HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT
Beschluss
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT
URTEIL
IM
NAMEN DES VOLKES
Geschäftszeichen:
7 U 81/05
324 O 868/04
Verkündet am:
31. Januar 2006
Hundertmark, Justizangestellte
als Urkundsbeamtin/ter der
Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
...
- Kläger und
Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte/r: ...
gegen
...
- Beklagte und
Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte/r: ...
hat das
Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 7. Zivilsenat, durch die
Richter
Dr. Raben,
Kleffel, Lemcke
nach der am
31.1.2006 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht
erkannt:
Auf die
Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hamburg, Zivilkammer 24, vom 01.07.2005 – 324 O 868/04
abgeändert.
Die Klage
wird abgewiesen.
Der Kläger
tragt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil
ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision
wird zugelassen.
Gründe:
gemäß § 540 Abs.
1 S. 1 Ziff. 1 u. 2 ZPO:
1. Mit dem
angefochtenen Urteil, auf dessen Inhalt zur weiteren
Sachdarstellung ergänzend Bezug genommen wird, hat das
Landgericht die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, ein
Foto, das den Kläger und seine Ehefrau in den Ferien zeigt,
erneut zu veröffentlichen.
Der Kläger ist
Oberhaupt des Welfenhauses und Ehemann der einer breiten
Öffentlichkeit bekannten ältesten Tochter des ehemaligen Fürsten
von Monaco.
Die Beklagte
verlegt die Zeitschrift "7 Tage": In deren Ausgabe Nr. 13/02
wurde berichtet, dass der Kläger und seine Ehefrau Ihre auf der
Insel Larnu in Kenia belegene Villa vermieten. Illustriert war
die Berichterstattung u.a. mit der angegriffenen Fotografie, die
den Kläger zusammen mit seiner Ehefrau bei einem Spaziergang auf
einer öffentlichen Straße unter Leuten zeigt. Hinsichtlich
Einzelheiten wird auf den als Anlage K 1 überreichten Artikel
verwiesen.
Das Landgericht
hat zur Begründung seines Urteils ausgeführt, dass die
Verbreitung . des Fotos nach den §§ 22, 23 KUG unzulässig sei.
Bei der Abwägung der zu schützenden Interessen der abgebildeten
Person und des vermuteten Informationsinteresses der
Öffentlichkeit überwiege der Schutz des Privatlebens, der sich
insbesondere auch aus der Regelung des Art. 8 Abs. 1 EMRK
ergebe. Die deutschen Gerichte hätten die EMRK in der Auslegung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu
beachten. auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Grenzen des
Privatsphärenschutzes enger gezogen habe. Die Bindung deutscher
Gerichte an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus
§ 31 Abs. 1 BVerfGG stehe dem nicht entgegen, denn eine Bindung
an die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts bestehe nur
insoweit, als dieses Gesetze für verfassungswidrig oder
verfassungsgemäß erkläre. Die Rechtsprechung des EGMR zum Umfang
des Privatsphärenschutzes (Urteil vorn 24. Juni 2004; dt.
Übersetzung in NJW 2004, 2647ff.) lasse sich in das Gefüge der
von unbestimmten Rechtsbegriffen gekennzeichneten Regelung des
Umfangs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 1 Abs.
1, 2 Abs. 1 GG, § 23 Abs. 2 KUG Art. 8 EMRK einfügen;
höherrangige Normen, insbesondere die grundgesetzlich geschützte
Informationsfreiheit, stünden dem nicht entgegen. Folglich sei
bei der Abwägung des Schutzes des Privatlebens gegen die Presse-
und Informationsfreiheit im Rahmen des Bildnisrechts nach der
Entscheidung des EGMR (EGMR, a.a.O.; Rdnr. 78) darauf
abzustellen, ob die Fotoaufnahmen zu einer öffentlichen
Diskussion über eine Frage allgemeinen Interesses beitragen. Da
eine solche Frage bei der streitgegenständlichen
Berichterstattung nicht im Raum gestanden habe, sei dem Schutz
der Privatsphäre des Klägers der Vorrang einzuräumen.
Die Beklagte
bekämpft die Verurteilung mit der form- und fristgemäß
eingereichten Berufung und macht dabei geltend, dass die in
Frage stehende Bildveröffentlichung entsprechend der
langjährigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des
Bundesverfassungsgerichtes zulässig sei. Mit Rücksicht auf das
auch für die Unterhaltungspresse streitende Grundrecht der
Pressefreiheit gemäß Art. 5 GG sei diese nämlich ohne weiteres
berechtigt, die Öffentlichkeit durch Bildnisse darüber zu
informieren, wie Prominente sich privat verhalten, wie sie leben
und wie sie in der Öffentlichkeit auftreten würden. Eine Grenze
sei nur dort zu ziehen, wo sich der Prominente ersichtlich
zurückgezogen habe, also für sich allein gelassen werden wolle.
Um eine solche Ausnahmesituation handele es sich hier indes
nicht, zumal sich der Kläger und seine Ehefrau im Zeitpunkt der
Erstellung der Fotografie - dies ist unstreitig - auf einer
öffentlichen Straße unter vielen Leuten im Urlaub befunden
hätten. An dieser auf höherrangigem Verfassungsrecht beruhenden
Zulässigkeit der Veröffentlichung könnten die Regelungen in Art.
8 EMRK und die Entscheidung des EGMR vom 26.4.2004 nichts
ändern.
Die Beklagte
beantragt,
das
landgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger
beantragt,
die Berufung
zurückzuweisen.
Er verteidigt das
angefochtene Urteil and führt aus, dass die Entscheidung im
Einklang mit Art. 8 EMRK und der Entscheidung des EGMR vom
24.6.2004, durch welche der EGMR der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten örtlichen
Abgeschiedenheit ohnehin eine klare Absage erteilt habe, stünde.
Wegen des
weiteren Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
2. Die zulässige
Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Die Beklagte hat
nicht in rechtswidriger Weise in das durch die §§ 22, 23 Abs. 2
KUG geschützte Recht des Klägers am eigenen Bild eingegriffen.
Zwar hat der Kläger unstreitig eine Einwilligung zur Anfertigung
und Veröffentlichung des Fotos nicht erteilt. Der Beklagten
steht indes der Rechtfertigungsgrund gemäß § 23 Abs. 1 Ziff. 1
KUG zur Seite. Als ständiger Begleiter einer Person des
öffentlichen Lebens muss der Kläger es grundsätzlich hinnehmen,
dass Fotografien, auf denen er abgebildet ist, wenn er mit
dieser Person in der Öffentlichkeit erschient, auftritt oder sie
in der Öffentlichkeit begleitet, auch ohne seine Einwilligung
verbreitet werden (BVerfG NJW 2001 1921, 23). Das Interesse der
Öffentlichkeit an seiner Ehefrau, die als eine Person des
öffentlichen Lebens einzustufen ist, strahlt bei derartigen
gemeinsamen Auftritten aus. Die Öffentlichkeit hat nämlich ein
anerkennenswertes Interesse daran zu erfahren, mit welchen ihr
nahestehenden Personen sich die - ständig im Blickpunkt des
öffentlichen Interesse stehende - Tochter des ehemaligen Fürsten
von Monaco in der Öffentlichkeit zeigt.
Dieses Recht zur
Veröffentlichung findet erst dann seine Grenze, wenn auch die
Ehefrau des Klägers eine Veröffentlichung des Fotos nicht
hinzunehmen hätte, weil die fragliche Aufnahme ihre Privatsphäre
berührt und ihr Interesse am Schutze der Privatsphäre gegenüber
dem Informationsinteresse der Allgemeinheit überwiegt (§ 23 Abs.
2 KUG). Bei dieser Abwägung ist einerseits der sich aus Art. 1
Abs. 1. Art. 2 Abs. 1 GG ergebende Persönlichkeitsrechtsschutz
und andererseits die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltene
Gewährleistung der Pressefreiheit zu beachten. Unter
Berücksichtigung vorstehender Grundsätze ist die hier in Rede
stehende Bildveröffentlichung als rechtmäßig einzustufen.
Der Kläger macht
allerdings mit Recht geltend, dass im Rahmen der vorzunehmenden
Abwägung der widerstreitenden Interessen auch der sich aus Art.
8 EMRK ergebende Schutz der Privatsphäre zu berücksichtigen und
bei der Bestimmung der Grenzen des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts heranzuziehen ist. Die Gewährleistungen
der EMRK beeinflussen die Auslegung der Grundrechte des
Grundgesetzes, und zwar in der Weise, dass die EMRK in der
Auslegung des EGMR als Auslegungshilfe für die Bestimmung von
Inhalt und Reichweite der Grundrechte und rechtsstaatlichen
Grundsätze des Grundgesetzes dient, sofern dies nicht zu einer
Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem
Grundgesetz führt (BVerfG, NJW 2004. 3407, 3409ff.).
Dementsprechend müssen sich die Gerichte mit Urteilen des EGMR
auseinandersetzen und sie in die nationale Rechtsordnung
einpassen. Im Fall eines Konflikts beansprucht indes das
Grundgesetz weiter Vorrang (BVerfG. a.a.O.;
Soehring/Seelmann-Eggebert, NJW 2005, 571, 577). In diesem
Zusammenhang ist, worauf die Beklagte mit Recht hinweist, die
Bindungswirkung zu beachten, die Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung des Grundgesetzes
zukommt.
Nach dem Urteil
des EGMR vom 24. Juni 2004 (NJW 2004. 2647, 2651, Rdnr. 76) ist
bei der Abwägung zwischen dem Schutz des Privatlebens und der
Freiheit der Meinungsäußerung darauf abzustellen, ob
Fotoaufnahmen und Presseartikel zu einer öffentlichen Diskussion
über eine Frage allgemeinen Interesses beitragen. Eine solche
Frage stand bei der Berichterstattung, deren Illustration die
angegriffene Aufnahme diente, wie das Landgericht im Einzelnen
zutreffend ausgeführt hat, nicht im Raum. Vielmehr diente der
Artikel, der sich mit der Vermietung der Villa des Klägers und
seiner Ehefrau beschäftigt, in erster Linie dem
Unterhaltungsinteresse der Leser.
Dennoch ist
entgegen der Auffassung des Landgerichts die Veröffentlichung
des Fotos im Lichte der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 101, 361) als zulässig
anzusehen. Der Auffassung des Landgerichts, dass eine Bindung an
Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts nur insoweit bestehe,
als dieses Gesetze für verfassungswidrig oder verfassungsmäßig
erkläre, kann nicht gefolgt werden. Dem steht die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts, wonach auch die tragenden Gründe
seiner Entscheidungen, soweit sie Ausführungen zur Auslegung der
Verfassung enthalten, binden (BVerfGE 1, 14, 37; 96, 375, 404),
sowie des Bundesverwaltungsgerichts, wonach den Leitsätzen des
Bundesverfassungsgerichts Bindungswirkung zukommt (BVerwGE 73,
263, 268; so auch Mann, NJW 2004, 3220; a.A.: Schlaich/Korioth,
Das Bundesverfassungsgericht, 6. Aufl. 2004, Rn. 489; Bethge in
Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Stand Juni 2001,
§ 31 Rn. 92), entgegen.
Zwar dürfte es
zweifelhaft sein, ob es sich bei den Ausführungen des
Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 15. Dezember 1999 (BVerfGE
101. 361, 382ff.) zur sogenannten "Abgeschiedenheit" insgesamt
um tragende Gründe der Entscheidung handelt und ob deshalb ein
Verbot des streitgegenständlichen Fotos bereits mangels
"abgeschiedener Situation" nicht in Betracht kommt.
Bindungswirkung entfalten aber jedenfalls die Sätze, die das
Bundesverfassungsgericht in jener Entscheidung zum
Privatsphärenschutz im Sinne von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 1 Abs. 1 GG an von einer breiten Öffentlichkeit
aufgesuchten Plätzen formuliert hat: "Plätzen, an denen sich der
Einzelne unter vielen Menschen befindet, fehlt es von vornherein
an den Voraussetzungen des Privatsphärenschutzes im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Sie können das
Rückzugsbedürfnis nicht erfüllen und rechtfertigen deswegen auch
nicht den grundrechtlichen Schutz, den dieses Bedürfnis aus
Gründen der Persönlichkeitsentfaltung verdient." (BVerfGE 101,
361. 384). Deshalb, so das Bundesverfassungsgericht, gebe die
Entscheidung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich derjenigen
Abbildungen. die die dortige Beschwerdeführerin beim Gang zum
Markt- und mit einer Leibwächtern auf dem Markt zeigen, keinen
Anlaß zur verfassungsrechtlichen Beanstandung (BVerfGE 101, 361,
395). Diese Rechtssätze stellen die Grundlage für die teilweise
erfolgte Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde dar und sind
damit "tragende Gründe" der Entscheidung. Tragend für eine
Entscheidung sind nämlich jene Rechtssätze, die nicht
hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete
Entscheidungergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck
gekommenen Gedankengang entfiele (BVerfG 96, 375, 404).
Danach muss die
Person des öffentlichen Lebens, um ihrem Recht auf Achtung des
Privatlebens gerecht zu werden, zwar davor geschützt werden,
damit rechnen zu müssen, fast zu jeder Zeit und fast an jedem
Ort fotografiert zu werden und dass derartige Aufnahmen
veröffentlicht werden. Andererseits darf dieses berechtigte
Interesse nicht dazu führen, dass jegliche Berichterstattung
über Vorgänge außerhalb der offiziellen Auftritte der
prominenten Person zu unterbleiben hat. Jedenfalls an Plätzen,
die von einer breiten nicht weiter abgegrenzten Öffentlichkeit
aufgesucht werden können und an denen sich der Einzelne unter
vielen Menschen befindet, erfordert das Recht auf Privatsphäre
es nicht, eine Fotoberichterstattung als unzulässig einzustufen.
Um ein Bildnis mit einem solchen Abbildungsinhalt handelt es
sich auch bei dem streitgegenständlichen Foto. Dieses zeigt
nämlich - wie ausgeführt - den Kläger während seiner Ferien, wie
dieser sich zusammen mit seiner Ehefrau an einem nicht näher
bezeichneten Ort auf öffentlicher Straße unter vielen Leuten
aufhält. Unter diesen Umständen müssen die Ehefrau des Klägers
als Person des öffentlichen Interesses und damit auch der Kläger
als deren Ehemann mit einer gewissen Aufmerksamkeit rechnen und
können auch nicht davon ausgehen, von den Medien unbeobachtet zu
bleiben. Davon ausgehend ist bei der Beurteilung des
streitgegenständlichen Fotos dem öffentlichen Interesse der
Vorrang einzuräumen.
Die
Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO. Da die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, ist die Revision gemäß
§ 543 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 ZPO zuzulassen.
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