Pressedienst: Nummer 28 vom 09. Juli 1998
Nur eine Bitte:
Entscheiden Sie in der Sache
Erklärung von Gregor
Gysi vor dem Bundesverfassungsgericht am 30.6.98
Erklärung von Gregor
Gysi vor dem Bundesverfassungsgericht am 30.6.98
Hoher Senat, gestatten Sie mir, daß ich mich selbst äußere.
Ich weiß, wie kompliziert es gerade für einen Anwalt ist, in eigener
Sache Stellung zu nehmen. Man begeht alle Fehler, die man sonst den
Mandanten vorwirft, das heißt, man äußert sich zu Fragen, die letztlich
für eine Entscheidung nicht relevant sind, weil man selber von einem
Lebenssachverhalt ausgeht, und nicht beachtet, in welchen Grenzen dieser
für ein Gericht von Bedeutung ist. Sicherlich wird es mir auch nicht
gelingen, diesen Fehler zu vermeiden. Ich will aber kurz etwas zu jenen
Mandatsverhältnissen sagen, bei denen mir der 1. Ausschuß des Deutschen
Bundestages eine inoffizielle Zusammenarbeit mit dem MfS unterstellt.
Beginnen möchte ich mit Robert Havemann. Die Vertretung von Robert
Havemann übernahm ich 1979 in einer äußerst angespannten Situation.
Robert Havemann wurde bis dahin durch Rechtsanwalt Dr. Götz Berger
vertreten. Aufgrund der Art und Weise, wie Götz Berger Robert Havemann
und andere vertrat, wurde ihm durch den Minister der Justiz die
Zulassung als Rechtsanwalt entzogen. Meines Wissens gab es in der
Geschichte der DDR nur zwei Fälle, in denen das geschah. Ausschlüsse
oblagen sonst den Kollegien der Rechtsanwälte selbst. Der Justizminister
hat es darauf aber nicht ankommen lassen und machte deshalb von seinem
gesetzlichen Ausnahmerecht Gebrauch. Klar war das Signal an alle
Rechtsanwälte und damit auch an mich, bestimmte politische Grenzen bei
der Vertretung solcher Mandanten nicht zu überschreiten, wenn man seine
Zulassung nicht verlieren wollte. Und ich räume durchaus ein, daß ich
meine Zulassung nicht verlieren wollte.
Ich kann dennoch von mir behaupten, das mir in der DDR unter den konkret
gegebenen Umständen Mögliche für Robert Havemann versucht und getan zu
haben. Ich glaube, daß er dies auch bestätigt hätte, so wie seine
Kinder, wenn er nach der Wende noch am Leben gewesen wäre. Robert
Havemann war in den 50er Jahren ein in der DDR anerkannter
Wissenschaftler und Funktionär. Er war Mitglied der Volkskammer, Träger
zahlreicher staatlicher Auszeichnungen. Nachdem er sich politisch von
der SED abgesetzt hatte, fiel er in Ungnade und avancierte Schritt für
Schritt aus der Sicht der SED-Führung zum Staatsfeind Nummer 1. Als ich
seine Vertretung übernahm, hatte er noch Hausarrest, durfte also sein
Grundstück nicht verlassen. Er war gerade vom Kreisgericht in
Fürstenwalde wegen des Vorwurfes des Devisenvergehens zu einer
Geldstrafe von 10.000 verurteilt worden.
Ich habe die Berufung in einer Art und Weise gefertigt, daß Robert
Havemann von seiner Absicht Abstand nahm, sie selbstständig zu ergänzen.
Er fand sie in jeder Hinsicht ausreichend und überzeugend. Es gibt keine
einzige Unterlage, wonach ich diese Berufungsschrift mit irgendjemand
abgestimmt hätte. Wer die DDR kennt, weiß, daß es solche Abstimmungen
auch nicht geben konnte. Denn niemand wäre bereit gewesen, die
Verantwortung oder Mitverantwortung für einen Schriftsatz zu übernehmen,
bei dem nicht klar war, wie er von den politisch Verantwortlichen
aufgenommen werden würde. Die Berufung wurde vom Bezirksgericht
Frankfurt/Oder zurückgewiesen. Im vor kurzem erstinstanzlich
abgeschlossenen Rechtsbeugungsverfahren gegen die Richter des
Bezirksgerichtes Frankfurt/Oder wegen dieses Verfahrens stützte sich die
Staatsanwaltschaft unter anderem auf meine damalige Berufungsbegründung.
Sie warf den Richtern vor, die Argumente rechtsbeugend unbeachtet
gelassen zu haben. Auf jeden Fall hätte mit der Berufung und einem
Antrag auf Freigabe beschlagnahmter Güter meine Tätigkeit für Robert
Havemann beendet sein können.
Bis zu diesem Zeitpunkt gibt es keine einzige Unterlage des
Bundesbeauftragten, die auf ein Zusammenwirken zwischen dem MfS und mir
in bezug auf Robert Havemann auch nur hindeutet.
Wenn anschließend der Kontakt zwischen Robert Havemann und mir
regelmäßig stattfand, dann entsprach dies seinem Wunsch. Anders wäre es
auch gar nicht gegangen. Denn gegen seinen Willen hätte ich solche
Kontakte nicht pflegen können. Worin bestand anschließend meine Aufgabe?
Robert Havemann hatte keine einzige Verbindung mehr zur Partei- und
Staatsführung in der DDR. Das war ihm keinesfalls angenehm. Er nahm für
sich das Recht in Anspruch, die Partei- und Staatsführung der DDR scharf
zu kritisieren. Es ist aber bekannt, daß er gleichzeitig bis zu seinem
Tode die Auffassung vertrat, daß die DDR im Vergleich zur Bundesrepublik
Deutschland der bessere deutsche Staat sei. Deshalb hatte er auch nie
die Absicht, die DDR zu verlassen. Aus seiner Sicht wollte er ihr
helfen. Er war und blieb ja Kommunist, aber ein kritischer und
demokratischer. Gleichzeitig registrierte er international Zuspitzungen,
die ihn besorgten. Und so entstand für ihn die Frage, ob über mich ein
Kontakt zur Parteiführung wieder herstellbar sei. Das Ziel für ihn
bestand darin, gegenseitig Verhaltensweisen und Reaktionen
kalkulierbarer zu machen, auch das Bild, das über ihn herrschte,
wenigstens leicht zu korrigieren. Da ich bei einem Gespräch mit einem
Mitarbeiter der Abteilung Staat und Recht des ZK der SED feststellen
konnte, daß auch dort ein Interesse an einem indirekten Kontakt bestand,
habe ich mich bereit gefunden, diese Funktion zu übernehmen, die
eigentlich keine anwaltliche ist. Aber was wäre mir nach der Wende alles
vorgeworfen worden, wenn ich mich diesbezüglich verweigert hätte? Die
Ergebnisse sprechen letztlich für sich.
Seit diesem Zeitpunkt gab es - von einem einzigen Tag abgesehen - keinen
Hausarrest mehr für Robert Havemann. Die eine Ausnahme bezog sich auf
ein geplantes Treffen zwischen Rudolf Bahro und Robert Havemann, als man
Robert Havemann untersagte, zu diesem Treffen zu fahren. Seit diesem
Zeitpunkt wurde kein Ordnungsstrafverfahren gegen Robert Havemann mehr
durchgeführt, erst recht kein Strafverfahren. Solche Verfahren wären
möglich gewesen, wenn die SED-Führung es gewollt hätte. Robert Havemann
hat auch nach dem ersten Strafverfahren noch Bücher im Westen
veröffentlicht. Es hätte also erneut unterstellt werden können, daß er
ohne Genehmigung einen Vertrag geschlossen und damit einen sogenannten
ungenehmigten Devisenwertumlauf in Gang gesetzt habe. Man hätte also das
erste Strafverfahren desöfteren wiederholen können. Außerdem standen in
seinen Büchern Äußerungen, die es, den entsprechenden Willen
vorausgesetzt, immer ermöglicht hätten, Strafverfahren wegen
öffentlicher Herabwürdigung oder staatsfeindlicher Hetze durchzuführen.
Ein wichtiger Nebeneffekt des Ausbleibens von Ordnungsstraf- und
Strafverfahren bestand für Robert Havemann darin, daß es seit diesem
Zeitpunkt keine Beschlagnahmen in seiner Wohnung gab, ihm also
Unterlagen und Bücher nicht mehr weggenommen wurden. Diese Entkrampfung
führte auch dazu, daß Robert Havemann zum 35. Jahrestag der Befreiung
des Zuchthauses Brandenburg 1980 eingeladen wurde und dort neben Erich
Honecker und anderen als Ehrengast teilnehmen konnte. Ein Vorgang, der
noch einige Jahre vorher völlig undenkbar gewesen wäre. Für all das mag
es verschiedene Gründe gegeben haben, aber meine Vermittlungsrolle hatte
ihren Anteil daran.
Deshalb erklärten die Kinder von Robert Havemann, daß er ihnen gesagt
habe, daß er so zufrieden sei, daß ich diesen Kontakt hergestellt habe.
Und ich habe dem Ausschuß auch Unterlagen des Bundesbeauftragten
überreicht, aus denen sich ergibt, daß Robert Havemann genau dies
gewürdigt hat und darin auch den Sinn der Kontakte zu mir sah.
Die Zahl der Gespräche, auch über politische Vorgänge in Polen oder in
der Sowjetunion, ließen sich anders auch nicht erklären, denn sie hatten
regelmäßig nichts mit Anwaltsaufträgen im eigentlichen Sinne zu tun.
Wenn allerdings neue Schikanen gegen Robert Havemann geplant waren,
wurde ich als Anwalt aktiv und habe gekämpft.
Ich möchte nur daran erinnern, daß sich aus den Unterlagen des
Bundesbeauftragten ergibt, daß das MfS ganz erpicht darauf war, ein
Holzhaus auf dem Grundstück von Robert Havemann in Besitz zu bekommen.
Ein IM des MfS sollte dieses Holzhaus von der geschiedenen Ehefrau von
Robert Havemann abkaufen und es dann nutzen. Das MfS erhoffte sich
offenkundig, die Observation von Robert Havemann auf diese Art und Weise
intensivieren zu können. Als ich dagegen bei der Abteilung Staat und
Recht des ZK der SED vorsprach, fand ich kein Gehör.
Es hat mich dennoch nicht daran gehindert, aktiv gegen das leicht zu
durchschauende Spiel vorzugehen. Nicht etwa Robert Havemann, sondern ich
war der erste, der den Verdacht äußerte, daß letztlich das MfS ein
Interesse an dem Holzhaus haben könnte. Robert Havemann vermutete
zunächst ganz andere Zusammenhänge. Auf jeden Fall habe ich im Rahmen
der in der DDR bestehenden Möglichkeiten alles getan, um zu verhindern,
daß ein Dritter das Holzhaus auf dem Grundstück von Robert Havemann
nutzen kann. Und tatsächlich ist es auch zu keinem Zeitpunkt zu einer
solchen Nutzung gekommen. Die Umsetzung des Zieles des MfS wurde
verhindert.
Auf der anderen Seite war es natürlich auch für Robert Havemann wichtig,
von mir zu erfahren, mit welchen Verhaltensweisen er Grenzen
überschreiten und Repressionen gegen sich veranlassen könnte. Es war
dann immer noch seine Entscheidung, ob er die Grenzen einhält oder
nicht. Aber es ist doch für einen Betroffenen nicht unwichtig, sie zu
kennen. Und insgesamt kann man wohl feststellen, daß sich Robert
Havemanns Verhalten seit meiner Vertretung im Vergleich zu den Jahren
zuvor nicht wesentlich geändert hat. Dennoch, es wurden gegenseitig
bestimmte Grenzen nicht mehr überschritten und das erleichterte sein
Leben maßgeblich. Was also, so frage ich Sie, muß ich mir an der
Vertretung von Robert Havemann vorwerfen lassen?
Der Ausschuß behauptet, daß ich die DDR vor meinen Mandanten geschützt
habe. Er kann nicht einen einzigen Umstand in bezug auf Robert Havemann
nennen, der diese Aussage rechtfertigt. Der Ausschuß behauptet, daß das
MfS auf meine Informationen dringend angewiesen gewesen sei, um seine
Zersetzungsstrategien umsetzen zu können. Selbst im Rahmen seiner
Unterstellungen kann der Ausschuß nicht eine angeblich von mir an das
MfS übermittelte Information benennen, die für das MfS bei der Umsetzung
von Zersetzungsstrategien gegenüber Robert Havemann wichtig gewesen
wäre. Der Ausschuß behauptet, daß meine Einbindung der Unterdrückung der
demokratischen Opposition gedient habe, kann aber keine einzige
Information oder Maßnahme nennen, die man in einen solchen Zusammenhang
stellen könnte.
Der Ausschuß unterstellt mir auch im Zusammenhang mit Rudolf Bahro ein
Zusammenwirken mit dem MfS. Ich könnte es mir leicht machen und allein
auf die Erklärung von Rudolf Bahro verweisen. Er war auch nach Einsicht
in die Unterlagen des Bundesbeauftragten nachträglich mit meiner Arbeit
zufrieden. Er sah keinen Fall von Mandantenverrat und hätte also die
Zusammenfassung des Ausschusses niemals geteilt. Auch bei ihm gab es
kein Zusammenwirken von mir mit dem MfS, sondern Gespräche mit der
Abteilung Staat und Recht des ZK der SED. Das war letztlich auch viel
wirksamer, weil die führende Rolle in Staat und Gesellschaft bei der SED
und nicht beim MfS lag. Bei ihm war allerdings die Situation besonders
kompliziert:
Als ich die Vertretung von Rudolf Bahro im Ermittlungsverfahren
übernahm, saß er bereits in Untersuchungshaft. Die Entscheidung war
offenkundig gefällt, ihn zu verurteilen, wie es dann auch geschehen ist.
Hätte der Ausschuß je einen Blick in die Strafakte geworfen, so hätte er
feststellen können, daß ich das mir Mögliche im Ermittlungsverfahren, in
der Hauptverhandlung und auch im Berufungsverfahren getan habe, um einen
Freispruch für Rudolf Bahro, wenigstens eine geringere Strafe, zu
erreichen. Im Rahmen des Strafverfahrens war mein Erfolg sehr begrenzt,
abgesehen davon, daß das Stadtgericht Berlin ein wenig den Strafantrag
der Staatsanwaltschaft unterschritt, was damals noch ungewöhnlich war.
Rudolf Bahro wurde rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von
acht Jahren verurteilt. Ich hätte auch hier meine Tätigkeit zu diesem
Zeitpunkt unterbrechen können. Nach der Strafprozeßordnung der DDR
durfte eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung bei einer
Freiheitsstrafe von acht Jahren frühestens nach Verbüßung der Hälfte der
Strafe stattfinden. Ich hätte also Rudolf Bahro erklären können, daß ich
mich kurz vor Ablauf der Vierjahresfrist bei ihm melde, um beim Gericht
eine Strafaussetzung auf Bewährung zu beantragen. Meine juristische
Tätigkeit wäre abgeschlossen gewesen. Rudolf Bahro wollte dies nicht. Er
suchte über mich den Kontakt zur Außenwelt. Durch mich hat er, wie sich
auch aus den Unterlagen des Bundesbeauftragten ergibt, zum Beispiel
erfahren, daß seine Kassiber im Nachrichtenmagazin "SPIEGEL"
veröffentlicht worden waren. Durch mich behielt er einen Kontakt zur
Parteiführung.
Rudolf Bahro hatte sich nach seiner Verurteilung noch in der
Untersuchungshaftanstalt entschlossen, einen Antrag auf Ausreise in die
Bundesrepublik Deutschland nach der Haftentlassung zu stellen. Ihm und
mir war klar, daß das eine Art Entgegenkommen an die Parteiführung war,
die ihn loswerden wollte. Andererseits fürchtete die Parteiführung aber
auch, daß Rudolf Bahro im Falle einer Ausreise zu einem wichtigen
Propagandisten gegen sie werden könnte. Ich mußte deshalb den
Mitarbeitern in der Abteilung Staat und Recht des ZK der SED deutlich
machen, daß sie sich in Rudolf Bahro irren, daß er sich auf diese Art
und Weise nicht instrumentalisieren lasse. Nur so konnte ein Interesse
bei der Parteiführung geweckt werden, Rudolf Bahro möglichst schnell aus
dem Strafvollzug und in die Bundesrepublik Deutschland zu entlassen.
Denn natürlich, das war deutlich zu spüren, störte die Parteiführung
schon, daß sie regelmäßig von westlichen Politikern auf das Schicksal
von Rudolf Bahro angesprochen wurde, sie störte das Solidaritätskomitee
in der BRD etc. Die Kunst der Vermittlung bestand also darin, die
jeweilige Interessenlage nicht unberücksichtigt zu lassen, dabei aber in
erster Linie die Interessen des eigenen Mandanten zu vertreten.
Und noch eins war mir in dieser Zeit klar: Die Parteiführung hätte es
als "Gesichtsverlust" empfunden, hätte sie Rudolf Bahro durch Korrektur
des Urteiles oder im Gnadenwege entlassen. Zur damaligen Zeit war sie
überhaupt nicht bereit, einen solchen vermeintlichen Gesichtsverlust
hinzunehmen. Und so machte ich in einem Gespräch den Vorschlag, die
Frage einer Amnestie zum Jahrestag der DDR zu prüfen. Unter diese
Amnestie könnte eben auch Rudolf Bahro fallen. Damit gäbe es keinen
Einzelakt in bezug auf seine Person, es würde also kein Gesichtsverlust
stattfinden, dennoch wäre das Ziel erreicht, Rudolf Bahro aus dem
Strafvollzug zu entlassen. Und genau so ist es dann geschehen.
Auch während der Haft waren Aktivitäten erforderlich. Rudolf Bahro hatte
bekanntlich zwei Kassiber in den Westen geschmuggelt. Seine
Haftbedingungen wurden erheblich erschwert. Vor allem litt er darunter,
daß er nicht mehr arbeiten konnte. Er wollte unbedingt eine
Schreibmaschine haben, um Manuskripte zu fertigen. Außerdem brauchte er
Bücher, bestimmte Zeitungen und einen Schallplattenspieler, letzteres,
weil er die Zeit des Strafvollzuges nutzen wollte, um weitere
Fremdsprachen zu erlernen. All das gab es im Strafvollzug der DDR nicht
und wurde auch ihm verwehrt. Aber um all das habe ich gekämpft.
Tatsächlich bekam er eine Schreibmaschine, einen Schallplattenspieler
und auch mehrere Bücher, bei den Zeitungen war ich erfolglos. Und was
ist so schlimm daran, wenn ich in einem Gespräch einen Mitarbeiter des
ZK der SED damit lockte, daß eine Schreibmaschine Stifte ersetze und das
Schreiben weiterer Kassiber erschwere? Es war mein Bestreben und mein
Auftrag, Rudolf Bahros Wünsche durchsetzen zu helfen, und dafür alle
geeigneten Argumente vorzubringen. Und es war im übrigen sein eigenes
Angebot, daß er auf weitere Kassiber verzichte, wenn die Haftbedingungen
sich entsprechend verbesserten. Anders wäre in der DDR nichts zu
erreichen gewesen. Es gab doch in bezug auf Rudolf Bahro eine klare
Antihaltung und kein Wohlwollen. Also mußte ich versuchen, über den
Mitarbeiter der Abteilung Staat und Recht des ZK der SED der
Parteiführung zu erklären, daß ein Entgegenkommen auch für sie von
Vorteil sein könnte. Ich weiß auch im Nachhinein nicht, weshalb ich mir
ein solches Verhalten vorwerfen lassen muß. Auch hier meine Frage,
wodurch habe ich die DDR vor Rudolf Bahro geschützt, an welcher
Zersetzungsstrategie gegen ihn habe ich wie mitgewirkt, mit welcher
Handlung habe ich ihn unterdrückt?
Als Rudolf Bahro in der BRD lebte, blieben wir in Kontakt. Weshalb soll
ich mir vorwerfen lassen, ihm in dieser Zeit geholfen zu haben, den
Vorwurf der Denunziation eines Mithäftlings, der in westlichen Medien
verbreitet wurde, zu widerlegen?
Der Ausschuß stützt seine Feststellung weiter auf das Mandatsverhältnis
mit Ulrike und Gerd Poppe. Die Vertretung von Ulrike Poppe übernahm ich,
als sie sich in Untersuchungshaft befand. Gerd Poppe besuchte mich als
ihr Angehöriger, nicht als Mandant. Ihn selbst habe ich nur ein Mal
vertreten, und zwar im Rahmen eines Ordnungsstrafverfahrens.
Diesbezüglich gibt es allerdings nicht einmal Anschuldigungen des
Ausschusses. Das Verfahren gegen Ulrike Poppe wurde eingestellt und sie
wurde aus der Untersuchungshaft entlassen. Es hat nach diesem Zeitpunkt
keine weiteren Strafverfahren oder Ordnungsstrafverfahren gegen sie mehr
gegeben. Darf ich meine Frage von vorhin wiederholen, wie ich die DDR
vor Ulrike Poppe schützte, wie ich sie unterdrückte oder an ihrer
Zersetzung mitwirkte?Der Ausschuß stützt seine Feststellung darüber
hinaus auf ein Mandatsverhältnis mit Herrn Dötterl. Herr Dötterl war
Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Er drehte Serienfilme für das
Fernsehen der DDR, in denen der Alltag im Westen so dargestellt wurde,
daß er Bürgerinnen und Bürger der DDR von der Sehnsucht nach dem Westen
befreien sollte. Er genoß zahlreiche Privilegien in der DDR. Aber
irgendwann kam es zwischen ihm und den verschiedensten Organen in der
DDR zum Konflikt, darunter auch zu den Sicherheitsorganen. In dieser
Zeit bat er mich um Vertretung und ich habe, wie es sich auch aus den
Unterlagen des Bundesbeauftragten ergibt, nicht nur mit dem Fernsehen
der DDR, sondern auch mit der Abteilung Staat und Recht des ZK der SED
verhandelt. Letztlich konnten Kompromisse erzielt werden, die für ihn
nicht sehr befriedigend waren. Aber für irgendwelche Kontakte zu
Geheimdiensten hätte er mich zweifellos als Letzter benötigt. Auch hier
beschreibt der Ausschuß in dem, was er unrichtiger Weise als erwiesen
ausgibt, nichts, was seine Zusammenfassung rechtfertigen würde.
Schließlich stützt der Ausschuß seine Feststellung noch auf ein Gespräch
zwischen einem "SPIEGEL"-Korrespondenten in der DDR und mir bei einem
Empfang in Ostberlin. Über dieses Gespräch gibt es eine Information an
das MfS und der Ausschuß unterstellt, daß sie von mir dorthin gelangt
sei. Diese Unterstellung ist zumindest verwunderlich, denn weder Herr
Schwarz noch ich gingen davon aus, daß ein solches Gespräch bei einem
dicht gedrängten Empfang dem MfS verborgen bleiben würde. Aber weshalb
der Ausschuß meint, daß gerade ich der Informant gewesen sein müsse,
bleibt sein Geheimnis.
Zu keinem Zeitpunkt habe ich mit irgendeiner Abteilung des Ministeriums
für Staatssicherheit der DDR inoffiziell zusammengearbeitet. Die
gegenteilige Behauptung des Ausschusses ist falsch. Abgesehen davon, daß
ich dies nicht getan hätte, war es auch nicht nötig. Dort, wo es
besonders wichtig war, stand mir der Weg zur Abteilung Staat und Recht
des ZK der SED offen. Die SED war dem MfS übergeordnet und liebte keine
Parallelbeziehungen. Sie entschied, ob sie Informationen von mir
weiterleitete und an wen. Hätte ich tatsächlich eine parallele Beziehung
zum MfS aufgebaut, hätte ich meine Beziehung zum ZK der SED gefährdet.
Es gab aber nur wenige Mandate, bei denen ich überhaupt die Möglichkeit
hatte, mit einem Mitarbeiter der Abteilung Staat und Recht des ZK der
SED zu sprechen. In den meisten Fällen wäre dort niemand dazu bereit
gewesen. In solchen Fällen hätten mir aber auch Kontakte zum MfS nichts
genutzt. Niemand hat sich bisher gefragt, warum es zum Beispiel bei Lutz
Rathenow und Rainer Eppelmann keine Informationen gibt, bei denen der
Bundesbeauftragte auch nur vermuten kann, daß sie von mir kämen, obwohl
beide meine Mandanten waren und das MfS zu ihnen umfangreiche Akten
anlegte. In beiden Fällen hatte ich auch keinen Kontakt zum ZK der SED.
Meine Tätigkeit reduzierte sich im wesentlichen auf Schriftsätze und
Gespräche mit den eigenen Mandanten.
Wäre ich derjenige gewesen, für den der Ausschuß mich hält, dann wäre es
unerklärlich, daß es bei solchen Mandanten keine Informationen durch
mich gegeben haben soll. Das gilt für weitere Mandanten wie Jutta
Braband und Thomas Klein, für mehr als 100 Ausreisewillige, die ich
vertrat. Der Ausschuß kann auch nicht erklären, weshalb es bei
Gesprächen, die ich mit meinen Mandanten außerhalb meiner Büroräume und
außerhalb des Hauses von Robert Havemann führte, keine Informationen
gibt, bei denen auch nur ein Verdacht auf mich fällt. Der Ausschuß setzt
sich nicht damit auseinander, daß eine andere Diensteinheit und auch die
HA XX/OG bzw. HA XX/9 unabhängig von mir eine Quelle in meinem Büro
hatte. Weiter versucht er, Ausschlußbeweise zu entwerten, weil es sein
politischer Wille ist, mich zum IM des MfS zu machen. Tatsache ist, daß
ich nie beim MfS als IM erfaßt und registriert war. Es gibt bisher
keinen einzigen Fall, in dem einer Person nachgewiesen wurde, daß sie
inoffiziell mit dem MfS zusammenarbeitete, ohne daß diese Tätigkeit
entsprechend erfaßt und registriert gewesen wäre. Der Ausschuß
unterstellt, daß ich der einzige unter Tausenden bin, bei dem diese
Ausnahme gegeben sei, obwohl in der DDR viel bekanntere und wichtigere
Personen im Falle einer solchen Tätigkeit beim MfS erfaßt und
registriert waren. Warum soll das MfS 1978 und 1986 aufgeschrieben
haben, daß es kein Interesse an mir hätte, daß ich als IM ungeeignet
sei, daß ich mich auf meine anwaltliche Schweigepflicht berufe, wenn das
Gegenteil zugetroffen hätte? Wer sollte weshalb innerhalb des MfS
dadurch getäuscht werden?
Wenn ich an die Zusammenfassung des Ausschußberichtes denke, dann frage
ich mich: Wie kann man ein solches Urteil über einen Rechtsanwalt
fällen, ohne eine einzige Gerichtsakte, ohne eine einzige
Staatsanwaltsakte, ohne eine einzige Handakte des Rechtsanwaltes gelesen
zu haben? Wie kann man ein solches Urteil fällen, ohne einen einzigen
Mandanten angehört zu haben?
Und der Ausschuß hat dieses Urteil gefällt, obwohl er nicht einmal über
einen meiner Mandanten eine einzige komplette MfS-Akte besaß. Es sind
ihm ja immer nur einzelne Unterlagen zur Verfügung gestellt worden, bei
denen irgendein Zusammenhang zu mir besteht oder vermutet wird. Der
Ausschuß kann deshalb überhaupt nicht bewerten, welche Bedeutung die
vermeintlich von mir erteilten Informationen für das MfS gehabt haben
könnten. Ohne irgendeinen Beleg behauptet er, daß ich die DDR vor meinen
Mandanten geschützt, daß ich wichtige Informationen im Rahmen von
Zersetzungsstrategien gegen meine Mandanten an das MfS geliefert, daß
mein Wirken der Unterdrückung der demokratischen Opposition gedient
hätte. Er überschreitet hier nicht nur seine Kompetenz, er weiß doch
selbst, daß er ein Verfahren besaß, das eine solche Bewertung überhaupt
nicht ermöglichte.
Gerade in der Zusammenfassung wird für mich die Absicht des Ausschusses
deutlich, mich politisch, beruflich und persönlich zu diskreditieren.
Ihm scheint dabei völlig egal zu sein, ob er seine Behauptungen belegen
kann oder nicht.
Ich glaube von mir behaupten zu können, als Rechtsanwalt in der DDR
weder feige noch erfolglos gewesen zu sein. Dennoch denke ich
selbstkritisch darüber nach, ob ich weitere Grenzen hätte überschreiten
sollen. Nur wäre ich dann als Anwalt und Helfer meiner Mandanten
ausgefallen. Ich finde nicht, daß ich mir so etwas nachsagen lassen muß,
wie es der Ausschuß in seiner Zusammenfassung für angemessen erachtet
hat. Und ich frage mich, woher die Juristen im Ausschuß, die
ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland gewirkt haben, die
Selbstgerechtigkeit hernehmen, von sich zu glauben, daß sie als Anwälte
in der DDR mutiger und erfolgreicher aufgetreten wären als ich. Das aber
müssen sie glauben, wenn sie meine Tätigkeit derart rigide
abqualifizieren, wie sie es in der Zusammenfassung des Beschlusses vom
8. Mai 1998 getan haben. Gestatten Sie mir, daß ich diesbezüglich ein
großes Fragezeichen setze. Und wenn ich dann noch bedenke, daß eine
Mehrheit der Mitglieder des Ausschusses, die diesen Beschluß gefaßt
haben, fast nichts von dem gelesen haben, was der Bundesbeauftragte an
Unterlagen und ich an Unterlagen und Stellungnahmen geliefert haben,
dann wird besonders deutlich, daß es nicht um Wahrheit, sondern
ausschließlich um Politik geht.
Nun habe ich den bisherigen Verlauf der Verhandlung sehr aufmerksam
verfolgt. Mir ist klar geworden, daß die Gegenseite möchte, daß das
Bundesverfassungsgericht in der Sache möglichst nicht entscheidet. Sie
sollen meine Organklage zurückweisen und der Ausschuß ist bereit, sich
damit abzufinden, daß Sie in den Gründen dann erklären, nicht überprüft
zu haben, ob er eine nachgewiesene Wahrheit festgestellt habe oder
nicht. Sie sollen erklären, daß dies auch nicht ihre Aufgabe sei. Auch
hier ist das Ziel klar: Bei Abweisung der Organklage ginge die gesamte
Öffentlichkeit davon aus, daß Sie den Ausschußbericht als rechtmäßig,
damit als berechtigt und wahr festgestellt hätten. Daß in den Gründen
dann möglicherweise stünde, daß die Überprüfung des nachgewiesenen
Wahrheitsgehaltes nicht Ihre Aufgabe gewesen sei, ginge mit Sicherheit
unter.Ich bin mir darüber im klaren, daß es einen anderen Rechtsweg für
mich nicht gibt. Und deshalb habe ich nur eine Bitte: Entscheiden Sie in
der Sache. Wenn Sie davon überzeugt sind, daß die Vorwürfe des
Ausschusses gegen mich berechtigt und nachgewiesen sind, dann sagen Sie
das und dann muß ich irgendwie damit umgehen. Wenn Sie aber nicht der
Meinung sind, dann bitte ich Sie, auch das zu sagen. Nur eine
Entscheidung fände ich unerträglich: Das wäre ein Beschluß, mit dem Sie
meine Organklage zurückweisen, um in den Gründen zu erklären, daß Sie
den Beschluß des Ausschusses inhaltlich nicht auf seinen nachgewiesenen
Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen gehabt hätten!
In Ihrem Beschluß vom 27. Mai 1998 haben Sie am Schluß ausgeführt: "Eine
zeitnahe verfassungsgerichtliche Beanstandung des Ausschußberichts würde
in der Öffentlichkeit besonders aufmerksam wahrgenommen und gewürdigt
werden und wäre daher geeignet, den Antragsteller von dem Vorwurf zu
entlasten, eine inoffizielle Tätigkeit für das Ministerium für
Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik sei
erwiesen." Damit haben Sie für mein Verständnis angedeutet, in der Sache
selbst entscheiden zu wollen, also die Frage zu beantworten, ob Sie
einen solchen Vorwurf als erwiesen ansehen oder nicht.Der Ausschuß hat
mich zu einer Art Volksfeind erklärt und die Zahl derer, die gestützt
auf den Beschluß des Ausschusses mich so sehen und behandeln, wächst.
Ich bitte Sie zu prüfen, ob Sie bei allen politischen Unterschieden dies
für gerechtfertigt und angemessen halten. Normale politische Arbeit,
normaler Wahlkampf, sind mir zumindest sehr schwer gemacht worden. Aber
auch ich bin nicht nur ein zu bekämpfendes Politikum, nicht nur ein
verfassungsrechtlicher Faktor, sondern ein Mensch.
Ich versichere Ihnen: Zu keinem Zeitpunkt war ich Inoffizieller
Mitarbeiter oder habe inoffiziell mit dem MfS zusammengearbeitet.
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Rolf Schälike
Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 12.01.06
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