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Volkswagen bezahlt Prostituierte

Bericht 22.12.2006

Urteil als pdf-Datei (Original)

Landgericht Hamburg

URTEIL

Im Namen des Volkes

Geschäfts-Nr.
324 O 406/06
Verkündet am:
02.02.2007

(Rubrum im Einzelnen wie Bl. 27 d.A.)

Schluss der mündlichen Verhandlung: 22.12.2006.

 

Besetzung: B. – D. – D.
 

I.) Die Klage wird abgewiesen.

II.) Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III.) Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Beschluss: Der Streitwert wird auf 70.000,- € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt das Verbot einer ihn betreffenden Berichterstattung.

Der Kläger war seit 1990 Betriebsrat der „VW AG“ und zuletzt Geschäftsführer des Gesamtbetriebsrats. Er ist seit 2002 Bundestagsabgeordneter.

In der von der Beklagten verlegten Zeitschrift „Der S.“ vom 10.10.2005 erschien ein Beitrag mit der Überschrift „AFFÄREN Wolfsburger Liebesspiele“ (Anlage K 1). Darin heißt es:

„Klaus-Joachim Gebauer, der entlassene VW-Personalmanager, hat mit seiner Aussage vor der Staatsanwaltschaft Braunschweig am vergangenen Donnerstag zwei SPD-Politiker, den Ex-Betriebsratschef Klaus Volkert und den zurückgetretenen Personalvorstand Peter Hartz belastet. Sowohl Günter Lenz, Betriebsratsboss des VW-Werks Hannover und zugleich SPD-Landtagsabgeordneter, als auch der Ex-Geschäftsführer des VW-Gesamtbetriebsrats und SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Jürgen <leer> hätten mehrfach die Dienste von Prostituierten in Anspruch genommen, die er bezahlt habe und deren Kosten er sich später von VW habe ersetzen lassen. Beide weisen die Vorwürfe als falsch zurück. [...]“

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat gegen den Kläger Anfang Oktober 2005 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beihilfe zur Untreue und der Abgabe einer falschen Versicherung an Eides statt (des Inhalts, er habe niemals von Gebauer Prostituierte zugeführt bekommen oder sich sonst wie auf Firmenkosten mit Prostituierten vergnügt) eingeleitet. Mitte Dezember 2006 hat der Deutsche Bundestag insoweit die Immunität des Klägers aufgehoben.

Der Kläger hat eine einstweilige Verbotsverfügung der Kammer vom 10.11.2005 erwirkt (Az.: 324 O 863/05)

Die Beklagte hat ihm daraufhin eine Frist zur Erhebung der vorliegenden Hauptsacheklage setzen lassen.

Der Kläger behauptet, die angegriffenen Passagen seien unwahr bzw. bildeten eine unzulässige, Schmähkritik.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung der gesetzlich vorgesehenen Zwangsmittel zu unterlassen, zu behaupten bzw. behaupten zu lassen, zu veröffentlichen bzw. veröffentlichen zu lassen oder sonst zu verbreiten bzw. sonst verbreiten zu lassen,

a.) (in Bezug auf Hans-Jürgen <leer>) „Wolfsburger Liebesspiele“; und/oder

b.) „Sowohl Günter Lenz, Betriebsratsboss des VW-Werks Hannover und zugleich SPD-Landtagsabgeordneter, als auch der Ex-Geschäftsführer des VW-Gesamtbetriebsrats und SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Jürgen <leer> hätten mehrfach die Dienste von Prostituierten in An-spruch genommen, die er (sc. Gebauer) bezahlt habe und deren Kos-ten er (sc. Gebauer) sich später von VW habe ersetzen lassen.“

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, der Kläger habe in mindestens zehn Fällen im Rahmen von Dienstreisen ins In- und Ausland die Dienste von Prostituierten in Anspruch genommen, wobei die dadurch angefallenen Kosten von Gebauer an „VW“ weitergeleitet worden seien (vgl. hierzu die tabellarische Übersicht in Anlage B 2, Seite 2). Der Artikelüberschrift fehle es bereits an einem untersagungsfähigen Aussagegehalt. Bei der Berichterstattung zu Lit. b.) handle es angesichts der Aussagen Gebauers sowie der Prostituierten Graser und Becker bei der Staatsanwaltschaft (vgl. Anlagen B 2 und 3) jedenfalls um eine zulässige Verdachtsberichterstattung.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze und Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.)
Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche nicht zu, insbesondere nicht aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog in Verbindung mit Artikeln 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG. Die angegriffene Berichterstattung verletzt den Kläger nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

1.)
Die Aussage, der Kläger habe mehrfach auf Kosten der „VW AG“ die Dienste von Prostituierten in Anspruch genommen, ist den Mitteln der Beweisführung zugänglich und somit als Tatsachenbehauptung anzusehen. Die angegriffenen Äußerungen zu Lit. b.) enthalten insoweit allerdings nur eine Verdachtsäußerung, denn sie sind durchgehend im Konjunktiv formuliert und mit der unmittelbaren Wiedergabe der Dementis der beiden Betroffenen (Lenz und des Klägers) verbunden, so dass für den durchschnittlichen Leser nicht der Eindruck entstehen kann, die Beklagte sei bereits davon überzeugt, dass der gegen den Kläger erhobene Vorwurf zutreffe.

Eine Verdachtsberichterstattung ist zulässig, wenn es sich bei dem geäußerten Verdacht um den Gegenstand eines berechtigten öffentlichen Interesses handelt, hinreichende Anhaltspunkte für die Richtigkeit des Verdachts vorhanden sind, die im konkreten Fall gebotene – auch von der Schwere des geäußerten Verdachts abhängende – Sorgfalt bei der Recherche und der Entscheidung für die Veröffentlichung angewandt wurde und durch die Art der Darstellung dem Rezipienten in hinreichendem Maße vermittelt wird, dass die Sachlage offen ist (vgl. dazu: BGH, U. v. 7.12.1999, Az.: VI ZR 51/99, Juris, Absatz-Nr. 20). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt:

An der Frage, ob der Kläger auf Kosten der „VW AG“ Dienste von Prostituierten in Anspruch genommen hat, besteht ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse. Zwar ist die Inanspruchnahme der Dienstleistungen von Prostituierten grundsätzlich der Privatsphäre an der Grenze zur Intimsphäre zuzurechnen, so dass in der Regel der Betroffene ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse für sich in Anspruch nehmen kann. Vorliegend ist aber zu berücksichtigen, dass gegen den Kläger der Verdacht besteht, er habe die Kosten für seine Besuche bei Prostituierten letztlich von der „VW AG“ begleichen lassen. Damit erlangt der gegen ihn erhobene Vorwurf eine soziale Dimension, weil nicht nur die Vermögensinteressen der Aktionäre der „VW AG“ betroffen sind, sondern mittelbar auch die Frage nach der Unabhängigkeit und moralischen Integrität des Klägers bei der Ausübung seiner Funktionen im Unternehmens-Betriebsrat aufgeworfen wird. Hinzu kommt, dass der Kläger als Abgeordneter des Deutschen Bundestages eine herausragende Position als politischer Entscheidungsträger einnimmt und schon deshalb in gesteigertem Maße eine öffentliche Auseinandersetzung mit seiner privaten Lebensführung hinzunehmen hat.

Es liegen auch hinreichende tatsächliche Anknüpfungspunkte dafür vor, dass der gegen den Kläger erhobene Verdacht zu treffen kann. Anzuführen ist zunächst der Umstand, dass unstreitig Klaus-Joachim Gebauer in mehreren staatsanwaltlichen Vernehmungen die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe detailliert ausgeführt und sich dabei auch selbst belastet hat (vgl. Anlage B 2). Zwar trifft es zu, dass Gebauer verschiedene Gründe dafür haben könnte, den Kläger und andere „große Namen“ zu Unrecht zu belasten, etwa das Interesse, sich an seinem früheren Arbeitgeber zu rächen oder durch eine Ausweitung der Affäre von seiner eigenen Person abzulenken. Es ist aber andererseits in Rechnung zu stellen, dass die Staatsanwaltschaft ausgehend von seiner Aussage seit langer Zeit ermittelt und mittlerweile auch vom Deutschen Bundestag die Immunität des Klägers aufgehoben worden ist. Hinzu kommt, dass laut staatsanwaltlicher Vernehmung der Zeugin Graser vom 11.5.2006 (Anlage B 3, dort Seite 5) die Zeugin Becker ausgesagt hat, bei einer Party mit Prostituierten in der Badenstedter Straße mit der Person zu Ziffer 4 der Lichtbildvorlage in Anlage B 3, bei der es sich unstreitig um den Kläger handelt, „zusammen gewesen“ zu sein. Ferner hat – wie bereits im Beschluss vom 13.10.2006 ausgeführt – auch die Zeugin Graser den Kläger belastet. Sie hat zwar weder ausgesagt, selbst mit dem Kläger „gearbeitet“ zu haben, noch konnte sie genaue Auskünfte darüber geben, ob eine ihrer Kolleginnen dies getan habe. Sie hat aber immerhin – wenn auch mit einem gewissen Vorbehalt – bestätigt, dass die Person zu Ziffer 4 der Lichtbildvorlage bei der Party in der Badenstedter Straße anwesend gewesen sei. Es ist nicht ersichtlich, warum die Zeuginnen Becker und Graser ein Interesse daran haben sollten, den Kläger zu Unrecht zu belasten. Sollte aber der Kläger entgegen seiner Beteuerung an der Party in der Badenstedter Straße teilgenommen haben, wäre dies ein gewichtiges Indiz dafür, dass auch die darüber hinausgehenden Vorwürfe Gebauers zutreffen könnten.

Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte notwendige Recherchemaßnahmen unterlassen hat, liegen nicht vor. Insbesondere hat sie eine Stellungnahme des Klägers zu dem gegen ihn erhobenen Verdacht eingeholt und diese in dem angegriffenen Artikel auch wiedergegeben.

Schließlich hat die Beklagte den gegen den Kläger bestehenden Verdacht auch in hinreichendem Maße offen dargestellt. Aus dem angegriffenen Artikel geht für den durchschnittlichen Leser deutlich hervor, dass bislang schlicht Aussage gegen Aussage steht. Allein die Überschrift mag eine gewisse Tendenz der Beklagten erkennen lassen, wonach an dem geäußerten Verdacht etwas dran sein könnte, denn die Formulierung „Wolfsburger Liebesspiele“ lässt sich zumindest auch so interpretieren, dass es bei der „VW AG“ jedenfalls irgendwelche „Liebesspiele“ mit Prostituierten gegeben habe. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass insoweit noch keine konkrete Aussage darüber getroffen wird, ob auch der Kläger an derartigen „Liebesspielen“ beteiligt gewesen sei. Ferner spricht in der Rechtsgüterabwägung für die Beklagte, dass – wie oben ausgeführt – an der angegriffenen Verdachtsäußerung ein hohes öffentliches Informationsinteresse besteht und gewichtige Anknüpfungspunkte für ihre Richtigkeit vorhanden sind. Je deutlicher nämlich die vorhandenen Anknüpfungstatsachen einen Verdacht stützen und je größer das öffentliche Interesse am Inhalt dieses Verdachtes ist, desto eher werden die Medien in Ausübung ihrer Meinungsäußerungsfreiheit in einer Weise berichten dürfen, die erkennen lässt, dass nach ihrer Einschätzung der Verdacht berechtigt sein könnte (vgl. dazu bereits den Beschluss vom 13.10.2006).

2.)
Damit steht dem Kläger auch kein Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Artikelüberschrift „Wolfsburger Liebesspiele“ zu. Gemessen am sog. Überschriftenleser, der allein die Überschrift und möglicherweise noch das daneben abgedruckte Bildnis Klaus-Joachim Gebauers zur Kenntnis nimmt, fehlt es bereits an einer Betroffenheit des Klägers, da seine Person erst im Fließtext zum Berichtsgegenstand gemacht wird. Der Leser des gesamten Artikels hingegen wird – wie oben ausgeführt – die Überschrift allenfalls als pauschale Andeutung verstehen, dass es nach Einschätzung der Redaktion bei der „VW AG“ jedenfalls irgendwelche „Liebesspiele“ mit Prostituierten gegeben habe, ohne dass hierdurch im Hinblick auf die Person des Klägers die Anforderung einer hinreichend ausgewogenen Verdachtsdarstellung verfehlt würde.

II.)
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

<leer>                                        Weyhe                                       Korte

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Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 04.09.06
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