Verhandlungsbericht
12.01.2007
Landgericht Hamburg
URTEIL
Im Namen des Volkes
Geschäfts-Nr.
324 O 507/06 |
Verkündet am:
30.03.2007 |
In der Sache
Ventspils Aivars Lembergs |
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|
- Antragsteller -
|
Prozessbevollmächtigte |
RA Prof. Dr. Prinz pp.
RA Philippi |
|
gegen
|
Frankfurter Allgemeine Zeitung |
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|
- Antragsgegnerin - |
Prozessbevollmächtigte |
RA Damm & Mann
RA Dr.Smid |
|
|
erkennt das Landgericht Hamburg, Zivilkammer 24 auf die mündliche Verhandlung vom
12.01.'2007
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Buske,
den Richter am Landgericht Dr. Weyhe, den Richter am Landgericht Zink
für Recht:
Tenor
I. Die Klage
wird abgewiesen.
II. Von den
Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 11/15 und die Beklagte
4/15 zu tragen.
III. Das
Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Beklagte aber nur gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden
Betrages. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger verlangt den Widerruf von Äußerungen, die
die Beklagte in einem Zeitungsartikel veröffentlicht hat.
Der Kläger ist seit 1988 oder 1994 Bürgermeister der
Hafenstadt V in L. Die Beklagte verlegt die "F." In der Ausgabe vom
23.5.2005 berichtete die Beklagte unter der Überschrift "Der
Oligarch von V" über den Kläger; die Beklagte stellte den
Artikel auch in die von ihr betriebenen Internetangebote "www.f" und
"www.f" ein. Wegen der weiteren Einzelheiten dieser
Berichterstattungen wird auf die als Anl K 2 eingereichte Kopie der
archivierten Internet-Veröffentlichung Bezug genommen.
Mit zwei Schreiben vom 27.3.2006 ließ
der Kläger die Beklagte zur Abgabe einer
Unterlassungsverpflichtungserklärung (Anl K 3 und K 4) und zur
Veröffentlichung eines Widerrufs in der Druckausgabe (Anl K 5 und K
6) auffordern. Die Beklagte gab darauf zunächst nur eine
modifizierte Unterlassungsverpflichtungserklärung ab (Anl K 8).
Am 28.7.2006 wurde die vorliegende Klage
eingereicht, mit der der Kläger u. a. die Veröffentlichung von
identischen Widerrufen in der Druckausgabe und auf den
Internetseiten der FAZ verlangte. Am 4.8.2006 wurde vom Gericht eine
Aufforderung an den Kläger gerichtet, einen Kostenvorschuss
einzuzahlen; der Vorschuss ging am 10.10.2006 bei Gericht ein.
Der Kläger ist der Ansicht, dass es sich
bei den angegriffenen Äußerungen um Tatsachenbehauptungen handele;
diese seien unwahr. Die Rufbeeinträchtigung, die er hierdurch
erlitten habe, dauere noch fort; dies gelte gerade im vorliegenden
Fall, da – was unstreitig ist – die Beklagte den
streitgegenständlichen Artikel seit der Veröffentlichung in ihrem
Archiv bereit halte und gegen Gebühr versende. Eine Verbreitung über
das Internet sei direkt über die Website "www.f" noch mindestens bis
zum 27.3.2006 erfolgt. Außerdem sei der Artikel noch über mehrere
lettische Anbieter in deutscher und lettischer Sprache zum Abruf
angeboten worden.
Die Parteien haben das Verfahren
bezüglich der vom Kläger zunächst geltend gemachten
Unterlassungsansprüche für erledigt erklärt, nachdem die Beklagte
eine dem Klagantrag zu I. entsprechende
Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben hatte.
Der Kläger beantragt nunmehr,
I. ...
II.
die Beklagte zu verurteilen, in dem gleichen Teil der
FAZ, in dem der Artikel "Der Oligarch von V" (vom 23.5.2005, Seite
8) erschienen ist und mit gleicher Schrift unter Hervorhebung des
Wortes "Widerruf" als Überschrift durch drucktechnische Anordnung
und Schriftgröße in der nächsten für den Druck noch nicht
abgeschlossenen Nummer der FAZ den folgenden Widerruf zu
veröffentlichen:
Widerruf
In der FAZ vom 23. Mai 2005 haben wir unter der
Überschrift "Der Oligarch von V Der Bürgermeister der lettischen
Hafenstadt herrscht mit Drohungen, Geld und Versprechungen" über die
Stadt V und ihren Bürgermeister, Herrn ..., wie folgt berichtet:
1. "Erst trieb ... kommunale
Unternehmen in den Konkurs, dann kaufte er sie im Zuge ihrer
Privatisierung billig ein und baute sie wieder auf."
Diese Behauptungen widerrufen wir als
unwahr, Während der Tätigkeit von Herrn L für die Stadt V ist nicht
ein einziges kommunales Unternehmen in Konkurs gegangen.
2. "Rivalen, die ihn kritisieren,
müssen plötzlich eine höhere Grundsteuer zahlen, oder die Stadt
fordert zusätzliche Umweltlizenzen von ihnen. er verteile die
Einnahmen der Stadt wie des Hafens so, daß weder Bürger oder
Mitarbeiter noch er selbst zu kurz kommen."
Diese Behauptungen widerrufen wir als
unwahr. Zu keinem Zeitpunkt musste irgendjemand auf Veranlassung von
Herrn ... eine höhere Grundsteuer bezahlen oder zusätzliche
Umweltlizenzen leisten. Eine Verteilung der städtischen- und
Hafeneinnahmen durch den Bürgermeister ist weder nach den
gesetzlichen Vorschriften möglich noch durch Herrn ... erfolgt.
3. "Wie groß sein Anteil an der
Hafengesellschaft N, der offiziell nur bei 0,27 Prozent liegt, in
Wirklichkeit ist, ist nicht bekannt. Knapp die Hälfte des
Unternehmens gehört über mehrere Schachtelbeteiligungen
Offshore-Firmen im schweizerischen Z, in L, auf den G-Inseln und auf
M, und nach Erkenntnissen der lettischen Staatsanwaltschaft ist es
L, der sie kontrolliert."
Der einzige direkte Anteil von Herrn
... an der Hafengesellschaft N beträgt weniger als 0,01%. Darüber
hinaus verfügt er lediglich über eine weitere indirekte Beteiligung
in Höhe von 0,067 Prozent. Eine Kontrolle der Hafengesellschaft
durch ihn ist damit ausgeschlossen.
4. "..., warum die Stadt seit sechs Jahren
Leibwächter für ... und seine Familie bezahle."
Diese Behauptung widerrufen wir als unwahr. Herr ...
hat keine Leibwächter.
5. "Während eines schweren Orkans an der Ostsee Ende
Januar fielen überdies alle Versorgungsleitungen und damit die ganze
Stromversorgung in Ventspils aus. Infolge des Stromausfalls bestand
für einen Teil der Stadt Vergiftungsgefahr, weil die Lagerbestände
des Reizgases Ammoniak nicht mehr ausreichend gekühlt wurden. Eine
Katastrophe konnte nur verhindert werden, indem eilends
Kühlgeneratoren aus R und L (L) herbeigeschafft wurden. Der Vorfall
offenbarte nicht nur mangelnde Vorsorge des Stadtoberhauptes,
sondern auch einen laxen Umgang mit der Wahrheit: während L und
seine Zeitungen behaupteten, die Lage sei unter Kontrolle, flohen
viele Bürger in Panik aus der dunklen Stadt."
Hierzu stellen wir richtig: Bei der Lagerung von
Ammoniak ist nicht die Temperatur sondern das Druckniveau
entscheidend. Die herbeigeschafften Kühlgeneratoren waren daher
überflüssig. Das Druckniveau wurde gesichert durch die Umleitung des
Ammoniaks zu einer Fackel, wo das Ammoniak verbannt wurde. Zu keinem
Zeitpunkt war die Lage außer Kontrolle oder/und hat
Vergiftungsgefahr für die Bevölkerung bestanden.
Herrn ... kann keine mangelnde Vorsorge
vorgeworfen werden. Die Kompetenz für die Aufsicht über derartige
Unternehmen liegt nicht auf kommunaler Ebene sondern beim Staat.
Der Verlag'
III.
die Beklagte zu verurteilen, über die Website "www.f"
an der gleichen Stelle, an der der Artikel "Der Oligarch von V" (vom
23.5.2005, Seite 8) verbreitet wurde und mit gleicher Schrift unter
Hervorhebung des Wortes "Widerruf" als Überschrift durch
drucktechnische Anordnung und Schriftgröße unverzüglich den
folgenden Widerruf zu veröffentlichen:
'Widerruf
Auf der Website "www.f" haben wir seit dem 23. Mai
2005 unter der Überschrift "Der Oligarch von V Der Bürgermeister der
lettischen Hafenstadt herrscht mit Drohungen, Geld und
Versprechungen" über die Stadt V und ihren Bürgermeister, Herrn ...,
Folgendes verbreitet:
1. "Erst trieb ... kommunale
Unternehmen in den Konkurs, dann kaufte er sie im Zuge ihrer
Privatisierung billig ein und baute sie wieder auf."
Diese Behauptungen widerrufen wir als
unwahr. Während der Tätigkeit von Herrn ... für die Stadt V ist
nicht ein einziges kommunales Unternehmen in Konkurs gegangen.
2. "Rivalen, die ihn kritisieren,
müssen plötzlich eine höhere Grundsteuer zahlen, oder die Stadt
fordert zusätzliche Umweltlizenzen von ihnen. er verteile die
Einnahmen der Stadt wie des Hafens so, daß weder Bürger oder
Mitarbeiter noch er selbst zu kurz kommen."
Diese Behauptungen widerrufen wir als
unwahr. Zu keinem Zeitpunkt musste irgendjemand auf Veranlassung von
Herrn L eine höhere Grundsteuer bezahlen oder zusätzliche
Umweltlizenzen leisten. Eine Verteilung der städtischen- und
Hafeneinnahmen durch den Bürgermeister ist weder nach den
gesetzlichen Vorschriften möglich noch durch Herrn ... erfolgt.
3. "Wie groß sein Anteil an der
Hafengesellschaft N, der offiziell nur bei 0,27 Prozent liegt, in
Wirklichkeit ist, ist nicht bekannt. Knapp die Hälfte des
Unternehmens gehört über mehrere Schachtelbeteiligungen
Offshore-Firmen im schweizerischen Z, in L, auf den G Inseln und auf
M, und nach Erkenntnissen der lettischen Staatsanwaltschaft ist es
L, der sie kontrolliert."
Der einzige direkte Anteil von Herrn
... an der Hafengesellschaft N beträgt weniger als 0,01%. Darüber
hinaus verfügt er lediglich über eine weitere indirekte Beteiligung
in Höhe von 0,067 Prozent. Eine Kontrolle der Hafengesellschaft
durch ihn ist damit ausgeschlossen.
4. "..., warum die Stadt seit sechs Jahren
Leibwächter für ... und seine Familie bezahle."
Diese Behauptung widerrufen wir als unwahr. Herr ...
hat keine Leibwächter.
5. "Während eines schweren Orkans an der Ostsee Ende
Januar fielen überdies alle Versorgungsleitungen und damit die ganze
Stromversorgung in Ventspils aus. Infolge des Stromausfalls bestand
für einen Teil der Stadt Vergiftungsgefahr, weil die Lagerbestände
des Reizgases Ammoniak nicht mehr ausreichend gekühlt wurden. Eine
Katastrophe konnte nur verhindert werden, indem eilends
Kühlgeneratoren aus R und L (L) herbeigeschafft wurden. Der Vorfall
offenbarte nicht nur mangelnde Vorsorge des Stadtoberhauptes,
sondern auch einen laxen Umgang mit der Wahrheit: während ... und
seine Zeitungen behaupteten, die Lage sei unter Kontrolle, flohen
viele Bürger in Panik aus der dunklen Stadt."
Hierzu stellen wir richtig: Bei der Lagerung von
Ammoniak ist nicht die Temperatur sondern das Druckniveau
entscheidend. Die herbeigeschafften Kühlgeneratoren waren daher
überflüssig. Das Druckniveau wurde gesichert durch die Umleitung des
Ammoniaks zu einer Fackel, wo das Ammoniak verbannt wurde. Zu keinem
Zeitpunkt war die Lage außer Kontrolle oder/und hat
Vergiftungsgefahr für die Bevölkerung bestanden.
Herrn L kann keine mangelnde Vorsorge
vorgeworfen werden. Die Kompetenz für die Aufsicht über derartige
Unternehmen liegt nicht auf kommunaler Ebene sondern beim Staat.
Der Verlag'
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist unter anderem der Ansicht, dass der
Kläger zu lange zugewartet habe, seine vermeintlichen Ansprüche
geltend zu machen; von einer fortbestehenden
Ansehensbeeinträchtigung könne nach einer solchen Zeitdauer keine
Rede mehr sein.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf
die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht
der geltend gemachte Anspruch auf Widerruf aus §§ 823 Abs. 1, Abs.
2, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. § 186 StGB bzw. Art. 1 Abs.
1, Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu. Voraussetzung eines derartigen
Anspruchs ist es, dass durch eine unrichtige Tatsachenbehauptung
beim Anspruchsteller eine fortwirkende Verletzung deliktsrechtlich
geschützter Rechtsgüter im Sinne der §§ 823, 824 BGB eingetreten
ist, und dass die begehrte Berichtigung erforderlich und geeignet
ist, dieser Beeinträchtigung entgegenzuwirken (vgl. Soehring,
Presserecht, 3. Aufl., Rz. 31.2, 31.5, 31.8). Diese Voraussetzungen
sind hier nicht erfüllt.
Es kann im vorliegenden Fall
dahinstehen, ob es sich bei den angegriffenen Passagen durchgängig
um widerrufsfähige (und unwahre) Tatsachenbehauptungen handelt, weil
es jedenfalls mangels hinreichenden Aktualitätsbezuges an der
erforderlichen fortgesetzten Rufbeeinträchtigung des Klägers fehlt.
1. Soweit ersichtlich hat sich in der
Rechtsprechung bisher keine einheitliche Meinung zu der Frage
herausgebildet, nach welchem Zeitraum eine fortgesetzte
Rufbeeinträchtigung in der Regel nicht mehr vorliegen wird. Eine
solche zeitliche Grenze muss es indes geben, wie schon das
Erfordernis einer fortgesetzten Rufbeeinträchtigung als
Anspruchsvoraussetzung für einen Widerruf bzw. eine Richtigstellung
zeigt. Spiegelbildlich dazu ist es auch dem Presseorgan nicht
zuzumuten, ein Thema erneut in seine Publikation aufzunehmen,
hinsichtlich dessen keinerlei Aktualitätsbezug mehr besteht; der
Berichtigungsanspruch steht – wie jeder Anspruch, der einem
Presseorgan bestimmte Inhalte aufzwingt – unter dem Primat der
Verhältnismäßigkeit. Der Berichtigungsanspruch muss auch an den
besonderen Belastungen des Behauptenden gemessen werden, dem eine
Erklärung abverlangt wird, mit der er sich selbst ins Unrecht setzt.
Ein Anspruch auf Veröffentlichung einer Berichtigung hängt deswegen
von einer Abwägung zwischen dem Interesse des Betroffenen am Schutz
seiner Ehre und seines Rufes auf der einen und dem Interesse des
Mitteilenden auf der anderen Seite ab, seine einmal geäußerte
Behauptung nicht zurücknehmen zu müssen (Gamer, in: Wenzel, Das
Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Rz. 13.25;
Soehring, Presserecht, 3. Aufl., Rz. 31.8). Denn sowohl das
allgemeine Persönlichkeitsrecht wie die von Art. 5 GG geschützten
Freiheitsrechte bilden essentielle Bestandteile der
Verfassungsordnung des Grundgesetzes. Keines dieser Verfassungsgüter
kann einen grundsätzlichen Vorrang beanspruchen. In einem
Konfliktsfall müssen sie nach Möglichkeit zum Ausgleich gebracht
werden. Den verfassungsrechtlichen Maßstab, nach dem die zu
wahrenden Belange einander sachgemäß zuzuordnen sind, enthält der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, nach dem eine
Grundrechtsbeschränkung geeignet und erforderlich sein muss, ihren
Zweck zu erreichen, und die Betroffenen nicht übermäßig belasten
darf, diesen also zumutbar sein muss. So kann etwa eine
Gegendarstellung inhaltlich der Freiheit des Rundfunks
zuwiderlaufen, wenn sie so spät gebracht wird, dass ihre Aktualität
verloren gegangen und für die Hörer oder Zuschauer der Bezug zu der
zu korrigierenden Information nicht mehr erkennbar ist (vgl. zu
allem BVerfG NJW 1983, 1179, 1180).
2. Im Lichte dieser Kriterien wird im
Regelfall davon auszugehen sein, dass nach einem Jahr ab der
Veröffentlichung eines streitgegenständlichen Beitrags das Interesse
des Betroffenen am Schutz seiner Ehre und seines Rufes vom Interesse
des Mitteilenden verdrängt wird, seine einmal geäußerte Behauptung
nicht öffentlich zurücknehmen und sich damit selbst ins Unrecht
setzen zu müssen. Denn grundsätzlich besteht eine Vermutung dafür,
dass es Berichten nach einem Jahr an jeglichem Aktualitätsbezug
fehlt. Dies kann allerdings keine starre Grenze sein, da – wie
ausgeführt – maßgeblich das Ergebnis der Abwägung zwischen den
widerstreitenden Grundrechten ist. Daher kommt es letztlich stets
auf den jeweiligen Einzelfall und den daran anzulegenden
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an. Ein gewichtiger Faktor im Rahmen
dieser Abwägung ist, wieweit der Berichtsgegenstand noch Gegenstand
der öffentlichen Erörterung ist, denn dieses Kriterium ist aus zwei
Gründen erheblich: Das Interesse des Betroffenen an einer
Berichtigung einer ihn betreffenden Berichterstattung wiegt umso
schwerer, je mehr das ihn in Rede stehende Thema in der
Öffentlichkeit noch virulent ist. Und das Presseorgan wird in
derartigen Fällen auch nicht gezwungen, ein Thema aufzugreifen,
hinsichtlich dessen es an jeglichem Aktualitätsbezug fehlt. Die
dargestellte Vermutung, dass es einer Berichterstattung nach einem
Jahr an dem für einer Richtigstellung oder einen Widerruf
erforderlichen Aktualitätsbezug fehlt, kann daher nur eine
widerlegliche sein.
Diese zeitliche "Grenze" kann zudem
nicht erst ab dem Zeitpunkt berechnet werden, ab dem der Betroffene
Kenntnis von einer Berichterstattung erlangt hat, vielmehr muss der
Zeitraum ab dem Datum der Veröffentlichung herangezogen werden. Denn
bereits ab diesem Zeitpunkt – und nicht etwa erst dann, wenn der
Betroffene eine Veröffentlichung wahrnimmt – schwindet der
Aktualitätsbezug der Berichterstattung für die Öffentlichkeit.
Andererseits kann es auf den schwindenden Aktualitätsbezug ab dem
Zeitpunkt der Erhebung der Klage in der Regel nicht mehr ankommen,
denn ab diesem Zeitpunkt hat der Betroffene die Sache "aus der Hand
gegeben"; die Verfahrensdauer kann bei der beschriebenen Abwägung
grundsätzlich nicht ins Gewicht fallen (vgl. BGH NJW 1995, 861, 862
f, wonach es unschädlich sein kann, wenn seit der Veröffentlichung
schon mehr als zwei Jahre vergangen sind). Es kann nämlich nicht in
der Hand des Verletzers liegen, durch Verfahrensverzögerung einen an
sich gegebenen Anspruch zu Fall zu bringen; auch eine lange
Bearbeitungsdauer durch die Gerichte darf nicht zu Lasten des
Verletzten gehen.
Diese Grundsätze gelten auch für
Veröffentlichungen, die im Internet erfolgt sind, und zwar selbst
dann, wenn diese – wie hier zumindest zunächst – frei abrufbar und
nicht etwa nur gegen Entgelt oder nach einer Anmeldung einem
beschränkten Rezipientenkreis zugänglich sind. Denn wie etwa die
Vorschrift des § 14 Abs. 2, Ziff. 4 MDStV (nunmehr § 56 Abs. 2, Ziff.
4 Rundfunkstaatsvertrag) zeigt, gilt der Rechtgedanke, dass ein
mangelnder Aktualitätsbezug der Durchsetzung von
äußerungsrechtlichen Ansprüchen entgegensteht, auch im Internet;
nach dieser Vorschrift besteht eine absolute Ausschlussfrist von
drei Monaten ab Ersteinstellung der Berichterstattung für die
Geltendmachung eines Anspruchs auf Veröffentlichung einer
Gegendarstellung.
3. Diese Grundsätze korrespondieren mit
bisher zu dieser Frage ergangenen Entscheidungen. So hat das
Hanseatische Oberlandesgericht am 25.2.1971 entschieden, dass nach
einem Zeitraum von neun Monaten zwischen der Veröffentlichung eines
Artikels und dem Zeitpunkt, zu dem ein Widerruf "verlangt" bzw.
"geltend gemacht" wurde, kein anerkennenswertes Bedürfnis bestehe,
einen Widerruf zu verlangen, da das im Artikel thematisierte
Ereignis in der Folgezeit nicht mehr Gegenstand der öffentlichen
Erörterung gewesen sei und auch hat der Kläger nicht vorgetragen
habe, dass seine Person weiterhin mit dem Ereignis in Verbindung
gebracht worden sei (HansOLG ArchPR 1971, 105). Auch der
Bundesgerichtshof hat sich mit dem Kriterium des Zeitablaufs von der
Veröffentlichung bis zur Klageerhebung befasst und dieses zumindest
nicht als grundsätzlich unbeachtlich für die Frage angesehen, ob
hierdurch unwahren Behauptungen ihre verletzende Wirkung genommen
werden kann, auch wenn der BGH im seinerzeit zu entscheidenden Fall
einen Zeitraum von sieben Monaten als unschädlich angesehen hat (BGH
NJW 2004, 1034, 1035). Aus der bereits genannten Entscheidung des
BGH (NJW 1995, 861, 862 f) ergibt sich nicht, dass der Betroffene
zwei Jahre mit der Geltendmachung eines Berichtigungsanspruches
warten darf, vielmehr war in jenem Fall die Verfahrensdauer als
unschädlich angesehen worden.
4. Nach diesen Grundsätzen steht dem
Kläger im vorliegenden Fall kein Anspruch auf Veröffentlichung einer
Berichtigung – sei es als Widerruf, sei es als Richtigstellung – zu.
Der Kläger hat erst nach einem Zeitraum von etwas mehr als zehn
Monaten seit der streitgegenständlichen Berichterstattung vom
23.5.2005 von der Beklagten die Veröffentlichung eines Widerrufs in
der Druckausgabe der FAZ verlangt (Anl K 5/K 6 vom 27.3.2006); die
Veröffentlichung eines Widerrufs im Internet hat er vor Klagerhebung
überhaupt nicht geltend gemacht. Nach dieser ohnehin schon sehr
späten außergerichtlichen Geltendmachung hat er bis zur Einreichung
der Klage am 28.7.2006 nochmals etwa vier Monate verstreichen
lassen. Nach der alsbald erfolgten Aufforderung zur Einzahlung des
Kostenvorschusses (bei Gericht abgesandt am 4.8.2006) hat es
nochmals mehr als zwei Monate gedauert, bis der Kostenvorschuss am
10.10.2006 eingezahlt war. Es waren also nahezu eineinhalb Jahre
seit der streitgegenständlichen Veröffentlichung verstrichen, als
der Kläger die Verfolgung seiner Berichtigungsansprüche in die Hände
des Gerichts gelegt hatte.
Die hierdurch begründete Vermutung,
dass es damit bereits an einem hinreichenden Aktualitätsbezug der
Berichterstattung fehlte, ist durch das Vorbringen des Klägers nicht
im Ansatz erschüttert. Zwar hatte der streitgegenständliche Artikel
schon bei der Veröffentlichung keinen direkten Aktualitätsbezug,
sondern hätte – solange der Kläger noch Bürgermeister ist – genauso
gut ein Jahr später oder auch früher veröffentlicht werden können,
da es sich um ein eher zeitloses "Porträt" des Klägers und seiner
Stadt handelt; diese Tatsache spricht dafür, dass es die Beklagte
weniger gewichtig träfe, wenn sie dieses Thema jetzt erneut
aufgreifen müsste (vgl. zu diesem Kriterium BGH NJW 2004, 1034,
1035). Maßgeblich im Rahmen der erforderlichen Abwägung ist jedoch
neben dem dargelegten Zeitablauf, dass weder ersichtlich noch
dargelegt ist, dass das Thema des Artikels die Öffentlichkeit in
Deutschland über den Zeitpunkt der Veröffentlichung hinaus bewegt
hätte. Auch der Kläger behauptet nicht, dass er in Deutschland einer
breiteren Öffentlichkeit bekannt sei. Zudem ist weder ersichtlich
noch dargetan, dass seit jener Veröffentlichung irgendein
Presseorgan oder sonstiges Medium in Deutschland sich nochmals mit
den im streitgegenständlichen Artikel gegen den Kläger erhobenen
Vorwürfen befasst hätte. Dass lettische Medien die Berichterstattung
der Beklagten übernommen haben mögen, wie der Kläger pauschal und
ohne Konkretisierung vorträgt, kann nicht zu Lasten der Beklagten
gehen und diese zu einer gegenüber der deutschen Öffentlichkeit
vorzunehmenden Berichtigung verpflichten.
II.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 a, 92 Abs.
1, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO. Hinsichtlich der überstimmend für
erledigt erklärten Unterlassungsanträge entspricht es billigem
Ermessen, der Beklagten die anteiligen Kosten aufzuerlegen, da die
Klage nach dem Sach- und Streitstand bis zum Eintritt des
erledigenden Ereignisse insoweit voraussichtlich Erfolg gehabt
hätte. Zumindest prozessual wäre nämlich davon auszugehen gewesen,
dass die angegriffenen Tatsachenbehauptungen unwahr sind bzw. dass
es an hinreichenden Anknüpfungstatsachen für angegriffene
Bewertungen fehlte. So hat auch die Beklagte nicht behauptet, dass
der Kläger auch nur ein einziges Unternehmen aufgekauft habe; ob er
irgendwelche kommunalen Unternehmen "in den Konkurs" trieb, war
nicht antragsgegenständlich. Selbst wenn der Kläger auf die
Verteilung der städtischen Einnahmen tatsächlich doch nicht wenig
Einfluss gehabt haben sollte, wie die Beklagte recht detailliert
dargelegt hat, könnte dies nicht den anklingenden Vorwurf belegen,
dass er sich bei der Verteilung zumindest moralisch vorwerfbar
selbst bedacht habe; Anhaltspunkte hierfür trägt die Beklagte nicht
vor. Schließlich ist es nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten
unzutreffend, dass der Kläger "offiziell" 0,27% an der
Hafengesellschaft N hält: Die Beklagte trägt nur vor, dass der
Kläger an einer Gesellschaft V AG Anteile in Höhe von 0,27% halte.
Dass der Kläger mit so einem geringen Anteil mittelbar die N
kontrollieren könnte, liegt eher fern. Auch dass er gewisse, nicht
sonderlich hohe Anteile (die mal mit 16% und mal mit 22 – 30 Stück
angegeben werden) an Unternehmen halten soll, ist keine hinreichende
Anknüpfungstatsache für die Bewertung, dass der Kläger diese
Unternehmen kontrolliere. Der Vortrag der Beklagten, dass
Unternehmen, die in einem nicht näher spezifizierten "engem Kontakt"
zur N stehen sollen, damit automatisch auch "knapp die Hälfte" der
Anteile an dieser gehörten, leuchtet zudem überhaupt nicht ein. Die
aus dem Tenor ersichtliche Verteilung der Kosten errechnet sich aus
dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Parteien anhand der
im Beschluss vom 2.8.2006 festgesetzten Werte der einzelnen Anträge.
Buske
Weyhe
Zink
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Rolf Schäike
Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 10.05.08
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