Verurteilter Mörder verliert bei
Klage auf
Unterlassung seiner vollen Namensnennung im Archiv
Landgericht
Frankfurt am Main
URTEIL
IM NAMEN DES VOLKES
Geschäfts-Nr.:
2/3 O 358/06 |
Verkündet am:
05.10.2006 |
In dem einstweiligen Verfügungsverfahren |
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M.L. |
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- Verfügungskläger - |
Prozessbevollmächtigte: |
Rechtsanwälte
Knopp pp.,
gegen |
S. GmbH |
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-
Verfügungsbeklagte - |
Prozessbevollmächtigte: |
Rechtsanwälte |
hat das Landgericht Frankfurt am Main –
3. Zivilkammer durch
Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. Kurth
Richterin am Landgericht Zöller-Mirbach
Richterin am Landgericht B.
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom
05.09.2006 für Recht erkannt:
Der Beschluss - einstweilige Verfügung - vom
02.06.2006 wird aufgehoben und der Antrag auf seinen Erlass
zurückgewiesen.
Der Verfügungskläger hat die Kosten des
Eilverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Verfügungskläger kann die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der zu vollstreckenden Kosten
abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Verfügungskläger (nachfolgend Kläger)
wurde 1991 wegen Mordes an dem bundesweit bekannten Schauspieler Walter
Sedlmayr festgenommen und 1993 zusammen mit seinem Halbbruder wegen
Mordes an Walter Sedlmayr zu lebenslanger Haft verurteilt.
Die Verfügungsbeklagte (nachfolgend
Beklagte) verantwortet die Online-Ausgabe der X-Zeitung.
Die Beklagte berichtete auf der Homepage
www…. vom 25.10.2004 unter der Überschrift „Ringen um die
Wiederaufnahme“ unter voller Namensnennung und mit Foto und in einem
weiteren Artikel vom 11.04.2005 unter der Überschrift: „Fahnden nach der
vollen Wahrheit; Neue Ermittlungen im Mordfall Sedlmayr könnten dazu
führen, dass das Verfahren neu aufgerollt wird“ über den Kläger.
Hinsichtlich des Inhalts der streitgegenständlichen Artikel wird auf die
Anlagen AS 1 (Bl. 7 ff d.A.) und AG 1 (Bl. 53 d.A.) Bezug genommen.
Der Kläger richtete an den für die
Berichterstattung bei der X-Zeitung zuständigen Journalisten H. zwei
Schreiben vom 31.08.2004 und vom 23.11.2004, wegen deren Einzelheiten
auf Bl. 55 – 58 d.A. verwiesen wird.
Auf Antrag des Klägers hat die angerufene
Kammer des Landgerichts Frankfurt am Main am 02.06.2006 eine
einstweilige Verfügung erlassen, mit welcher der Beklagten strafbewehrt
untersagt wurde, Bildnisse des Klägers - wie aus Anlage AS 1 ersichtlich
- in der von ihr verantworteten Online-Publikation www…. im Zusammenhang
mit dem Mord an Walter Sedlmayr zu veröffentlichen, sowie über den
Kläger im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Sedlmayr in
identifizierender Weise, insbesondere bei voller Namensnennung, zu
berichten, wie aus der Anlage AS 1 ersichtlich. Hiergegen hat die
Beklagte Widerspruch eingelegt.
Der Kläger ist der Ansicht, es sei nicht
zulässig, 15 Jahre nach der Tat unter Verwendung seines vollen
bürgerlichen Namens im Zusammenhang mit dem Sedlmayr-Mord über ihn zu
berichten. Angesichts des nahe rückenden Haftendes würde sein
Persönlichkeitsschutz, insbesondere sein Recht auf Rehabilitierung
überwiegen. Angegriffen werde streitgegenständlich das fortdauernde
öffentlich Zugänglichmachen der Artikel, die nunmehr nicht mehr durch
ein öffentliches Interesse gedeckt seien. Auch sei die identifizierende
Berichterstattung hinsichtlich des Wiederaufnahmeverfahrens im Jahre
2004/2005 weder erforderlich noch rechtmäßig gewesen. Identifikation
eines Straftäters in der Öffentlichkeit sei nur ausnahmsweise im engen
Zusammenhang (auch zeitlich) mit der Tat zulässig.
Der Kläger behauptet, er habe sich von
sich aus nicht an die Presse gewandt. Seit 2004 sei er aktiv gegen seine
öffentliche Identifizierung vorgegangen. Er habe selbst keinen
Internetanschluss und sei erst von seinem Prozessbevollmächtigten Mitte
Mai 2006 darauf aufmerksam gemacht worden, dass der beanstandete Artikel
im Internet abrufbar sei. Die vorzeitige Entlassung aus der lebenslangen
Haft sei Ende 2006 in Aussicht gestellt worden.
Der Kläger beantragt,
die einstweilige Verfügung vom 02.06.2006 zu
bestätigen.
Die Beklagte beantragt,
die einstweilige Verfügung vom 02.06.2006
aufzuheben und den Antrag auf Erlass derselben zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dem Kläger
stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu. An der
Berichterstattung über die Wiederaufnahmeverfahren bestehe ein
überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit.
Zudem habe der Kläger in derartige
Veröffentlichungen eingewilligt. Dies ergebe sich auch aus seinen
Schreiben an den Journalisten der X-Zeitung, Herrn H. Er habe drei
Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet und durch die Instanzen geführt.
Hierüber sei regelmäßig in der Öffentlichkeit berichtet worden. Der
Verteidiger des Klägers, Rechtsanwalt W., habe über diese
Wiederaufnahmeverfahren Presseerklärungen verbreitet und an sämtliche
relevanten Presseorgane versandt.
Zu dem online-Auftritt www…. gehöre auch
ein Archiv. Dort würden die veröffentlichten Artikel nach gewisser Zeit
automatisch eingestellt. Während aktuelle Artikel (also solche aus der
jeweiligen Ausgabe der X-Zeitung) automatisch auf der jeweiligen
Rubrikseite des online-Auftritts erschienen, würden im Archiv
gespeicherte Artikel nur angezeigt, wenn der Nutzer gezielt über eine
Suchfunktion unter Eingabe von Stichworten nach den Beiträgen suche und
dann das Suchergebnis anklicke und damit öffne. Dies gelte auch für die
streitgegenständlichen Artikel aus dem Jahre 2004/2005, in dem die
Beklagte über neue Wiederaufnahmeanträge des Klägers berichte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des
Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Auf den Widerspruch der Beklagten war die
einstweilige Verfügung auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen. Dies führte zu
ihrer Aufhebung und zur Zurückweisung des Antrags auf ihren Erlass.
Dem Kläger steht der geltend gemachte
Unterlassungsanspruch gem. §§ 1004, 823 BGB i. V. m. Art. 2 I und 1 GG
nicht zu. Das Persönlichkeitsrecht des Klägers ist durch die
angegriffene Berichterstattung nicht verletzt.
Allerdings beeinträchtigt eine
öffentliche Berichterstattung über einen in der Vergangenheit
rechtskräftig verurteilten Straftäter unter Namensnennung und Abbildung
dessen Persönlichkeitsrecht erheblich, weil sein Fehlverhalten
öffentlich bekannt gemacht und seine Person in den Augen des Publikums,
insbesondere bei grausamen Taten, negativ qualifiziert wird. Die
Ausstrahlungswirkung des verfassungsrechtlichen Schutzes der
Persönlichkeit lässt es deshalb nicht zu, dass die Medien sich über die
aktuelle Berichterstattung hinaus zeitlich unbeschränkt mit der Person
eines Straftäters befassen. Vielmehr gewinnt nach Befriedigung des
aktuellen Informationsinteresses sein Recht, „allein gelassen zu werden“
zunehmende Bedeutung und setzt den Wunsch der Massenmedien und einem
Bedürfnis des Publikums, Straftat und –täter zum Gegenstand der
Erörterung oder gar der Unterhaltung zu machen, Grenzen. Auch der Täter,
der durch eine schwere Straftat in das Blickfeld der Öffentlichkeit
getreten ist und die allgemeine Missachtung erweckt hat, bleibt Glied
der Gemeinschaft mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Schutz
seiner Individualität. Hat die öffentliches Interesse veranlassende Tat
mit der strafgerichtlichen Verurteilung die im Interesse des
öffentlichen Wohls gebotene gerechte Reaktion erfahren und ist die
Öffentlichkeit hierüber hinreichend informiert worden, so lassen sich
darüber hinausgehende fortgesetzte oder wiederholte Eingriffe in den
Persönlichkeitsbereich des Täters in der Regel nicht rechtfertigen [BVerfGE
35, 202 (234)].
Anderes gilt allerdings, wenn es einen
neuen, aktuellen Anlass für die zu beurteilende Berichterstattung gibt,
wenn etwa neue Erkenntnisse und Ereignisse im Zusammenhang mit der
früheren Tat zu Tage treten (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss v.
13.08.2001 – 11 W 20/01, OLG Report 2001, 309, 311; Prinz/Peters,
Medienrecht, Rn. 853; Soehring, Presserecht, Rn. 19.27 + 19.28).
Für die hier zu beurteilende (Bild-)Berichterstattung
vom 25.10.2004 bzw. vom 11.04.2005 gab es jeweils einen neuen, aktuellen
Anlass. Nachdem der Kläger Verfassungsbeschwerde gegen die
strafgerichtliche Verurteilung wegen Mordes an Walter Sedlmayr eingelegt
und 1997 einen ersten Wiederaufnahmeantrag gestellt hatte, folgte im
Juli 2004 ein erneuter Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens durch
ihn, gestützt auf neue Beweise.
Offen bleiben kann, ob ein Antrag auf
Wiederaufnahme eines Strafprozesses schon allein deshalb eine erneute
Berichterstattung über den wegen der Tat Verurteilten rechtfertigt, weil
die Wiederaufnahme von diesem selbst ausgeht, weil ihr grundsätzlich
neue Erkenntnisse zugrunde liegen müssen und weil die verfolgte
Abänderung der rechtskräftigen Verurteilung sich zugunsten des
Betroffenen auswirken würde.
Denn im vorliegenden Fall kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der
Kläger sich selbst mit seinen beiden Schreiben an den in der Sache bei
der X- Zeitung zuständigen Journalisten H. vom August bzw. November 2004
gewandt hat, um ihm Unterlagen aus dem Wiederaufnahmeverfahren und
Informationen zur Verfügung zu stellen. In diesen Schreiben hat er
ausdrücklich die Berichterstattung in der X- Zeitung gelobt und den
Journalisten zu weiterer Berichterstattung aufgefordert, indem dieser
die „Öffentlichkeit objektiv informiere“.
Vor diesem tatsächlichen Hintergrund hält
die Kammer die angegriffene Online- Berichterstattung vom 25.10.2004
unter der Überschrift: „Ringen um die Wiederaufnahme“ und die
Veröffentlichung vom 11.04.2005 unter der Überschrift: „Fahnden nach der
vollen Wahrheit; Neue Ermittlungen im Mordfall Sedlmayr könnten dazu
führen, dass das Verfahren neu aufgerollt wird“ unter voller
Namensnennung und Bildveröffentlichung des Klägers für zulässig. Zum
Zeitpunkt dieser Veröffentlichung stand eine vorzeitige Haftentlassung
des Klägers noch nicht bevor. Dem Resozialisierungsinteresse des Klägers
kam deshalb noch kein die Pressefreiheit und das Informationsinteresse
der Öffentlichkeit überwiegendes Gewicht zu.
Das Persönlichkeitsrecht des Klägers ist auch nicht dadurch verletzt,
dass die Artikel aus den Jahren 2004/2005 unter voller Namensnennung
noch im Mai 2006 im Internet abrufbar waren. Der Beklagten oblag nicht
die Pflicht, die damals rechtmäßig ins Netz gestellten Berichte zu
entfernen oder so zu verändern, dass eine namentliche Identifizierung
des Klägers nicht mehr möglich gewesen wäre. Dies gilt auch bezüglich
der Bildveröffentlichung (vgl. Fricke in Wandtke/Bullinger,
Urheberrecht, 2. Aufl.,§ 23 KUG Rdnr. 25; LG Berlin AfP 2001, 337),
wobei das verfahrensgegenständliche Bild wohl eine Veröffentlichung aus
dem damaligen Strafprozess darstellt. Die Beklagte trifft nicht die
Verpflichtung, ihre Archive ständig daraufhin zu kontrollieren, ob ggf.
ein sich im Archiv befindlicher Beitrag entfernt oder geändert werden
müsste. Insofern besteht kein Unterschied zu einem Archiv, das
Printmedien aufbewahrt. Eine derartige Kontrollpflicht würde die
öffentliche Aufgabe, die der Presse im Hinblick auf die Information der
Öffentlichkeit über aktuelle Ereignisse zukommt, über Gebühr
beeinträchtigen. Sie würde zudem, wie das Landgericht München I in dem
am 26.05.2004 verkündeten und als Anlage AG 8 (Bl. 84 ff., 89 d.A.)
vorgelegten Urteil zutreffend ausgeführt hat, dem Informationsbedürfnis
der Öffentlichkeit zuwiderlaufen, das auch eine Recherche nach Berichten
aus vergangenen Zeiten umfasst.
Mit dem Oberlandesgericht Köln (Beschluss
vom 14.11.2005, 15 W 60/05, Anlage AG 7, Bl. 79 ff., insbes. 82 d.A.)
ist zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass der Abruf eines
solchen nicht mehr aktuellen Berichts aus dem Online-Archiv der
Beklagten nicht annähernd mit der Breitenwirkung einer erneuten
identifizierenden Presseberichterstattung im Internet zu vergleichen
ist. Denn um an den archivierten Beitrag zu gelangen, bedarf es der
Eingabe des Vor- und Nachnamens des Klägers. Es ist danach eine gezielte
Suche vonnöten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I
ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr.
6, 711 ZPO.
Dr. Kurth Zöller-Mirbach B.
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Rolf Schälike
Dieses
Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 15.09.07
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