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

VERWALTUNGSGERICHT BERLIN

URTEIL

Im Namen des Volkes

In der Verwaltungsstreitsache

des Herrn Rechtsanwalts Dr. Gregor Gysi,
Fasanenstraße 72, 10719 Berlin,

Klägers,

Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Panka, Venedey, Kolloge,
Gysi und Langer,
Fasanenstraße 72, 10719 Berlin,

gegen

die Bundesrepublik Deutschland, vertreten
durch die Bundesbeauftragte für die Unterlagen
des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen
Deutschen Demokratischen Republik,
Otto-Braun:Straße 70-72, 10178 Berlin,

Beklagte,

hat das Verwaltungsgericht Berlin, 1. Kammer, durch

den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Dr.Rueß, die Richterin am Verwaltungsgericht Bodmann, den Richter am Verwaltungsgericht Marticke, die ehrenamtliche Richterin Grützbach, den ehrenamtlichen Richter Zöllner,

im Wege schriftlicher Entscheidung am 3. Mai 2006
für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

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Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Herausgabe dreier Dokumente durch die Stasi-Unterlagenbehörde an den „Spiegel", die Gespräche zwischen ihm und seinem damaligen Man­danten Prof. Robert Havemann im Juli und Oktober 1979 betreffen.

Mit Antrag vom 15. November 1994 beantragte „Der Spiegel" beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik die Einsicht in Stasi-Unterlagen nach § 32 Abs. 1 StUG zwecks „Aufarbeitung der Rolle von Rechtsanwälten wie Dr. Gysi, Gregor zu DDR-Zeiten". In der Folge wurden bis März 1997 ver­schiedene Unterlagen zur Verfügung gestellt. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2004 bat „Der Spie­gel" aufgrund seiner früheren Anträge um Herausgabe aller neu aufgefundenen Akten u.a. zur Person des Klägers. Bei den nachfolgenden Recherchen fanden sich zwei weitere Bände des MfS-Vorgangs MfS-AU 145/90, die auch zwei Berichte der HA XX/OG zur Anwaltstätigkeit des Klägers für seinen Mandanten Prof. Havemann enthielten (Band 25, Blatt 015, 016 und 016a). Später wurde ein weiterer Bericht aufgefunden mit dem Aktenzeichen MfS-AOP 26321/91, Band 2, Bl. 196 und 197.

Bei den Dokumenten, von denen keines eine volle Unterschrift trägt, handelt es sich um Durch­schläge. Dokument 1 (Bl. 16/16a) umfasst zwei Seiten, stammt von der Hauptabteilung XX/OG und trägt das Kürzel lo-p. Es datiert vom 10. Juli 1979 und berichtet in Ich-Form über ein Mandan­tengespräch mit Prof. Havemann vom Vortage. Der Kläger wird in dem Dokument nicht namentlich erwähnt. Dokument 2 (Bl. 15) besteht aus einer Seite, wobei das untere Dritte! fehlt, und stammt ebenfalls aus der Hauptabteilung XX/OG mit dem Kürzel lo-p. Nach der  Überschrift handelt es sich um ein am 10. Juli 1979 „geführtes Gespräch mit Rechtsanwalt Dr. Gysi". Es trägt das Datum 11. Juli 1979 und verweist auf einen „Tonbandbericht als Anlage" über das Gespräch des Klägers mit Prof. Havemann am 9. Juli 1979. Ferner wird der Inhalt eines Gespräches zwischen dem Vater . des Klägers und Erich Honecker über den Fall Havemann wiedergegeben. Dokument 3 (Bl. 196/197) ist zwei Seiten lang und trägt keinen Behördenkopf. Unterhalb der Datumsangabe 5. Ok­tober 1979 befindet sich eine isolierte „4". Den Schluss des Dokuments bildet ein Verteiler, der. Generalleutnant Mittig, Generalmajor Kienberg, HA XX/AIG und HA XX/OG nennt. Berichtet wird über ein Mandantengespräch des Klägers mit Prof. Havemann vom 3. Oktober 1979, dessen Inhalt „durch gezielten IM-Einsatz" bekannt geworden sei.

Mit Schreiben vom 16. Juni 2005 und 17. August 2005 teilte die Bundesbeauftragte dem Kläger mit, ihr liege ein Antrag des Magazins „Der Spiegel" unter dem Thema „MfS und Rechtsanwälte'

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vor. Sie beabsichtige, Einblick in in Kopie beigefügte Unterlagen zu gewähren. Die Unterlagen eig­neten sich für das Vorhaben und den Aufarbeitungszweck. Ihre Verwendung erscheine nach Ab­wägung der persönlichen Schutzrechte des Klägers mit dem Zugangsinteresse des Magazins ge­rechtfertigt. Deshalb seien sie auch ohne Einwilligung des Klägers herausgabefähig.

Mit Schreiben vom 24. Juni 2005 erhob der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers Einwände ge­gen die beabsichtigte Verwendung der Informationen. Dem Redakteur des „Spiegel" gehe es nur darum, den Kläger im Wahlkampf zu diskreditieren. Die streitbefangenen Berichte sagten nichts über das Verhältnis von Rechtsanwälten zum MfS aus. Die Informationen, die der Vermerk vom 11. Juli 1979 enthalte, seien nicht vom Kläger an das MfS übermittelt worden. Dort werde erwähnt, dass der Kläger seinem Mandanten über ein Gespräch seines Vaters mit Erich Honecker berichtet habe. Robert Havemann habe ausweislich eines späteren Berichts zu würdigen gewusst, dass über den Kläger wieder ein Kontakt zur Parteiführung hergestellt worden sei. Der Vermerk vom 10. Juli 1979 spiegele diese Information durch den Kläger an einem zuständigen Mitarbeiter der Abtei­lung Staat und Recht des ZK der SED wider. Es sei absurd zu unterstellen, dass der Kläger versucht habe, Erich Honecker über das MfS und nicht direkt über diese ZK-Abteilung zu informieren. Warum und welche Person des ZK diese Information an das MfS weitergeleitet habe, sei unbe­kannt. Der Kläger habe, im Auftrag seines Mandanten das ZK der SED informiert, nicht aber das MfS. Es habe die. Schweigepflicht für den Rechtsanwalt gegolten ,.Herr Havemann habe zwar ge­wollt, dass bestimmte, Informationen an das ZK der SED flossen, nicht aber an das MfS und nicht an den „Spiegel", Der Kläger sei sich sicher, dass Herr Havemann ihn gegenüber dem „Spiegel" nicht von der Schweigepflicht befreit hätte. Diese Frage habe der Rechtsanwalt abschließend zu beurteilen und zu entscheiden. Der Schutz des Mandatsgeheimnisses könne nicht über den Um­weg über den Bundesbeauftragten ausgehebelt werden

Mit Schreiben vom -12. August 2005 antwortete die Bundesbeauftragte und führte aus, dass der Antrag des „Spiegel-! nicht im. Zusammenhanget der Bundestagswahl stehe. Die Berichte hätten .einen Bezug zum Thema-„MfS und. Rechtsanwälte", Sie zeigten, dass das MfS den Kontakt eines Anwalts zu seinem Mandanten beobachtet habe. Auch der Schutz des Mandatsgeheimnisses stehe der Herausgabe der Unterlagen nicht entgegen. Die Unterlagen gäben nichts dafür her, dass Robert Havemann den Kläger zur Gesprächsführung mit einem ZK-Mitarbeiter beauftragt habe. Für die Entbindung von der Schweigepflicht sei. der mutmaßliche Wille des Verstorbenen zu erfor­schen. Es seien keine ernsthaften Gründe dafür anzunehmen, dass der DDR-Dissident Robert Havemann etwas dagegen gehabt haben könne, dass das Thema „MfS und Rechtsanwälte" am Beispiel seiner eigenen Person in einer freien Gesellschaft historisch-publizistisch aufgearbeitet

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würde. Besonders schutzwürdige Interessen des Klägers seien nicht ersichtlich, da er ausschließ­lich in Wahrnehmung seiner zeitgeschichtlichen Rolle dargestellt werde.

Am 1. September 2005 hat der Kläger Unterlassungsklage gegen die Bundesrepublik Deutsch­land, vertreten durch die Bundesbeauftragte erhoben. Auf den am gleichen Tag gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hin hat sich die Beklagte bereit erklärt, die streitbefangenen Doku­mente nicht vor der Entscheidung der Kammer im Hauptsachverfahren an Dritte herauszugeben.

Zur Begründung trägt der Kläger vor: Die beabsichtigte Herausgabe der Unterlagen sei rechtswid­rig. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2004 im Fall Dr. Helmut Kohl seien §§ 34 Abs. 1, 32 StUG in verfassungskonformer Weise einschränkend auszulegen, so dass die Zurverfügungstellung von Unterlagen mit personenbezogenen Informationen für Zwecke der Presse weitgehend unzulässig sei.

Der Kläger sei 1979 keine Person der Zeitgeschichte im Sinne von § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG und insbesondere kein „Prominentenanwalt'1 gewesen. In der DDR sei sein Name als Anwalt nicht von nationaler Bekanntheit gewesen, und in der Westpresse sei er nur in seiner Funktion als Verteidi­ger bestimmter Dissidenten ohne individualisierende Einzelheiten genannt worden. Diese Veröf­fentlichungen seien nur in der Bundesrepublik und nicht in der DDR erfolgt. Er sei ebenso wenig eine Person der Zeitgeschichte gewesen wie der Zahnarzt von Prof. Havemann. Als Rechtsanwalt sei er auch nach den Bestimmungen des Anwaltsrechts der DDR unabhängig und eigenständig tätig gewesen und habe keine Amtsbefugnisse gehabt. Deshalb könne er auch nicht als Amtsträ­ger im Sinne von § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG qualifiziert werden.

Die Zu (Verfügung Stellung der Unterlagen würde überwiegende schutzwürdige Interessen des Klä­gers und seines Mandanten verletzen. Der Geheimnisschutz im Mandatsverhältnis bestehe über den Tod des Geschützten hinaus. Es stehe dem Kläger zu, die Einhaltung der anwaltlichen Schweigepflicht einzufordern und zu entscheiden, ob sein Mandant nach seinem Tode mit einer Offenlegung der Mandatsgespräche einverstanden gewesen wäre oder nicht. Es entspreche der einhelligen Ansicht in Schrifttum und Rechtsprechung, dass mit dem Tod des Trägers des Ge­heimhaltungsinteresses das Recht zur Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht ende. Weder die. Erben noch die nächsten Angehörigen, könnten von der Schweigepflicht befreien. Auf die Erklärung über die Befreiung von der anwaltlichen Schweigepflicht, die die Witwe Robert Havemanns am 10. September 2005 abgegeben hat, komme es deshalb nicht an. Der zur Verweige­rung der Aussage berechtigte Rechtsanwalt müsse eigenverantwortlich entscheiden, ob er aussa­gen wolle. Die Rechtsprechung zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht könne nicht auf

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die Schweigepflicht des Anwalts als unabhängigem Organ der Rechtspflege übertragen werden. Aus diesem Grunde stehe es weder der Bundesbeauftragten noch dem Gericht zu, den mutmaßli­chen Willen von Robert Havemann zu ermitteln. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass ein Teil des Mandatsgeheimnisses durch menschenrechtswidrige Ausspähungsakte des MfS der Beklagten und dem Gericht bekannt sei. Die Unterlagen enthüllten nur einzelne Aspekte des Man­datsverhältnisses. Der Rechtsanwalt sei aufgrund des in Anspruch genommenen Vertrauensver­hältnisses zu seinem Auftraggeber die zuverlässigste Grundlage für die Beurteilung der Frage ei­ner Befreiung von der Schweigepflicht. Gegenüber seinen Angehörigen habe sein Mandant nur lückenhafte Angaben gemacht, so dass es ihnen an einer ausreichenden Grundlage zur Beurtei­lung der hier zu entscheidende Frage mangele. Für die Beurteilung einer mutmaßlichen Einwilli­gung komme es ausschlaggebend auf die individuelle Persönlichkeit des Verstorbenen an. Nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, als die Öffentlichkeit nicht mehr anwesend war, hätte Prof. Havemann vermutlich ein Interesse an der Aufdeckung der Unrechtsstrukturen in der DDR gehabt. Er hätte aber vermutlich nicht gewollt, dass bekannt geworden wä­re, dass er über den Kläger aktiv Kontakt zur Parteiführung aufgenommen und .über die Modalitä­ten seines Verhalten verhandelt habe, um weitere Strafverfahren und eine mögliche Inhaftierung zu vermeiden. Prof. Havemann habe vermutlich seine öffentliche Rolle als standhafter Systemkriti­ker nicht in Frage stellen lassen wollen.

Herr Havemann habe selbstverständlich auf die Einhaltung der Schweigepflicht durch den Kläger vertraut und diesen lediglich für Verhandlungen mit dem ZK der SED von der Einhaltung der Schweigepflicht entbunden. Darüber habe Havemann nie mit Westkorrespondenten gesprochen. Er habe kein Interesse daran gehabt, gegenüber dem „Spiegel" und der Westpresse zu offenba­ren, dass der Kläger in seinem Auftrag den Kontakt zum ZK der SED hergestellt und gehalten ha­be. Dies ergebe sich auch aus einer Erklärung der Kinder Havemanns vom 7. November 1992. Diese könnten ebenso gut eine Einschätzung vornehmen wie die Witwe Havemanns. Nach der Erklärung der Kinder Havemanns habe die Aufgabe des Klägers darin bestanden, als Mittler zwi­schen ihrem Vater und staatlichen Stellen zu wirken. Havemann habe seinem Anwalt Gysi nur das anvertraut, was er selbst für geeignet hielt, was in seine Strategie gegenüber dem Staatsapparat gepasst habe. Er sei sich bewusst gewesen, dass er die Stasi mittels ihrer Abhörgeräte in Haus gehabt habe. Die Einschaltung des Klägers sei erfolgreich gewesen.

Ferner beruhe die Informationserhebung erkennbar auf einer Menschenrechtsverletzung (§ 32 Abs. 1 Satz 3). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei dies bereits anzu­nehmen, wenn die Information keine unbedenkliche Quelle nenne oder erkennen lasse. Dokument 3 beruhe zweifellos auf einer erkennbaren Menschenrechtsverletzung, da als Quelle ein „gezielter

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IM-Einsatz" genannt werde. Die Berichterstattung eines IM beruhe auf einem staatlich veranlassten Einbruch in die geschützte Privatsphäre unter Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses. Die Weitergabe von Informationen, die zwar privat erlangt, aber mit dem Siege) der Verschwiegenheit versehen seien, sei grundsätzlich als Verstoß gegen Grundsätze der Menschlichkeit zu qualifizie­ren, ebenso wie die Weitergabe von Informationen mit denunziatorischem Charakter.

Auch Dokument 1 und 2 beruhten auf einer Verletzung des Rechts auf Privatsphäre und des Rechts am gesprochenen Wort. Dokument 1 basiere nach den Angaben in Dokument 2 auf einem Tonbandmitschnitt. Nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung handelt es sich bei Dokument 1 um einen Auszug aus einem von ihm für die Handakte diktierten Vermerk, den sich das MfS menschenrechtswidrig in seinen Kanzleiräumen beschafft haben müsse.

Der Bitte der Kammer, ihr zur Überprüfung dieser Angaben die Handakte Havemann zur Verfu­gung zu stellen, kam der Kläger unter Hinweis auf seine anwaltliche Schweigepflicht nicht nach und äußerte die Befürchtung, der Inhalt der Handakte könne an die Presse gelangen. Der Kläger habe den Vermerk zu keiner Zeit dem MfS oder anderen Stellen zugänglich gemacht. Da weder der Kläger noch Havemann das MfS informiert hätten, beruhten die Dokumente auf der Zusam­menfügung anderweitig erlangter Informationen. Das MfS könne die Informationen auf verschiede­ne Art und Weise erhalten haben, z.B. technisch durch die umfassenden Abhörmaßnahmen, de­nen Havemann in seinem Haus unterworfen gewesen sei, oder aber über Mitarbeiter des ZK der SED. Der Kläger habe im Auftrag Havemanns Kontakt zu Mitarbeiter der Abteilung Staat und Recht des ZK der SED gehalten. Havemann sei dabei auf ein Höchstmaß an Vertraulichkeit ange­wiesen gewesen. Wäre bekannt geworden, dass Havemann Kontakte zur SED gesucht und gehal­ten habe, so hätte dies zum sofortigen Abbruch dieser Gespräche geführt. Die gegenüber dem ZK der SED gegebenen Informationen habe das MfS ohne Wissen des Klägers mit geheimdienstli­chen Methoden abgeschöpft. Der Umstand, dass der Kläger Kontakte zu den Staatsorganen der DDR selbst gesucht und gesteuert habe, sei unerheblich. Auch der frühere Bundeskanzler Dr. Kohl habe Kontakte zu Staatsorganen der DDR gesucht und gesteuert.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, es zu unterlassen, die in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR mit den Signaturen BStU, MfS, AU 145/90, Band 25, Blatt 015, 016, 016a und BStU, MfS, AOP 26321/91, Band 2, Blatt 196 und 197 dem „SPIEGEL" und den für sie tätigen Personen zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte beantragt,

         die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte ist der Auffassung, dass sie nach §§ 34 Abs. 1, 32 StUG zur Zurverfügungstellung der Unterlagen an den Spiegel verpflichtet sei.

Der Kläger sei für den fraglichen Zeitraum als so genannte relative Person der Zeitgeschichte ein­zuordnen. Dies seien Menschen, die im Zusammenhang mit einem bestimmten zeitgeschichtlichen Ereignis vorübergehend ins Blickfeld der Öffentlichkeit gelangt seien. Der Kläger sei als Verteidiger bekannter Systemkritiker und Ausreisewilliger ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Im Zusam­menhang mit der Berichterstattung über Rudolf Bahro und Robert Havemann sei auch der Name des Klägers als deren Verteidiger immer wieder in der Westpresse genannt worden.

Ferner seien Rechtsanwälte in der DDR Amtsträgern im Sinne von § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG gleich­zustellen. Rechtsanwälte, die zumeist in Kollegien tätig gewesen seien, könnten als in die Justiz­verwaltung der DDR integriert angesehen werden. Die Anwaltskollegien seien vom Ministerium der Justiz weisungsabhängig gewesen. Die Rechtsanwälte seien von den Regeln der sozialistischen Gesetzlichkeit und von den gesellschaftlichen Entwicklungssätzen beim Aufbau des Sozialismus abhängig gewesen. Der freie Beruf des Rechtsanwalts sei nach Auffassung der Führung der DDR nicht mit dem Gesellschaftssystem vereinbar gewesen.

Die aus dem Mandatsverhältnis zwischen den Kläger und Robert Havemann resultierende anwaltliche Schweigepflicht stehe einer Herausgabe der streitbefangenen Unterlagen nicht entgegen. Die Witwe Havemann habe mit der Erklärung vom 10. September 2005 von der Schweigepflicht ent­bunden. Die vom Kläger zum Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 StPO) und zum Geheimnisverrat {§ 203 StGB) angeführten Literaturmeinungen seien auf die streitbefangene Situation nicht über­tragbar, da es nicht darum gehe, dass der Kläger selbst aktiv den Inhalt von Mandantengesprä­chen an Dritte weitergeben solle. Selbst wenn die Rechtsprechung zu den Zeugnisverweigerungs­rechten im vorliegenden Fall berücksichtigt werden müsste, so sei entsprechend der Rechtspre­chung zur ärztlichen Schweigepflicht auf den mutmaßlichen Willen des Mandanten abzustellen. Der mutmaßliche Wille sei anhand einer objektiven Interessenabwägung unter einem subjektiven Korrekturvorbehalt zu ermitteln.

Die Weitergabe der Unterlagen an den „Spiegel" entspreche dem mutmaßlichen Willen Robert Havemanns. Die streitgegenständlichen Unterlagen enthielten keine ehrverletzenden oder das Ansehen des Verstorbenen beeinträchtigenden Informationen. Sie gäben lediglich in Einzelheiten wieder, was bereits bekannt sei. Havemann habe versucht, Spielräume im staatlichen System zu

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finden, um weiterhin publizistisch tätig zu sein. Er habe schon 1979 nicht auf die Einhaltung der anwaltlichen Schweigepflicht vertraut. Damals habe Havemann mit schweren Sanktionen rechnen müssen, wenn er sich an die „Westpresse" gewandt hätte. Entscheidend komme es aber darauf an, ob er unter den heutigen politischen Verhältnissen auf einer Einhaltung der Schweigepflicht bestehen würde. Ein wichtiges Indiz seien die Aussagen seiner Witwe, die Einblick in die Bezie­hung ihres verstorbenen Ehemannes zum Kläger gehabt habe. Nach einem Interview vom 8. Sep­tember 2005 habe Havemann die politische DDR-Justiz als Scheinjustiz betrachtet. In diesem Sin­ne habe er die Arbeit des Klägers beurteilt. Er habe seinerzeit mehrfach erklärt, dass er einem Anwalt seines Vertrauens nicht zumuten könne, für ihn tätig zu werden. Einem Anwalt dagegen, der für ihn tätig werden könne, ohne seinen Beruf aufs Spiel zu setzen, könne er nicht vertrauen. Es sei für ihn keine Frage gewesen, wo Informationen, über die der Kläger verfügte, am Ende lan­den könnten. Er würde sich heute wie damals auf keinen Fall irgendeinem Schritt widersetzen, der zur Aufklärung der Machtmechanismen in der DDR beitragen könne.

Ferner ist die Beklagte der Ansicht, dass das Geheimhaltungsinteresse mit dem Tod des Mandan­ten stetig abnehme. Die Gespräche lägen 27 Jahre zurück, der Tod Havemanns 24 Jahre. Ent­sprechend enthielten moderne Landesarchivgesetze lediglich eine Sperrfrist von 10 Jahren für personenbezogene Unterlagen, so dass ab 10 Jahren nach dem Tod des Betroffenen eine Verlet­zung postmortaler Persönlichkeitsrechte grundsätzlich nicht mehr vorläge. Es sei nach Ablauf einer gewissen Zeit nicht mehr damit zu rechnen, dass die Offenbarung von Mandatsgeheimnissen zu Nachteilen für die Angehörigen führe oder dem Andenken des Mandanten Schaden zufüge.

Selbst wenn allein der Anwalt über die weitere Geheimhaltung entscheiden dürfte, so müsse er nach pflichtgemäßem Ermessen handeln. Die Auffassung des Klägers ließe sich aber mit sachli­chen Argumenten nicht begründen. Es liege die Vermutung nahe, dass der Kläger aus eigennützi­gen Motiven heraus handle.

Gleichwohl habe die Beklagte den Umstand, dass das Mandatsverhältnis ein besonders schüt­zenswertes Vertrauensverhältnis begründe, im Rahmen der Abwägung berücksichtigt. In den Un­terlagen seien keine Informationen enthalten, die die Interessen Robert Havemanns oder des Klä­gers oder das anwaltliche Vertrauensverhältnis beeinträchtigen könnten.

Rein vorsorglich macht die Beklagte ferner geltend, dass die anwaltliche Schweigepflicht allenfalls im Rahmen der Abwägung nach § 32 Abs. 1 StUG zu berücksichtigen sei. Sie stehe aber einer Herausgabe an Betroffene nach § 3 Abs. 1 StUG und an Hinterbliebene nach § 15 StUG in keinem

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Fall entgegen. Zu dem Dokument 3 lägen bereits Anträge auf Akteneinsicht von der Witwe Robert Havemanns und einer weiteren, bei dem Gespräch am 3, Oktober 1979 anwesenden Person vor.

Eine Menschenrechtsverletzung durch die Informationsbeschaffung des Staatssicherheitsdienstes sei nicht erkennbar. Die Grundsätze des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts im Fall Dr. Kohl könnten auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden. Anders als der frühere Bundeskanzler Dr. Kohl habe den Kläger den Kontakt zu den Staatsorganen der DDR selbst gesucht und gesteu­ert. Er sei nicht ausschließlich Objekt zielgerichteter und systematischer Informationserhebung und Ausspähung gewesen.

Die Informationen in Dokument 3 seien durch gezielten IM-Einsatz zusammengetragen worden. Kennzeichen der IM-Berichterstattung sei, dass die ausgespähte Person die Informationen freiwil­lig an den IM weitergebe und damit auf ihr Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre wirksam ver­zichtet habe. Die Person irre sich zwar möglicherweise darüber, dass das Gespräch als vertraulich behandelt werde. Das Recht auf Verschwiegenheit genieße jedoch keinen grundrechtlichen Schutz. Auch das Strafrecht schütze nur bei bestimmten Berufsgruppen vor einer Weitergabe von Geheimnissen. Ein IM-Einsatz sei nur dann als menschenrechtswidrig einzustufen, wenn besonde­re Umstände hinzuträten. Ein IM-Einsatz habe das Recht am gesprochenen Wort verletzt, wenn der IM das Gespräch heimlich belauscht oder auf Tonband aufgenommen habe, ohne dass damit objektiv zu rechnen gewesen wäre. Dies gelte dagegen nicht, wenn der IM Teilnehmer der Ge­sprächsrunde gewesen sei. Auch der Schutzbereich der räumlichen Privatsphäre werde nicht ver­letzt, wenn eine Person einvernehmlich in diesem Bereich aufgenommen werde. Eine menschen­rechtswidrige Fallkonstellation könne für das Dokument 3 ausgeschlossen werden. Der Hinweis auf einen „gezielten IM-Einsatz" schlösse aus, dass hier technische Abhörmaßnahmen eingesetzt worden seien. Ein heimliches Lauschen könne ausgeschlossen werden, weil der IM nach dem   , Protokoll Teil der Gesprächsrunde gewesen sei und später einen der Teilnehmer im Auto mitgenommen habe. Aus dem vorliegenden Bewegungsprotokollen ergebe sich, dass sich zum fragli­chen Zeitpunkt keine weitere Person im Hause Havemann aufgehalten habe, die als IM in Betracht komme.

Zudem habe der Kläger nach seinen eigenen Angaben die Informationen aus dem Mandantenge­spräch bewusst und gewollt an Mitarbeiter des ZK der SED weitergegeben. Er habe damit die Ho­heit über die weitere Verwendung der Informationen aus der Hand gegeben und auf den besonde­ren Schutz der Informationen verzichtet. Der Kläger und Robert Havemann hätten damit rechnen müssen, dass die Informationen angesichts der engen Zusammenarbeit der verschiedenen Staatsorgane der DDR an den Staatssicherheitsdienst weitergegeben würden. Aus den Unterlagen

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ergebe sich auch kein Hinweis auf eine Verletzung des Rechts am gesprochenen Wort. Dieses Recht schütze davor, heimlich abgehört und aufgenommen zu werden. Der Verweis auf einen „Tonbandbericht als Anlage" in Dokument 2 meine lediglich einen Bericht, den ein IM auf Tonband gesprochen habe. Diese Vorgehensweise sei typisch für die IM-Arbeit des Staatssicherheitsdiens­tes gewesen. Hätte es sich um eine Abhörmaßnahme gehandelt, so hätte die Unterlage einen Hinweis auf Abteilung 26 des MfS enthalten müssen, der allein es gestattet gewesen sei, derartige Maßnahmen durchzuführen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte, die Streitakte des Eilverfahrens VG 1 A 172.05 sowie auf den Verwaltung s Vorgang des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klage ist als vorbeugende Unterlassungsklage statthaft. Sie ist auf die Unterlassung eines vom Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" beantragten Verwaltungsaktes der Beklagten gerichtet. Die Entscheidung über die Zurverfügungstellung der streitgegenständlichen drei Dokumente stellt ei­nen Verwaltungsakt dar und nicht einen bloßen Realakt. Der Kläger ist klagebefugt, da sich die herauszugebenden Unterlagen auf seine Person beziehen. Dies gilt nach seinem Inhalt auch für Dokument 1, obwohl der Kläger dort nicht namentlich erwähnt wird. Im Rahmen der Zulässigkeit ist dabei zu unterstellen, dass der Kläger als früherer Rechtsanwalt von Prof. Havemann aus dem Mandatsverhältnis auch berechtigt ist, dessen schutzwürdige Interessen gegenüber der Stasi-Unterlagen-Behörde geltend zu machen. Die vorbeugende Unterlassungsklage setzt ein besonde­res - qualifiziertes - Rechtsschutzbedürfnis voraus. Dies ist hier zu bejahen, da bei einer Verwei­sung auf nachträglichen Rechtsschutz vollendete Tatsachen geschaffen würden (vgl. Kopp, VwGO, 14. Aufl. 2005, vor § 40 Rn. 33 und 34 mit Fn. 42).

Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Stasi-Unterlagen-Behörde ist gemäß §§  Abs. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG berechtigt und sogar verpflichtet, die drei fraglichen Dokumente an das Nachrichtenmagazin herauszugeben. Rechte des Klägers werden dadurch nicht beeinträchtigt.

Nach § 34 Abs. 1 StUG gelten die §§ 32 und 33 StUG für die Verwendung von Stasi-Unterlagen durch die Presse entsprechend. § 32 Abs. 1 StUG sieht vor, dass der Bundesbeauftragte Unterla-

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gen zum Zweck der politischen und historischen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheits­dienstes zur Verfügung stellt. Hier kommen allein Unterlagen mit personenbezogenen Informatio­nen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger in Betracht, die herausgegeben werden können, soweit es sich um Informationen handelt, die ihre zeitge­schichtliche Rolle, Funktions- oder Amtsausübung betreffen. Sofern die betreffende Person nicht zustimmt, dürfen Unterlagen nur zur Verfügung gestellt werden, soweit durch deren Verwendung keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen der genannten Personen beeinträchtigt werden. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Informationserhebung erkennbar auf einer Men­schenrechtsverletzung beruht.

Die Voraussetzungen für eine Herausgabe liegen nach Überzeugung der Kammer in Bezug auf alle drei Dokumente vor.

1. Der Antrag des „Spiegel" hält sich im Rahmen des gesetzlichen Verwendungszwecks. Die Aufarbeitung der Rolle von Rechtsanwälten in der früheren DDR mit Bezug auf die Tätigkeit des MfSist ein zulässiger Zweck, selbst wenn er sich beispielhaft auf einzelne Rechtsanwälte bezieht. Diedrei Dokumente sind geeignet zu belegen, in welcher Weise die Stasi das Verhältnis zwischeneinem Dissidenten und seinem Rechtsanwalt ausforschte und auch zum Gegenstand einer möglichen Beeinflussung gemacht hat.

2. Bei den drei Dokumenten handelt es sich um Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Die Herausgabe auch von Fragmenten wie dem Dokument 2 ist zulässig, soweitwie hier die Unterlage als Fragment gekennzeichnet ist, die Urheberschaft feststeht und eine Sinnentstellung infolge der Fragmentierung ausgeschlossen werden kann.

3. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Erstellung der Dokumente im Jahre 1979 als Verteidiger von Robert Havemann eine so genannte relative Person der Zeitgeschichte. Dass hinsichtlich der Einstufung als Person der Zeitgeschichte auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem die Staatssicherheit der DDR ihre Informationen gewonnen hat, entspricht der überwiegenden Auffassung in der Literatur (Stoltenberg, Stasi-Unterlagen-Gesetz, 1992, § 32 Rn. 8; Schmidt. Stasi-Unterlagen-Gesetz, 1993, § 32 Rn. 11). Ein Rechtsanwalt, der einen Angeklagten wegen einer politisch motivierten Straftat verteidigt, ist im Zusammenhang mit der Verteidigung eine Person der Zeitgeschichte, wenn für das Strafverfahren aufgrund der besonderen Umstände ein überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht (OLG Hamburg, Urteil vom 10. Dezember 1981 -3 U 76/81 - juris). Diese Rechtsprechung, die auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland zugeschnitten ist, gilt auch für Rechtsanwälte der ehemaligen DDR. Zwar mag ihre Rolle in

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mancher Hinsicht nicht mit der Rolle von Strafverteidigern im Westen vergleichbar gewesen sein. Aber auch diese sind selbst in bekannten Strafprozessen häufig in der Öffentlichkeit außerhalb ihrer Funktion unbekannt, während manche der wenigen Rechtsanwälte in der DDR über einen hohen Bekanntheitsgrad verfügten, der „Star-Anwälten" und „Prominenten-Verteidigern" in West­deutschland in nichts nachstand.

Robert Havemann war einer der bekanntesten Regimekritiker der DDR. Zwar wurde er in den Me­dien der DDR totgeschwiegen. Die westdeutschen Medien, insbesondere das Westfernsehen, stellten aber für seine Person die Öffentlichkeit auch in der DDR her. Veröffentlichungen im Wes­ten etwa durch Rudolf Bahro und Robert Havemann wurden von der damaligen Staatsführung der DDR aus politischen Gründen als Vergehen gegen Devisenbestimmungen kriminalisiert- Diese Strafprozesse fanden ein lebhaftes Interesse in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit. Der Kläger wurde als Strafverteidiger in diesen politischen Prozessen schon zur damaligen Zeit in der West-Presse namentlich genannt. Dies genügt, um ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit für den damaligen Zeitpunkt in Bezug auf sein Mandatsverhältnis mit Prof. Havemann zu begrün­den. Anders als die Tätigkeit des Zahnarztes von Herrn Havemann stand die Tätigkeit des Klägers in unmittelbarem Zusammenhang zum politischen Engagement Havemanns und der Reaktion der Staatsführung.

Ob ein Rechtsanwalt daneben nach dem Anwaltsrecht der DDR als Amtsträger im Sinne von § 32 Abs. 1 Nr. 4 StUG anzusehen war, wie der Berichterstatter in einem rechtlichen Hinweis gefragt hatte, kann offen bleiben. Dagegen spricht, dass nach bundesdeutschem Sprachgebrauch Rechtsanwälte keine Amtsträger sind (vgl. die Definition in § 11 Abs. 1 Nr. 2 ""StGB und die Straf­vorschrift des § 203 StGB) und auch nach DDR-Recht unabhängig und eigenverantwortlich tätig wurden.

4. Die Zurverfügungstellung der Unterlagen beeinträchtigt keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Klägers aus dem Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant.

4.1. Eine Verletzung der Vertraulichkeit des Gesprächs zwischen Rechtsanwalt und Mandant ist im Rahmen der Abwägung nach § 32 Abs. 1 Satz 2 StUG zu berücksichtigen.

Die Verschwiegenheit des Rechtsanwalts in Bezug auf das Mandatsverhältnis ist gesetzlich als Schweigepflicht des Rechtsanwalts in § 43 a Abs. 2 BRAO verankert. Der Rechtsanwalt macht sich strafbar, wenn er unbefugt Geheimnisse verrät, die ihm sein Mandant anvertraut hat (Ge­heimnisverrat, § 203 StGB). Zum Schutz der Vertraulichkeit steht dem Rechtsanwalt ein Zeugnis-

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verweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO und § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu. Allerdings ist keine dieser Bestimmungen hier unmittelbar anwendbar, da es nicht darum geht, dass der Klä­ger selbst etwas offenbaren soll.

Grundlage für die Annahme eine schutzwürdigen Interesses des Klägers ist aber das aus diesen Bestimmungen herzuleitende Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant, das dann beeinträchtigt würde, wenn der Inhalt von Gesprächen zwischen Rechtsanwalt und Mandant durch staatliche Stellen  öffentlich gemacht würde. Anerkannt ist ein vom Staat zu respektierendes Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant in jüngsten Entscheidungen des Bun­desverfassungsgerichts (Beschluss vom 12. April 2005-2 BvR 1027/02- NJW 2005, 1917-Beschlagnahme von Anwaltsdateien; Urteil vom 30. März 2004 - 2 BvR 1520/01, BVerfGE 110, 226 - Strafbarkeit des Rechtsanwalts wegen Geldwäsche bei Annahme von Honoraren). Soweit die Staatssicherheit Information unter Verletzung der Vertraulichkeit des Mandatsverhältnisses gewonnen hat, so verletzt dies regelmäßig besonders schutzwürdige Interessen des Mandanten, es sei denn, dass der Mandant auf die Vertraulichkeit verzichtet. Dafür, dass eine Informationsbe­schaffung der Stasi unter Bruch dieses Vertrauensverhältnisses regelmäßig als Verletzung eines schutzwürdigen Interesses des Betroffenen einzustufen ist, spricht auch die Entstehungsgeschich­te des novellierten § 32 Abs. 1 Satz 2 StUG, wo Eingriffe in Berufsgeheimnisse beispielhaft er­wähnt werden (BT-Drs. 14/9219, S.5; 14/9641, S. 2). Diesen Schutz genießen auch Mandanten­gespräche eines Rechtsanwalts in der früheren DDR. Insoweit ist ein über den Untergang der DDR hinausreichender Schutz der Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts als Teil der Berufsfrei­heit in Art. 12 GG anzuerkennen, zumal ein Großteil der in der DDR tätigen Rechtsanwälte auch nach der Wende weiterhin diesen Beruf ausübt. Die Schweigepflicht des Rechtsanwalts dient aber allein dem Schutz des Mandanten und nicht dem Schutz des Anwalts (vgl. § 203 StBG; BGH DB 1990, 93). Der Mandant ist „Herr des Geheimnisses" (BGH, Urteil vom 30. November 1989-III ZR 112/88 -, BGHZ 109, 260). Gleichwohl wird man einem Rechtsanwalt, dessen Informationen aus Mandantengesprächen von der Stasi abgeschöpft worden sind, zubilligen müssen, dass er als Nachwirkung seines früheren Mandatsverhältnisses zu einem verstorbenen Mandanten gegenüber der Bundesbeauftragten eine Verletzung der Vertraulichkeit des Mandatsverhältnisses geltend machen kann.

4.2. Ist der Mandant wie hier verstorben, so hat die Beklagte bei der Prüfung der Verletzung schutzwürdiger Interessen aus dem Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant auf den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen abzustellen. Diese Beurteilung liegt nicht in der allei­nigen Dispositionsbefugnis des Rechtsanwalts.

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Den gesetzlichen Bestimmungen über die Schweigepflicht des Rechtsanwalts, die hier nicht direkt anwendbar sind, fassen sich rechtliche Wertungen entnehmen, die auf die Offenbarung von Man­datsgesprächen in Unterlagen der Stasi übertragbar sind. Die anwaltliche Schweigepflicht - und hier das schutzwürdige Interesse des Betroffenen - erlischt grundsätzlich nicht mit dem Tod des Begünstigten (§ 203 Abs. 4 StGB; BGH, Beschluss vom 4. Juli 1984-IVaZB 13/83-, BGHZ91, 398). Die Befugnis, von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, geht nur insoweit auf den Er­ben über, als es nicht um Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich des Erblassers geht, sondern beispielsweise um vermögensrechtliche Verhältnisse (vgl. § 205 Abs. 2 Satz 2 StGB; OLG Stuttgart, Beschluss vom 18. Oktober 1982 - 8 W 388/82 -, MDR 1983, 236). Da sich hier das Mandatsverhältnis zwischen Herrn Havemann und dem Kläger auf dessen Strafverfolgung und sein Verhältnis zur Staatsführung der DDR bezog, ist sein persönlicher Lebensbereich betroffen, so dass eine Entbindung von der Schweigepflicht durch seine Witwe oder seine Kinder nicht wirk­sam wäre. Daher kann auch hinsichtlich der Herausgabe entsprechender Dokumente nicht auf eine Einwilligung der Erben abgestellt werden. Wie in einer solchen Situation weiter zu verfahren ist, ist im Rahmen der anwaltlichen Schweigepflicht strittig und wird je nach gesetzlicher Regelung und betroffenem Beruf unterschiedlich beantwortet. Die herrschende Auffassung zum Geheimnis­verrat  gemäß § 203 StGB geht davon aus, dass die Strafbarkeit auch bei stillschweigender und mutmaßlicher Einwilligung entfällt (Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006, § 203 Rn. 36). Im Rah­men des strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts geht die ganz herrschende Meinung da­von aus, dass nach dem Tod des Berechtigten der Zeuge allein zu entscheiden hat, ob er aussa­gen will oder nicht (BGH in Strafsachen, Urteil vom 25. Mai 1980-1 StR 177/80 - MDR 1980, 815). Auf den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen könne es dabei nicht ankommen (so Rogall in SK-StPO, Stand: Oktober 2002, § 53 Rn. 201 unter Berufung auf BGHSt 42, 75, das eine völlig andere Fallkonstellation betrifft). Auch die Rechtsprechung zu § 383 ZPO kommt zu dem Ergebnis, dass nach dem Ableben des Betroffenen der Geheimnisträger zu entscheiden hat, ob er Geheim­nisse preisgibt oder nicht. Die Entscheidung über die Offenlegung des Geheimnisses sei letztlich nicht justitiabel und einer gerichtliche  Überprüfung nicht zugänglich, weil diese von vorneherein die Preisgabe des möglicherweise schutzbedürftigen Geheimnisses bedingen würde (BGH, Urteil vom 31. Mai 1983-VI ZR 259/81 - NJW 1983, 2627, 2629). Insoweit ist auch entgegen der An­sicht des Klägers nicht zwischen ärztlicher und anwaltlicher Schweigepflicht zu differenzieren. Trotz der Dispositionsbefugnis des Geheimnisträgers versteht die Zivilrechtsprechung diesen als treuhänderisch gebunden und zu einer Gewissensentscheidung verpflichtet, die eine verantwor­tungsbewusste und vom eigenen Berufsethos getragene Würdigung des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen vornimmt. Sein Ermessen sei in dieser Frage gebunden (OLG Stuttgart, Be­schluss vom 18. Oktober 1982 - 8 W 388/82 -, MDR 1983, 236 f.). Von der erkennbar geworde­nen oder zu vermutenden Willensrichtung des Verstorbenen nicht gedeckte Verweigerungsgründe

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sind danach sachfremd und daher unbeachtlich (BGH, Beschluss vom 4. Juli 1984 ~ IVa ZB 18/83 und 13/83-, BGHZ 91, 392, 398). Dabei kommt den Kenntnissen des Geheimnisträgers notwen­digerweise ein besonderes Gewicht zu.

Auch im Rahmen der Abwägung nach § 32 Abs. 1 Satz 2 und 3 StUG ist es sachgerecht, auf den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen abzustellen. Anders als beim Zeugnisverweigerungsrecht des Rechtsanwalts, bei dem das Gericht den zu offenbarenden Gesprächsinhalt nicht kennt und damit nicht rechtlich bewerten kann, befindet sich hier die Information, die preisgegeben werden soll, in der betreffenden Stasi-Unterlage. Damit kann die Beklagte eigenständig prüfen, ob deren Herausgabe dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen entsprochen hätte, ohne dass der Rechts­anwalt seinerseits Geheimnisse offenbaren müsste. Zwar verfügt er über weiter reichende Kennt­nisse aus dem Mandatsverhältnis, über die weder die Beklagte noch die hinterbliebenen Familien­angehörigen verfügen. Damit kommt der Einschätzung des Rechtsanwalts ein besonderes Ge­wicht zu. Gleichwohl besteht kein Grund, ihm die alleinige Dispositionsbefugnis über die Offenlegung des Inhalts der Mandatsgespräche zuzubilligen, zumal seine Dispositionsbefugnis im Rah­men des Zeugnisverweigerungsrechts treuhänderisch gebunden ist. Bei der Prüfung ist ein objek­tivierender Maßstab anzulegen, d.h. es ist zu fragen, ob der Verstorbene unter Berücksichtigung seiner nach außen erkennbaren Biographie vernünftigerweise mit der Weitergabe der Dokumente einverstanden gewesen wäre. Abzustellen ist auf das „wohlverstandene Interesse" des Betroffenen (so OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 9. Dezember 2004 - 4 W 43/04 -, NJW 2005, 2017 zur ärztlichen Schweigepflicht). Denn es ist weder der Beklagten noch dem Gericht möglich, den Cha­rakter und die individuellen Neigungen einer Person sicher zu beurteilen, zumal wenn der Tod be­reits lange zurückliegt. Auch der Rechtsanwalt hat nur einen partiellen Einblick in die Persönlich­keit des Mandanten, so dass sich bei der Ermittlung eines mutmaßlichen Willens niemals mit aller­letzter Sicherheit sagen lässt, ob der Betroffene sich tatsächlich dementsprechend verhalten hätte. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das postmortale Schutzbedürfnis eines Betroffenen mit zunehmendem Zeitablauf stetig abnimmt und vermutete individuelle Befindlichkeiten immer weniger ins Gewicht fallen.

4.3. Nach diesem Maßstab entspricht die Weitergabe der drei streitbefangenen Dokumente dem mutmaßlichen Willen Robert Havemanns.

Selbst der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass Herr Havemann Interesse an einer Aufarbeitung der Unrechtsstrukturen des DDR-Regimes und der Instrumentalisierung von Strafverfahren zu politischen Zwecken gehabt hätte. Havemann suchte damals ais Regimekritiker die Öffentlichkeit im Westen, prangerte die Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch den DDR-

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Staat an und bezeichnete ein gegen ihn im Sommer 1979 ergangenes Strafurteil als Unrechtsur­teil.

Der Kläger, die Witwe und die Kinder stimmen ferner in der Einschätzung überein, dass Havemann den Kläger mandatiert hat, auch um Kontakt zur Staatsführung der DDR aufzunehmen und zu hal­ten. Der Kläger selbst hat in seiner Stellungnahme zu den Feststellungen des Immunitätsausschusses vom 8. Mai 1998  öffentlich erklärt, dass eine Kontaktaufnahme zum Zentralkomitee der SED dem Wunsch Havemanns entsprochen habe (BT-Drs. 13/10893, S. 64). Er suchte sich be­wusst einen Rechtsanwalt aus, der wegen des Mandats nicht seine berufliche Existenz aufs Spiel setzen musste - so die Angaben der Witwe - und der über Kontakte zur Staatsführung verfügte. Insoweit bestand - was auch die Kinder Havemanns bestätigen - von vorneherein ein nur be­grenztes Vertrauensverhältnis zum Kläger. Darüber hinaus war sich Havemann bewusst, dass die Gespräche in seinem Haus möglicherweise von der Stasi überwacht würden und dass der Inhalt der Mandantengespräche in die Hände der Stasi fallen könnte. Deshalb führte er nach den Anga­ben des Klägers auch einzelne Gespräche mit seinem Rechtsanwalt unter vier Augen im Garten seines Hausgrundstücks.

Der Kläger trägt vor, dass Havemann zum damaligen Zeitpunkt kein Interesse daran haben konn­te, dass die Westpresse von seiner Kontaktaufnahme zur Staatsführung erfuhr. Wäre dies publik geworden, hätte die Staatsführung sofort jeden auch informellen Kontakt abgebrochen. Havemann war klar, dass Westkontakte und die weitere Veröffentlichung von Texten im Westen zu einer Ver­schärfung der politischen Verfolgung fuhren könnten. Insoweit wäre es Havemann zum damaligen Zeitpunkt nicht recht gewesen, wenn das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" vom Inhalt der Ge­spräche mit seinem Rechtsanwalt erfahren hätte. Die Gründe, aus denen Havemann damals ge­zwungen war, diese Kontakte nicht im Westen bekannt zu machen, sind aber heute entfallen.

Der zentrale Einwand des Klägers, Havemann habe informelle Absprachen mit der Staatsführung getroffen und dies habe seinem nach außen präsentierten Selbstbild als standhaftem Regimekriti­ker widersprochen, greift angesichts des konkreten Inhalts der Unterlagen nicht durch. Auch wenn man sich bewusst sein muss, dass unter den Bedingungen politischer Verfolgung mancher Text auch zwischen den Zeilen zu lesen ist und manches nur andeutungsweise zum Ausdruck kommt, so enthalten die Unterlagen nichts in irgendeiner Weise Ehrenrühriges und geben auch keinen Hinweis auf konkrete Absprachen mit der Staatsführung der DDR. Die bereits bekannte Kontakt­aufnahme Havemanns über den Kläger zur Staatsführung wird durch die Unterlagen allenfalls in Einzelheiten bestätigt, und die Texte können bestenfalls als Festlegung von Verhandlungspositio­nen in Rahmen einer informellen Kontaktaufnahme und „Tuchfühlung" verstanden werden. Dass

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eine solche Kontaktaufnahme nur dazu gedient haben kann, in informelle Verhandlungen zu treten und ein Arrangement mit der Staatsmacht zu treffen, um eine Verschärfung der politischen Verfol­gung zu vermeiden, liegt auf der Hand und ist objektiv in keiner Weise geeignet, Zweifel an der standhaften Haltung des unter Hausarrest stehenden und schwer kranken Havemanns zu begrün-' den. Damit werden aber in den Unterlagen keine Informationen preisgegeben, die das Verhalten Havemanns in einem neuen, negativen Lichte erscheinen ließen. Der Kläger macht auch nicht geltend, dass die Unterlagen Informationen über besonders vertrauliche Gesprächsteile enthalten , würden, die aus Unterredungen unter vier Augen im Garten stammten. Die Unterlagen geben vielmehr ein klares Bild davon, wie Havemann versucht hat, seine Interessen gegenüber der Staatsmacht mit Hilfe eines Rechtsanwalts wahrzunehmen, der selbst nicht in Verdacht stand, ein Dissident zu sein. Auf individuelle Persönlichkeitsmerkmale Havemanns, auf die sich der Kläger auch beruft, kann es mit zunehmendem zeitlichem Abstand zum Tod Havemanns immer weniger ankommen.

5. Die Informationserhebung zu den drei Unterlagen beruht auch nicht erkennbar auf einer (sonsti­gen) Menschen rechts Verletzung im Sinne von § 32 Abs. 1 Satz 3 StUG.

Den rechtlichen Maßstab, der dieser Prüfung zugrunde zu legen ist, hat das Bundesverwaltungs­gericht in seiner Kohl-ll-Entscheidung entwickelt (Urteil vom 23. Juni 2004 - 3 C 41/03 - BverwGE 121, 115). Danach bedarf § 32 Abs. 1 Satz 3 StUG zur Wahrung der Grundrechte der Betroffenen einer verfassungskonformen Auslegung. Die Zurverfügungstellung von Stasi-Unterlagen mit per­sonenbezogenen Informationen an die Presse ist danach dem davon Betroffenen gegenüber grundsätzlich unzumutbar. Das umfasst Informationen, die durch Verletzung der räumlichen Pri­vatsphäre und/oder des Rechts am gesprochenen Wort gewonnen worden sind, ebenso wie In­formationen, die im weitesten Sinne auf Spionage beruhen, sowie Berichte und Stellungnahmen des Staatssicherheitsdienstes, die derartige Informationen zur möglichen Grundlage haben. Men­schenrechtswidrig erlangt sind Informationen insbesondere, wenn sie durch unbefugtes Abhören sowie im Wege der unbefugte  Überwachung des Brief- und Telefon Verkehrs erlangt sind. Das Risiko der Nichterweislichkeit darf dabei nicht dem Betroffenen aufgebürdet werden. Von einer Erkennbarkeit ist bereits auszugehen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Information -auch - auf einer derartigen Menschenrechtsverletzung beruht, wobei als Anhaltspunkt genügt, dass die Information keine unbedenkliche Quelle nennt oder erkennen lässt; denn dann spricht eine tatsächliche Vermutung für ihre illegitime Gewinnung. In derartige Fällen ist eine Berücksichti­gung der schutzwürdigen Interessen des Betroffenen nur in der Weise möglich, dass eine Zurverfügungstellung für Zwecke der politischen Bildung oder der Presse ausgeschlossen ist.

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Die Kammer hat Zweifel, ob diese Auslegung, die im Fall des früheren Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl entwickelt wurde, der Objekt der Auslandsspionage der DDR geworden war, auch für die  Überwachung der Staatsbürger der früheren DDR durch die Staatssicherheit gelten kann. Würde beispielsweise jede Information, die auf einem IM-Einsatz beruht, generell als menschenrechtswid­rig eingestuft, so würde die in § 35 StUG zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Zielsetzung auch in Bereichen unmöglich gemacht, in denen die Grundrechte der Betroffenen kaum tangiert sind. Jedenfalls ist die Kammer der Ansicht, dass diese Auslegung praktisch handhabbar gemacht werden muss. Es muss genügen, dass eine menschenrechtswidrige Informationsgewinnung prak­tisch ausgeschlossen erscheint. Die bloß theoretische Möglichkeit einer solchen Informationsbe­schaffung reicht nicht.

Nach diesem Maßstab beruhen alle drei Unterlagen nicht erkennbar auf einer Menschenrechtsver­letzung

5.1. Dokument 1 gibt den Inhalt eines Mandantengesprächs vom 9. Juli 1979 in Ich-Form aus der Sicht des Rechtsanwalts wieder. Nachdem der Klägervertreter zunächst die Vermutung geäußert hatte, der Bericht könne durch Abhörmaßnahmen entstanden sein, hat der Kläger in der mündli­chen Verhandlung selbst eingeräumt, dass es sich um einen von ihm selbst verfassten Text han­delt, und zwar nach seinen Angaben um den Auszug aus einem Vermerk, den er für die anwaltliche Handakte gefertigt habe. Aus Sicht des Gerichts gibt es lediglich drei Möglichkeiten, wie die Stasi in den Besitz des Dokuments gelangt sein kann.

Die erste Möglichkeit wäre, dass der Kläger selbst gegenüber der Stasi über das Gespräch berich­tet und einen Tonbandbericht übergeben hat. Für diese Version könnte sprechen, dass Dokument 2 über ein am 10. Juli 1979 mildem Kläger geführtes Gespräch berichtet und auf ein Tonbandpro­tokoll als Anlage verweist. In diesem Fall verhielte sich der Kläger widersprüchlich, wenn er sich auf eine vom ihm selbst bewirkte menschenrechtswidrige Informationsgewinnung berufen würde (venire contra factum proprium). Im  Übrigen läge keine Menschenrechtsverletzung im Sinne von § 32 Abs. 1 Satz 3 StUG vor, weil sich Havemann - wie Kinder und Witwe übereinstimmend erklärt haben - bewusst war, dass die Informationen zur Stasi gelangen könnten und er sein Verhalten darauf eingestellt hat.

Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass die Information bei den vom Kläger behaupteten Ge­sprächen mit dem ZK der SED weitergegeben wurde und auf diesem Wege zur Staatssicherheit gelangt ist. In diesem Fall ist eine Menschenrechtsverletzung in Form der Verletzung der Privat­sphäre oder der beruflichen Schweigepflicht des Rechtsanwalts nicht erkennbar. Denn der Kläger

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führte diese Gespräche nach seinen Angaben bewusst im Auftrag Robert Havemanns. Indirekt wird dies auch durch die Erklärungen der Witwe und der Kinder bestätigt. Wer mit dem Zentralko­mitee der SED in einer solchen brisanten Angelegenheit sprach, musste damit rechnen, dass die Information auch zur Stasi gelangen würde.

Eine dritte Möglichkeit sieht der Kläger darin, dass ein Durchschlag des Vermerks oder möglicher­weise die Diktatbänder mit geheimdienstlichen Mitteln aus seiner Rechtsanwaltskanzlei entwendet worden sind. Dagegen spricht nach  Überzeugung der Kammer der zeitliche Ablauf unter Berück­sichtigung des Dokuments 2. Unter den damaligen Verhältnissen war es äußerst unwahrschein­lich, dass auf Dokument 1, das selbst das Datum 10. Juli 1979 trägt, bereits in einem am 11. Juli 1979 verfassten Bericht als „Tonbandbericht" verwiesen werden konnte, wenn es mit geheim-dienstlichen Mitteln beim Kläger entwendet worden wäre. Zudem nennt Dokument 2 als Quelle ausdrücklich ein am 10. Juli 1979 geführtes Gespräch mit dem Kläger. Vor diesem Hintergrund erscheint diese Version als rein theoretische Möglichkeit. Zudem hat das Gericht bei der Würdi­gung der Umstände auch zu berücksichtigen, dass der Kläger diese Version erstmals in der münd­lichen Verhandlung vorgebracht hat und der Bitte des Gerichts nicht nachgekommen ist, die Hand­akte vorzulegen. Die Gründe, aus denen die Vorlage der Handakte verweigert wurde und die sich auf die Person der ersten Frau Havemanns beziehen, tragen insoweit nicht, als der Kläger die ent­sprechenden Passagen hätte herausnehmen oder allein den Tonbandbericht hätte vorlegen kön­nen, der seiner Behauptung nach umfangreicher gewesen sein soll als der Text von Dokument 1. Nach alledem handelt es sich bei diesem Vorbringen zu  Überzeugung der Kammer um eine nicht glaubhafte bloße Schutzbehauptung.

5.2. Dokument 2 gibt nach seine  Überschrift ein am 10. Juli 1979 mit dem Kläger geführtes Gespräch wieder. Ob das Gespräch direkt zwischen dem Stasi-Offizier und dem Kläger stattgefunden hat oder ob es sich um ein Gespräch mit dem ZK der SED gehandelt hat, dessen Inhalt zur Stasi gelangt ist, lässt sich dem Text nicht explizit entnehmen. Der Kläger macht geltend, dass er selbst nicht mit der Staatssicherheit in Kontakt getreten sei und dieser auch nicht von einem Gespräch seines Vaters mit Erich Honecker über den Fall Havemann berichtet habe. In beiden Fällen scheidet eine Menschenrechtsverletzung aus. Wenn der Kläger im Auftrag Havemanns mit der Staatsführung in Kontakt getreten war, musste Havemann damit rechnen, dass der Inhalt der Gespräche zur Kenntnis der Staatssicherheit gelangen würde. Dafür, dass die Information auf illegalen Abhörmaßnahmen oder Tonbandmitschnitten beruhte, gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

5.3. Dokument 3 über ein Mandantengespräch am 3. Oktober 1979 nennt als Quelle ausdrücklich einen gezielten IM-Einsatz. Die Kammer ist de  Überzeugung, dass nicht jede Informationsgewinn-

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nung durch. Informelle Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes als Menschen rechts Verletzung im Sinne von § 32 Abs. 1 Satz 3 StUG bewertet werden kann. Sie kann nicht mit der vom Bundes­verwaltungsgericht genannten Informationserlangung durch (Auslands-)Spionage gleichgesetzt werden. Anderenfalls würde die Intention des Gesetzgebers in § 35 StUG vollständig ausgehöhlt. Die Bürger der DDR wussten, dass sie in der Öffentlichkeit, im beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld mit einer Ausspähung durch informelle Mitarbeiter der Stasi rechnen mussten. Insoweit gaben sie Informationen an informelle Mitarbeiter, die sich ihr Vertrauen erschlichen hatten, freiwil­lig weiter. Daher bedarf es einer sorgfältigen Würdigung des Einzelfalls (Bundesverfassungsge­richt, Beschluss vom 9. August 1995- 1 BvR 2263/94 u.a.-, BVerfGE 93, 213). Eine Menschen­rechtsverletzung im Sinne von § 32 Abs. 1 Satz 3 StUG ist beim Einsatz von informellen Mitarbei­tern anzunehmen, wenn die Informationen ihrem Inhalt nach den Intimbereich betreffen und damit den Schutz der Privatsphäre verletzen. Das ist hier nicht der Fall. Menschen rechtswidrig ist ferner eine IM-Berichterstattung, die in der Intention oder in dem Wissen erfolgt, dass der Betroffene da­mit diffamiert und staatlicher Verfolgung ausgesetzt werden könnte. Das ist hier insoweit nicht der Fall, als das Mandantengespräch aus Sicht Robert Havemanns auch dazu diente, einen Kontakt zur Staatsführung herzustellen, und Herr Havemann ferner bereits politisch verfolgt wurde und mit einer Ausspähung rechnete. Die Art der Informationsgewinnung stellt eine Menschenrechtsverlet­zung dar, wenn qualifizierende Umstände hinzutreten: Die räumliche Privatsphäre ist verletzt, wenn der IM sich heimlich eingeschlichen hat oder den privaten Lebensbereich heimlich beobach­tet oder belauscht hat. Das Recht am gesprochenen Wort ist verletzt, wenn ein Gespräch heimlich wörtlich protokolliert oder mit technischen Hilfsmitteln abgehört oder aufgezeichnet worden ist. Dafür liegen hier, wie der Beklagte detailliert und überzeugend dargelegt hat, keinerlei Anhalts­punkte vor. Nach dem Inhalt der Unterlage handelt es sich um einen zusammenfassenden und teilweise wertenden Bericht und nicht um ein Wortlautprotokoll. Das wäre für einen IM-Bericht auch untypisch. Zudem hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass es in den Stasi-Unterlagen zu Robert Havemann zwar zahlreiche Wortprotokolle von Telefongesprächen gibt, nicht dagegen von Ab­hörmaßnahmen in seinem Haus. Die Möglichkeit, dass sich der IM unbemerkt ins Haus geschli­chen haben könnte, um das Mandantengespräch zu belauschen, ist rein theoretisch. Der Vermerk nennt als Teilnehmer des Gespräches neben Havemann und dessen Ehefrau eine weitere männli­che Person, nicht dagegen den Kläger, obwohl dieser nach dem Inhalt des Vermerks ebenfalls Gesprächsteilnehmer war. Sodann wird berichtet, dass der IM diese Person mit in die Stadt ge­nommen habe. Geht man davon aus, dass sich der junge Mann nicht zu einer völlig unbekannten, zufällig vor dem Haus oder auf der Straße getroffenen Person ins Auto gesetzt hat, kann diese Passage der Unterlage nur so verstanden werden, dass der IM selbst am Gespräch teilgenommen und danach in die Stadt gefahren ist. Damit ist die Information durch einen gewöhnlichen IM-

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Einsatz erlangt worden, der keine Mensche n rechts Verletzung im Sinne von § 32 Abs. 1 Satz 3 StUG darstellt.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Berufung war  gemäß §§ 124 a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeu­tung der Auslegung der § 32 Abs. 1 Satz 2 und 3 StUG in Bezug auf die Offenlegung von Gesprä­chen zwischen Rechtsanwälten und Mandanten, die Maßgeblichkeit des mutmaßlichen Willens eines Verstorbenen und die rechtliche Beurteilung von Informationen durch gezielten IM-Einsatz zuzulassen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zu.

Die Berufung ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Be­gründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwal­tungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, einzureichen. Die Begrün­dung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe}.

Für das Berufung s verfahren besteht Vertretungszwang. Danach muss sich jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hoch­schulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juris­tische Personen des  öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder An­gestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörper­schaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.

Dr. Rueß                                                    Bodmann                                                         Marticke

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Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 22.01.07
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