Kein Anspruch eines verurteilten Straftäters
auf Unterlassung einer archivierten Berichterstattung in Internet-Veröffentlichungen.
Leitsätze:
1. Eine spätere
(Presse-) Berichterstattung über bereits abgeurteilte Straftaten ist
jedenfalls dann unzulässig, wenn sie geeignet ist, gegenüber der
aktuellen Information eine erheblich neue oder zusätzliche
Beeinträchtigung des Täters zu bewirken, insbesondere seine
Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu gefährden.
2. Allein durch die Bereithaltung eines zu einem früheren Zeitpunkt
erschienenen, zulässigen Artikels in einem (Online-) Archiv wird ein
betroffener bereits verurteilter Straftäter nicht erneut "an das Licht
der Öffentlichkeit gezerrt", da sich der Äußerungsgehalt lediglich in
einem Hinweis auf eine in der Vergangenheit zulässige Berichterstattung
erschöpft. Dies gilt umso mehr, als die Artikel nicht ohne weiteres
zugänglich sind, sondern der interessierte Nutzer vielmehr konkret
danach - sei es durch eine Homepage-Suchfunktion oder mittels einer
Suchmaschine - suchen muss.
3. Die Gefahr des "ewigen Prangers des Internet" besteht auch im Fall
eines Online-Archivs für einen bereits abgeurteilten Straftäter nicht.
Denn dass archivierte Äußerungen veraltet und nicht mehr von aktuellem
Bezug sind, ergibt sich aus der Natur der Sache. Insbesondere entsteht
eine Beeinträchtigung nicht dadurch, dass ein aufgerufener Artikel aus
einer früheren Berichterstattung möglicherweise unter dem Datum der
Abfrage erscheint. Der Nutzer, der den Artikel über die Archivfunktion
aufruft, weiß, dass er sich in einem Archiv befindet. Wer über eine
Suchmaschine auf den Artikel trifft, wird zumindest durch die URL darauf
hingewiesen, dass es sich nicht um eine aktuelle Berichterstattung
handelt.
4. Für die Unangreifbarkeit eines Online-Archivs streite zudem das
Grundrecht auf Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Danach
hat jeder das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert
zu unterrichten. Diese Quellen dürfen jedoch nicht dadurch verändert
werden, dass eine ursprünglich zulässige Berichterstattung nachträglich
gelöscht wird. Dies würde zu einer Verfälschung der historischen
Abbildung führen und der besonderen Bedeutung von Archiven nicht gerecht
werden.
5. Es würde zu einer Überspannung der Überwachungspflichten führen, wenn
man - auch im Hinblick auf wirtschaftliche, personelle und zeitliche
Aspekte - für die Archivverwaltung von der Presse verlangen würde, dass
sie turnusmäßig ihre Archive durchforstet, ob ursprünglich zulässige
Berichterstattungen nunmehr quasi durch Zeitablauf wegen des
Anonymitätsinteresses eines ehemaligen Straftäters zu sperren sind.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT A. MAIN
Beschluss
16. Zivilsenat
20.09.2006
Geschäftszeichen:
16 W 55/06
(2-03 O 504/06)
G r ü n d e
I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin im Wege der
einstweiligen Verfügung die strafbewehrte Unterlassung, Bildnisse von
ihm ohne seine Zustimmung im Zusammenhang mit dem Mord an Fiszman öffentlich
zugänglich zu machen sowie über ihn im Zusammenhang mit dem Mord an
Fiszman in
identifizierender Weise, insbesondere bei voller Namensnennung, zu
berichten.
Er nimmt dabei Bezug auf drei über die von der Antragsgegnerin
verantwortete Internetseite „www.rhein-zeitung.de“ aufgerufene Artikel vom
21.10.1996, 01.10.1998 und
03.04.2003, in denen über ihn und dem Mord an Fiszman berichtet bzw. in
denen er im Zusammenhang mit dem Mord namentlich erwähnt wird.
Das Landgericht hat den Antrag u. a. mit der Begründung zurückgewiesen,
bei den angegriffenen Artikeln handele es sich um eine ursprünglich
zulässige Berichterstattung. Das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers
werde nicht dadurch verletzt, dass die Artikel aus den Jahren 1996, 1998
und 2003 noch im Juli 2006 im Internet abrufbar waren. Die
Antragsgegnerin sei zu einer Entfernung der Artikel nicht verpflichtet.
Zum einen liege die rechtskräftige Verurteilung des Antragstellers erst
6 Jahre zurück; zum anderen müsse die Antragsgegnerin nicht ständig ihre
Archive kontrollieren. Im Übrigen greife auch der vom
Bundesverfassungsgericht hervorgehobene Schutzgedanke der
Resozialisierung bei dem zu lebenslanger Haft mit anschließender
Sicherungsverwahrung verurteilten Antragsteller nicht.
Gegen diesen ihm am 2. August 2006 zugestellten Beschluss hat der
Antragsteller am 3. August 2006 sofortige Beschwerde eingelegt, mit der
er den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung weiter verfolgt.
Er steht weiterhin auf dem Standpunkt, eine identifizierende
Berichterstattung - noch dazu mit Bild - sei nicht mehr zulässig; es
bestünde die konkrete Gefahr, dass über ihn zeitlich unbegrenzt
berichtet werde. Auch gelte keine „Archivausnahme“. Die Antragsgegnerin
verteidigt die angefochtene Entscheidung.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet.
Das Landgericht hat zu Recht einen Anspruch des Antragstellers auf
Unterlassung der beanstandeten Berichterstattung verneint.
Die von dem Antragsteller beispielhaft herangezogenen Artikel „Fiszman
erkannte seinen Mörder“ und
„... Lebenslänglich
für D“ stammen vom 21.10.1996 und 01.10.1998 und berichten über das von dem
Antragsteller begangene Verbrechen sowie den Prozess und seinen Ausgang,
wobei letzterer zusätzlich ein während des Prozesses gemachtes Foto des
Antragstellers zeigt. Dabei gesteht der Antragsteller selbst zu, dass es
sich zum damaligen Zeitpunkt um eine zulässige Berichterstattung
handelte, die sein Persönlichkeitsrecht nicht verletzt.
Gleiches gilt aber auch für den am 4. März 2003 erschienenen Artikel
„Gute Karten für den Angeklagten“, in dem im Zusammenhang mit dem
Prozess um den Mord an B darauf hingewiesen wird, dass sich im
Schwurgerichtssaal 165 C des Landgerichts Frankfurt bereits der
Antragsteller habe verantworten müssen, wobei die Anklage damals auf
Mord und erpresserischen Menschenraub gelautet habe. Das Landgericht hat
zutreffend ausgeführt, dass es sich dabei angesichts des besonders
spektakulären Strafverfahrens gegen den Antragsteller und der seit
Rechtskraft des Urteils ergangenen Zeitspanne von lediglich 3 Jahren
noch um eine zulässige Berichterstattung handelt. Das gilt um so mehr,
als in diesem Artikel der Antragsteller nicht im Mittelpunkt des
Interesses steht, sondern lediglich am Rande erwähnt wird.
Dass auf diese Artikel auch noch im Juli 2006 über die Internetseite der
Antragsgegnerin zugegriffen werden konnte, führt entgegen der Auffassung
des Antragstellers auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts nicht dazu, dass der Antragsgegnerin untersagt
werden könnte, über ihn wie aus den Artikeln ersichtlich zu berichten
bzw. ein Bildnis von ihm zu zeigen.
In seinem so genannten Lebach-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht
entschieden, dass eine spätere Berichterstattung jedenfalls dann
unzulässig ist, wenn sie geeignet ist, gegenüber der aktuellen
Information eine erheblich neue oder zusätzliche Beeinträchtigung des
Täters zu bewirken, insbesondere seine Wiedereingliederung in die
Gesellschaft zu gefährden (BVerfG vom 5. Juni 1973, BVerfGE 35, 202
ff.).
Von einer solchen späteren Berichterstattung, die zu einer neuen oder
zusätzlichen Beeinträchtigung des Antragstellers führen würde, kann
vorliegend aber nicht ausgegangen werden.
Die Antragsgegnerin hat weder erneut einen Artikel über den
Antragsteller in das Internet eingestellt noch sonst aktuell auf die
alten Artikel Bezug genommen. Sie hat lediglich - ihrer Aufgabe als
Archivarin der X-Zeitung entsprechend - die ursprünglich in der
gedruckten Ausgabe der X-Zeitung enthaltenen Artikel in das Onlinearchiv
gestellt und sie damit der interessierten Öffentlichkeit, die eine
entsprechende Recherche betreibt, zur Verfügung gestellt.
Dementsprechend fehlt es an einer aktuellen Berichterstattung.
Letztlich begehrt der Antragsteller die Löschung von ursprünglich
zulässigen Artikeln in einem Archiv. Darauf hat er aber keinen Anspruch.
Allein durch die Bereithaltung eines zu einem früheren Zeitpunkt
erschienen, zulässigen Artikels in einem Archiv wird der Betroffene
nicht erneut „an das Licht der Öffentlichkeit gezerrt“, da sich der
Äußerungsgehalt lediglich in einem Hinweis auf eine in der Vergangenheit
zulässige Berichterstattung erschöpft (vgl. KG, Beschluss vom 19.
Oktober 2001, 9 W 132/01).
Dies gilt um so mehr, als die Artikel nicht ohne weiteres zugänglich
sind; der interessierte Nutzer muss vielmehr konkret danach suchen - sei
es über die Suchfunktion auf der Homepage der Antragsgegnerin oder über
eine Suchmaschine wie Google.
Dabei spielt es keine Rolle, dass das Archiv nicht in Papierform,
sondern elektronisch geführt wird. Zwar mag letzteres für den Nutzer
schneller greifbar sein; dies ist aber allein die Folge der technischen
Weiterentwicklung und kann nicht dazu führen, elektronische Archive zu
untersagen. Unerheblich ist auch, dass die Antragsgegnerin verschiedene
„Dienste“ wie „Leserbrief“ anbietet. Dies allein bewirkt keine
Beeinträchtigung des Antragsgegners, der sich im Übrigen gegen eine
weitere Verbreitung der Artikel durch den Nutzer mit den zur Verfügung
stehenden Mitteln zur Wehr setzen kann (vgl. KG a.a.O.).
Im Übrigen wird der Antragsteller auch nicht dadurch erneut
beeinträchtigt, dass die aufgerufenen Artikel möglicherweise unter dem
Datum der Abfrage erscheinen. Der Nutzer, der die Artikel über die
Archivfunktion aufruft, weiß, dass er sich in einem Archiv befindet. Wer
über eine Suchmaschine auf die Artikel trifft, wird zumindest durch die
URL darauf hingewiesen, dass es sich nicht um eine aktuellen
Berichterstattung handelt. Von daher besteht auch keine Gefahr des
„ewigen Prangers des Internet“; dass archivierte Äußerungen veraltet und
nicht mehr von aktuellem Bezug sind, ergibt sich aus der Natur der
Sache.
Im Übrigen streitet für die Unangreifbarkeit des Archivs das Grundrecht
auf Informationsfreiheit nach Art. 5 GG Abs. 1 Satz 1 GG. Danach hat
jeder das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu
unterrichten. Diese Quellen dürfen jedoch nicht dadurch verändert
werden, dass eine ursprünglich zulässige Berichterstattung nachträglich
gelöscht wird. Dies würde zudem zu einer Verfälschung der historischen
Abbildung führen und der besonderen Bedeutung von Archiven (vgl. BVerfG
NJW 1982, 633) nicht gerecht werden. Im Übrigen kann auch im Hinblick
auf die wirtschaftliche Tragweite und den personellen und zeitlichen
Aufwand für die Archivverwaltung von der Presse nicht ernsthaft verlangt
werden, dass sie turnusmäßig ihre Archive daraufhin durchforstet, ob
ursprünglich zulässige Berichterstattungen nunmehr quasi durch
Zeitablauf wegen des Anonymitätsinteresses eines ehemaligen Straftäters
zu sperren seien (vgl. LG Berlin, AfP 2001, 337). Dies würde zu einer
Überspannung von Überwachungspflichten führen.
Soweit sich der Antragsteller auf die Entscheidung des LG Hamburg vom
22. Dezember 2005 (MMR 2006, 491 ff.) bezieht, findet diese keine
Anwendung, da sie sich mit der Frage der Verantwortlichkeit des
Betreibers eines Internetforums beschäftigt, nicht aber mit der
Archivierung ehemals zulässiger Berichterstattungen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 3 und 97 Abs. 1 ZPO. Ein höherer
Streitwert als 10.000,- € ist nicht gerechtfertigt, da es sich um das
Unterlassen einer Beeinträchtigung durch eine archivierte
Berichterstattung im Internet handelt.
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Rolf Schäike
Dieses
Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 12.02.07
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