Internet-Archive
1. Eine zum Zeitpunkt der Berichterstattung zulässiger
Pressebericht kann nach Verstreichen eines gewissen Zeitraumes
unzulässig werden.
2. Ob ein Unterlassungsanspruch auf Löschung des Artikels aus dem
Online-Archiv besteht, hängt wesentlich von der durch den Bericht
erzielten Breitenwirkung ab.
3. Das Bereithalten eines solchen Online-Archivs hat jedoch nur
begrenzte Breitenwirkung
OBERLANDESGERICHT KÖLN
Beschluss
Geschäftszeichen:
15 W 60/05
(28 O 330/05)
14.11.2005
In dem Rechtsstreit
Anwalt, Adresse
- -
Prozess bevollmächtigte/r: Rechtsanwälte
,
Adresse
gegen
- -
Prozessbevollmächtigte/r:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Landgerichts Köln vom 05.09.2005 - 28 O 330/05 - wird zurückgewiesen.
Sachverhalt:
s. Entscheidungsgründe
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist
unbegründet. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht dem
Antragsteller zu Recht die nachgesuchte Prozesskostenhilfe versagt, weil
die von ihm beabsichtigte Klage nicht über die gemäß § 114 ZPO
erforderlichen Erfolgsaussichten verfügt.
Dem Antragsteller steht ein Unterlassungsanspruch gegen den
Antragsgegner nicht zu, weil er durch den im Online-Archiv des
Antragsgegners zum Abruf bereit gehaltenen Artikel vom 07.08.2001
jedenfalls zur Zeit nicht in rechtswidriger Weise in seinem
Persönlichkeitsrecht verletzt wird.
Allerdings hält es der Senat für zweifelhaft, ob der Antragsteller, wie
mit dem angefochtenen Beschluss geschehen, mit seinem
Unterlassungsbegehren zumindest auf den Ablauf der Bewährungszeit, wenn
nicht gar auf den Ablauf der Löschungsfristen im Bundeszentralregister
verwiesen werden kann.
Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch in seinem Aspekt der
Persönlichkeitsentfaltung verfassungsrechtlichen Schutz genießt
(Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25.11.1999 - 1 BvR 348/98 -,
NJW 2000, 1859- "Lebach II"), kann bereits der Zeitpunkt der
Haftentlassung für die Veröffentlichung identifizierender Berichte über
den Straftäter eine besondere Grenze markieren, weil dann der
Gesichtspunkt der Resozialisierung vermehrte Bedeutung gewinnt
(Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 5.6.1973 - 1 BvR 536/72 = BVerfGE 35, 202ff. "Lebach I").
Mit den beiden vorgenannten Fällen ist das Anliegen des Antragstellers
jedoch nicht vergleichbar, da sich der Antragsteller nicht gegen eine
wiederholte öffentliche Berichterstattung von Seiten des Antragsgegners
wendet, sondern gegen die Abrufbarkeit eines zum Zeitpunkt des
Tatgeschehens aktuellen Berichts aus dem Online- Archiv des
Antragsgegners, die nach Auffassung des Senats keine vergleichbare
Breitenwirkung hat.
Der Senat teilt die Auffassung des Kammergerichts Berlin (Beschluss vom
19.10.2001 - 9 W 132/01- wiedergegeben als juris. Fundstelle auf Bl. 45
ff GA), wonach die Herausgabe archivierter Informationen bei
zulässigerweise archiviertem, nach äußerungsrechtlichen Maßstäben bei
seiner Erstveröffentlichung beanstandungsfreiem Material nach Art. 5
Abs. 1, S. 1 , 3. Var. GG gerechtfertigt und nicht von einem besonderen
Informationsinteresse des Dritten abhängig ist, so dass ihr Abruf über
Internet nicht von dem Archivbetreiber verhindert werden muss.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1982, 633,
634) wird mit der Archivierung von Druckwerken eine im öffentlichen
Interesse stehende Aufgabe erfüllt, denn die Archivierung von
Druckwerken dient dazu, jedem Interessierten einen historischen und
kulturellen Überblick zu verschaffen. Das Gleiche gilt im Hinblick auf
die Einstellung von ehemals aktuellen Internetbeiträgen in das
Online-Archiv einer öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt wie dem
Antragsgegner; auch hiermit wird - im Wege der modernen
Kommunikationstechniken - einem letztlich im öffentlichen Interesse
stehenden Auftrag Rechnung getragen.
Es ist unstreitig, dass der
Bericht vom 7.8.2001 über das von dem
Antragsteller angestrengte "Mordkomplott" den Tatsachen entsprach
und auch von seiner Form her zu keinerlei Beanstandungen Anlass gab, so
dass seine Archivierung durch den Antragsgegner zulässig ist. Der
Antragsteller hat kein Recht darauf, dass der Antragsgegner die
Abrufbarkeit des Beitrags über Internet-Suchmaschinen oder den
Direktzugang über seine Homepage deshalb unterbindet, weil der Bericht
seinen aktuellen Bezug zu der Straftat eingebüßt hat.
Das auf Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG gegründete allgemeine
Persönlichkeitsrecht vermittelt einem Straftäter keinen Anspruch darauf,
in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit der Tat konfrontiert und
mit seiner Tat "allein gelassen" zu werden (BVerfG, Beschluss vom
25.11.1999 - 1 BvR 348/98- NJW 2000, 1859, 1860 "Lebach II").
Entscheidend kommt es vielmehr, wie oben bereits erwähnt, darauf an, in
welchem Maß eine Berichterstattung die Persönlichkeitsentfaltung
beeinträchtigen kann (vgl. dazu auch BVerfG NJW 1998, 2889, 2891), so
dass zu prüfen ist, ob die Abrufbarkeit des in dem Archiv des
Antragsgegners gespeicherten Artikels über Internet die Gefahr in sich
birgt, die Resozialisierung des Antragstellers ernstlich zu stören oder
auch zu seiner Stigmatisierung oder sozialen Isolierung zu führen.
Solche Beeinträchtigungen hat der Antragsteller indessen auch mit seiner
Beschwerdeschrift nicht dargetan. Der bloße Vortrag, er befinde sich
seit dem 25.03.2005 nicht mehr in Haft und versuche seitdem, sich eine
Arbeitsstelle zu beschaffen und soziale Strukturen aufzubauen, werde an
seiner Resozialisierung aber durch die "permanente Verbreitung des
Artikels massiv gefährdet", genügt zur Darlegung nicht. Konkrete
Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung als Folge des Beitrags, etwa
in dem Sinne, dass er mit Rücksicht auf dessen Inhalt bereits an
irgendeiner Stelle abgewiesen worden sei, vermag der Antragsteller nicht
aufzuzeigen.
Es spricht auch keine Vermutung dafür, dass die Abrufbarkeit des
Beitrags im Internet zwangsläufig zu Schwierigkeiten des Antragstellers
bei seiner Resozialisierung führen müsse, zumal das ursprünglich
beigefügte Bildnis von dem Antragsteller inzwischen entfernt ist. Der
Antragsteller verkennt, dass der Abruf eines solchen nicht mehr
aktuellen Berichts aus dem Online- Archiv des Antragsgegners nicht
annähernd mit der Breitenwirkung einer erneuten identifizierenden
Fernsehberichterstattung zu vergleichen ist, so dass die in dem
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5.6.1973 (BVerfGE 35, 202
ff-"Lebach I") entwickelten Grundsätze vorliegend nicht zum Tragen
kommen.
Um über Internet- Suchmaschinen (z.B. "Google") problemlos an den
archivierten Beitrag zu gelangen, bedarf es der Eingabe von Namen und
Vornamen des Antragstellers. Bei Eingabe seines bloßen Nachnamens werden
hingegen so zahlreiche Suchmöglichkeiten aufgezeigt, dass es einer
gezielten Suche bedarf, um überhaupt zu dem streitgegenständlichen
Beitrag vorzudringen. Das Gleiche gilt für das Auffinden des
streitgegenständlichen E. des Antragsgegners.
Die gezielte Suche in Archivbeständen nach Auffälligkeiten in seiner
Vergangenheit durch interessierte Personen, denen der Name des
Antragstellers etwas sagt, wird der Antragsteller, der als Bauminister
in C. zeitweilig eine prominente Person war, nicht verhindern und mit
rechtlichen Mitteln auch nicht unterbinden können, weil dies durch das
Recht zur ungehinderten Information aus allgemein zugänglichen Quellen,
Art. 5 Abs. 1 S. 1, 3.Var. GG, gewährleistet ist. Dass dabei das
Internet die Suche einfacher und bequemer gestaltet, ist angesichts der
damit verbundenen allgemeinen Veränderung der Kommunikationswege
hinzunehmen.
Aus den vorstehenden Gründen ist auch für den mit der beabsichtigten
Klage geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch kein Raum.
Eine Kostenentscheidung unterbleibt mit Rücksicht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
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Rolf Schäike
Dieses
Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 10.11.07
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