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Verurteilter Mörder erzwingt die Unterlassung seiner vollen Namensnennung

Landgericht Frankfurt am Main

URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES

Geschäfts-Nr.:
2/3 O 305/06
Verkündet am:
05.10.2006

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren
 
M.  
 

- Verfügungskläger -

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Knopp pp.,

gegen

M. GmbH  
 

- Verfügungsbeklagte -

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte

hat das Landgericht Frankfurt am Main – 3. Zivilkammer – durch Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. Kurth, Richterin am Landgericht Zöller-Mirbach. und Richterin am Landgericht B. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 05.09.2006 für Recht erkannt:

Der Beschluss - einstweilige Verfügung - vom 23.05.2006 wird bestätigt.

Die Verfügungsbeklagte hat die weiteren Kosten des Eilverfahrens zu tragen.

Tatbestand

Der Verfügungskläger (nachfolgend Kläger) wurde 1991 wegen Mordes an dem bundesweit bekannten Schauspieler Walter Sedlmayr festgenommen und 1993 zusammen mit seinem Halbbruder wegen Mordes an Walter Sedlmayr zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Verfügungsbeklagte (nachfolgend Beklagte) verantwortet die Online-Ausgabe des X. Aus Anlass einer Gerichtsentscheidung betreffend die vorzeitige Haftentlassung des Klägers berichtete sie gemäß Internet-Printout vom 10.05.2006 unter der Überschrift „Vom Lebenslang befreit; Mörder von Walter Sedlmayr könnten bald freikommen“ unter voller Namensnennung über den Kläger. Hinsichtlich des Inhalts des Artikels wird auf Bl. 8/9 d.A. Bezug genommen. Auf Antrag des Klägers hat die angerufene Kammer des Landgerichts Frankfurt am Main am 23.05.2006 eine einstweilige Verfügung erlassen, mit welcher der Beklagten strafbewehrt untersagt wurde, über den Kläger im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Sedlmayr in identifizierender Weise, insbesondere bei voller Namensnennung, zu berichten, wie aus der Anlage AS 1 ersichtlich. Hiergegen hat die Beklagte Widerspruch eingelegt. Der Kläger ist der Ansicht, es sei nicht zulässig, 15 Jahre nach der Tat unter Verwendung seines vollen bürgerlichen Namens im Zusammenhang mit dem Sedlmayr-Mord über ihn zu berichten. Angesichts des nahe rückenden Haftendes würde sein Persönlichkeitsschutz, insbesondere sein Recht auf Rehabilitierung überwiegen. Er behauptet, er habe sich von sich aus nicht an die Presse gewandt. Seit 2004 sei er aktiv gegen seine öffentliche Identifizierung vorgegangen. Der Kläger beantragt, die einstweilige Verfügung vom 23.05.2006 zu bestätigen.

Die Beklagte beantragt, die einstweilige Verfügung vom 23.05.2006 aufzuheben und den Antrag auf Erlass derselben zurückzuweisen. Sie ist der Ansicht, der Kläger sei bis heute relative Person der Zeitgeschichte geblieben. Die Presse habe in den vergangenen 15 Jahren kontinuierlich über den Kläger und seinen Halbbruder bei entsprechendem Anlass berichtet, den immer der Kläger gesetzt hätte, ohne dass sich der Kläger gegen die entsprechende Presse- und Bildberichterstattung gewandt hätte. Vielmehr habe er diese durch eigenes Zutun/Verhalten gewünscht und gefördert. Die möglicherweise bevorstehende vorzeitige Strafhaftentlassung stehe in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der strafrechtlichen Verurteilung des Klägers als Mörder. Für die Öffentlichkeit sei es von ganz erheblicher Bedeutung, wenn dieser „Mörder“ nun „vorzeitig“ entlassen werde. Insoweit sei der Kläger auch wieder „punktuell“ zur relativen Person der Zeitgeschichte geworden mit der Folge, dass sie entsprechend habe berichten dürfen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Auf den Widerspruch war die einstweilige Verfügung auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen. Dies führte zu ihrer Bestätigung. Dem Kläger steht ein Unterlassungsanspruch gemäß §§ 823 I, II, 1004 (analog) BGB zu. Die beanstandete Berichterstattung verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers. Eine öffentliche Berichterstattung über einen in der Vergangenheit rechtskräftig verurteilten Straftäter unter Namensnennung beeinträchtigt dessen Persönlichkeitsrecht erheblich, weil sein Fehlverhalten öffentlich bekannt gemacht und seine Person in den Augen des Publikums, insbesondere bei grausamen Taten, negativ qualifiziert wird. Die Ausstrahlungswirkung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit lässt es deshalb nicht zu, dass die Medien sich über die aktuelle Berichterstattung hinaus zeitlich unbeschränkt mit der Person eines Straftäters befassen. Vielmehr gewinnt nach Befriedigung des aktuellen Informationsinteresses sein Recht, „allein gelassen zu werden“ zunehmende Bedeutung und setzt den Wunsch der Massenmedien und einem Bedürfnis des Publikums, Straftat und -täter zum Gegenstand der Erörterung oder gar der Unterhaltung zu machen, Grenzen. Auch der Täter, der durch eine schwere Straftat in das Blickfeld der Öffentlichkeit getreten ist und die allgemeine Missachtung erweckt hat, bleibt Glied der Gemeinschaft mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Schutz seiner Individualität. Hat die öffentliches Interesse veranlassende Tat mit der strafgerichtlichen Verurteilung die im Interesse des öffentlichen Wohls gebotene gerechte Reaktion erfahren und ist die Öffentlichkeit hierüber hinreichend informiert worden, so lassen sich darüber hinausgehende fortgesetzte oder wiederholte Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich des Täters in der Regel nicht rechtfertigen [BVerfGE 35, 202 (234)]. Dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit über schwere Straftaten kommt deshalb nur im Rahmen der aktuellen Berichterstattung, also in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat und einem Strafverfahren, genereller Vorrang zu. Mit fortschreitender zeitlicher Distanz tritt dagegen das Interesse und Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, über diesen Fall unter Abbildung und namentlicher Erwähnung unterrichtet zu werden, immer weiter zurück, während das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen unter dem Gesichtspunkt des Anonymitätsinteresses und des Rehabilitationsinteresses zunehmend an Bedeutung gewinnt [vgl. Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 107; Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5.Aufl., Kap. 8 Rn. 85 m.w.N.]. Die Nennung des Namens eines Straftäters in der Presseberichterstattung über seine früheren Straftaten verletzt daher das allgemeine Persönlichkeitsrecht und ist nach der Güterabwägung im Einzelfall wegen des seit der Verurteilung verstrichenen Zeitraumes trotz der Schwere der Tat nicht gerechtfertigt, wenn für die Berichterstattung kein aktueller Anlass besteht [OLG Ffm., OLG-Report 2001, 309 (311)].Für die hier zu beurteilende Berichterstattung gab es keinen neuen, aktuellen Anlass, wie er vorliegen kann, wenn der Betroffene erneut straffällig wird oder neue Erkenntnisses und Ereignisse im Zusammenhang mit der früheren Tat zu Tage treten [vgl. Wenzel, a.a.O., Kap. 10 Rn. 200; Prinz/Peters Rn. 853].

Ein aktueller Anlass für eine identifizierende Berichterstattung über den Kläger im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Sedlmayr besteht nicht bereits angesichts der in Aussicht gestellten Entscheidung des Landgerichts Marburg betreffend dessen vorzeitige Haftentlassung. Angesichts der zeitlichen Distanz zur Straftat und Verurteilung, welche seinerzeit das zeitgeschichtliche Ereignis begründete, durch welches der Kläger zur relativen Person der Zeitgeschichte wurde, kann bei der gebotenen Güter- und Interessenabwägung einem etwaigen Publikationsinteresse kein Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz des Klägers zuerkannt werden. Besonderes Gewicht kommt dabei im Hinblick auf den konkret anstehenden Zeitpunkt der Haftentlassung des Klägers der durch eine Publikation und Namensnennung drohenden Gefährdung seines Rechts auf Anonymität und Resozialisierung zu. Die Resozialisierung eines Straftäters ist ein genuinpersönlichkeitsrechtliches Anliegen von hohem Rang. Gerade eine öffentliche Berichterstattung unter Abbildung und Nennung des vollen bürgerlichen Namens ist geeignet, einen ehemaligen Täter für seine Umgebung zu identifizieren. Ein Bericht über eine schwere Straftat im engen zeitlichen Zusammenhang mit einer Haftentlassung birgt in der Regel die Gefahr der Stigmatisierung, sozialen Isolierung und einer darauf beruhenden grundlegenden Verunsicherung des Betroffenen [BVerfG NJW 1998, 2889]. Bei besonders schweren Straftaten, wie beispielsweise Mord sind diese Gefahren auch dann noch möglich, wenn die Tat bereits lange zurück liegt [BVerfG NJW 2000, 1859 – Verfilmung Fall Lebach]. Vorliegend kommt auf Grund von Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Marburg der Erlass des Rests der Haftstrafe des Klägers auf Bewährung und seine Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt im Juli 2007 in Betracht. Damit rückt sein Interesse an einer Resozialisierung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft in den Vordergrund. In diesem Zusammenhang ist herauszustellen, dass die zeitliche Grenze für eine Berichterstattung unter Namensnennung erheblichfrüher anzusetzen ist als auf das Ende der Strafverbüßung [OLG Ffm., a.a.O.; OLG Hamburg NJW-RR 1994, 1439]. Zwischenzeitlich ist der Kammer im übrigen bekannt geworden, dass dem Kläger – entsprechend dem Beschluss des 3. Strafsenates des OLG Frankfurt am Main vom 01.08.2006; Az.: 3 Ws 389/06 (StVollz) –Vollzugslockerungen, wie die Gewährung von Tagesausgängen, gewährt worden sind.

Demgegenüber ist angesichts des mangelnden zeitgeschichtlichen Nachrichten- undInformationswertsderBerichterstattungmitvollerNamensnennungeinInformationszweck nicht erkennbar. Zwar ist nicht zu bestreiten, dass aufgrund der Schwere der Tat sowie des Umstands, dass es sich bei dem Opfer um eine prominente Persönlichkeit handelte, ein öffentliches Interesse an einer Berichterstattung bestanden hat; doch wurde diesem bereits durch die Berichterstattung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Festnahme und Verurteilung des Klägers Genüge getan. Nicht ersichtlich ist, weshalb 15 Jahre nach der Tat im Zusammenhang mit der vorzeitigen Haftentlassung des Klägers ein Interesse der Öffentlichkeit an einer auch die Person des Täters einbeziehendenvollständigen Information bestehen soll. Vielmehr kann dem öffentlichen Informationsinteresse  hinreichend durch eine nicht individualisierende Berichterstattung genügt werden. Insoweit war es keinesfalls erforderlich, zunächst noch einmal über den „Mordfall“ Sedlmayr“ und die Verurteilung des Klägers wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe unter voller Namensnennung zu berichten. Auch der Umstand, dass der Kläger ausweislich der von der Beklagten exemplarisch vorgelegten Zeitungsartikel und Veröffentlichungen im Internet in den vergangenen15 Jahren ununterbrochen Gegenstand medialer Bild- und Wortberichterstattung unter voller Namensnennung gewesen ist und diese widerspruchslos hingenommen habe, rechtfertigt nicht, diesen anlässlich der angegriffenen Berichterstattung namentlich zu nennen. Niemand verliert den Schutz seiner Privatsphäre dadurch, dass über ihn unzulässigerweise berichtet wurde und er dagegen nichts unternommen hat [vgl. Prinz/Peters, a.a.O., Rn 80]. Der Umstand, dass andere unter Namensnennung - und gegebenenfalls bildlicher Abbildung - des Klägers über diesen berichten, stellt keinen Freibrief für die Beklagte dar, es diesen gleich zu tun. Insbesondere lässt sich der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht damit rechtfertigen, dass in anderen Zeitungen ebenfalls unter Abbildung des Klägers namentlich über diesen berichtet wurde, da ansonsten der Persönlichkeitsschutz faktisch leer liefe. Darüber hinaus erscheinen auch Zweifel angebracht, ob und inwieweit diese Berichterstattung dem Kläger in der Justizvollzugsanstalt überhaupt zur Kenntnis gelangt ist.

Der Kläger ist auch nicht bis heute relative Person der Zeitgeschichte geblieben, weil er – wie die Beklagte behauptet - diese ständige Medienberichterstattung durch eigenes Zutun/Verhalten gewünscht und gefördert hat. Dass sich der Kläger selbst weiterhin mit publikumswirksamen Mitteilungen der Öffentlichkeit gestellt hat, um auf diese Weise Erinnerung und Interesse an Tat und Täter lebendig zu halten oder gar zu kommerzialisieren, lässt sich den von der Beklagten vorgelegten Anlagen jedenfalls nicht für den Zeitpunkt entnehmen, in dem die vorzeitige Haftentlassung des Klägers Gegenstand vollstreckungsgerichtlicher Prüfung war. Berichterstattungen über die Heirat des Klägers in der Justizvollzugsanstalt oder ein – angeblich geführtes - Interview des Klägers gegenüber der Zeitschrift X. aus dem Jahre 1999 liegen mehrere Jahre vor der hier erstmals thematisierten vorzeitigen Haftentlassung zurück. Auch diente die namentliche Erwähnung des Klägers auf den jeweiligen Homepages der ihn vertretenden Rechtsanwälte K. bzw. W. offensichtlich der Eigendarstellung der Anwälte; sie erfolgte nicht im Rahmen der Mandatsausübung für den Kläger. Ein Einverständnis des Klägers mit einer ihn identifizierenden Berichterstattung lässt sich hieraus keinesfalls herleiten. Demgegenüber hat Rechtsanwalt S. mit dem zu den Akten gereichten Schreiben vom 21.06.2006 anwaltlich versichert, dass er zwar mit der Presse in den vergangenen Monaten des öfteren wegen „vollstreckungsrechtlicher Verfahren“ Kontakt gehabt habe, er jedoch, insbesondere bezüglich des Klägers, darauf hingewiesen habe, dass man ihn – den Rechtsanwalt – auch namentlich zitieren dürfe, jedoch der Name und das Bild des Mandanten nicht gedruckt werden dürften. Auch die bundesweit an die Presse verschickte Presseerklärung des Rechtsanwalts W. vom 15.04.2005 läßt das Recht des Klägers auf Anonymität unberührt. Denn sie betraf ausschließlich das 3. Wiederaufnahmeverfahren, nicht jedoch die hier streitgegenständliche vorzeitige Haftentlassung. Schließlich ist die identifizierende Berichterstattung über den Kläger nicht auf Grund der beiden Schreiben des Halbbruders M. L. an den Chefredakteur der X-Zeitung vom 31.08. und 23.11.2004 erlaubt. Denn diese Schreiben nehmen konkret Bezug auf das Wiederaufnahmeverfahren und sind dem Kläger zudem nicht zuzurechnen. Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ist zu bejahen. Grundsätzlich kann die Wiederholungsgefahr zur Vermeidung einergerichtlichen Entscheidung entsprechend der im Wettbewerbsrecht geltenden Praxis auch in medienrechtlichen Auseinandersetzungen nur durch Abgabe einer mit einem Vertragsstrafeversprechen versehenen Unterlassungserklärung beseitigt werden [Soehring, Presserecht, 3.Aufl., Rn. 3011]. Eine solche wurde von der Beklagten indes auch nach Zustellung der Beschlussverfügung nicht abgegeben. Der Verfügungsgrund folgt aus dem Umstand, dass die Beklagte weiterhin für sich in Anspruch nimmt, über den Kläger im Zusammenhang mit einer möglichen vorzeitigen Haftentlassung in individualisierender Weise, hier mit voller Namensnennung, berichten zu dürfen und sich der Kläger nach wie vor um eine vorzeitige Haftentlassung bemüht. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.

Dr. Kurth                                      Zöller-Mirbach                                    B.

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Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 15.09.07
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