Landgericht Hamburg
U R T E I L
Im Namen des Volkes
Geschäfts-Nr.:
324 O 598/01
verkündet am:
26.4.2002
Feuerhahn, JAe
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In der Sache
...
erkennt das Landgericht
Hamburg, Zivilkammer 24 auf die mündliche Verhandlung vom 14.12.2001
durch
den vorsitzenden
Richter am Landgericht Buske
den Richter am Landgericht Zink
den Richter am Landgericht Dr. Weyhe
für Recht:
..
3. Dahinstehen kann, ob
sich die Beklagte - den Tatsachenanteil - der angegriffenen Äußerungen
dergestalt zu eigen gemacht hat, daß diese als eigene Behauptung der
Beklagten anzusehen wären, trotz des etwas irreführenden Wortlautes
des Klagantrags zu Ziff. 1 hat der Kläger auch etwa nicht das Verbot
einer Behauptung beantragt. Die Beklagte haftet aber als Verbreiterin
für die angegriffenen Äußerungen.
a. Unstreitig war der
fragliche Artikel inklusive der angegriffenen Passage im Sommer 2001
über den Server der Beklagten auf den Internet-Seiten "www. ... .de"
abrufbar. Ebenso unstreitig ist der gesamte Inhalt dieser
Internet-Seiten von der Beklagten eingestellt worden. Gemäß § 5
Mediendienste-Staatsvertrag (MDStV) bzw. § 5 Teledienstegesetz (TDG) -
die durchaus problematische Grenzziehung zwischen den
Anwendungsbereichen dieser beiden Gesetze kann hier dahinstehen, da
der Regelungsgehalt insoweit identisch ist - haftet die Beklagte
demnach als "Content-Provider" uneingeschränkt nach den allgemeinen
Gesetzen, denn das von der Beklagten bereitgehaltene Angebot stellt
ein Angebot zur Nutzung eigener Inhalte durch Dritte im Sinne der
genannten Vorschriften dar. Hierbei spielt es keine Rolle, daß die
Inhalte, die sich auf den Unterseiten "... Archiv" finden, zuvor in
der Zeitschrift ... veröffentlicht und der Beklagten von der "...
GmbH" geliefert worden sein mögen. Wie der Aufbau der §§ 5 MDStV / 5
TDG zeigt, die von den "Content-Providern" lediglich "Host- bzw.
Serviceprovider" (die dem Kunden auf ihrem Server Speicherplatz zur
Verfügung stellen), "Access-Provider" (die lediglich Zugangsvermittler
sind) und "Proxy-Server" (die der Zwischenspeicherung dienen)
abgrenzen, sind "eigene Inhalte" im Sinne dieser Vorschriften alle
solche Inhalte, die auf dem eigenen Server vom Provider eingestellt
worden sind und deren Nutzung Dritten angeboten wird (vgl. Soehring,
Presserecht, 3. Aufl, Rz. 28.16ff). Woher diese Inhalte stammen und ob
der "Content-Provider" hierbei eine inhaltliche Kontrolle oder
Bearbeitung vornimmt, spielt für eine uneingeschränkte Haftung - nach
den allgemeinen Vorschriften - keine Rolle.
b. Entgegen der Ansicht
der Beklagten haftet sie hier nach den allgemeinen Gesetzen aber als
Verbreiterin für den rechtswidrigen Inhalt des von ihr zugänglich
gemachten Artikels.
aa. Hierbei sei
dahingestellt, ob die Beklagte als "intellektuelle Verbreiterin" in
Anspruch genommen werden kann, die zu den verbreiteten Äußerungen eine
eigene gedankliche Beziehung hat (vgl. zum Begriff Wenzel, Das Recht
der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl., Rz. 4.95). Allerdings
könnte die Tatsache, daß die Beklagte selbst Wert auf die Feststellung
gelegt hat, daß sie eine von "... GmbH" redaktionell, personell und
auch räumlich getrennte, eigenständige juristische Person sei, dafür
sprechen, daß sie sich einer Haftung als "intellektuelle Verbreiterin"
nicht dadurch entziehen kann, daß sie andererseits betont, daß sie im
Hinblick auf den Inhalt des Online-Archivs der Zeitschrift ...
keinerlei publizistische Tätigkeit entfalte.
bb. Dies kann aber
letztlich dahinstehen, denn jedenfalls haftet die Beklagte als
"technische Verbreiterin", da sie die fraglichen Äußerungen nach ihrem
eigenen Vortrag zumindest ohne eine gedankliche Beziehung zu diesen -
insoweit vergleichbar einem Grossisten, Buchhändler etc. - verbreitet
hat (vgl. zum Begriff des "technischen Verbreiters": Wenzel, Das Recht
der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl., Rz. 4.96; BGH NJW 1976,
799, 800 Alleinimporteur), indem sie diese im Internet für Dritte
zugänglich gemacht hat. Da als Störer unabhängig vom Verschulden jeder
anzusehen ist, der die Störung herbeigeführt hat oder dessen Verhalten
eine Beeinträchtigung befürchten läßt, wobei unabhängig von Art und
Umfang des eigenen Tatbeitrags alleine die willentliche und adäquat
kausale Herbeiführung der rechtswidrigen Beeinträchtigung ausreicht
(BGH GRUR 1957, 352, 353; AfP 1994, 136, 137 - Störerhaftung), haften
etwa Drucker oder eingeschaltete Vertriebsunternehmen als Verbreiter
grundsätzlich ebenso wie der Behauptende auf Unterlassung (vgl.
Löffler / Ricker, Handbuch des Presserechts, 4. Aufl., Kap. 41, Rz.
21). Der Betroffene muß die Möglichkeit haben, auch solche
Veröffentlichungen mit unzulässigem Inhalt anzuhalten, hinsichtlich
derer Autor und Verleger sich darauf berufen können, sie seien ihrer
Einflußnahme entzogen (vgl. Wenzel, Das Recht der Wort- und
Bildberichterstattung, 4. Aufl., Rz. 10.199; BGH NJW 1976, 799, 800 -
Alleinimporteur); Voraussetzung eines Unterlassungsanspruchs ist dann
nur, daß der Verbreiter einer rechtswidrigen Äußerung die tatsächliche
Möglichkeit hat, diese zu wiederholen (vgl. etwa BGH GRUR 1991, 769,
770 - Honoraranfragen); Unterlassungsansprüche etwa gegen die Telekom
wegen Äußerungen, die über ihr Kabelnetz verbreitet wurden, scheiden
deshalb mangels Wiederholungsgefahr regelmäßig aus.
cc. Nach diesen
Grundsätzen haftet die Beklagte hier auf Unterlassung: Dadurch, daß
sie den angegriffenen Artikel im Internet zur Nutzung bereitgestellt
hat, hat sie nicht nur einen, sondern sogar den maßgeblichen Beitrag
dazu geleistet, daß die unzulässigen Äußerungen über dieses Medium für
Nutzer weltweit abrufbar sind; daß diese Bereitstellung im Internet
auch willentlich erfolgte und daß es eine adäquat kausale Folge dieser
Handlung ist, wenn der Beitrag dann auch tatsächlich gelesen wird,
liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung.
dd. Dem gegenüber
vermag das Argument der Beklagten im Ergebnis nicht durchzugreifen,
daß sie schon deswegen nicht als Verbreiterin haften könne, weil es
ihr in erster Linie darum gehe, Vergangenes wahrheitsgetreu für die
Allgemeinheit zu dokumentieren, zeitgeschichtliche und
wissenschaftliche Interessen aber verlangten, daß lückenlos
dokumentiert werde, was einmal veröffentlicht worden sei. Allerdings
werden die von der Beklagten angeführten Argumente in jedem Einzelfall
im Rahmen einer Abwägung der konkreten widerstreitenden Interessen -
Schutz des Persönlichkeitsrechts, Informations- und
Veröffentlichungsfreiheit, Freiheit der Wissenschaften, gegebenenfalls
auch Freiheit der Kunst (Literatur) - zu beachten sein. Hierbei spielt
das Maß der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts ebenso eine
Rolle, wie die Bedeutung der angegriffenen Äußerung für den
öffentlichen Meinungsbildungsprozeß und den Forschungsbetrieb. Einen
unbedingt und in jedem Fall vorrangigen Anspruch auf unveränderte
Bewahrung einmal erfolgter Veröffentlichungen in privaten Archiven (im
Sinne von allgemein zugänglichen, privat betriebenen Archiven) kann es
hierbei ebensowenig geben wie einen generellen Anspruch auf
"Bereinigung" eines jeden Archivs von jeglicher unzulässigen Äußerung.
Im vorliegenden Fall jedoch überwiegen die Interessen des Klägers die
entgegenstehenden Interessen der Beklagten:
Wie ausgeführt, ist
zumindest prozessual davon auszugehen, daß die angegriffenen
Äußerungen unzutreffend sind; auf die grundgesetzlich geschützte
Pressefreiheit kann sich die Beklagte demnach schon deshalb nicht
berufen, weil unwahre Äußerungen für den öffentlichen
Meinungsbildungsprozeß keine schützenswerte Bedeutung haben können.
Auch sind die angegriffenen Vorwürfe von einigem Gewicht, denn dem
Kläger wird hiermit nachgesagt, ein Ehrenamt in jedenfalls nicht
geringem Maße zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil ausgenutzt zu
haben.
Demgegenüber kommt dem
von der Beklagten angeführten Belang, einmal Veröffentlichtes als Teil
der Vergangenheit wahrheitsgetreu und lückenlos für die Allgemeinheit
zu dokumentieren, nicht das entscheidende Gewicht zu: Nach Ansicht von
Wenzel, die - soweit ersichtlich - unbestritten geblieben ist,
unterliegen selbst Bibliotheken der Verbreiterhaftung und Bücher mit
unzulässigen Inhalten dürfen nicht ausgeliehen werden (vgl. Wenzel,
Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl., Rz. 10.201;
ders., Haftung des Bibliothekars als Verbreiter, NJW 1973, 603f,
zustimmend Steffen in: Löffler, Presserecht, 4. Aufl., § 6 LPG Rz.
281). Dem dürfte grundsätzlich zuzustimmen sein, denn in derartigen
Büchern enthaltene Unwahrheiten können so noch nach Jahrzehnten
aktualisiert werden und besonders gravierende Beeinträchtigungen zur
Folge haben, wenn der Entleiher des Buch für publizistische Zwecke
benutzt, da der Wahrheitsgehalt nach Ablauf längerer Zeit oft kaum
noch zu ermitteln ist, besteht die Gefahr, daß die unwahren
Behauptungen in andere Darstellungen übernommen werden und dann um so
sicherer für richtig gehalten werden. Es kann indes dahinstehen, ob
dies generell für Bibliotheken zu gelten hat, denn jedenfalls im
vorliegenden Fall einer Veröffentlichung in einem Online-Archiv
überwiegen die Interessen des Betroffenen an einer Untersagung der
Verbreitung. Allerdings ist der Beklagten einzuräumen, daß
zeitgeschichtliche und wissenschaftliche Interessen in der Tat dafür
sprechen können, daß auch rechtswidrige Publikationen im Einzelfall
zugänglich sind und bleiben; die Dokumentationsfunktion auch von
privaten Archiven hat insoweit ihre eigene Berechtigung. Hierbei ist
aber ausschlaggebend, daß zwischen Bibliotheken und herkömmlichen
Archiven einerseits und Online-Archiven andererseits ein
entscheidender Unterschied besteht; eine Verbreitung von unwahren,
ehrenrührigen Äußerungen über ein Online-Archiv greift nach dessen
Natur in erheblich gewichtigerer Weise in die Rechte des Betroffenen
ein. Bei herkömmlichen, auf Druckerzeugnissen aufgebauten Archiven
(wie auch bei Bibliotheken) hat der Betreiber die Kontrolle darüber,
wem die fraglichen Veröffentlichungen zur Verfügung gestellt werden.
So kann darauf geachtet werden, daß verbotene Aussagen nur zu
Forschungs-, sonstigen wissenschaftlichen oder anderen übergeordneten
Zwecken ausgehändigt werden, und hierbei zB bestehende
Unterlassungstitel oder Unterlassungserklärungen mit ausgehändigt
werden (vgl. zum Bestehen entsprechender Verpflichtungen: Wenzel, Das
Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl., Rz. 10.203).
Grundsätzlich anders aber ist die Sachlage bei Online-Archiven.
Jedermann kann jederzeit von jedem Internet-Zugang und vor allem
unkontrolliert vom Betreiber des Archivs Zugriff auf dessen Inhalt
nehmen. Hinzu kommt, daß allen Veröffentlichungen im Internet - anders
als bei Druckerzeugnissen - grundsätzlich eine gleichrangige
Reichweite und Aktualität zukommt. Wenn jede jemals veröffentlichte
Zeile einer Zeitung zu jedem beliebigen Zeitpunkt weltweit abrufbar
ist, dann haben diese für den Nutzer prinzipiell - jenseits der
Tagesaktualität dasselbe "Gewicht". Dies führt dazu, daß unzulässige
Äußerungen aus früheren Publikationen bei einer Archivierung im
Internet einen ganz anderen Stellenwert und eine deutlich erhöhte
Brisanz gegenüber Publikationen behalten, die in herkömmlichen
Archiven "verschwinden". Diese Argumente müssen dazu führen, daß
jedenfalls Betreiber von Online-Archiven - im Vergleich zu
Bibliotheken und herkömmlichen Archiven erst recht - grundsätzlich auf
Unterlassung der Verbreitung unwahrer ehrenrühriger Äußerungen in
Anspruch genommen werden können. Die Beklagte hat keine Aspekte
vorgetragen, die hier zu einem anderen Ergebnis führen könnten;
namentlich ist weder ersichtlich noch dargelegt, daß es gewichtige
Gründe gebe, gerade die vorliegenden Äußerungen trotz ihres
rechtswidrigen Charakters öffentlich zugänglich halten zu müssen (etwa
weil schon der Tatsache eines Verbotes zB wegen der Person des
Betroffenen ein eigenes zeitgeschichtliches Gewicht zukomme).
Die Kammer verkennt
nicht, daß eine Archivierung von Veröffentlichungen im Internet mit
erheblich geringerem Aufwand möglich ist, als in herkömmlichen
Archiven und Bibliotheken, und daß dem Nutzer der Zugriff wesentlich
erleichtert wird. Die bloße Bequemlichkeit bei der Handhabung und
Kostengründe können allerdings kein ausreichendes Argument sein, eine
nicht unerhebliche Persönlichkeitsrechtsverletzung in gravierender
Intensität zu perpetuieren. Wirtschaftlichkeit ist nicht das Maß aller
Dinge. Neu entwickelte technische Möglichkeiten dürfen nicht dazu
führen, daß Persönlichkeitsrechte nur noch in geringerem Umfang
gewährleistet werden. Wer sich als Anbieter ja
auch zu Zwecken der Gewinnerzielung - derartiger neuer technischer
Möglichkeiten bedienen will, muß eben in Kauf nehmen, daß ein
Teil der Erleichterungen, die die technischen Neuerungen ermöglichen,
dadurch eingeschränkt wird, daß auf die Rechte Dritter Rücksicht
genommen werden muß.
4. Die für eine
ordnungsmittelbewehrte Untersagung erforderliche Wiederholungsgefahr
folgt aus der rechtswidrigen Erstveröffentlichung.
5. Abschließend sei
angemerkt, daß grundsätzlich auch ein Verstoß der "... Magazin GmbH"
gegen eine gegen diese ergangene Unterlassungsverfügung gleichen
Inhalts vorliegen kann, wenn über die Internet-Seiten der Beklagten
eine untersagte Äußerung abrufbar ist. Dies hängt in erster Linie
davon ab, ob eine schuldhafte Zuwiderhandlung der "... GmbH" gegen ein
sie treffendes von der Verbotsverfügung umfaßtes Handlungsgebot nach
Zustellung der einstweiligen Verfügung vorliegt, was namentlich dann
nicht dargelegt sein dürfte, wenn zunächst eine vollständige Löschung
der untersagten Inhalte im Internet erfolgt war, diese aber später aus
letztlich nicht nachvollziehbaren Gründen "wieder aufgetaucht" sind.
II.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 Satz 1 ZPO.
Buske
Zink
Dr. Weyhe |