Landgericht Hamburg
U R T E I L
Im Namen des Volkes
Geschäfts-Nr. 324 O 170/99.
Verkündet am: 20.8.1999
In der Sache .........
erkennt das Landgericht Hamburg -
Zivilkammer 24 - auf die mündliche VErhabndlung vom 25.6.99 durch
....
- 2 -
für Recht :
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei
Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ordnungsgeldes - und für den Fall, dass dieses nicht
beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft
bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens DM 500.000,-- ,
Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre), zu unterlassen, die
nachfolgende Klausel oder dieser inhaltsgleiche Bestimmungen in ihren
Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten - und
Krankenhaustagegeldversicherung zu verwenden, es sei denn gegenüber
einem Kaufmann im Rahmen seines Geschäfts-Betriebes:
(§ 4 Abs. l Ziffer 6)
„Der Versicherer leistet im
vertraglichen Umfang für Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und
Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Er
leistet darüber hinaus für Methoden und Arzneimittel, die sich in der
Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder angewandt
werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder " Arzneimittel zur
Verfügung stehen..."
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die
Beklagte zu tragen
III. Das Urteil ist gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von DM 12.500,-- vorläufig vollstreckbar;
und beschließt:
Der Streitwert wird auf DM
10.000,-- festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verein,
zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, die Interessen der
Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrzunehmen. Zu seinen
Mitgliedern gehören die Verbraucherzentralen der Bundesländer, die
Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände und die Stiftung Warentest.
Die Beklagte ist ein bundesweit tätiges
Krankenversicherungsunternehmen, welches eine Krankheitskosten- und
Krankenhaustagegeldversicherung anbietet. Sie verwendet für
Versicherungsverträge dieser Art allgemeine Geschäftsbedingungen,
nämlich die „Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB):für
die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung".
In diesen Allgemeinen
Versicherungsbedingungen heißt es u.a.:
„§ l Gegenstand, Umfang und
Geltungsbereich des Versicherungsschutzes
1. Der Versicherer bietet
Versicherungsschutz Krankheiten, Unfälle und andere im Vertrag
genannte Ereignisse. ...
2. Versicherungsfall ist die
medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen
Krankheit oder Unfallfolgen....
...§ 4 Umfang der
Leistungspflicht
I. ...
(6) Der Versicherer leistet im
vertraglichen Umfang für Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und
Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Er
leistet darüber hinaus für Methoden und Arzneimittel, die sich in der
Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder die angewandt
werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur
Verfügung stehen; der Versicherer kann jedoch seine Leistungen auf den
Betrag herabsetzen, der bei der Anwendung vorhandener
schulmedizinischer Methoden oder Arzneimittel angefallen wäre.“
Wegen der weiteren Einzelheiten der
Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten wird auf die Anlage K
l Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 11.2.1999 forderte der
Kläger die Beklagte auf, die oben aufgeführte in § 4 Abs. l Ziffer 6 der
AVB enthaltene Klausel - mit Ausnahme des letzten Halbsatzes („...der
Versicherer kann jedoch seine Leistungen auf den Betrag herabsetzen, der
bei der Anwendung vorhandener schulmedizinischer Methoden oder
Arzneimittel angefallen wäre.“) nicht mehr zu verwenden und eine
diesbezügliche strafbewehrte Unterlassungsverpflichtung abzugeben (vgl.
Anl. K 2) . Da sich die Beklagte hierzu jedoch nicht verstehen mochte
(vgl. Anl. K 3 - 5), verfolgt der Kläger sein Begehren mit der
vorliegenden Klage weiter.
Der Kläger ist der Ansicht, daß die
streitgegenständliche Klausel unwirksam sei, weil sie einer
Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz nicht standhalte. Er trägt hierzu
vor, daß die fragliche Klausel gegen § 9 Abs. l u. Abs. 2 Nr. 2
AGBG verstoße. So bestehe nach dem Wortlaut der Klausel eine
Erstattungspflicht für Methoden und Arzneimittel, die von der
Schulmedizin überwiegend anerkannt seien; Kosten, die durch Arzneien
oder Behandlungen nach Methoden der alternativen Medizin entstanden
seien, seien jedoch nur dann erstattungsfähig, wenn sie sich - gemessen
am Maßstab der Schuldmedizin - als ebenso erfolgversprechend bewährt
hätten. Aus der Sicht des Versicherungsnehmers bestehe somit für
Methoden der sogenannten innovativen Medizin keine Erstattungspflicht.
Denn nach der umstrittenen Regelung erfolge nämlich keine Erstattung,
soweit eine schulmedizinische Methode vorhanden sei, diese jedoch bloß
nicht überwiegend anerkannt sei. Methoden der innovativen Medizin würden
indes oftmals statt oder neben der Schulmedizin angewandt werden; es sei
also eine Behandlung nach schulmedizinischen Regeln möglich. Darüber
hinaus stehe die Klausel einem Anspruch auf Erstattung solcher Kosten
entgegen, die durch die Behandlung (bislang) unheilbarer Krankheiten
entstehen. Denn gerade bei derartigen Krankheiten habe die Schulmedizin
in weiten Bereichen noch keine überwiegend anerkannte Methode zur
Behandlung gefunden. In solchen Fällen schließe die Klausel nach dem
Grundsatz der kundenfeindlichsten Auslegung aber ebenfalls eine Pflicht
zur Kostenerstattung aus, da bloß eine in der Schulmedizin
überwiegend anerkannte Methode nicht vorhanden sei; der
Versicherungsnehmer könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen,
mangels schulmedizinischer Behandlungsmöglichkeiten auf die sogenannte
Alternativmedizin angewiesen zu sein, da schulmedizinische Methoden
grundsätzlich zur Verfügung stünden, diese nur nicht überwiegend
anerkannt seien. Durch die in der umstrittenen Klausel getroffene
Regelung werde daher die Erfüllung des Vertragszweckes, die Erstattung
der Kosten, die dem Versicherungsnehmer eine notwendige Heilbehandlung
im Falle der Krankheit, eines Unfalles oder anderer versicherter
Ereignisse entstünden, gefährdet. Die Wahrung dieses Vertragszweckes sei
insbesondere bei Behandlungen durch Heilpraktiker sowie bei alternativen
Behandlungen unheilbarer Krankheiten nicht mehr gewährleistet. Dies
stelle auch einen Widerspruch zu der in § 4 Abs. l Ziffer 2 Satz 2 der
Allgemeinen Versicherungsbedingungen getroffenen Regelung dar, da nach
jener Vorschrift der Versicherungsnehmer Heilpraktiker in Anspruch
nehmen dürfe. Die streitgegenständliche Klausel führe indes dazu, daß
deren Leistungen im Regelfall nicht erstattet werden würden, da die
Schulmedizin die Leistungen der Heilpraktiker überwiegend nicht
anerkenne. Da deren Leistungen von der Schulmedizin überwiegend nicht
anerkannt würden, sei es dem Versicherungsnehmer auch nicht möglich, den
Nachweis zu führen, daß deren Behandlungen sich in der Praxis als ebenso
erfolgversprechend wie die Schulmedizin bewährt hätten. Die
streitgegenständliche Regelung sei zudem auch deshalb unzulässig, weil
sie dem Versicherungsnehmer die Beweislast dafür auferlege, daß er mit
einer von der Schulmedizin überwiegend anerkannten Methode oder einer
Methode, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt
habe, behandelt worden sei. Darin liege eine erhebliche Verschlechterung
der prozessualen Situation des Versicherungsnehmers, der die notwendigen
Beweisunterlagen nur mit großem Kostenrisiko, etwa durch Gutachter,
beschaffen könne und darüber hinaus die Gefahr eines
non-liquet trage. Die umstrittene Klausel verstoße ferner gegen § 11 Nr.
15 AGB-Gesetz; denn im Streitfall müsse nach der Ausgestaltung der
Klausel der Versicherungsnehmer beweisen, daß die Voraussetzungen von §
4 Abs. l Ziffer 6 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen vorliegen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, es bei
Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Ordnungsgeldes - und für den Fall, daß dieses nicht
beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft
bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens DM 500.000,--,
Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre), zu unterlassen,
nachfolgende Klausel oder dieser inhaltsgleiche Bestimmungen in ihren
allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten - und
Krankenhaustagegeldversicherung zu verwenden, es sei denn gegenüber
einem Kaufmann im Rahmen seines Geschäftsbetriebes:
„Der Versicherer leistet im
vertraglichen Umfang für Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und
Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind.
Er leistet darüber hinaus für Methoden und Arzneimittel, die sich in
der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder die
angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder
Arzneimittel zur Verfügung stehen."
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht hierzu geltend, daß die Klausel
vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen genehmigt worden sei
(vgl. Anl. B l -5). Die in Rede stehende Regelung sei zudem einer
Inhaltskontrolle nach § 13 AGB-Gesetz entzogen, da sie eine
Leistungsbeschreibung beinhalte, und zwar erweitere sie zugunsten des
Versicherungsnehmers den Umfang ihrer, der Beklagten, Leistungspflicht.
Gemäß § 8 AGB-Gesetz unterliege die Klausel demgemäß keiner Überprüfung
nach § 13 AGBG-Gesetz. Die umstrittene Regelung halte einer
Inhaltskontrolle aber auch stand. Entgegen der Auffassung des Klägers
stehe die in der Klausel getroffene Regelung einer Erstattung derjenigen
Kosten, die auf „innovativen Behandlungsmethoden beruhten, nicht
entgegen. § 4 Abs. l Ziffer 6 Satz 2 1. Halbs. Alt. l der Allgemeinen
Versicherungsbedingungen setze nämlich gerade nicht eine überwiegende
Anerkennung durch die Schulmedizin voraus, sondern lediglich eine
Behandlung, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt
habe. Die umstrittene Regelung verhindere auch nicht eine Erstattung für
Behandlungsmethoden unheilbarer Krankheiten, die noch nicht ausreichend
erforscht seien und bei denen es eine von der Schulmedizin anerkannte
Methode nicht gebe. In der Klausel sei im Gegenteil gerade für derartige
Fälle eine Erstattung vorgesehen. Die Klausel stehe auch nicht im
Widerspruch zu § 4 Abs. l Ziffer 2 der Allgemeinen
Versicherungsbedingungen, da jene Vorschrift ausschließlich regele, dass
der Versicherungsnehmer neben Ärzten und Zahnärzten auch Heilpraktiker
konsultieren dürfe. Die vorliegend umstrittene Norm bestimme hingegen
nur, welche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu erstatten seien.
Im übrigen hätten sich die von den Heilpraktikern üblicherweise
angewandten Therapien in der Praxis als ebenso erfolgversprechend wie
die Schulmedizin bewährt. Dies zeige bereits die Existenz der
Gebührenordnung für Heilpraktiker; die in jener Vorschrift aufgeführten
Behandlungsmethoden seien sämtliche als erfolgversprechend anerkannt.
Entgegen der Ansicht des Klägers sei die in der Klausel getroffene
Beweislastverteilung zu Lasten des Versicherungsnehmers auch nicht
unzulässig. Die Wirksamkeit einer Beweislastverteilung hänge nicht
davon, ob die Beweisführung einen größeren Aufwand erfordere. Im übrigen
obliege dem Versicherungsnehmer ohnehin der Beweis dafür, daß die in § l
Abs. 2 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für „die Gewährung des
Versicherungsschutzes geforderten Voraussetzungen erfüllt seien. Die
Klausel verstoße auch nicht gegen § 11 Ziffer 15 AGB-Gesetz. Eine
unzulässige Umkehr der Beweislast liege nicht vor, da der
Versicherungsnehmer grundsätzlich die Beweislast dafür trage, daß eine
medizinisch notwendige Heilbehandlung vorgelegen habe, und zwar
unabhängig davon, ob schulmedizinische oder alternative Methoden
angewandt worden seien. Die streitgegenständliche Klausel konkretisiere
insoweit den in § l Abs. 2 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen
enthaltenen Begriff der „medizinischen Heilbehandlung" und enthalte
mithin keine Veränderung der Beweislastregeln zu Lasten des
Versicherungsnehmers.
Wegen des weiteren Vorbringens der
Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat dem Bundesaufsichtsamt
für das Versicherungswesen gemäß § 16 Nr. l AGB-Gesetz
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Das Bundesaufsichtsamt hat mit
Schreiben vom 15.6.1999 eine Stellungnahme abgegeben. Wegen der
Einzelheiten dieser Stellungnahme wird auf das - den Parteien bekannte -
Schreiben des Bundesaufsichtsamtes vom 15.6.1999 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Der
Kläger kann verlangen, daß die Beklagte es unterläßt, die Klausel,
soweit sie Streitgegenstand ist, d.h. § 4 Abs. l Ziffer 6 Satz l und
Satz 2 1. Halbs., in ihren „Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB)
für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung zu
verwenden.
1. Der Kläger ist klagebefugt im
Sinne des § 13 Abs. 2 Ziffer l AGB-Gesetz. Er ist - wie gerichtsbekannt
- ein rechtsfähiger Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben es
gehört, die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung
wahrzunehmen. An seiner Aktivlegitimation besteht daher kein Zweifel.
2. Die vom Kläger angegriffene Klausel
ist unwirksam.
a. Entgegen der Auffassung der
Beklagten steht § 8 AGB-Gesetz einer Kontrolle der Klausel nach den §§
9-11 AGBG nicht entgegen. Nach Inhalt und Zweck des § 8 AGB-Gesetzes
unterliegen bloße Leistungsbeschreibungen, d.h. solche Klauseln, die das
Hauptleistungsversprechen beschreiben, nicht der gerichtlichen
Kontrolle, während hingegen Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen
einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, inhaltlich zu
überprüfen sind. Der Kontrolle entzogen ist demgemäß nur der enge
Bereich jener Leistungsbeschreibungen, ohne deren Vorliegen mangels
Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein
wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (ständige
Rechtsprechung; vgl.-u.a.. BGH VersR 1995, 77; OLG Stuttgart VersR 1992,
1080). Unter Berücksichtigung vorstehender Grundsätze kann die
Kontrollfähigkeit der umstrittenen Klausel nicht verneint werden. Bei
der fraglichen Klausel handelt es sich nicht um eine bloße Beschreibung
des Leistungsversprechens, sondern um eine das Hauptleistungsversprechen
einschränkende und damit der Überprüfung zugängliche Regelung. Würde die
Klausel fehlen, so wäre der Versicherungsvertrag nicht mangels
Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts
unwirksam; denn eine für die Wirksamkeit des Vertrages hinreichende
allgemeine Beschreibung des Hauptleistungsversprechen findet sich in § l
der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (im folgenden: ÄVB^ , in dem es
u.a. heißt:
"(1) Der Versicherer bietet
Versicherungsschutz für Krankheiten, Unfälle, und andere im Vertrag
genannte Ereignisse. Er gewährt im Versicherungsfall...
(2) Heilbehandlung ist die medizinisch
notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit
oder Unfallfolgen. ..." (vgl. Anlage Kl).
Danach erweist sich der Gegenstand des in
Rede stehenden Leistungsversprechens, nämlich der Umfang des
Versicherungsschutzes, als hinreichend bestimmt, ohne daß es noch der
Definition an "§ 4 Abs. l Ziffer 6 der AVB bedürfte. Dem steht auch
nicht entgegen, daß § 4 der AVB die Überschrift „Umfang der
Leistungspflicht" aufweist, da allein der Umstand, daß eine positiv
formulierte Bestimmung über den Gegenstand der zu erbringenden Leistung
vorliegt, nicht dazu führt, daß sie einer Inhaltskontrolle nach §§ 9-11
AGBG entzogen wäre (vgl. Brandner in: Ulmer/Brandner/Hensen, Kommentar
zum AGB-Gesetz, 8. Aufl., § 8 AGBG Rn. 28). Dahinstehen kann hierbei
auch, ob es sich bei der umstrittenen Regelung um eine sogenannte
primäre Risikobeschreibung - d.h. das vom Versicherer primär übernommene
Risiko, also die erste nähere Ausgestaltung des Anspruches des
Versicherungsnehmers -, handelt oder um eine sogenannte sekundäre - d.h.
eine Einschränkung des primär übernommenen Risikos - oder um eine
tertiäre Risikobeschränkung - diese stellt wiederum zugunsten des
Versicherungsnehmers eine Ausnahme von der Ausnahme, also der sekundären
Risikobeschreibung, dar -; denn keine jener Risikobeschreibungen bzw. -
beschränkungen sind per se einer Kontrolle nach §§ 9-11 AGBG entzogen
(vgl. Brandner, a.a.O. § 8 Rn. 36, Prölss in Prölss/Martin, Kommentar
zum WG, 26. Auflage Vorbem. I. Rn. 49). Da die streitgegenständliche
Regelung jedenfalls die in § l Abs. 1 Ziffer 2 der AVB getroffene
Regelung, wonach Versicherungsschutz für eine medizinisch notwendige
Heilbehandlung besteht, inhaltlich einschränkt, ist sie nicht gemäß § 8
AGBG-Gesetz einer inhaltlichen Kontrolle entzogen. Denn eine medizinisch
notwendige Heilbehandlung, deren Kosten die Beklagte gemäß § l Abs. l
Ziffer l und 2 der AVB grundsätzlich erstatten muß, liegt dann vor, wenn
es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im
Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Maßnahme vertretbar war, sie als
notwendig anzusehen (vgl. BGH VersR 1996, 1225). Die hier umstrittene
Klausel sieht aber eine Erstattungspflicht nur für solche
Untersuchungs-oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel vor, die von der
Schulmedizin überwiegend anerkannt sind oder die sich In Praxis als
ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder die angewandt werden, weil
keine schulmedizinische Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen.
Auch der Umstand, daß die Klausel vom
Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen genehmigt worden ist,
steht einer Inhaltskontrolle nach §§9 -11 AGBG-Gesetz nicht entgegen
(vgl. BGH NJW 1983, 1322) .
b. Der danach zulässigen Inhaltskontrolle
hält die beanstandete Klausel indes nicht stand. Sie ist gemäß § 9 Abs.
2 Ziffer 2 AGB-Gesetz unwirksam, denn sie schränkt wesentliche Rechte
des Versicherungsnehmers, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben,
so ein, daß die Erreichung Vertragszweckes gefährdet ist.
aa. Zwar folgt die Kammer insoweit nicht
der Auffassung des Klägers und des in diesem Zusammenhang von ihm
zitierten LG Augsburg (Urteil vom 15.10.1998, NJWE-VHR 1998, 25), daß
die streitgegenständliche Klausel regelmäßig den Ausschluß einer
Kostenerstattungspflicht für solche Behandlungen beinhalte, die bei
unheilbaren Krankheiten angewandt würden oder die der innovativen
Medizin zuzurechnen seien. Denn diese Ansicht beruht auf der Erwägung,
daß nach dem Wortlaut der Klausel der Versicherer dann keine Erstattung
leisten müsse, wenn zwar keine von der Schulmedizin überwiegend
anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethode bzw. Arzneimittel zur
Verfügung stünden, es aber eine von der Schulmedizin angewandte Methode
gebe oder Arzneimittel vorhanden seien, deren Wirkung von der
Schulmedizin nur nicht überwiegend anerkannt sei(en). Nach Ansicht der
Kammer versteht der durchschnittliche Versicherungsnehmer die Klausel
indes nicht in dieser Weise; denn dem Umstand, daß es in § 4 Abs. l
Ziffer 6 Satz l heißt „von der Schulmedizin überwiegend anerkannt"
(die Unterstreichung erfolgt seitens der Kammer) , kommt auch unter
Berücksichtigung des Grundsatzes der kundenfeindlichsten Auslegung
erkennbar keine eigenständige besondere Bedeutung zu. Im allgemeinen,
und so auch vom durchschnittlichen Versicherungsnehmer, wird nämlich
bereits unter einer der Schulmedizin zuzurechnenden Methode eine Methode
verstanden, die bei den an den Hochschulen und Universitäten Tätigen
überwiegend anerkannt, also im wesentlichen außer Streit ist (vgl. BGH
VersR 1993, 957) . Die Verwendung des Wortes „überwiegend* in jenem Satz
dient mithin nur der Verdeutlichung der in jener Klausel getroffenen
Regelung, wonach Behandlungsmethoden und Arzneimittel der Schulmedizin
erstattungsfähig sind. Die Formulierung in § 4 Abs. l Ziffer 6 Satz l
der AVB beinhaltet insoweit eine bloße Tautologie.
bb. Die Klausel verstößt aber deswegen
gegen § 9 Abs. 2 Ziffer 2 AGB-Gesetz, weil sie nach ihrer
Ausgestaltung dem Versicherungsnehmer gemäß § 4 Abs. I Ziffer 6 Satz 2
1. Halbs. Alt. l der AVB die Beweislast dafür auferlegt, daß die
Methoden und Arzneimittel, die nicht zu der Schulmedizin gehören (im
folgenden nur alternative Methoden genannt) und deren Kostenerstattung
er begehrt, sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt
haben.
Nach dieser Regelung werden alternative
Methoden nur dann ersetzt, wenn sie sich ebenso, d.h. so wie die
schulmedizinischen Methoden, bewährt haben, sie der Schulmedizin also
gleichwertig sind. Das Interesse des Versicherers, nur die Kosten für
solche Methoden erstatten zu müssen, die so erfolgversprechend sind wie
die Schulmedizin, ist zwar grundsätzlich berechtigt. Der Vertragszweck
bedingt insoweit nicht die Erstattung von Kosten für eine Behandlung,
die dem Bereich der Wunderheilungen oder der Scharlatanerie zuzuordnen
ist. Vielmehr liegt es auch im Interesse der Versichertengemeinschaft,
solche Kosten aus der Leistungspflicht des Versicherers herauszunehmen.
Dem Versicherer ist auch ein berechtigtes Interesse daran zuzubilligen,
daß er Kosten der Forschung nicht mitfinanziert, wenn bereits erprobte
und erfolgversprechende Methoden und Arzneimittel zur Verfügung stehen
(vgl. BGH VersR 1993, 957). Dieses anzuerkennende Interesse der
Beklagten als Versicherer ist indes bereits durch die in § l Abs. 2 der
AVB getroffene Regelung gewahrt, da nach der dort getroffenen Regelung
die Heilbehandlung nur dann zu ersetzen ist, wenn die Anwendung der in
Rede stehenden Methode jedenfalls vertretbar gewesen ist. Hinzu kommt,
daß nach § 4 Abs. l Ziffer 6 Satz 2 2. Halbs. - die dort getroffene
Regelung ist nicht Streitgegenstand - die Beklagte nur diejenigen Kosten
erstatten muß, die auch bei Anwendung der Schulmedizin angefallen wären.
Auf der anderen Seite entstehen dem Versicherungsnehmer durch die
streitgegenständliche Regelung erhebliche Nachteile, da er nach deren
Ausgestaltung den Beweis der Gleichrangigkeit erbringen muß.
Entscheidend für die Verteilung der Beweislast ist nach der herrschenden
Meinung die konkrete Ausgestaltung der Norm (es ist insoweit nicht der
von einer Mindermeinung vertretenen Auffassung zu folgen, daß die
Beweislast nach sachlichen Kriterien, wie etwa den Schwierigkeiten des
Versicherungsnehmers, den Beweis zu führen, zu bestimmen sei). Hiervon
ausgehend richtet sich die Beweislastverteilung danach, ob es um die
tatsächlichen Voraussetzungen der primären Risikobeschreibung
(Beweislast: Versicherungsnehmer), eines sekundären Risikoausschlusses
(Beweislast: Versicherer) oder einer Einschränkung eines Ausschlusses
(„Ausnahme von der Ausnahme“ = tertiäre Risikobeschränkung; Beweislast:
Versicherungsnehmer) geht (vgl. Prölss, a.a.O. § 4 MBKK 94 Rn. 45 a).
Danach trägt indes im vorliegenden Rechtsstreit der Versicherungsnehmer
die Beweislast für die Gleichrangigkeit der angewandten alternativen
Methode. Nach Ansicht der Kammer handelt es sich nämlich bei § 4 Abs. l
Ziffer 6 Satz 2. l. Halbs. Alt. l der AVB um eine tertiäre
Risikobeschränkung, d.h. um eine Ausnahme von der Ausnahme. Denn § l
Abs. l und 2 der AVB sieht eine Erstattungspflicht für .jede notwendige
Heilbehandlung vor. Diese Erstattungspflicht wird in § 4 Abs. 1. Ziffer
6 Satz l der AVB dahingehend eingeschränkt, daß die Beklagte nur für
Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die von der
Schulmedizin überwiegend anerkannt sind, Ersatz leisten muß; es handelt
sich bei jener Regelung mithin um einen sekundären Risikoausschluß.
Zugunsten des Versicherungsnehmers sieht § 4 Abs. l Ziffer 6 Satz 2 1.
Halbs. Alt. l der AVB nunmehr vor, daß auch dann, wenn die
Voraussetzungen von § 4 Abs. l Ziffer 6 Satz l der AVB nicht erfüllt
sind, indes eine Erstattung für solche Methoden und Arzneimittel
erfolgt, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt
haben. Es handelt sich also um eine „Ausnahme von der Ausnahme*. Danach
trägt der Versicherungsnehmer die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß
die von ihm gewählte alternative Methode sich als ebenso
erfolgversprechend bewährt hat. Dies wiederum hat zur Folge, dass in
einer erheblichen Zahl von Fällen der Versicherungsnehmer die Kosten für
die alternative Methode, die sich tatsächlich in gleichem Maße
als erfolgversprechend bewährt hat, im Streitfalle selbst trägt, weil er
entweder im Prozess aufgrund eines non-liquet oder er im Hinblick auf
das durch die Überbürdung der Beweislast erheblich gesteigerte Risiko,
einen Prozess zu verlieren, von vornherein davon absieht, die Beklagte
auf die Erstattung der für die alternative Methode aufgewendeten Mittel
in Anspruch zu nehmen. Dies stellt aber einen Verstoß gegen ) Abs 2
Ziffer 2 AGB-Gesetz dar, da nach § 1 Abs 2 der AVB, der den
Vertragszweck (mit-)bestimmt, grundsätzlich die Beklagte verpflichtet
ist, dem Versicherungsnehmer Kosten der notwendigen Heilbehandlung, also
auch die der alternativen Methoden zu erstatten. Dem berechtigten
Interesse des Versicherungsnehmers, dass grundsätzlich auch die Kosten
der alternativen Methoden erstattet werden, steht ein überwiegendes
Interesse der Beklagten am Erhalt der fraglichen Regelung nicht
gegenüber. Wie bereits oben ausgeführt, findet ihr Interesse, nicht die
Kosten jeglicher Behandlung erstatten zu müssen, bereits
Berücksichtigung in § 1 Abs 2 der AVB ( „medizinisch notwendige
Heilbehandlung“) und in § 4 Abs 1 Ziffer 6 Satz 2, 2.Halbs. ( „ ,,,; der
Versicherer kann jedoch seine Leistungen auf den Betrag herabsetzen, der
bei der Anwendung vorhandener schulmedizinischer Methoden oder
Arzneimittel angefallen wäre“) . Ihrem grundsätzlich anzuerkennenden
Interesse, die Kosten nur solcher Methoden erstatten zu müssen, die so
erfolgversprechend sind wie die Schulmedizin, kann die Beklagte zudem
auch dadurch Rechung tragen, dass sie nach der Ausgestaltung der Klausel
– umgekehrt zur beanstandeten Regelung – für das Nicht-Vorliegen der
Gleichwertigkeit die Beweislast zu tragen hat. Die in § 4 Abs. l Ziffer
6 Satz 2 1. Halbs.
Alt. l der AVB getroffene Regelung ist auch nicht etwa deswegen
wirksam, weil in § 4 Abs. l Ziffer 6 Satz 2 1. Halbsatz Alt. 2
der AVB vorgesehen ist, daß die Kosten alternativer Methoden dann
ersetzt werden, wenn keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel
zur Verfügung stehen. Denn die in der 1. Alternative getroffene Regelung
betrifft gerade den Fall, daß Methoden der Schulmedizin vorhanden sind,
der Versicherungsnehmer sie aber nicht anwenden will. Gerade dann hat
aber jene Regelung - wie oben aufgezeigt - in einer erheblichen Zahl von
Fällen zur Konsequenz, daß der Versicherungsnehmer entgegen der
materiellen Rechtslage die Kosten selbst trägt. Unbehelflich ist auch
der Einwand der Beklagten, daß der Versicherungsnehmer grundsätzlich die
Darlegungs- und Beweislast für ihre, der Beklagten, Erstattungspflicht
trage. Zwar weist die Beklagte insoweit zu Recht darauf hin, daß dem
Versicherungsnehmer die Beweislast dafür obliegt, daß eine medizinisch
notwendige Heilbehandlung im Sinne von § l Abs. 2 der AVB vorgelegen
habe. Eine derartige Heilbehandlung ist jedoch dann anzunehmen, wenn es
nach ärztlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt ihrer Vornahme vertretbar
war, sie als notwendig anzusehen. Die hier umstrittene Regelung sieht
aber eine Erstattungspflicht nur für solche Methoden und Arzneimittel
vor, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind oder die sich
in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben. Den Beweis
der „medizinisch notwendigen Heilbehandlung" zu führen, ist indes für
den Versicherungsnehmer ungleich leichter als den Beweis der
Gleichwertigkeit, wie ihn die umstrittene Klausel fordert, zu erbringen.
Aus den obigen Ausführungen (2.b.bb.)
ergibt sich, daß § 4 Abs. l Ziffer 6 Satz 2 2. Halbs. Alt. 2 („...oder
die angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder
Arzneimittel zur Verfügung stehen.") isoliert ebenfalls keinen Bestand
haben kann, da die Wirksamkeit dieser Regelung sonst zur Folge hätte,
daß die Beklagte grundsätzlich nur die Kosten für Behandlungen nach der
Schulmedizin erstatten müßte und nur dann, wenn es keine Methoden der
Schulmedizin gibt, zur Ersetzung von Kosten für alternative Methoden
verpflichtet wäre. Die alternativen Methoden würden also nicht der
Schulmedizin gleichwertig behandelt werden, sondern die Erstattung ihrer
Kosten würde nachrangig erfolgen. Eine solche Einschränkung ist indes
mit dem Vertragszweck, der eine Erstattung der Kosten für eine
medizinisch notwendige Heilbehandlung vorsieht, und der es dem
Versicherungsnehmer gestattet, Leistungen von Heilpraktikern in Anspruch
zu nehmen (vgl. § 4 Abs. 2 der AVB) nicht zu vereinbaren. Mit einer
derartigen Beschränkung würde die Beklagte dem Versicherungsnehmer das
nehmen, was sie ihm in § 4 Abs. 2 der AVB zu leisten versprochen hat (vgl
. hierzu auch Ausführungen des BGH VersR 1993, 957) . Aufgrund derselben
Erwägungen liegt es auf der Hand, daß § 4 Abs. l Ziffer 6 Satz l der AVB
isoliert ebenfalls keinen Bestand haben kann; denn die Beklagte wäre
ansonsten ausschließlich zur Kostenerstattung hinsichtlich solcher
Methoden und Arzneimittel verpflichtet, die von der Schulmedizin
anerkannt sind. Dies ist indes unzulässig (vgl. BGH VersR 1993, 957) .
3. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§
91 Abs. l, 709 Satz l ZPO.
Anmerkung :
Kein Endurteil. Berufungsergebnis ist mir
nicht bekannt.
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Rolf Schälike
Dieses
Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 17.07.05
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