Gysi - Lohr nach 1989 Zusammengestellt von Rolf Schälike Der 1930 geborene Günter Lohr vor der
Wende jahrelang stellvertretender Leiter der Hauptabteilung XX/9 des
MfS.
1. Gysi an Lohr 2. Lohr an Gysi 4. Brüder, Feinde und Erinnerungslücken - Nov. 2002 ______________________________________________________________________________ 1. Gysi an Lohr Werter Herr Lohr, gestatten Sie bitte, daß ich mich mit einigen Fragen an Sie wende, nachdem ich in der Gauckbehörde meine Akten einsehen konnte. Zunächst bitte ich um eine Auskunft, ob Sie identisch mit jenem Staatsanwalt Lohse von der Generalstaatsanwaltschaft der DDR, der mich 1980 aufsuchte. Nach meiner Erinnerung führten wir 2 oder 3 Gespräche und dann ließ sich dieser Staatsanwalt nicht mehr sehen. Falls Sie das sind, ergeben sich für mich folgende Fragen (auch sonst natürlich): 1.) In Ihrem IM-Vorschlag vom 27.11.1980 schreiben Sie, daß ich von der HVA, Abt. XI von 1975-1977 für die "Legende" eines juristischen Beraters genutzt wurde. Was war das für eine "Legende"? Erfolgte nach Ihrer Kenntnis die Nutzung wissentlich oder unwissentlich?
2.) Unter der Überschrift "Geplante Einsatzrichtung und
operativer Notwendigkeit der Werbung" führten Sie u.a. folgendes aus: ______________________________________________________________________________ 2. Lohr an Gysi ..."Lohr, der frühere Stellvertretene Abteilungsleiter, erklärte am 06.02.1992 in einem öffentlich gewordenen Schreiben an Dr. Gysi: "Auf jeden Fall konnte die Akte über die OPK "Sputnik" nicht bleiben, nachdem Sie Vorsitzender der SED geworden waren. Aus unserer Sicht hätten Sie unser höchster Vorgesetzter werden können. Sicherlich verstehen Sie, daß wir uns unter diesen Umständen nicht nachweisen lassen wollten, wie umfangreich wir Sie kontrolliert hatten, deshalb wurde die OPK 'Sputnik' vernichtet."..." Der vollständige Text des Schreibens:
Werter Herr Gysi Ihren Brief mit sehr detaillierten Fragen habe ich erhalten. Bevor ich versuche, Ihnen zu antworten will ich einiges voraus schicken. Sie müssen mir glauben, daß es mir aufrichtig leid tut, in welche Situation Sie durch mein Zutun gekommen sind. Damals hatte ich allerdings keine Bedenken, weil ich überzeugt war, eine wichtige Tätigkeit zum Schutz der DDR zu leisten. Ich will hier nicht viel über meine Biografie schreiben, aber alles was ich geworden bin verdanke ich der DDR und auch dem MfS. Als Kind und Jugendlicher habe ich den Faschismus und den Krieg erlebt und wurde mit 14 Jahren zum "Volkssturm" gezogen. Die Erlebnisse waren so schrecklich, daß ich eine ganz andere Gesellschaft wollte und auch bereit war, diese mit allen Mitteln zu verteidigen. Obwohl ich aus einfachen Verhältnissen kam erhielt ich im MfS Qualifizierungsmöglichkeiten, so zum Jurist, und man brachte mir Vertrauen entgegen. Das festigte meine Bindung zum Staat. Natürlich weiß ich heute auch, daß vieles in der DDR und im MfS kritikwürdig war, dafür trage ich auch Mitverantwortung. Aber ich bin nicht bereit alles aufzugeben woran ich glaubte. Ich hielt diese Hinweise für erforderlich, damit Sie mein damaliges Verhalten und Herangehen verstehen. An Ihren Vorgang erinnere ich mich gut, weil er Besonderheiten aufwies. Dennoch bin ich nicht in der Lage mich an alle Details zu erinnern und kann deshalb auch nicht jede Frage beantworten. Unter anderem fragen Sie mich auch nach Personen. Auf diese Fragen werden Sie keine für Sie ausreichende Antwort bekommen. Als Anwalt legten Sie größten Wert auf Ihre Schweigepflicht. Sie müßten deshalb verstehen könne, daß ich Menschen nicht verrate die mir Vertrauen entgegen gebracht haben und die davon ausgingen, das Richtig zu tun. Es kann schon sein, dass ich das Bekanntwerden dieser Personen nicht verhindern kann, aber ich möchte wenigstens nicht daran beteiligt sein. Das hilft Ihnen im Augenblick wenig aber könnte es nicht sein, daß Sie mich sogar verachten würden wenn ich das täte was Sie u.a. von mir erwarten? Ich habe keinen Einfluß darauf, was von dem verwendet wird, was ich sage und was nicht. Bitte akzeptieren Sie meinen Standpunkt. Als ich Ihnen meine Bereitschaft zu einem Gespräch signalisierte, teilte ich Ihnen auch mit, dass ich tatsächlich jener Mann bin, der sich unter falschern Namen bei Ihnen als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft vorstellte. Meines Erachtens führten wir allerdings vier bis fünf Gespräche und nicht zwei bis drei Gespräche, wobei es darauf sicherlich nicht ankommt. Aber ich will Ihnen der Reihe nach erklären, wie es dazu kam. Ich muß Ihnen zum Teil auch unsere Arbeitsweise und meine Gedanken erklären. weil ich glaube, anders die Vorgänge nicht erklären zu können. Meine Aufgabe und die Aufgabe meiner Abteilung bestand darin, feindlicher Tätigkeit gegen die DDR vorzubeugen oder zumindest in ihren Auswirkungen zu begrenzen. Rechtsanwälte hatten im unterschiedlichen maße beruflich mit solchen Personen zu tun, die uns besonders interessieren mußten, um unsere Aufgaben erfüllen zu können. Daher warten wir auch immer an Informationen über Rechtsanwälte interessiert. Ich kann Sie deshalb schon etwas, bevor Sie Ihren ersten politischen Fall übernahmen. Von besonderem Interesse wurde Sie für mich, als Sie den Rechtsbeistand für R. Bahro übernahmen. Offizielle und inoffizielle gab es sowohl in der Umgebung von Bahro als auch in Ihrer. Für mich waren Sie aber als direkte Quelle von großem Wert gewesen. Die Informationen wären eindeutiger und vor allem zügiger und regelmäßiger zu uns gelangt. So entstand bei mir die Idee, daß es von großem Vorteil wäre, Sie für eine inoffizielle Zusammenarbeit zu gewinnen. Entsprechend unserer Vorschrift mußte ich zunächst prüfen, ob Sie bereits für eine andere Diensteininheit erfaßt waren, da es verboten war, die Person gleichzeitig durch verschiedene Abteilungen bearbeiten zu lassen. Dabei stellte ich fest, daß es einen abgeschlossenen OPK-Vorgang bei der HVA gab. Meine Überprüfungen ergaben, daß es sich um keinen echten OPK-Vorgang handelte. Es gab dort nur einige Kopien von Unterlagen aus Ihrer Personalakte. Im Gespräch mit dem dortigen Mitarbeiter erfuhr ich, daß Sie für eine Legende genutzt worden sind. Soweit ich mich erinnern kann, wurden Sie durch eine Firma, hinter der die HVA stand, mit der juristischen Beratung beauftragt. Wichtig war wohl, daß dadurch Ihre Adresse für Korrespondenz genutzt werden konnte. Weitere Details wurden mir nicht mitgeteilt bzw. sind mir nicht mehr erinnerlich. Mit Sicherheit waren Sie über die Hintergründe der Legende nicht aufgeklärt worden. Anderenfalls wären Sie als IM erfaßt gewesen und es hätte auch weit mehr Unterlagen gegeben. Ich hätte mir auch einen Vorlauf sparen können. Es wäre denn zu entscheiden gewesen, ab ein Wechsel des IM von der einen zu der anderen Abteilung stattfindet. Zwischen Ihnen, Ihrem bisherigen Führungsoffizier und mir hätte lediglich ein Übergabegespräch stattgefunden. All diese Voraussetzungen waren nicht gegeben, so daß wir erst zu entscheiden hatten, ob eine IM-Werbung stattfinden soll. Dennoch waren die Informationen der Mitarbeiter der HVA für mich wichtig. Sie schätzten ein, daß Sie eine gute juristische Arbeit geleistet haben, sehr kooperativ auftraten und vor allem eine politisch positive Grundeinstellung zur DDR hatten. Das erste waer für mich wichtig, weil nur ein guter Anwalt, der sich für seine Mandanten einsetzt, von den Personen in Anspruch genommen wird, die für uns von besonderem Interesse waren. Die zweite Information war wichtig, weil bei einer anderen Einstellung zur DDR jeder Anwerbungsversuch von vornherein sinnlos gewesen wäre. Schon zu diesem Zeitpunkt stellt sich die Schwierigkeit heraus. Mein Vorschlag, einen IM-Vorlauf für Sie zu eröffnen, wurde nicht bestätigt. Nach meiner Erinnerung sprachen Ihr familiärer Hintergrund und Informationen über Sie dagegen. Mich überzeugten diese Gründe nicht. Ich fand es von unserer Aufgabenstellung her falsch, den Versuch zu unterlassen, eine so wichtige Quelle zu gewinnen. Aber selbstverständlich hielt ich mich an die Weisung meiner Vorgesetzten. Die Situation änderte sich, als Sie Rechtsanwalt von Robert Havemann wurden. Mein Interesse an Ihne bekam einen neuen Stellenwert, und deswegen leitete ich weitere Aufklärungsmaßnahmen ein, um zu irgendeinem Zeitpunkt der IM-Vorlauf zu eröffnen. Gleichzeitig habe ich mich entschlossen, Sie unter der Legende als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft aufzusuchen. Gespräche mit Ihnen waren schon in dieser Phase erforderlich, um zu testen, ob eine Anwerbung möglich ist. Auf der anderen Seite war für mich Vorsicht geboten, da ich keine Beschwerde durch Sie oder Ihren Vater riskieren wollte. Immerhin waren Sie Rechtsanwalt. Hinzu kam, daß wir vorhandene Quelle nicht gefährden durften. Für meine Arbeit gab es eine beachtliche Schwierigkeit. Ich stand unter großem Zeitdruck. Während ich selbst Monate, ja sogar Jahre Zeit bekam, um Werbungen vorzubereiten, wollte ich hier innerhalb kürzester Zeit eine Entscheidung herbeiführen. Den Grund dafür kann ich Ihnen nicht im Detail, aber im Prinzip erklären. Von der Tatsache, ob es gelang, Sie anzuwerben, hing für mich ab, ob andere Maßnahmen durchgeführt werden. Eine erfolgreiche Anwerbung Ihrer Person hätte bestimmte Maßnahmen ausgeschlossen, die im Falle des Nichterfolges aber dringend notwendig waren. Unsere Gespräche ergaben für mich mindestens sechs Ergebnisse, an die ich mich erinnere: 1. Bestätig hatte sich für mich die positive Grundeinstellung zu unserem Staat. 2. Den Prozeß gegen Bahro und die Maßnahmen gegen Havemann haben Sie nach mir zugetragenen Informationen aus verschiedenen Quellen politisch und juristisch sehr kritisch bewertet. 3. Sie haben sich nicht widersprochen, als ich sagte, daß es politisch Kräfte in der DDR gibt, die mit allen Mitteln versuchen, die DDR zu vernichten. 4. Zu einer engeren Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit waren Sie grundsätzlich bereit, wobei Sie die Hoffnung zum Ausdruck brachten, Ihrer Meinung nach falsche Maßnahmen und Prozesse dadurch verhindern zu können. 5. Sie waren auch einverstanden damit, solche Gespräche vertraulich zu führen. 6. Sie betonten mehrfach, unter keine Umständen zur Verletzung Ihrer Schweigepflicht bereit zu sein, was ich Ihnen gegenüber sofort akzeptierte. Der Verlauf der Gespräche rechtfertigte es noch nicht, mich als Mitarbeiter des MfS zu erkennen zu geben. Auf der anderen Seite sah ich durchaus Möglichkeiten, Sie als IM zu werden. Aus der Tatsache, daß Sie zu vertraulichen Gesprächen bereit waren, schloß ich auf die Möglichkeit, Sie evtl. für konspiratives Vorgehen gewinnen zu können. Das wirkliche Problem für mich bestand darin, daß Sie so stark betonten, keinesfalls Ihre Schweigepflicht zu verletzen. Außerdem hatte ich den Eindruck, daß Sie mir als Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft eine Legimitation zubilligten, die ich als Vertreter des MfS nicht so ohne weitres erwarten konnte. Ich beschreibe
das Ihnen alles so genau, weil Sie ansonsten mein weiteres Vorgehen
nicht verstehen können. So erklären sich die Übertreibungen in meiner Vorschlagsbegründung. Wenn ich nicht behauptet hätte, daß Sie mir schon wichtige Informationen geliefert hätten und zur Konspiration mit dem MfS bereit seien, hätte ich den Vorschlag gar nicht erst zu unterbreiten brauchen. (Einige Informationen hatten Sie mir tatsächlich geliefert, ohne daß Sie es vielleicht bemerkt haben. Sie waren allerdings ohne Wert für mich, da ich das bereits wusste.) Die damaligen Übertreibungen konnten auch niemanden schaden. Ich konnte nicht davon ausgehen, daß solche Dokumente irgendwann öffentlich gemacht werden. Obwohl mein Vorschlag nach meiner Auffassung gut begründet war, wurde er zu meinem Erstaunen abgelehnt, da die Aufklärungsergebnisse mangelhaft und widersprüchlich waren und Probleme durch Ihren Vater befürchtet wurden. Ich war ziemlich enttäuscht und habe es auch nicht verstanden. Vielleicht haben meine Vorgesetzten schon damals, d.h. 1980, Informationen über Sie gehabt, die meiner Absicht entgegenstanden. Mir gegenüber wurde es damals nicht näher erläutert, aber wiederum auf Ihren familiären Hintergrund hingewiesen. Gespräche mit Ihnen waren mir seit diesem Zeitpunkt untersagt. Und nun beging ich einen Fehler, der später unangenehme Konsequenzen für mich haben sollte. Ich hoffte, daß sich die Meinung meiner Vorgesetzten noch einmal ändern würde, und schloß deshalb Ihren IM-Vorlauf in meinen Panzerschrank ein, ohne sie ordnungsgemäß zu beenden und archivieren zu lassen. Nach einigen Jahren hatten sich bei uns Aufklärungsergebnisse durch andere und durch unsere eigene Abteilung angehäuft, die eine OPK dringend erforderlich machten. Mein Abteilungsleiter fühlte sich in seinen früheren Auffassungen bestätigt, während meine Meinung als widerlegt betrachtet wurde. Zunehmend lagen uns Erkenntnisse vor, daß zu politisch-feindlichen Kräften privaten Kontakt über Ihre anwaltliche Tätigkeit hinaus unterhielten. Sie berieten solche Kräfte eindeutig gegen uns. Sie sprachen mit vielen westlichen Korrespondenten und Mitarbeitern der ständigen Vertretung der BRD, ohne das Justizministerium auch nur zu unterrichten. Außerdem äußerten Sie sich nicht öffentlich, zum Teil aber sogar öffentlich gegen Ermittlungsmethoden der Untersuchungsorgane und die Zustände in den Haftanstalten. Operativ bedeutsam waren Ihre Kontakte, z.B., zu westlichen Korrespondenten, von denen nach inoffiziellen Hinweisen zum Teil auch Geheimdienstverbindungen unterhalten wurden. Deswegen wurde gegen Sie 1986 unter dem Decknamen "Sputnik" eine OPK eröffnet. Dabei stellte such dann heraus, daß0 die IM-Vorlaufakte von mir nicht abgelegt worden war. Das hatte disziplinarische Auseinandersetzungen zur Folge. Dadurch erklär sich aber, dass der Abschlussbericht erst 1986 geschrieben wird. Bei der Begründung mußte ich einerseits meinen Vorschlag von 1980 berücksichtigen und andererseits erklären, weshalb die Anwerbung sinnlos ist. So erklären
sich die Formulierungen in in diesem Bericht. Daten können ungenau sein,
da ich diese nach sechs Jahren auch nicht mehr genau wußte. Als Sie dann im Dezember 1989 zum Vorsitzenden der SED gewählt wurden, wurden wir in Bezug auf Ihre Person zusätzlich verunsichert. Obwohl ich mit Ihrer Politik seitdem nicht immer einverstanden bin, räume ich diesen Irrtum ein. (Entgegen auch der von Ihnen aufgestellten Behauptung, haben wir nie Andersdenkende verfolgt, sondern Straftäter. In vielen Fällen haben wir solche Verdachtsmomente auch beseitigen können, darüber spricht niemand. "Opfer" zeigen nur Ausschnitte aus Ihren Akten, nicht aber das, was sie belastete und unsere Maßnahmen rechtfertigte. Enttäuscht war ich auch über Ihre Zustimmung in der Volkskammer zur Rentenkürzung von uns. Trotzdem respektiere ich SDie wegen Ihres Mutes und weil sie kein "Wendehals" sind.) Auf jeden Fall konnte die Akte über die OPK "Sputnik" nicht bleiben, nachdem Sie Vorsitzender der SED geworden waren. Aus unserer Sicht hätten Sie unser höchster Vorgesetzter werden können. Sicherlich verstehen Sie, daß wir uns unter diesen Umständen nicht nachweisen lassen wollten, wie umfangreich wir Sie kontrolliert hatten, deshalb wurde die OPK "Sputnik" vernichtet. Nun muß ich Ihnen sicherlich noch den Vorgang "Notar" erklären: Nachdem Ihre Werbung untersagt worden ist, an eine OPK damals noch gar nicht gedacht wurde, stand die Frage, wie Informationen über Sie und Ihre berufliche Tätigkeit erfaßt werden sollen. Ich entschied, eine Akte mit dem Decknamen "Notar" anzulegen. (Der Deckname entsprach meinem ursprünglichen Vorschlag.) Es handelte sich um eine nicht registrierte Materialsammlung aus unterschiedlichen Quellen, wie z.B. IM der eigenen und von anderen Diensteinheiten, Mitabeitern von Parteien und Justizorganen, der Volkspolizei, dem Untersuchungsorgan sowie Informationen aus technischen Überwachungsmaßnahmen u.a. Einige Materialien, insbesondere IM-Berichte, müßte sich auch in den jeweiligen IM-Akten befinden. Wobei es sich nicht nur um IM handelte, die von unserer Abteilung geführt wurden. Wenn aus dieser Akte Notar Informationen in andere Akten übernommen werden sollten, stand für mich die Frage ihrer Konspirierung. Deshalb wurden diese Informationen unter einem fiktiven IM "Notar" abgefaßt. Diese Arbeitsweise war zur Quellesicherung sowohl möglich als auch statthaft. Damit erhöhte sich die Konspiration, so daß auch andere Mitarbeiter die Herkunft der Information nicht kennen konnten. Zu Abhörmaßnahmen, deren Zeitpunkt und Umfang kann ich keine Aussagen treffen, nur daß es sie gab. Die IM-Berichte in der Akte "Nptar" stammen von verschiedenen Personen. Nicht immer bestand ein direkter Bezug zu Ihnen. Sie hatten auch Mandanten bzw. Gesprächspartner, die uns oder andere Abteilungen direkt über Gespräche mit Ihnen informierten. Es wird Sie sicherlich nicht überraschen, daß Sie auch Mandanten hatten, die nicht nur Strfataten begingen, sondern auch unsere IM waren. Informationen bekamen wir auch von IM, die mit Ihren Mandanten oder Gesprächspartnern bekannt oder gar befreundet waren. Natürlich gab es auch IM in Ihrem persönlichen und beruflichen Umfeld. Nicht in allen Fällen kenn ich die Klarnamen. Soweit ich sie kenn, werde ich sie unter keinen Umständen preisgeben; das habe ich bereits begründet. In die OPK
"Sputnik" sind die überwiegenden Informationen aus der Materialsammlung
"Notar" eingegangen. Wie bereits angeführt wurde diese vernichtet. Ich weiß, in welche schwierige Situation ich Sie gebracht habe, aber ich hoffe, durch meinen Bericht vieles für Sie klarer gemacht zu haben. Das war sicherlich das Mindeste, was ich tun konnte und mußte. Abschließend möchte ich darum bitten, diesen bericht als persönliches Schreiben für Sie zu betrachten. Für evtl. noch erforderliche Rücksprachen bin ich bereit. gez. Lohr
______________________________________________________________________________ DIE ZEIT 1998 Worte der Woche"Es wäre schon ein schlechter Witz, wenn dem Verfassungsgericht gelänge, was ich nicht geschafft habe, nämlich Gregor Gysi zum IM zu machen." Günter Lohr, ehemaliger Oberstleutnant der DDR-Staatssicherheit, zur Verfassungsklage des PDS-Abgeordneten Gysi gegen die Feststellung des Bundestags-Immunitätsausschusses, er sei IM gewesen. ______________________________________________________________________________ Brüder, Feinde und ErinnerungslückenZur Frage, ob Gregor Gysi „IM Notar“ war, fällt dem früheren Stasi-Offizier Lohr vor Gericht wenig einHamburg - Manchmal zieht Günter Lohr die Schultern hoch, so als packe
ihn die eisige Winterluft, die draußen vor dem Landgericht pfeift. Es
scheint, als wolle er sich kurz wegducken. Seit zwei Stunden wird Lohr,
vor der Wende jahrelang stellvertretender Leiter der Hauptabteilung XX/9
des MfS, mit immer neuen Dokumenten konfrontiert. Dabei geht es gar
nicht um Lohr, sondern nur um eine seiner besten Quellen beim Kampf
gegen die DDR-Opposition: „IM Notar“. War dieser IM der Rechtsanwalt und
frühere PDS-Spitzenpolitiker Gregor Gysi? Die oberste Stasi-Aufklärerin
der Republik, Marianne Birthler, vertritt die Auffassung, dass Gysi sich
wie ein IM verhalten habe. In dem Verfahren vor der 24. Zivilkammer geht
es nun darum, ob und wie die „Berliner Morgenpost“ und das ARD-Magazin
„Kontraste“ Frau Birthler mit dieser Einschätzung zitieren dürfen. Gysi hatte sie deshalb verklagt. In der Beweisaufnahme steht deshalb
im Mittelpunkt, wer „IM Notar“ wirklich war und was er getan hat.
Dahinter die Frage, ob Gysi sich wie ein IM verhalten hat: Hat er Anfang
der achtziger Jahre konspirativ gearbeitet, vom MfS Aufträge angenommen
und ausgeführt? Günter Lohr könnte dazu sicher einiges sagen. Er
koordinierte die „vorbeugende Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung
politischer Untergrundtätigkeit“ an leitender Stelle mit. Die Aktionen
des Regimes gegen den Oppositionellen Robert Havemann lagen in seinen
Händen. Jetzt mag er sich jedoch an nichts mehr zu erinnern, zumindest,
was bisher bekannte Sachverhalte anbetrifft. „Ich habe keine konkrete
Erinnerung“, so seine Formel. Dabei naht doch Hilfe. Die Anwälte der beklagten Medien haben sieben
neue Beweismittel herangeschafft. So belegen Treffberichte,
Observations- und Abhörprotokolle detailliert, wie Maßnahmen, die Lohr
mit „IM Notar“ in einer konspirativen Wohnung abgesprochen hatte,
innerhalb weniger Tage nahezu wörtlich umgesetzt wurden: Absprache mit
„IM Notar“, Havemann zu treffen. Abschließend Bericht des „IM Notar“ an
die Stasi. Dazwischen, wie zufällig, die telefonische Ankündigung eines
Treffens durch Gysi, schließlich das Treffen selbst. Das hat alles
nichts miteinander zu tun? Selbst angesichts dieser Ereigniskette bleibt
Lohr bei der Darstellung, „IM Notar“ sei eine Art Sammelakte für alle
möglichen Quellen, auf keinen Fall aber für Gregor Gysi gewesen. Selbst
ein Stasi-eigenes Foto des Hochhauses in der Berliner Schillingstraße,
in dem die konspirative Wohnung von „Ellen“ lag, ein Grundriss gar –
nichts kann der Erinnerung des früheren Oberstleutnants des MfS auf die
Sprünge helfen. Seine Erinnerungslücken mögen zusammenhängen mit seiner
Sicht der Dinge. Der 1930 geborene Lohr, den man, wenn Gysi denn eindeutig als „IM
Notar“ zu bestimmen wäre, als Führungsoffizier des wortgewaltigen
Anwalts bezeichnen könnte, trägt eine persönliche Erklärung vor. Sie
handelt von „Brüdern“ und „Feinden“, von der „Verlogenheit der Politik“
und von „Schreiberlingen“. Es ist die Lyrik jener Altherren-Corps des
MfS, die noch heute im östlichen Teil Berlins die Geschichtsschreibung
ihres früheren Arbeitgebers besorgen. Partielle Erinnerungsfähigkeit ist
eine ihrer Grunddisziplinen. „Für mich war Gysi keine Hauptperson“, ist
so ein Satz, der nichts sagt. Erst recht aus dem Munde eines früheren
MfS-Oberstleutnants, der heute nicht einmal mehr weiß, wen er in einer
bestimmten Wohnung – die Akte vermerkt „laufende Nutzung durch Lohr“ –
konspirativ getroffen hat. Der die vorgelegte Handschrift seines
früheren Chefs nicht erkennt, ja selbst seine eigene nur widerstrebend.
Immer dichter werden die Dokumente, die Lohrs Darstellung von der
„Sammelbezeichnung IM Notar“ ins Wanken bringen. So wird ihm ein
Diagramm vorgehalten, erstellt in Lohrs Hauptabteilung, offenbar von
seinem Chef. Darauf sind rund zwanzig IMs und ihre Funktion zu dem
bekämpften Havemann eingezeichnet. Alle sind als natürliche Personen
identifiziert – nur bei „IM Notar“ soll das anders gewesen sein? Es ist
wie im Kino. Dort war gerade Lohrs Rechtsanwalt, der selbst Erfahrung
mit der MfS-Thematik gesammelt hat, und hat sich den neuen James Bond
angesehen. Und der Kenner ärgert sich. Dieser Film sei ja „nur noch
Klamauk“. Lohr lächelt. Artikel erschienen am Di, 10. Dezember 2002, Die Welt
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