Gründe: |
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A. |
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Der Organstreit betrifft die
Frage, ob das Verfahren nach § 44b Abs. 2 AbgG zur
Überprüfung von Bundestagsabgeordneten auf eine Tätigkeit
oder politische Verantwortung für den
Staatssicherheitsdienst der DDR mit den Rechten der
betroffenen Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG
vereinbar ist.
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1 |
I. |
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1. a) Das Gesetz über die
Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages
(Abgeordnetengesetz - AbgG) vom 18. Februar 1977 (BGBl. I S.
297) wurde durch Gesetz vom 20. Januar 1992 (BGBl. I S. 67)
um folgende Regelung ergänzt:
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2 |
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3 |
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4 |
(2) Eine Überprüfung findet
ohne Zustimmung statt, wenn der Ausschuß für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung das
Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für den Verdacht
einer solchen Tätigkeit oder Verantwortung festgestellt
hat.
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5 |
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6 |
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7 |
b) Die Richtlinien zur
Überprüfung auf eine Tätigkeit oder politische Verantwortung
für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale
Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik
(im folgenden: Richtlinien) wurden vom 12. Deutschen
Bundestag zusammen mit der Gesetzesänderung beschlossen. Der
13. Deutsche Bundestag übernahm sie unverändert mit Beschluß
vom 10. November 1994 (BT-Plenarprotokoll 13/1, S. 14). In
den Richtlinien heißt es:
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13 |
Er ersucht den
Bundesbeauftragten auch, falls der 1. Ausschuß konkrete
Anhaltspunkte für den Verdacht der hauptamtlichen oder
inoffiziellen Tätigkeit oder politischen Verantwortung
eines Mitgliedes des Bundestages für das Ministerium für
Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (MfS/AfNS)
der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik
festgestellt hat.
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14 |
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15 |
3. Der 1. Ausschuß trifft
aufgrund der Mitteilungen des Bundesbeauftragten und
aufgrund sonstiger ihm zugeleiteter oder von ihm
beigezogener Unterlagen die Feststellung, ob eine
hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeit oder eine
politische Verantwortung für das Ministerium für
Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (MfS/AfNS)
der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik als
erwiesen anzusehen ist.
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17 |
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18 |
Der Vorsitzende des 1.
Ausschusses unterrichtet den Präsidenten des Deutschen
Bundestages und den Vorsitzenden derjenigen Fraktion
oder Gruppe, der das betroffene Mitglied des Bundestages
angehört, über die beabsichtigte Feststellung des 1.
Ausschusses.
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19 |
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20 |
c) In der Absprache zur
Durchführung der Richtlinien gemäß § 44b AbgG vom 30. April
1992 (im folgenden: Absprache) regelte der Ausschuß für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (im folgenden:
1. Ausschuß) weitere Einzelheiten des Überprüfungsverfahrens
und legte Kriterien für die zu treffende Feststellung fest
(BTDrucks 12/4613, S. 8 f. [Anlage 3]). Durch Beschluß vom
19. Januar 1995 wurde die Absprache vom 1. Ausschuß für die
13. Wahlperiode übernommen (Protokoll G 2 der 2. Sitzung des
1. Ausschusses - Geschäftsangelegenheiten - S. 4). Sie
bestimmt unter anderem:
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29 |
Das betroffene Mitglied des
Bundestages kann nach Ende der Anhörung dem Ausschuß
eine schriftliche Stellungnahme zuleiten. Ob und
inwieweit diese Stellungnahme für die Antragstellung
gemäß Ziffer 5 der Richtlinien bewertet wird, muß zum
Zeitpunkt der Abfassung der Beschlußempfehlung
entschieden werden.
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52 |
- das Vorliegen einer
unterzeichneten Verpflichtungserklärung, wobei jedoch
wegen fehlender Unterlagen eine Mitarbeit nicht bewertet
werden kann, ein Tätigwerden nicht vorliegt oder nicht
nachweisbar ist,
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53 |
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54 |
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55 |
2. Der Antragsteller ist
Mitglied des 13. Deutschen Bundestages. Am 9. Februar 1995
beschloß der 1. Ausschuß eine Überprüfung des Antragstellers
nach § 44b Abs. 2 AbgG und bat anschließend den
Bundesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der DDR (im folgenden:
Bundesbeauftragter), ein Gutachten zu den in seiner Behörde
aufgefundenen, mit dem Antragsteller im Zusammenhang
stehenden Unterlagen auszuarbeiten und dabei Fragenkataloge
einiger Ausschußmitglieder zu berücksichtigen.
|
56 |
Der Bundesbeauftragte übersandte
dem 1. Ausschuß eine gutachterliche Stellungnahme vom 26.
Mai 1995. Sie kommt unter anderem zu dem Ergebnis, daß
Kontakte des Antragstellers zum MfS vorlägen, die als
"10-jährige Zusammenarbeit" mit "inoffiziellem Charakter" zu
bewerten seien. Noch vor Eingang der Stellungnahme beim 1.
Ausschuß berichtete das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel"
über ihren Inhalt (Nr. 22/1995 vom 29. Mai 1995, S. 22 ff.).
Nachfolgend gab der Antragsteller gegenüber den Medien
Passagen aus der Stellungnahme wieder. Daraufhin
veröffentlichte der 1.
Ausschuß aufgrund seines Beschlusses vom 2. Juni 1995 den
vollständigen Text der Stellungnahme des Bundesbeauftragten.
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57 |
II. |
|
1. Mit seinen am 10. April 1995
eingegangenen Anträgen zu 1. und 2. beantragt der
Antragsteller im Organstreit festzustellen, daß die
Antragsgegner seine Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und
die Rechtsstaatlichkeit verletzt hätten
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59 |
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60 |
Zugleich hat der Antragsteller
den Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragt.
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61 |
Mit einem am 14. August 1995
eingegangenen Schriftsatz hat der Antragsteller seine
Anträge in der Hauptsache erweitert. Er beantragt nunmehr
auch festzustellen, daß die Antragsgegner seine Rechte aus
Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und die Rechtsstaatlichkeit
verletzt haben, indem
|
62 |
3. der Antragsgegner zu 2.
am 2. Juni 1995 beschloß,die auf die Person des
Antragstellers bezogene gutachterliche Stellungnahme des
Bundesbeauftragten allen interessierten Presseorganen
und Einzelpersonen zugänglich zu machen,
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63 |
4. a) einzelne Mitglieder
des Antragsgegners zu 2. direkt und indirekt Einfluß auf
die Behörde des Bundesbeauftragten genommen haben, als
von dieser im Auftrage der Antragsgegner eine
gutachterliche Stellungnahme zur Person des
Antragstellers erarbeitet wurde,
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64 |
b) Mitglieder des
Antragsgegners zu 2. und dessen Vorsitzender inhaltlich
vor der Presse der gutachterlichen Stellungnahme
Seriosität, ordnungsgemäße Verfahrensweise, Kompetenz
und Sorgfalt zuerkannten, bevor der Antragsteller Stellung
nehmen konnte, und dadurch eine Vorverurteilung des
Antragstellers aussprachen,
|
65 |
c) Mitglieder des
Antragsgegners zu 1. den Antragsteller im Hinblick auf
die gutachterliche Stellungnahme des Bundesbeauftragten
aufgefordert haben, sein Abgeordnetenmandat
niederzulegen oder ihm den Rücktritt nahegelegt haben
oder erklärt haben, er habe sich als ungeeignet
erwiesen, Politiker zu sein, bevor der Antragsteller
Stellung nehmen konnte und bevor der Antragsgegner zu 2.
als zuständiger Ausschuß über die von ihm zu treffenden
Feststellungen beraten hatte.
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66 |
2. Zur Begründung der Anträge
trägt der Antragsteller vor:
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67 |
a) Dem Deutschen Bundestag fehle
die Befugnis zur Einführung eines Überprüfungsverfahrens
nach § 44b AbgG. Zwar könne der Bundestag die Ausübung des
Abgeordnetenmandats durch Geschäftsordnung oder Gesetz näher
ausformen; einschränken könne er sie im hier maßgeblichen
Zusammenhang jedoch nur, soweit das Recht der
Untersuchungsausschüsse (Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG) und der
Schutz der Abgeordnetenimmunität (Art. 46 GG) Ausnahmen
zuließen. Aus diesen Regelungen lasse sich das vom Bundestag
in Anspruch genommene Überprüfungsrecht aber nicht
herleiten.
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68 |
Die durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2
GG geschützte freie Mandatsausübung verbiete es, Abgeordnete
zu einem Mandatsverzicht zu zwingen. Die Überprüfung nach §
44b AbgG solle jedoch der "Selbstreinigung des Bundestages"
dienen und damit im Ergebnis einen Mandatsverzicht
belasteter Abgeordneter bewirken. Daß das
Überprüfungsverfahren Folgen für die Mandatsausübung habe,
zeige sich daran, daß der Antragsteller nicht in den
Gemeinsamen Ausschuß gewählt worden sei und daß die beiden
vom 1. Ausschuß in der 12. Legislaturperiode negativ
bewerteten Abgeordneten nicht wieder für den Bundestag
nominiert worden seien. Auch die massiven Angriffe auf den
Antragsteller in der Presse nach Veröffentlichung der
gutachterlichen Stellungnahme des Bundesbeauftragten und die
Rücktrittsforderungen zahlreicher Politiker machten
deutlich, daß durch das Überprüfungsverfahren in die
Freiheit der Mandatsausübung eingegriffen werde.
|
69 |
Die
Überprüfungsmöglichkeit des § 44b AbgG verletze auch das
Gebot der Gleichbehandlung aller Abgeordneten. Denn das
Verfahren gestatte es, Abgeordnete einer politischen
Minderheit oder bestimmten geographischen Herkunft
auszugrenzen. Bürger der ehemaligen DDR seien eher als
Bundesbürger Anwerbeaktivitäten und insbesondere dem
Anwerbedruck durch den Staatssicherheitsdienst ausgesetzt
gewesen.
|
70 |
Es stünden auch der Ruf des
Antragstellers als Rechtsanwalt und seine persönliche Ehre
auf dem Spiel. Hoheitliche Eingriffe in diese Rechtsgüter
dürften nur in einem rechtsstaatlichen Verfahren vorgenommen
werden, was durch die normative Ausgestaltung des
Überprüfungsverfahrens jedoch nicht gesichert sei. Das
Verfahren nach § 44b AbgG entspreche insbesondere nicht den
Vorgaben des Art. 44 GG. Es fehle eine Bindung an die
Beweisregeln der Strafprozeßordnung sowie die Gewährleistung
von Minderheitsrechten. Problematisch sei ferner, daß der 1.
Ausschuß seine Überprüfungsergebnisse ausschließlich auf
Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes stütze, dem
zugearbeitet zu haben dem Abgeordneten vorgeworfen werde. Da
die Unterlagen rechtsstaatswidrig erstellt worden seien,
folge hieraus ein Verwertungsverbot. Jedenfalls sei der
Beweiswert der Unterlagen zweifelhaft.
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71 |
Der Antragsteller sei inzwischen
sechsmal auf eine Zusammenarbeit mit dem
Staatssicherheitsdienst hin überprüft worden, darunter
fünfmal unter Einbeziehung des Bundesbeauftragten. Da nach §
44b AbgG auch künftig jederzeit weitere
Überprüfungsverfahren eingeleitet werden könnten, werde
gegen den allgemeinen rechtsstaatlichen Grundgedanken des
"ne bis in idem" verstoßen.
|
72 |
b) Die in den Anträgen zu 3. und
4. gerügten Verfahrensverstöße beeinträchtigten das
politische Wirken des Antragstellers im Parlament und in der
Öffentlichkeit. Der Antragsteller habe daher ein rechtliches
Interesse an der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit. Dies
gelte insbesondere für die Veröffentlichung des Gutachtens
durch den 1. Ausschuß. Sie verletze Nr. 4 und 5 der
Absprache, die bestimmten, daß das Überprüfungsverfahren bis
zu seinem Abschluß nichtöffentlich durchzuführen sei.
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73 |
c) Die Verfahrensverstöße
zeigten, daß eine faire Überprüfung des
Antragstellers durch den 1. Ausschuß nicht gewährleistet
sei. Der Mehrheit im 1. Ausschuß gehe es nicht um eine
objektive Ermittlung von Tatsachen, sondern um politischen
Rufmord.
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74 |
III. |
|
Die Antragsgegner sind den
Anträgen entgegengetreten:
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75 |
1. Die Anträge zu 1. und 2.
seien unzulässig, denn hiermit begehre der Antragsteller
unzulässigen verfahrensbegleitenden Rechtsschutz. Der
Antragsteller müsse gemäß allgemeinen prozeßrechtlichen
Grundsätzen abwarten, ob er durch das Ergebnis des
Verfahrens überhaupt beschwert sein werde.
|
76 |
2. Die Anträge seien
unbegründet, weil das Überprüfungsverfahren nach § 44b AbgG
in jeder Hinsicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen
genüge:
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77 |
Angesichts der Lage im
wiedervereinigten Deutschland sei die konkrete Zielsetzung
des § 44b AbgG mit der Verfassung vereinbar. Mit Ausnahme
der Abgeordneten der PDS/Linke Liste seien sich die
Bundestagsabgeordneten darin einig gewesen, daß
Volksvertreter nicht in Machenschaften des
Staatssicherheitsdienstes verstrickt gewesen sein dürften.
Die mangelnde Eignung von Mitarbeitern oder Verantwortlichen
des Staatssicherheitsdienstes ergebe sich aus dem
Einigungsvertrag. Die Unvereinbarkeit von Amt und
Stasi-Mitarbeit sei eindeutiger gemeinsamer Wille der
vertragsschließenden Parteien gewesen. An der Aufklärung der
Beziehungen von Abgeordneten zum MfS/AfNS bestehe auch ein
erhebliches öffentliches Interesse.
|
78 |
Die Wahrung des Ansehens des
Parlaments könne sogar eine Aberkennung des Mandats
rechtfertigen. Demgegenüber sei für die
Abgeordnetenüberprüfung nach § 44b Abs. 2 AbgG eine moderate
Lösung gewählt worden. Es fehle jede rechtliche
Zwangseinwirkung auf die Mandatsinhaber. Die abschließende
Feststellung des 1. Ausschusses werde in ihrer Wirkung im
übrigen auch dadurch abgemildert, daß der betroffene
Abgeordnete ihr seine eigene Sachdarstellung anfügen könne.
|
79 |
Der Deutsche Bundestag habe sich
bewußt gegen ein Untersuchungsausschußmodell entschieden.
Dies sei von Verfassungs wegen
nicht zu beanstanden, denn das Parlament könne zur Wahrung
seines Ansehens auch andere Gremien mit Überprüfungsaufgaben
betrauen. Diese müßten nicht mit allen Rechten eines
Untersuchungsausschusses ausgestattet sein, solange die
Beschränkung der Erkenntnismittel hinreichend im Beweismaß
reflektiert werde. Eine Vorgehensweise, die die Akten des
Bundesbeauftragten in den Vordergrund rücke, entspreche im
übrigen dem Verfahren, wie es für sonstige öffentliche Ämter
angewandt werde. Der 1. Ausschuß sei jedoch bereit, auf
Initiative des Antragstellers auch Zeugen anzuhören.
|
80 |
IV. |
|
Die Landtage von Brandenburg und
Sachsen haben zum Verfahren Stellung genommen.
|
81 |
Der Sächsische Landtag hält die
Abgeordnetenüberprüfung nach § 44b Abs. 2 AbgG für
verfassungsgemäß.
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82 |
Der Landtag Brandenburg verweist
auf seinen Beschluß "Mit menschlichem Maß die Vergangenheit
bewerten" (Drucks 1/3098), in dem die sorgfältige Prüfung
jedes Einzelfalls unter Beachtung rechtsstaatlicher
Grundsätze gefordert wird. Die Prüfung müsse über die bloße
Feststellung einer Zusammenarbeit mit dem MfS hinausgehen
und die Motive für die Zusammenarbeit sowie Art, Umfang,
Dauer und Gründe für ihre Beendigung berücksichtigen.
|
83 |
B. |
|
Der Antrag zu 2. ist lediglich
hinsichtlich einzelner Rügen zulässig; im übrigen sind die
Anträge unzulässig.
|
84 |
I. |
|
Im Organstreit kann der einzelne
Abgeordnete die behauptete Verletzung oder Gefährdung jedes
Rechts, das mit seinem Status verfassungsrechtlich verbunden
ist, geltend machen (vgl. BVerfGE 80, 188 [208
f.]). Sein Antrag ist
zulässig, wenn es nicht von vornherein ausgeschlossen werden
kann, daß der Antragsgegner aus dem verfassungsrechtlichen
Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten erwachsende Rechte
des Antragstellers durch die beanstandete
rechtserhebliche Maßnahme verletzt oder unmittelbar
gefährdet hat (vgl. auch BVerfGE 90, 286 [337]).
|
85 |
II. |
|
Der Antrag zu 1., mit dem der
Antragsteller den Erlaß des § 44b Abs. 2 AbgG einschließlich
der dazu ergangenen Durchführungsrichtlinien und der
getroffenen Absprache angreift, ist schon unzulässig, weil
diese Regelungen nicht geeignet sind, den Antragsteller in
den mit seinem verfassungsrechtlichen Abgeordnetenstatus
verbundenen Rechten zu verletzen oder unmittelbar zu
gefährden (vgl. § 64 Abs. 1 BVerfGG). § 44b Abs. 2 AbgG und
die dazu ergangenen Bestimmungen berühren für sich allein
die Rechtsstellung eines Abgeordneten noch nicht; weder
fordern sie von ihm ein bestimmtes Verhalten, noch haben sie
unmittelbare rechtliche Auswirkungen auf seine Rechte als
Abgeordneter, noch setzen sie ein Überprüfungsverfahren
unmittelbar in Gang. Rechtliche Bedeutung für den einzelnen
Abgeordneten erlangen diese Regelungen vielmehr erst infolge
eines selbständigen Umsetzungsaktes, der Feststellung des
Vorliegens konkreter Anhaltspunkte für den Verdacht durch
den 1. Ausschuß gemäß § 44b Abs. 2 AbgG in Verbindung mit
Nr. 1 der Richtlinien.
|
86 |
III. |
|
Der Antrag zu 2. ist nur mit
zwei der dazu erhobenen Rügen zulässig.
|
87 |
1. Der Antragsteller sieht seine
Abgeordnetenstellung durch die Einleitung des
Überprüfungsverfahrens verletzt. Er ist der Auffassung, der
verfassungsrechtliche Status eines vom Volk wirksam
gewählten Abgeordneten lasse eine derartige Überprüfung
nicht zu. Jedenfalls sei aber das dazu in Richtlinien und
Absprache vorgeschriebene Verfahren rechtsstaatlich zu
beanstanden; es gewährleiste nicht, daß die gemäß Nr. 3 der
Richtlinien mögliche Feststellung, eine Mitarbeit oder
politische Verantwortung für das MfS/AfNS sei als erwiesen
anzusehen, auf einer hinreichend sicheren
Ermittlungsgrundlage beruhe. Insbesondere könne der
Betroffene auf diese Feststellung nicht effektiv Einfluß
nehmen. Nach diesen Darlegungen
ist eine Beeinträchtigung der Abgeordnetenstellung des
Antragstellers nicht von vornherein ausgeschlossen.
|
88 |
Insoweit kommt auch der
Einleitung des Überprüfungsverfahrens schon die Bedeutung
einer im Organstreit angreifbaren rechtserheblichen Maßnahme
(vgl. § 64 Abs. 1 BVerfGG) zu. Ist die Überprüfung, sei es
generell, sei es in ihrer normativen Ausgestaltung, mit der
Abgeordnetenstellung nicht vereinbar, so verwirklicht sich
eine Rechtsverletzung bereits mit der Einleitung und nicht
erst mit der das Verfahren abschließenden Feststellung.
|
89 |
2. Anders verhält es sich,
soweit der Antragsteller rügt, die Entscheidung, ein
Überprüfungsverfahren einzuleiten, sei in seinem Fall von
sachfremden Beweggründen getragen. Mit diesem Vorbringen
kann der Antragsteller nicht geltend machen, schon durch die
Einleitung des Verfahrens in rechtserheblicher Weise in
seiner Abgeordnetenstellung betroffen zu sein. Die
angegriffene Entscheidung bereitet eine abschließende
Feststellung des Ausschusses lediglich vor und ist deshalb
mit der vom Antragsteller erhobenen Rüge im
Organstreitverfahren nicht selbständig angreifbar. Im
übrigen hat der Antragsteller auch konkrete Anhaltspunkte
dafür, daß die Einleitungsentscheidung des 1. Ausschusses
auf sachfremden Erwägungen beruhe, nicht substantiiert
vorgetragen (§ 23 Abs. 1 BVerfGG).
|
90 |
3. Unzulässig ist auch die Rüge
des Antragstellers, er werde einer rechtsstaatlich
unzulässigen Doppelüberprüfung unterzogen. Art. 103 Abs. 3
GG findet von vornherein keine Anwendung (vgl. BVerfGE 28,
264 [276]). Auf die Reichweite eines vom
Bundesverfassungsgericht aus dem Rechtsstaatsprinzip
abgeleiteten Grundsatzes, wonach die mehrfache Ahndung
desselben Vorgangs mit der gleichen Maßnahme unzulässig ist
(vgl. dazu BVerfGE 28, 264 [277]), kommt es nicht an,
ebensowenig ist zu entscheiden, ob das Überprüfungsverfahren
zur Feststellung einer Verstrickung einer Ahndung
gleichgestellt werden kann. Stets wäre Voraussetzung für das
Eingreifen dieses Grundsatzes - ebenso wie bei einem aus
Art. 103 Abs. 3 GG folgenden Verbrauch der Strafklage -, daß
ein vorangegangenes Verfahren zum Abschluß gebracht wurde;
daran fehlt es hier. Dies gilt jedenfalls insoweit, als der
fehlende Abschluß des
vorausgegangenen Verfahrens verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden ist.
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91 |
4. Soweit der Antragsteller im
Rahmen des Antrags zu 2. die Verletzung seiner Grundrechte
rügt, ist diese Rüge unzulässig, weil ein Abgeordneter im
Organstreit ausschließlich Rechte geltend machen kann, die
sich aus seiner organschaftlichen Stellung im Sinne des Art.
38 Abs. 1 Satz 2 GG ergeben.
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92 |
IV. |
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Der Antrag zu 3. ist unzulässig.
Der Antragsteller hat schon nicht dargelegt, daß der
Beschluß des Antragsgegners zu 2., die gutachterliche
Stellungnahme des Bundesbeauftragten während des laufenden
Überprüfungsverfahrens zu veröffentlichen, ihn in der
besonderen Situation, die der Beschlußfassung vorausgegangen
war, in seinen Abgeordnetenrechten verletzen konnte. Im
Zeitpunkt der Beschlußfassung des Antragsgegners zu 2. waren
umfangreiche Teile der gutachterlichen Stellungnahme
aufgrund einer Indiskretion, die auch der Antragsteller den
Antragsgegnern nicht zurechnet, bereits von anderer Seite
publiziert worden. Anschließend hatte der Antragsteller
selbst Passagen der Stellungnahme öffentlich gemacht. Bei
dieser Sachlage kann nicht davon ausgegangen werden, daß
etwaige Behinderungen des Antragstellers bei der
Mandatsausübung erst durch die nachfolgende Veröffentlichung
des vollständigen Textes der Stellungnahme durch den 1.
Ausschuß herbeigeführt worden sind.
|
93 |
V. |
|
Die Anträge zu 4. sind
unzulässig, weil mit ihnen keine Verletzung von Rechten
gerügt wird, die dem Antragsteller aus seinem
Verfassungsrechtsverhältnis zu den Antragsgegnern erwachsen
können. Soweit der Antragsteller eine "Einflußnahme" auf die
Behörde des Bundesbeauftragten durch einzelne
Ausschußmitglieder rügt, ist nicht ersichtlich, inwiefern
diese einem der beiden Antragsgegner als deren Maßnahmen
zuzurechnen sein sollten. Gleiches gilt für die mit dem
Antrag zu 4. b) angegriffenen Äußerungen von
Ausschußmitgliedern über die Gediegenheit der
gutachterlichen Stellungnahme
des Bundesbeauftragten gegenüber der Presse. Schließlich
werden auch mit dem Antrag zu 4. c) (Aufforderung von
Abgeordneten zum Mandatsverzicht) keine Maßnahmen der
Antragsgegner gerügt.
|
94 |
C. |
|
Soweit der Antrag zu 2. zulässig
ist, ist er unbegründet. Die Einleitung des
Überprüfungsverfahrens nach § 44b Abs. 2 AbgG berührt zwar
den verfassungsrechtlichen Status des davon betroffenen
Abgeordneten (I.). Sein Status wird jedoch nicht durch die
Schaffung eines Überprüfungsverfahrens (II.) und auch nicht
durch dessen normative Ausgestaltung (III.) verletzt oder
unmittelbar gefährdet.
|
95 |
I. |
|
Der verfassungsrechtliche Status
eines Abgeordneten wird durch eine parlamentarische
Untersuchung berührt, welche sich auf eine mögliche
Verstrickung in das MfS/AfNS richtet. Die durch Wahl
erworbene Legitimation des Abgeordneten erschöpft sich nicht
im formalen Innehaben und tatsächlichen Ausüben seines
Mandats. Sein Status ist auch dann berührt, wenn die
Legitimität seines Mandats im Rahmen einer Kollegialenquete
in Abrede gestellt wird.
|
96 |
Das Verfahren nach § 44b AbgG
soll das Vertrauen in das Parlament fördern, indem es unter
bestimmten Voraussetzungen zu überprüfen gestattet, ob
Abgeordnete mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR
zusammengearbeitet haben (Beschlußempfehlung und Bericht des
1. Ausschusses vom 4. Dezember 1991 - BTDrucks 12/1737 - S.
2). Zwar zielt die Überprüfung möglicher Kontakte zum
Ministerium für Staatssicherheit nicht auf den Verlust des
Abgeordnetenmandats. Das Überprüfungsverfahren beruht aber
auf der Prämisse, daß die frühere Tätigkeit eines
Abgeordneten für die Staatssicherheit diesem die Legitimität
nehme, Abgeordneter des Deutschen Bundestages zu sein. Damit
wird nicht seine Ehre im Sinne eines personalen Rechtsguts
in Frage gestellt, sondern seine "Würdigkeit", das Volk im
Parlament zu vertreten. Das belegt der in der
parlamentarischen Debatte zu § 44b AbgG wiederholt betonte
Zweck des Verfahrens, zur "Selbstreinigung" des Parlaments
beizutragen. Auch eine Feststellung des Abgeordneten
Wiefelspütz, die mit Ausnahme der PDS den Beifall aller
Parteien im Bundestag gefunden hat, verdeutlicht, daß im
Überprüfungsverfahren die politische Vertrauenswürdigkeit
des Abgeordneten, Volksvertreter zu sein, in Rede steht:
"Mitarbeit für die Stasi oder gar politische Verantwortung
für die Stasi läßt sich", so stellte der Abgeordnete fest,
"grundsätzlich nicht mit einer Mitgliedschaft im Deutschen
Bundestag vereinbaren. Wer das eigene Volk bespitzelt und
unterdrückt hat, wer es hintergangen, verraten und betrogen
hat oder wer all dies zu verantworten hatte, gehört nicht in
den Bundestag, auch wenn ihm das Mandat nicht entzogen
werden kann." (BT-Plenarprotokoll, 12. Wahlperiode, 64.
Sitzung vom 5. Dezember 1991, S. 5470).
|
97 |
Das Verfahren nach § 44b Abs. 2
AbgG kann somit - obgleich es das Mandat und die aus ihm
folgenden Rechte unberührt läßt - in der Sache zu dem
Verdikt führen, daß der betroffene Abgeordnete politisch
unwürdig sei, dem Parlament anzugehören. Daher betrifft eine
Feststellung, der Antragsteller habe mit dem
Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet, auch seine
organschaftliche Stellung.
|
98 |
II. |
|
1. Der Bundestag kann innerhalb
seines Aufgabenbereichs bei Vorliegen eines öffentlichen
Untersuchungsinteresses von hinreichendem Gewicht
Überprüfungsaufträge an ein parlamentarisches Gremium zur
Ermittlung von Sachverhalten erteilen, die seine Integrität
und politische Vertrauenswürdigkeit berühren (vgl. BVerfGE
77, 1 [44]).
Das vorliegende Verfahren nötigt nicht dazu, die engen
Grenzen näher zu umschreiben, die dem Bundestag von
Verfassungs wegen gesetzt sind, wenn er ein Verfahren
einführen will, mit dem er ein der Wahl vorausliegendes
Verhalten der gewählten Bundestagsabgeordneten untersuchen
und aufklären will. Jedenfalls läßt der besondere politische
und historische Anlaß, mit dem das Überprüfungsverfahren des
§ 44b Abs. 2 AbgG gerechtfertigt wird, ein solches Verfahren
zu.
|
99 |
a)
Die Mitglieder des Bundestages haben durch das Wählervotum
den repräsentativen Status eines unabhängigen Abgeordneten
erlangt. Diesen Status hat der Bundestag zu achten. Er ist
grundsätzlich gehindert, das Verhalten eines Abgeordneten
vor der Wahl, soweit es nicht zulässigerweise seine
Wählbarkeit ausschließt, zum Anknüpfungspunkt eines
besonderen Überprüfungsverfahrens zu machen. Insoweit kommt
eine Kollegialenquete daher nur ausnahmsweise in Betracht.
Hier liegt ein Ausnahmefall vor.
|
100 |
b) Der Bundestag durfte als
Folge des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie in den
neuen Ländern der Bundesrepublik ein Verfahren einführen,
durch das Abgeordnete unter bestimmten Voraussetzungen auf
ihre frühere Tätigkeit oder Verantwortung für das MfS/AfNS
überprüft werden.
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101 |
Das Ministerium für
Staatssicherheit war ein zentraler Bestandteil des
totalitären Machtapparates der DDR. Es fungierte als
Instrument der politischen Kontrolle und Unterdrückung der
gesamten Bevölkerung und diente insbesondere dazu, politisch
Andersdenkende oder Ausreisewillige zu überwachen,
abzuschrecken und auszuschalten. Diese Tätigkeit des
Sicherheitsorgans der DDR zielte auf eine Verletzung der
Freiheitsrechte, die für eine Demokratie konstituierend
sind. Die Bespitzelung der Bevölkerung war ihrer Natur nach
darauf angelegt, die Tätigkeit der handelnden Personen
geheimzuhalten und zu verschleiern. Sind Abgeordnete in den
Deutschen Bundestag gewählt worden, bei denen im Sinne des §
44b Abs. 2 AbgG besondere Verdachtsmomente einer Tätigkeit
für das MfS/AfNS aufgetaucht sind, so kann der Bundestag ein
öffentliches Untersuchungsinteresse annehmen und davon
ausgehen, daß das Vertrauen in das Repräsentationsorgan in
besonderer Weise gestört wäre, wenn ihm Repräsentanten
angehörten, bei denen der Verdacht besteht, daß sie in der
beschriebenen Weise eine Diktatur unterstützt und
Freiheitsrechte der Bürger verletzt haben. Auch muß der
Bundestag in einer solchen Lage nicht davon ausgehen, daß
die Wähler solche Abgeordneten ungeachtet einer
möglicherweise später aufgedeckten Verstrickung gewählt
haben.
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102 |
2. Kann der Bundestag sich zur
Überprüfung der unter § 44b Abs. 2 AbgG fallenden
Abgeordneten - wie dargestellt - auf einen besonderen
wichtigen Grund stützen, so verletzt die Einleitung des
Überprüfungsverfahrens auch kein aus dem Abgeordnetenstatus
folgendes Recht des Antragstellers auf Gleichbehandlung mit
anderen Abgeordneten. Der den Abgeordnetenstatus bestimmende
Grundsatz demokratischer, formaler Gleichheit läßt bei
Vorliegen besonderer Gründe Differenzierungen zu (vgl.
BVerfGE 93, 195 [204]).
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103 |
III. |
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1. Ist ausnahmsweise - wie im
vorliegenden Fall - eine Kollegialenquete gestattet, so muß
das Verfahren von Verfassungs wegen Sicherungen zum Schutz
des Abgeordnetenstatus enthalten. Vor allem müssen dem
betroffenen Abgeordneten Beteiligungsrechte am Verfahren
eingeräumt sein, die nicht nur das rechtliche Gehör
gewährleisten, sondern ihm auch gestatten, aktiv an der
Herstellung des Beweisergebnisses mitzuwirken. Die
abschließende Auskunft über den ermittelten Sachverhalt muß
der Eigenart des gewählten Verfahrens sowie der zugelassenen
Beweismittel Rechnung tragen. Das Verfahren muß Regelungen
enthalten, die eine korrekte Wiedergabe des Umfangs der
Ermittlungen gewährleisten.
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104 |
2. Das vom Bundestag gewählte
und durch Richtlinien und Absprachen näher ausgestaltete
Verfahren des § 44b Abs. 2 AbgG wahrt diese Anforderungen an
die abschließende Feststellung (a), an die Einräumung von
Beteiligungsrechten des betroffenen Abgeordneten (b) und an
die weitere Verfahrensgestaltung (c).
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105 |
a) Das Überprüfungsverfahren
nach § 44b Abs. 2 AbgG verzichtet - in Abgrenzung zum
parlamentarischen Untersuchungsausschuß - gezielt auf die
Beweismittel des Zeugen- und Sachverständigenbeweises; es
beschränkt sich auf eine Überprüfung des Verdachts anhand
von Urkunden und Angaben des Betroffenen. So heißt es in der
Beschlußempfehlung des 1. Ausschusses zu Nr. 3 der
Richtlinien: "Es wird in dieser Vorschrift ausgeschlossen,
daß der 1. Ausschuß bei der Überprüfung eines Mitgliedes des
Bundestages Ermittlungen durch Zeugenvernehmungen
durchführt. Die Feststellung des Sachverhaltes soll sich
lediglich auf die Aktenlage stützen. Das
Überprüfungsverfahren vermeidet nicht zuletzt dadurch jeden Anschein,
es könnte sich um ein parlamentarisches
Untersuchungsverfahren oder gerichtsähnliches Verfahren
handeln." (Bericht und Beschlußempfehlung des 1. Ausschusses
vom 4. Dezember 1991 - BTDrucks 12/1737 - S. 9). Dies belegt
auch der Hinweis des Abgeordneten Hörster, die Fraktionen
hätten übereinstimmend davon Abstand genommen, die
Überprüfung als parlamentarisches Untersuchungsverfahren
durchzuführen (vgl. Protokoll der Sitzung des
Bundestagsrechtsausschusses vom 4. Dezember 1991, S. 32 f.).
Der Ausschuß kann auch mangels richterlicher
Zwangsbefugnisse Zeugen oder Sachverständige weder vorladen
noch sie vereidigen.
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106 |
Diese Beschränkung der
Beweismittel hat zur Folge, daß der Ausschuß eine belastende
Feststellung im Sinne von Nr. 3 der Richtlinien nur aufgrund
der in dem Verfahren zugelassenen Beweismittel
einschließlich der Aussagen des betroffenen Abgeordneten
treffen kann. Der Ausschuß muß von der Verstrickung des
Abgeordneten eine so sichere Überzeugung gewinnen, daß auch
angesichts der beschränkten Beweismöglichkeiten vernünftige
Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung ausgeschlossen
sind; hierzu hat er die Beweise zu würdigen und das
Beweisergebnis zu begründen. Kann der Ausschuß diese sichere
Überzeugung nicht erlangen, steht es ihm offen, in den
Gründen die Beweislage darzustellen. Mutmaßungen sind ihm
verwehrt.
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107 |
b) Die gebotene Beteiligung des
Abgeordneten ist durch die Richtlinien und deren Ergänzung
in der Absprache gewährleistet.
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108 |
Nach Nr. 3 der Richtlinien
trifft der 1. Ausschuß seine Feststellungen auch "aufgrund
sonstiger ihm zugeleiteter Unterlagen"; er ist also
verpflichtet, die vom betroffenen Abgeordneten eingereichten
Unterlagen gleichermaßen wie die beigezogenen oder ihm
anderweitig zugeleiteten Urkunden zu berücksichtigen. Auch
ist der Abgeordnete gemäß Nr. 4 Abs. 1 der Richtlinien und
Nr. 2 der Absprache vor Abschluß der Feststellungen
persönlich anzuhören. Dabei sind die Tatsachen, wie sie sich
dem Ausschuß vor Abschluß der Feststellungen darstellen, dem
Abgeordneten zu eröffnen und mit ihm zu erörtern. Darüber
hinaus hat der Abgeordnete Gelegenheit, dem Ausschuß eine
geschlossene eigene Darstellung des maßgeblichen
Sachverhalts in Schriftform zu überreichen (vgl. Nr. 2 Abs.
4 Satz
1 der Absprache). Zur Vorbereitung auf den
Erörterungstermin, aber auch in jeder sonstigen Phase des
Verfahrens, kann der Abgeordnete Einblick in die beim
Ausschuß befindlichen Unterlagen nehmen (vgl. Nr. 4 Abs. 2
Satz 1 der Richtlinien). Auch darf er sich jederzeit von
einer Person seines Vertrauens unterstützen lassen (vgl. Nr.
4 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinien). Auf Verlangen des
Abgeordneten ist ferner in die Bundestagsdrucksache, in der
der Bericht des Ausschusses veröffentlicht wird, eine
Erklärung aufzunehmen, die nur bei unangemessenem Umfang
gekürzt werden darf.
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109 |
c) Auch die weitere
Ausgestaltung des Überprüfungsverfahrens durch den Bundestag
wird der Bedeutung des Verfahrens für den Status des
betroffenen Abgeordneten gerecht.
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110 |
aa) Das Parlament schützt durch
die Regelungen in Nr. 4 und 5 der Absprache die Rechte des
Abgeordneten ausreichend. Das Überprüfungsverfahren wird bis
zur Veröffentlichung der Feststellungen des Ausschusses
nicht öffentlich durchgeführt. Die Mitglieder des
Ausschusses sind auch über den Abschluß des Verfahrens
hinaus zur Verschwiegenheit über schutzwürdige persönliche
Daten des überprüften Abgeordneten verpflichtet.
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111 |
bb) Nr. 1 Abs. 4 der Richtlinien
legt fest, daß die Einleitung eines Verfahrens nach § 44b
Abs. 2 AbgG sowie grundlegende Entscheidungen bei der
Durchführung des Verfahrens mit einer Mehrheit von zwei
Dritteln der Ausschußmitglieder getroffen werden. Hierdurch
hat der Gesetzgeber - da die Zusammensetzung des 1.
Ausschusses die Mehrheitsverhältnisse im Parlament
widerspiegelt - im Rahmen seiner Entscheidungsbefugnis
sichergestellt, daß alle den Abgeordneten belastenden
Verfahrensschritte und Feststellungen nur mit einer Mehrheit
getroffen werden können, die in der Regel eine Fraktion
übergreift und auch die Opposition einbezieht.
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112 |
D. |
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Diese Entscheidung ist
einstimmig ergangen.
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113 |
Limbach, Graßhof, Kruis, Kirchhof, Winter, Sommer, Jentsch, Hassemer |
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Rolf Schälike
Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 17.06.06
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