1 BvR 536/72 v. 5. Juni 1973 - verhandelt
am 2. und 3.Mai 1973 -
Lebach-Urteil I (Lebachurteil I)I
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
Im Namen des Volkes
In
dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
1. Eine Rundfunk-
oder Fernsehanstalt kann sich grundsätzlich für
jede Sendung zunächst auf den Schutz des Art. 5
Abs. 1 GG berufen. Die Rundfunkfreiheit deckt
sowohl die Auswahl des dargebotenen Stoffes als
auch die Entscheidung über die Art und Weise der
Darstellung einschließlich der gewählten Form
der Sendung. |
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Erst wenn die Rundfunkfreiheit
mit anderen Rechtsgütern in Konflikt gerät, kann es auf das mit
der konkreten Sendung verfolgte Interesse, die Art und Weise der
Gestaltung und die erzielte oder voraussehbare Wirkung ankommen.
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2. Die Vorschriften des §§ 22, 23
KunstUrhG bieten ausreichenden Raum für eine Interessenabwägung,
die der Ausstrahlungswirkung der Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5
Abs. 1 Satz 2 GG einerseits, des Persönlichkeitsschutzes gemäß
Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG andererseits
Rechnung trägt. |
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Hierbei
kann keiner der beiden Verfassungswerte einen grundsätzlichen
Vorrang beanspruchen. Im Einzelfall ist die Intensität des
Eingriffes in den Persönlichkeitsbereich gegen das
Informationsinteresse der Öffentlichkeit abzuwägen.
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3. Für die aktuelle
Berichterstattung über schwere Straftaten verdient das
Informationsinteresse der Öffentlichkeit im allgemeinen den
Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz des Straftäters. Jedoch
ist neben der Rücksicht auf den unantastbaren innersten
Lebensbereich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten;
danach ist eine Namensnennung, Abbildung oder sonstige
Identifikation des Täters nicht immer zulässig. |
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Der verfassungsrechtliche Schutz
der Persönlichkeit läßt es jedoch nicht zu, daß das Fernsehen
sich über die aktuelle Berichterstattung hinaus etwa in Form
eines Dokumentarspiels zeitlich unbeschränkt mit der Person
eines Straftäters und seiner Privatsphäre befaßt.
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Eine spätere Berichterstattung
ist jedenfalls unzulässig, wenn sie geeignet ist, gegenüber der
aktuellen Information eine erheblich neue oder zusätzliche
Beeinträchtigung des Täters zu bewirken, insbesondere seine
Wiedereingliederung in die Gesellschaft (Resozialisierung) zu
gefährden. Eine Gefährdung der Resozialisierung ist regelmäßig
anzunehmen, wenn eine den Täter identifizierende Sendung über
eine schwere Straftat nach seiner Entlassung oder in zeitlicher
Nähe zu der bevorstehenden Entlassung ausgestrahlt wird.
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des Ersten Senats vom 5. Juni 1973
auf die mündliche Verhandlung vom 2. und 3. Mai 1973
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in dem Verfahren über die
Verfassungsbeschwerde des Herrn W... ... gegen a) das
Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 5. Oktober 1972 - 9 U
552/72 -, b) das Urteil des Landgerichts Mainz vom 8. Juni 1972
- 1 O 128/72 -. |
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1. Die Urteile des Landgerichts
Mainz vom 8. Juni 1972 - 1 O 128/72 - und des Oberlandesgerichts
Koblenz vom 5. Oktober 1972 - 9 U 552/72 - verletzen die
Grundrechte des Beschwerdeführers
aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des
Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. |
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2. Im Wege der einstweiligen
Verfügung wird der Anstalt Zweites Deutsches Fernsehen, Mainz,
unter Androhung einer im Falle der Zuwiderhandlung
festzusetzenden Geldstrafe in unbeschränkter Höhe untersagt, das
Dokumentarspiel "Der Soldatenmord von Lebach" bis zur
rechtskräftigen Entscheidung über die Klage zur Hauptsache
auszustrahlen, soweit darin die Person des Antragstellers und
Beschwerdeführers namentlich erwähnt oder dargestellt wird.
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Zur Entscheidung über die Kosten
in dem Verfahren der einstweiligen Verfügung wird die Sache an
das Oberlandesgericht Koblenz zurückverwiesen. |
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3. Das Land Rheinland-Pfalz hat
dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen im Verfahren vor
dem Bundesverfassungsgericht zu erstatten. |
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Gründe: |
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A. |
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Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Ablehnung
eines Antrags des Beschwerdeführers auf Erlaß einer
einstweiligen Verfügung durch zivilgerichtliche
Entscheidungen. Durch die begehrte einstweilige Verfügung
sollte dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) untersagt
werden, ein von ihm produziertes Dokumentarspiel
auszustrahlen, soweit darin der Beschwerdeführer dargestellt
oder sein Name erwähnt wird.
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1 |
I. |
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Der 1945 geborene
Beschwerdeführer war an einer schweren Straftat, dem sog.
Soldatenmord von Lebach, beteiligt, die Gegenstand eines
Schwurgerichtsverfahrens war. Die beiden Haupttäter waren
untereinander und mit dem Beschwerdeführer befreundet, wobei
die Beziehungen zum Teil eine homosexuelle Komponente
hatten. Die drei jungen Männer strebten die Gründung einer
Lebensgemeinschaft außerhalb der von ihnen abgelehnten
Gesellschaft an. Sie planten einen Überfall auf ein
Munitionsdepot der Bundeswehr, um Waffen zu erbeuten, mit
deren Hilfe sie sich durch weitere Straftaten die Mittel zur
Verwirklichung des erträumten Lebens auf einer Hochseeyacht
in der Südsee verschaffen wollten. Im Januar 1969 führten
die beiden Haupttäter den Überfall aus; sie töteten hierbei
vier schlafende Soldaten der Wachmannschaft, verletzten
einen weiteren schwer und entwendeten Waffen und Munition.
Später versuchten sie, unter Hinweis auf diese Tat einen
Finanzmakler zu erpressen. Der Beschwerdeführer hatte bei
den Planungen der Freundesgruppe immer wieder erklärt, er
sei zur Tatausführung nicht imstande; daher hatte er bei dem
Überfall nicht mitgewirkt.
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2 |
Das Schwurgericht verurteilte am 7. August 1970 die beiden
Haupttäter zu lebenslangen Freiheitsstrafen, den
Beschwerdeführer wegen Beihilfe zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren. Es sah eine strafbare
Beihilfe des Beschwerdeführers zu den Tötungsdelikten darin,
daß er einem der Haupttäter die Handhabung der Pistole
erläutert hatte, die dieser später bei dem Überfall
benutzte, eine Beihilfe zur versuchten Erpressung in der
Billigung des an den Finanzmakler gesandten Briefes. Bei der
Strafzumessung berücksichtigte das Schwurgericht zugunsten
des bis dahin nicht vorbestraften Beschwerdeführers, daß er
eher Mitläufer als treibende Kraft des Unternehmens und sein
Tatbeitrag wie das Maß seiner Schuld im Verhältnis zu den
Haupttätern gering gewesen sei; er habe durch Bekanntgabe
des Waffenverstecks wesentlich zur Aufklärung des
Verbrechens beigetragen, sei in vielen Punkten geständig
gewesen und bereue offensichtlich sein eigenes Unrecht und
das gesamte Tatgeschehen. Auch ergäben sich aus seinem
Vorleben, seiner unselbständigen, gehemmten Persönlichkeit
und der irrational begründeten gefühlsbestimmten
Abhängigkeit von einem der Haupttäter Milderungsgründe. Die
Strafe sei in der verhängten Höhe notwendig, um im günstigen
Sinne auf ihn einzuwirken, und geeignet, ihn von künftigen
Rechtsbrüchen abzuhalten.
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3 |
Der Beschwerdeführer hat inzwischen fast zwei Drittel seiner
Strafe
verbüßt; die Vollstreckung der Reststrafe wird
voraussichtlich im Juli dieses Jahres gemäß § 26 Abs. 1 StGB
zur Bewährung ausgesetzt werden. Er beabsichtigt, in seine
Heimatstadt zurückzukehren.
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4 |
II. |
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1. Das Gewaltverbrechen von Lebach erregte in der deutschen
Öffentlichkeit ungewöhnliches Aufsehen, zumal da die
Fahndung nach den Tätern sich mehrere Monate hinzog. Über
die Tat, die umfangreichen Fahndungsmaßnahmen und über das
Strafverfahren wurde in Presse, Hörfunk und Fernsehen
eingehend berichtet.
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5 |
Noch vor dem rechtskräftigen Abschluß des Strafverfahrens
erschien ein von dem Leiter der Hauptabteilung
Dokumentarspiel des ZDF Jürgen Neven-du Mont und dem
Leitenden Kriminaldirektor beim Bundeskriminalamt Karl
Schütz unter Mitarbeit von Rainer Söhnlein verfaßtes Buch
über den Fall.
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6 |
Neven-du Mont und Söhnlein verfaßten ferner für das ZDF das
Drehbuch für ein Dokumentar-Fernsehspiel "Der Soldatenmord
von Lebach", das unter der Regie von Söhnlein produziert und
im Frühjahr 1972 fertiggestellt wurde. Nach dem vom
Oberlandesgericht festgestellten - unstreitigen -
Sachverhalt soll das Spiel im Programm des ZDF
voraussichtlich an einem Freitagabend als zweiteilige, von
Kurznachrichten unterbrochene Sendung in einer Gesamtdauer
von 2 Stunden und 40 Minuten ausgestrahlt werden. Der erste
Teil des Spiels stellt die Beziehungen innerhalb der
Freundesgruppe, die Planung des Überfalls und seine
Ausführung dar. Der zweite Teil behandelt vor allem die
Fahndung und Ermittlung der Täter, ferner den
Erpressungsversuch. Der Beschwerdeführer wird ebenso wie die
Haupttäter eingangs im Bilde vorgeführt, sodann von einem
Schauspieler dargestellt. Sein Name wird während des ganzen
Spiels immer wieder genannt.
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7 |
2. Der Beschwerdeführer sieht in der geplanten Ausstrahlung
des Fernsehspiels eine rechtswidrige Verletzung seines
Persönlichkeitsrechts,
seines Namensrechts und seines Rechts am eigenen Bild. Sein
Antrag, im Wege einstweiliger Verfügung dem ZDF die
Ausstrahlung des Spiels zu verbieten, soweit darin seine
Person dargestellt oder namentlich erwähnt werde, wurde vom
Landgericht und vom Oberlandesgericht durch die
angefochtenen Entscheidungen abgelehnt. Beide Urteile sind
auf §§ 22 und 23 des Kunsturhebergesetzes vom 9. Januar 1907
(KUG) gestützt.
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8 |
a) Das Landgericht hat ausgeführt, der Beschwerdeführer sei
durch seine Beteiligung an der Straftat für einen begrenzten
Zeitraum als "relative Person der Zeitgeschichte" anzusehen.
Die Tat sei besonders durch die Gruppenbildung von
grundsätzlicher gesellschaftspolitischer Bedeutung und habe
ein starkes Interesse der Öffentlichkeit an den
psychologischen und soziologischen Hintergründen erregt. Als
Mitglied der Tätergruppe müsse der Beschwerdeführer die
Fortsetzung der öffentlichen Erörterung auch in der
Einkleidung in eine Filmhandlung dulden, ohne Rücksicht
darauf, welches Gewicht seinem Tatbeitrag zukomme. Da die
Geschehnisse bereits bekannt seien und das Spiel nach dem
Vortrag des ZDF ohne Entstellung des Persönlichkeitsbildes
des Beschwerdeführers den wirklichen Fall dokumentarisch
einwandfrei darstelle, sei ein wesentlicher zusätzlicher
Eingriff in seine Privatsphäre oder eine Gefährdung seiner
Resozialisierung nicht zu befürchten.
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9 |
b) Das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts vom 5. Oktober
1972 (NJW 1973, S. 251 = JZ 1973, S. 279) ist im
wesentlichen wie folgt begründet: Im vorliegenden Fall sei
eine Güterabwägung vorzunehmen zwischen dem Recht am eigenen
Bild im Sinne von §§ 22 und 23 KUG, das als besondere
Erscheinungsform des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter
den Wertvorstellungen der Art. 1 und 2 Abs. 1 GG zu sehen
sei, und dem Bedürfnis nach sachgerechter bildmäßiger
Information über im öffentlichen Interesse stehende
Personen, das in § 23 KUG anerkannt und im Hinblick auf die
in Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsfreiheit und Freiheit
der Berichterstattung durch den Rundfunk auszulegen sei. Aus
der letztgenannten Verfassungsnorm ergebe sich das
Recht des Fernsehens zur Berichterstattung über
Strafverfahren. Trotz des auch dem Schwerverbrecher
zuzuerkennenden Persönlichkeitsbereichs und der hohen
Bedeutung der Resozialisierung gelte dies gerade für bereits
abgeschlossene Strafverfahren, da in diesem Stadium keine
Nachteile für die Verteidigung des Beschuldigten zu besorgen
seien und erhöhte Gewähr für eine umfassende und
sachgerechte Berichterstattung bestehe.
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10 |
Der Beschwerdeführer sei durch seine erhebliche Verstrickung
in die Tat insoweit relative Person der Zeitgeschichte
geworden und sei dies auch noch im Zeitpunkt des Erlasses
des Berufungsurteils. Für diese Frage komme es entscheidend
darauf an, daß nach der Überzeugung des Gerichts noch ein
nicht unerhebliches Interesse der Bevölkerung an dem
Tatgeschehen und der Person des Beschwerdeführers bestehe.
Der Überfall nehme im Bewußtsein der meisten Bürger der
Bundesrepublik eine Sonderstellung ein. Eine
wahrheitsgemäße, sachgerechte Unterrichtung darüber sei aber
nicht denkbar, wenn man bei der Darstellung der einzelnen
Vorgänge die Person des Beschwerdeführers auslasse.
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11 |
Berechtigte Interessen des Beschwerdeführers im Sinne von §
23 Abs. 2 KUG stünden dem Vorhaben des ZDF nicht entgegen.
Der Gesichtspunkt der Resozialisierung könne nicht abstrakt
der Freiheit der Massenmedien gemäß Art. 5 Abs. 1 GG
entgegengehalten, sondern nur bei der konkreten
Interessenabwägung berücksichtigt werden. Danach verdiene
hier das Recht zur Information über Angelegenheiten
öffentlichen Interesses auch dann den Vorrang, wenn mit
einer vorzeitigen Entlassung des Beschwerdeführers im Juli
1973 zu rechnen sei. Die bei Darstellungen in Form von
Dokumentarspielen aus dramaturgischen Gründen mögliche
Gefahr einer verfälschten Wiedergabe sei vermieden. Die an
sich aus der Massenwirkung von Fernsehsendungen folgende
Intensität des Eingriffs in den Persönlichkeitsbereich sei
dadurch gemindert, daß die Bevölkerung in der Heimatstadt
des Beschwerdeführers mit der Tat und der Person des Täters
wesentlich vertrauter sei als der Durchschnitt der anderen
Fernsehzuschauer. Zwar halte es das Gericht für
ausgeschlossen, daß die Sendung
die Resozialisierung des Beschwerdeführers, der seine eigene
Schuld erkannt habe und fest entschlossen sei, in Zukunft
ein straffreies Leben zu führen, erleichtern werde. Vielmehr
werde sie möglicherweise, wenn nicht sogar wahrscheinlich,
die Resozialisierung erschweren. Dies müsse der
Beschwerdeführer jedoch in Kauf nehmen und damit etwaige
Nachteile tragen, die in unserem Staat angesichts der im
Grundgesetz gewährleisteten Freiheit der Massenmedien
insbesondere denen zugemutet würden, die im öffentlichen
Interesse stünden. Dieses Interesse der Allgemeinheit beruhe
nicht auf Zufall, sondern auf schwerwiegender menschlicher
Schuld auch des Beschwerdeführers.
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12 |
III. |
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1. Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer
geltend, die angefochtenen Entscheidungen verletzten ihn in
seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG,
und begründet dies wie folgt:
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13 |
Das Oberlandesgericht lasse die Zeichnung eines Lebensbildes
des Beschwerdeführers zu, die selbst auf den persönlichsten
Intimbereich keine Rücksicht nehme, ihn in beschämender,
erniedrigender Weise bloßstelle und ein Klima schaffe, das
es dem Beschwerdeführer unmöglich mache, in der Gesellschaft
wieder Fuß zu fassen. Das Menschenbild des Grundgesetzes
lasse keinen Raum für die Auffassung, Straftäter müßten noch
nach Verbüßung der von Rechts wegen über sie verhängten
Strafe eine zusätzliche Deklassierung derart hinnehmen, daß
sie vor Millionen von Fernsehzuschauern an einen "modernen
Pranger" gestellt werden dürften. Das berechtigte
Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der
Wahrheitsfindung im Prozeß und an der Wiederherstellung des
Rechtsfriedens sei spätestens mit der rechtskräftigen
Verurteilung des Beschwerdeführers oder jedenfalls im engen
zeitlichen Zusammenhang damit entfallen. Eine
wahrheitsgemäße sachgerechte Unterrichtung über die Tat sei
auch ohne Einbeziehung des Beschwerdeführers denkbar. Zudem
tauche in dem Film nirgends die eigentliche Beihilfehandlung
auf, derentwegen
er verurteilt worden sei, nämlich das Erklären der Pistole.
Die Sicht des Films, das gesamte Geschehen aus einem Punkt,
nämlich der homosexuellen Veranlagung der Täter, zu
erklären, verfälsche die komplexe Tat, putsche bestehende
Vorurteile auf und zeige zugleich, daß es dem Film in erster
Linie auf die Befriedigung der Sensationslust ankomme.
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14 |
2. Der Bundesminister der Justiz hat namens der
Bundesregierung wie folgt Stellung genommen:
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15 |
Bei der Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des
Straftäters mit der Freiheit der öffentlichen
Meinungsbildung seien die Umstände des Einzelfalls
entscheidend, wobei auch dem Gedanken der Resozialisierung
ein hoher Wert zuzumessen sei. Hier trage die
zusammenfassende Darstellung des Verbrechens als solchem
einschließlich seiner weit zurückreichenden Vorgeschichte in
Form eines Dokumentarspiels auch noch längere Zeit nach
Rechtskraft des Strafurteils einem legitimen
Informationsbedürfnis Rechnung. Jedoch sei bei einem
Straftäter, der nur relative Person der Zeitgeschichte sei,
ein vorrangiges Publikationsinteresse an der Namensnennung
und der persönlichen Darstellung nur für eine beschränkte
Zeit nach Rechtskraft des Straferkenntnisses anzuerkennen.
Bei einem Dokumentarspiel, das wie das vorliegende eine sehr
eingreifende Darstellung des Persönlichkeitsbildes des
Straftäters enthalte und eine große öffentliche Resonanz
hervorrufen werde, gelte dies unter Berücksichtigung der
notwendigen Vorbereitungsarbeiten nur für einen Zeitraum von
sechs bis neun Monaten. Ein zeitlich weiter reichendes
Publikationsinteresse könne im Einzelfall gegeben sein,
bedürfe aber eines eindeutigen sachlichen Nachweises, der
etwa aus einer - hier fehlenden - anhaltenden öffentlichen
Erörterung der Straftat in den anderen
Massenkommunikationsmitteln, aber auch aus neu
hinzutretenden Ereignissen herzuleiten sei, welche die Tat
in einem neuen Licht erscheinen ließen.
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16 |
Der Beschwerdeführer müsse danach auch heute noch die
Darstellung des Überfalls und seiner Vorgeschichte dulden,
dagegen nicht mehr das Zeigen seines Bildes und die Nennung
seines Namens.
Ein vollständiges Ausstrahlungsverbot lasse sich auch unter
Berücksichtigung des Resozialisierungsgesichtspunkts nicht
begründen. Das insoweit für die Abwägung maßgebende
allgemeine Persönlichkeitsrecht habe nicht primär die
Funktion, die Resozialisierung zu ermöglichen. Zudem seien
die mit der Resozialisierung des Beschwerdeführers
zusammenhängenden Probleme allzusehr mit seinen besonderen
persönlichen Verhältnissen und der Rückkehr in seine
Heimatstadt verbunden.
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17 |
3. Das Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz hat namens der
Landesregierung nach Anhörung örtlicher Behörden zu der
Frage Stellung genommen, wie sich die Sendung des
Dokumentarspiels auf die Einstellung der Einwohner der
Heimatstadt des Beschwerdeführers und auf die
Resozialisierung des Beschwerdeführers voraussichtlich
auswirken würde. Danach stoße in der Heimatstadt des
Beschwerdeführers ein Mann mit homosexueller Veranlagung auf
allgemeine Ablehnung und Verachtung der Bürger. Werde der
Beschwerdeführer auf Grund des Dokumentarspiels als
Homosexueller abgestempelt, so werde dies zu seiner völligen
gesellschaftlichen Isolierung nach seiner Entlassung führen.
Insbesondere werde seine Eingliederung ins Arbeitsleben
behindert und der beabsichtigte Anschluß an Sport- und
Musikgruppen unmöglich. Insgesamt würde die Ausstrahlung des
Spiels die Resozialisierung des Beschwerdeführers zumindest
wesentlich erschweren und eine lang andauernde
Prangerwirkung für ihn und seine Familienangehörigen nach
sich ziehen.
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4. Das ZDF hält die Verfassungsbeschwerde für offensichtlich
unbegründet und führt hierzu aus:
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19 |
Eine Fernsehanstalt wie das ZDF sei in besonderem Maße
legitimiert, das berechtigte Interesse der Allgemeinheit an
sachgerechter, umfassender Information über ein Ereignis der
Zeitgeschichte, wie es der Lebach-Fall sei, durch eine
dokumentarische Darstellung zu befriedigen. Entsprechend der
öffentlich-rechtlichen Aufgabe des ZDF wolle die Sendung in
erster Linie zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen.
Die Sendung solle die soziologischen und psychologischen
Hintergründe der Tat aufzeigen,
größeres menschliches Verständnis für den Beschwerdeführer
wecken und ergründen, wie die Wiederholung einer solchen Tat
vermieden werden könne. Weiterhin zeige der Film den
erheblichen personellen und technischen Aufwand sowie die
Einsatzbereitschaft der Polizei bei der Aufklärung des
Falles. Es werde sichtbar, wie außerordentlich gering die
Möglichkeit des Entkommens für die Täter sei. Ferner würden
die Verbesserungen in der Sicherung von Waffendepots der
Bundeswehr und im Wachdienst von Soldaten dargestellt. Das
Dokumentarspiel diene damit der Abschreckung künftiger Täter
und vorbeugend der Stärkung der öffentlichen Moral und der
sozialen Verantwortung. Es könne die Meinung bilden, daß
Verbrechen sich nicht lohnten, das Risiko des
Entdecktwerdens zu groß sei und daß die Gesellschaft selbst
mit solchen Verbrechern fertig werde. Das Dokumentarspiel
diene damit mittelbar dem Rechtsgüterschutz im Sinne von
Art. 1 GG. Wenn durch die Ausstrahlung des Spiels auch nur
ein potentieller Täter von vergleichbaren Straftaten
abgehalten werde, sei die Produktion bereits gerechtfertigt.
Die Grundrechte potentieller Opfer und noch nicht
straffälliger potentieller Täter hätten keinen minderen Rang
als das Persönlichkeitsrecht des bereits verurteilten
Beschwerdeführers.
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20 |
In Anbetracht der geringen Erfolge, die die Bemühungen um
die Wiedereingliederung Straffälliger bisher erbracht
hätten, dürfe das Resozialisierungsinteresse nicht
überbewertet werden. Die Resozialisierung des
Beschwerdeführers werde überdies durch das Dokumentarspiel
nicht nennenswert gefährdet. Die Sendung enthalte eine
diskrete und distanzierte Sachdarstellung unter Absage an
jede Sensationshascherei. Sie differenziere zwischen den
Beteiligten und lasse den Beschwerdeführer nur als Gehilfen
erscheinen. Sie trage zur Information und Meinungsbildung in
Form einer künstlerischen Darbietung bei, so daß sich das
ZDF auch auf den Schutz von Art. 5 Abs. 3 GG berufen könne.
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21 |
Folge man dem Beschwerdeführer, so werde ein breites
Informationsfeld für den "mündigen" Bürger, den Art. 5 GG im
Auge habe, gesperrt. Auch der Vorschlag, Dokumentarspiele
über Straftaten
nur innerhalb von sechs Monaten nach Rechtskraft des
Straferkenntnisses zuzulassen, bedeute einen Ausschluß der
Information und Meinungsbildung auf diesem Gebiet. Für die
Produktion eines Dokumentarspiels benötige die Anstalt
anderthalb bis zwei Jahre. Im vorliegenden Fall sei dieser
Zeitraum nur deswegen kürzer gewesen, weil auf das Buch von
Neven-du Mont habe zurückgegriffen werden können.
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22 |
Für die nur in beschränktem Umfang zulässige
verfassungsgerichtliche Prüfung seien die Feststellungen der
Zivilgerichte bindend, daß der Beschwerdeführer noch
relative Person der Zeitgeschichte sei, das Publikum ihn
noch in lebendiger Erinnerung habe und daß das
Dokumentarspiel kein negativ verfälschendes Bild des
Beschwerdeführers zeichne.
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23 |
5. Das Bundesverfassungsgericht hat noch einer Reihe
weiterer Stellen und Organisationen Gelegenheit zur Äußerung
gegeben.
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24 |
a) Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
insbesondere auf das Urteil des Bundesgerichtshofs über die
Fernsehsendung "Vor unserer eigenen Tür" (NJW 1966, S. 2353)
hingewiesen. Danach sind bei der Bildberichterstattung über
Personen und ihre Lebensverhältnisse die zum Schutz des
Persönlichkeitsrechts notwendigen Grenzen anders und enger
zu setzen als bei der Wort- und Schriftberichterstattung.
Die Vorführung eines Personenbildes im Fernsehen unter
gleichzeitiger Namensnennung und unter negativer
Qualifizierung habe eine derart soziale Prangerwirkung, daß
sie auch ein früherer Schwerverbrecher nicht zu dulden
brauche.
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25 |
b) Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) hat
darauf hingewiesen, daß die Rundfunkanstalten der ARD sich
grundsätzlich zur Information über gegenwärtige Geschehnisse
in Form künstlerisch gestalteter Dokumentarspiele für
berechtigt hielten. Bei solchen Dokumentarspielen
entstandene Interessenkonflikte seien im Einzelfall geregelt
worden.
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26 |
c) Der Deutsche Presserat und der Verband Deutscher
Zeitschriftenverleger haben hervorgehoben, daß die Presse
bis heute über
aufsehenerregende Kriminalfälle der Gegenwart und der
Vergangenheit unter Namensnennung und Bildveröffentlichung
der Täter berichtet habe. Bei der im Einzelfall
erforderlichen Güterabwägung verbiete die Pressefreiheit des
Art. 5 Abs. 1 GG, die Entscheidung davon abhängig zu machen,
ob ein Pressebericht von einem berechtigten
Informationsinteresse der Öffentlichkeit getragen werde oder
ob er nur der Sensationslust und Neugierde oder der
Unterhaltung eines Massenpublikums diene. Vorrangige
Interessen des Beschwerdeführers, aus dem Blickfeld der
Öffentlichkeit entlassen zu werden, seien nicht zu erkennen.
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27 |
d) Nach Auffassung des Deutschen Journalisten-Verbandes hat
bei einem jahrelangen Abstand von der Straftat und nach
erfolgter Sühne das Informationsinteresse der Öffentlichkeit
keinen Bestand mehr. Aber auch das erklärte Ziel einer
Meinungsbildung - hier etwa die zudem anfechtbare
psychologische Deutung der Tat aus der homosexuellen
Veranlagung des Täterkreises - widerspreche der
Resozialisierung als dem Hauptziel des modernen
Strafvollzugs und rechtfertige zumal bei einem Tatbeitrag
von untergeordneter Bedeutung nicht einen so folgenschweren
Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, wie ihn das in Rede
stehende Dokumentarspiel bedeute.
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28 |
e) Der Bundesverband Deutscher
Zeitungsverleger hat ausgeführt, in welchem Umfang über eine
Person der Zeitgeschichte berichtet werden dürfe, müsse
unter Berücksichtigung der spezifischen Mittel und Wirkungen
des jeweiligen Mediums beurteilt werden. Die Wirkung von
Fernsehsendungen auf den Zuschauer sei sehr viel stärker als
bei Wort-Bild-Darstellungen in der Presse. Hinsichtlich der
Art und Weise der Darstellung mache es einen Unterschied, ob
lediglich ein Ereignis bildlich wiedergegeben oder ein
Lebensbild gezeichnet werde. Insgesamt sollten Ereignisse
wie das Geschehen in Lebach der Berichterstattung
offenstehen, auch wenn seitdem Jahre vergangen seien. Solche
Verbrechen würfen Fragen auf, die in einer offenen
Gesellschaft diskutiert werden müßten. Eine Erörterung
darüber erschwere auch nicht generell die Resozialisierung
der Täter.
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29 |
IV.
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1. Das Bundesverfassungsgericht hat durch einstweilige
Anordnung vom 13. März 1973 dem ZDF untersagt, bis zur
Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde das
Dokumentarspiel auszustrahlen, soweit darin die Person des
Beschwerdeführers namentlich erwähnt oder dargestellt wird.
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30 |
2. Das Bundesverfassungsgericht hat das Dokumentarspiel in
Augenschein genommen. Es hat weiter in der mündlichen
Verhandlung die Sachverständigen Regierungsdirektorin Dr.
Einsele, Frankfurt, Professor Dr. Lüscher, Konstanz, und
Diplompsychologe Possehl, Diez/Lahn, darüber gehört, wie
Fernsehsendungen über abgeurteilte schwere Straftaten nach
Art des Dokumentarspiels vom Standpunkt des Strafvollzuges
und der Sozialpsychologie zu beurteilen sind, namentlich
welche Wirkungen von solchen Sendungen im Hinblick auf die
Resozialisierung der dargestellten verurteilten Täter und
speziell des Beschwerdeführers zu erwarten sind.
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31 |
a) Die Sachverständige Dr. Einsele hat aus der Sicht des
Strafvollzuges ausgeführt:
|
32 |
Die Zielsetzung des Strafvollzugs habe sich in den
vergangenen Jahrzehnten auf den rationalen Zweck, die
Gesellschaft durch Resozialisierung oder Sozialisation vor
dem Rückfalltäter zu schützen, konzentriert. Wirklich
vollendet werden könne die Sozialisation erst, wenn die
Wiedereingliederung des Straffälligen in die normale, freie
Gesellschaft gelinge. Dies erfordere nicht nur innere
Einsicht und die bei dem heutigen meist labilen Täterkreis
notwendige Stärkung des Selbstvertrauens; der Entlassene
bedürfe auch entscheidend der Selbstbestätigung durch die
Umwelt. Werde ein Täter kurz vor seiner wahrscheinlichen
Entlassung noch einmal mit vollem Namen und mit seinem Bild
im Zusammenhang mit einer aufsehenerregenden Straftat der
Öffentlichkeit vorgestellt, so müsse das in einer inneren
und dann mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in einer äußeren
Katastrophe enden.
Alle Ängste, die vielleicht während des Vollzuges von ihm
genommen worden seien, brächen wieder auf. Angst sei aber
der größte Feind für ein sozial unauffälliges Leben,
besonders bei der hier gegebenen kleinbürgerlichen
Mentalität des Täters und bei einer Umwelt, in der
Bestraften gegenüber aggressive Enge erfahrungsgemäß stark
ausgeprägt sei.
|
33 |
Der Abschreckungseffekt, den das Dokumentarspiel erzielen
wolle, sei nach den Erfahrungen im Strafvollzug bei dem in
Betracht kommenden Täterkreis nur sehr gering zu
veranschlagen. Viel ernster zu nehmen sei die Gefahr, daß
der nicht akzeptierte oder mit Haß aufgenommene Täter aus
einer tiefen Verunsicherung heraus sich selbst aufgebe und
erneut zum Außenseiter und also potentiellen Straftäter
werde. Zu bedenken sei auch, daß das Dokumentarspiel den
Beschwerdeführer zur Zeit der Tat zeige und völlig
unberücksichtigt lasse, was in der Zwischenzeit mit ihm
geschehen sei. Vor der Umwelt stehe er nach dem Film im
vollen Lichte seines damaligen Seins, als einer von den
Dreien, die an der furchtbaren Tat beteiligt gewesen seien.
Beim Beschwerdeführer komme zur Darstellung der Tat noch die
seiner Homosexualität hinzu. Die Abwehr gegen dieses
Sexualverhalten sei in der Öffentlichkeit noch sehr stark.
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34 |
b) Der Sachverständige Professor Dr. Lüscher hat vom
Standpunkt der Sozialpsychologie und der
Kommunikationswissenschaft aus besonders auf folgendes
hingewiesen:
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35 |
Die Wirkungsforschung habe die Erkenntnis erbracht, daß
durch Massenkommunikation in erster Linie bereits vorhandene
Einstellungen verstärkt würden. In Bereichen, in denen noch
keine feste Meinung gebildet worden sei, komme vor allem die
Glaubwürdigkeit des Kommunikators ins Spiel. Diese
Glaubwürdigkeit besitze das Fernsehen im Vergleich zu
anderen Medien in hohem Maße. Außerdem werde bei
unentschiedenen Personen eine Meinung eher akzeptiert, wenn
sie als diejenige der Mehrheit dargestellt werde. Eine Art
allgemeinen Abschreckungseffekt erziele das Dokumentarspiel
vermutlich nicht, denn die Tatsache, daß generell
Einstellungen schwer veränderbar seien, treffe für den
potentiell Kriminellen genauso zu wie für den Normalbürger.
Akzeptiere man die Bestätigungsthese, so sei es von großer
Wichtigkeit zu wissen, was bestätigt werde. Über vorhandene
Einstellungen zu den hier dargestellten Vorgängen, zu
Kriminalität, Homosexualität, Resozialisation hätten sich
die Programmschaffenden im Falle eines
Kriminal-Dokumentarspiels durch sozialwissenschaftliche
Untersuchungen systematisch und gründlich zu orientieren, um
mögliche Wirkungen der Sendung abschätzen und so
gegebenenfalls auch Vorkehrungen treffen zu können, die
sozial nicht wünschbaren Wirkungen entgegenträten. Daß
dieser Sorgfaltspflicht hier genügt worden sei, könne er
nach den ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht
feststellen.
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36 |
Nach ihrem Inhalt hebe die Sendung die Homosexualität als
Erklärung im Vergleich zu anderen Möglichkeiten (z.B.
Kleinstadtmilieu) einseitig hervor. Das sei deswegen von
großer Bedeutung, weil hinsichtlich dieses Elements der
Beschwerdeführer ein gleichwertiger Träger der dramatischen
Handlung sei. Die Gefahr, daß er deswegen von vielen
Zuschauern in bezug auf die Tat als letztlich gleichwertiger
Täter gesehen werde, lasse sich nicht von der Hand weisen.
Sofern die homosexuellen Beziehungen als psychosoziale
Erklärung der Tat verstanden und akzeptiert würden, könne
die erstrebte Differenzierung zwischen den Beteiligten kaum
erreicht werden.
|
37 |
Das Dokumentarspiel solle nach den Intentionen der
Produzenten in erster Linie der Erklärung des Geschehens
dienen. Dies entspreche den augenblicklichen Erwartungen des
Publikums, das im jetzigen Zeitpunkt an einer
Gesamtinterpretation der Tat und der damit zusammenhängenden
sozialen Probleme interessiert sei. Weite Teile des
Publikums würden das Dokumentarspiel als objektive und
abschließende Bewertung des Falles beurteilen und die
angebotenen Erklärungen sowohl auf die betroffenen einzelnen
Personen wie auch auf analoge Fälle beziehen und in ihre
generelle Einstellung aufnehmen. Unter diesen Umständen sei
zu bedenken, ob dann nicht die realistische Darstellung der
Fakten und deren Authentizität in erster Linie die Funktion
habe, die Glaubwürdigkeit
der vorgetragenen Interpretation zu untermauern.
|
38 |
Hinsichtlich der Namensnennung in derartigen Sendungen sei
zu unterscheiden: Je mehr die Sendung den Charakter eines
Spieles habe, desto weniger sei die Namensnennung nötig. Je
mehr sich die Sendung auf eine dokumentarische Darstellung
beschränke, also Berichterstattung sei, desto stärker müßten
individuelle Momente einbezogen werden.
|
39 |
c) Der Sachverständige Possehl, der als Anstaltspsychologe
in der Strafanstalt tätig ist, in der der Beschwerdeführer
seine Strafe verbüßt, und den Beschwerdeführer eingehend
exploriert hat, ist der Ansicht, daß eine Ausstrahlung des
Dokumentarspiels die Lebensangst des Beschwerdeführers,
seine Neigung zu sozialer Selbstisolierung und seine
Minderwertigkeitsgefühle verstärken würde. Die Sendung würde
den heterosexuellen Beschwerdeführer eindeutiger als bisher
mit der Homosexualität assoziieren, obwohl diese
wahrscheinlich beim gesamten Tatkomplex nur eine
akzidentelle Rolle gespielt habe, ihn aber auch mit der Tat
in besonderem Maße identifizieren. Die Folge wäre, daß ihn
die soziale Umwelt stärker als ohne die Ausstrahlung der
Sendung ablehnen würde und sein Anschluß an Frauen in Frage
gestellt werde. Damit werde ein Rückfall in irgendeine,
nicht vorhersehbare Form der Kriminalität wahrscheinlich.
Eine Ausstrahlung des Fernsehspiels sei daher als in hohem
Maße rückfallfördernd anzusehen. Dagegen sei die Prognose
einer Resozialisierung für den Beschwerdeführer recht
günstig, wenn die Belastungen von außen gering blieben.
|
40 |
B. |
|
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
|
41 |
I. |
|
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen
Gerichtsentscheidungen, die in einem zivilgerichtlichen
Verfahren ergangen sind und auf der Anwendung von
Vorschriften des Privatrechts beruhen.
In solchen Fällen ist es nicht Aufgabe des
Bundesverfassungsgerichts, die Auslegung und Anwendung der
betreffenden Rechtsvorschriften als solche sowie die hierauf
bezogene Feststellung und Würdigung des Tatbestandes zu
prüfen. Dagegen unterliegt es seiner Prüfung, ob die
Ausstrahlungswirkung der in den Grundrechten enthaltenen
Wertentscheidungen auf das Zivilrecht hinreichend beachtet
ist. Das Bundesverfassungsgericht hat daher zu prüfen, ob
die angefochtenen Entscheidungen auf einer grundsätzlich
unrichtigen Auffassung von der Reichweite und Wirkkraft
eines der geltend gemachten Grundrechte beruhen oder ob das
Entscheidungsergebnis selbst ein solches Grundrecht verletzt
(vgl. BVerfGE 7, 198 [ 206
f.] - Lüth -; 21, 209 [216]; 30, 173 [187 f.] - Mephisto
-; 32, 311 [316]). Die angefochtene Entscheidung ist auch
dann zu beanstanden, wenn das Gericht bei Anwendung der
typischen Kriterien, die sich aus der Ausstrahlung der
Grundrechte für die Beurteilung von Fällen der vorliegenden
Art ergeben, nicht zu dem gefundenen Ergebnis hätte gelangen
können. Hierbei ist nicht ausgeschlossen, daß das
Bundesverfassungsgericht eigene Feststellungen, z.B. die
Anhörung von Sachverständigen, für geboten erachtet, um sich
eine tragfähige Grundlage für die verfassungsrechtliche
Beurteilung zu schaffen.
|
42 |
II. |
|
Im vorliegenden Fall ist das Oberlandesgericht zutreffend
davon ausgegangen, daß mehrere Grundrechte auf die Anwendung
des einfachen Rechts einwirken, und zwar in
entgegengesetzter Richtung: Es handelt sich um eine
Spannungslage zwischen dem in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung
mit Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Schutz der Persönlichkeit
und der Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk
gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.
|
43 |
1. Auf der einen Seite berührt eine Fernsehsendung der hier
vorliegenden Art über die Entstehung, Ausführung und
Verfolgung einer Straftat unter Namensnennung, Abbildung und
Darstellung des Straftäters zwangsläufig den Schutzbereich
seiner Grundrechte
aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Das
Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die
Menschenwürde sichern jedem Einzelnen einen autonomen
Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine
Individualität entwickeln und wahren kann. Hierzu gehört
auch das Recht, in diesem Bereich "für sich zu sein", "sich
selber zu gehören" (Adolf Arndt, NJW 1967, S. 1845 [1846]),
ein Eindringen oder einen Einblick durch andere
auszuschließen (vgl. BVerfGE 27, 1 [ 6];
33, 367 [ 376]
- Sozialarbeiter -; Beschluß vom 31. Januar 1973 - 2 BvR
454/71 - Tonband -, Umdruck B II 1 und 2 [im folgenden
zitiert als 2 BvR 454/71]). Dies umfaßt das Recht am eigenen
Bild und gesprochenen Wort (vgl. 2 BvR 454/71 a.a.O.), erst
recht aber das Verfügungsrecht über Darstellungen der
Person. Jedermann darf grundsätzlich selbst und allein
bestimmen, ob und wieweit andere sein Lebensbild im ganzen
oder bestimmte Vorgänge aus seinem Leben öffentlich
darstellen dürfen.
|
44 |
Nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts steht freilich nicht der gesamte
Bereich des privaten Lebens unter dem absoluten Schutz der
genannten Grundrechte (vgl. BVerfGE 6, 389 [ 433];
27, 1 [ 7];
27, 344 [ 351];
32, 373 [ 379];
33, 367 [ 376
f.]; 2 BvR 454/71 B II 1). Wenn der Einzelne als ein in
der Gemeinschaft lebender Bürger in Kommunikation mit
anderen tritt, durch sein Sein oder Verhalten auf andere
einwirkt und dadurch die persönliche Sphäre von Mitmenschen
oder Belange des Gemeinschaftslebens berührt, können sich
Einschränkungen seines ausschließlichen Bestimmungsrechts
über seinen Privatbereich ergeben, soweit dieser nicht zum
unantastbaren innersten Lebensbereich gehört. Ein solcher
Sozialbezug kann bei entsprechender Intensität namentlich
Maßnahmen der öffentlichen Gewalt zum Schutz von Interessen
der Allgemeinheit zulassen - vgl. etwa die Veröffentlichung
von Bildern verdächtiger Personen im Interesse der
Strafverfolgung (§ 24 KUG). Jedoch rechtfertigt weder das
staatliche Interesse an der Aufklärung
von Straftaten noch ein anderes öffentliches Interesse von
vornherein den Zugriff auf den Persönlichkeitsbereich (vgl.
BVerfGE 32, 373 [ 381];
2 BvR 454/71 B II 5). Vielmehr gebietet der hohe Rang des
Rechts auf freie Entfaltung und Achtung der Persönlichkeit,
der sich aus der engen Beziehung zum höchsten Wert der
Verfassung, der Menschenwürde, ergibt, daß dem aus einem
solchen Interesse erforderlich erscheinenden Eingriff
ständig das Schutzgebot des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 1 Abs. 1 GG als Korrektiv entgegengehalten wird.
Dementsprechend ist durch Güterabwägung im konkreten Fall zu
ermitteln, ob das verfolgte öffentliche Interesse generell
und nach der Gestaltung des Einzelfalls den Vorrang
verdient, ob der beabsichtigte Eingriff in die Privatsphäre
nach Art und Reichweite durch dieses Interesse gefordert
wird und im angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache
steht (vgl. BVerfGE 27, 344 [ 353
f.]; 32, 373 [ 381];
2 BvR 454/71 B II 5).
|
45 |
Diese in der Rechtsprechung zu Maßnahmen öffentlicher Gewalt
entwickelten Grundsätze müssen entsprechend beachtet werden,
wenn es sich um die gerichtliche Entscheidung über
kollidierende Interessen nach Vorschriften des Privatrechts
handelt. Damit wird die Berücksichtigung der Sonderstellung,
die den Medien des Hörfunks und Fernsehens kraft ihrer
öffentlich-rechtlichen Organisation und öffentlichen Aufgabe
zukommt, nicht ausgeschlossen.
|
46 |
2. Insoweit fällt hier, wie das Oberlandesgericht zutreffend
hervorgehoben hat, maßgebend ins Gewicht, daß die streitige
Sendung einer Funktion dienen soll, deren freie Wahrnehmung
ihrerseits in der Verfassung unmittelbar durch eine
Grundrechtsnorm geschützt ist. Die Freiheit der
Berichterstattung durch den Rundfunk gemäß Art. 5 Abs. 1
Satz 2 GG (Rundfunkfreiheit) ist ebenso wie die
Pressefreiheit, die Freiheit der Meinungsäußerung und die
Informationsfreiheit schlechthin konstituierend für die
freiheitlich-demokratische Grundordnung (vgl. BVerfGE 7, 198
[208]; 10, 118 [121]; 12, 205 [259 ff.] -
Deutschland-Fernsehen -; 20, 56 [97 f.]; 20, 162 [174 ff.] -
Spiegel -; 27, 71 [81 f.] - Zeitungen aus der DDR -).
|
47 |
Hörfunk und Fernsehen gehören in gleicher Weise wie die
Presse zu den unentbehrlichen Massenkommunikationsmitteln,
denen sowohl für die Verbindung zwischen dem Volk und den
Staatsorganen wie für deren Kontrolle als auch für die
Integration der Gemeinschaft in allen Lebensbereichen eine
maßgebende Wirkung zukommt. Sie verschaffen dem Bürger die
erforderliche umfassende Information über das Zeitgeschehen
und über Entwicklungen im Staatswesen und im
gesellschaftlichen Leben. Sie ermöglichen die öffentliche
Diskussion und halten sie in Gang, indem sie Kenntnis von
den verschiedenen Meinungen vermitteln, dem Einzelnen und
den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen Gelegenheit
geben, meinungsbildend zu wirken, und sie stellen selbst
einen entscheidenden Faktor in dem permanenten Prozeß der
öffentlichen Meinungs- und Willensbildung dar (vgl. BVerfGE
12, 113 [ 125];
12, 205 [ 260]).
Trotz der engeren Fassung des Wortlauts
("Berichterstattung") unterscheidet sich die
Rundfunkfreiheit wesensmäßig nicht von der Pressefreiheit;
sie gilt in gleicher Weise für rein berichtende Sendungen
wie für Sendungen anderer Art. Information und Meinung
können ebensowohl durch ein Fernsehspiel oder eine
Musiksendung vermittelt werden wie durch Nachrichten oder
politische Kommentare; jedes Rundfunkprogramm hat schon
durch die getroffene Auswahl und die Gestaltung der Sendung
eine bestimmte meinungsbildende Wirkung (vgl. BVerfGE 12,
205 [ 260];
31, 314 [ 326]).
Ebensowenig läßt die Rundfunkfreiheit von vornherein eine
Unterscheidung der Sendungen nach dem jeweils verfolgten
Interesse oder der Qualität der Darbietung zu; eine
Beschränkung auf "seriöse", einem anerkennenswerten privaten
oder öffentlichen Interesse dienende Produktion liefe am
Ende auf eine Bewertung und Lenkung durch staatliche Stellen
hinaus, die dem Wesen dieses Grundrechts gerade
widersprechen würde (vgl. BVerfGE 25, 296
[307]; Beschluß vom 14. Februar 1973 - 1 BvR 112/65 -
immaterielle Schäden - [im folgenden zitiert als 1 BvR
112/65], Umdruck C I 4 mit weiteren Nachweisen). Demgemäß
kann eine Rundfunk- oder Fernsehanstalt sich grundsätzlich
für jede Sendung zunächst auf den Schutz des Art. 5 Abs. 1
Satz 2 GG berufen, gleichgültig, ob es sich um politische
Sendungen, kritische Auseinandersetzungen mit anderen die
Allgemeinheit interessierenden Fragen oder um Hörspiele,
kabarettistische Programme oder andere
Unterhaltungssendungen handelt. Das Eingreifen der
Verfassungsgarantie ist also nicht abhängig von dem
jeweiligen Nachweis eines "berechtigten" oder "legitimen"
Interesses an der betreffenden Sendung (vgl. Adolf Arndt,
a.a.O.). Entsprechend deckt die Rundfunkfreiheit nicht
allein die Auswahl des dargebotenen Stoffes, sondern auch
die Entscheidung über die Art und Weise der Darstellung
einschließlich der Bestimmung darüber, welche der
verschiedenen Formen von Sendungen hierfür gewählt wird.
|
48 |
Erst wenn die Wahrnehmung der Rundfunkfreiheit mit anderen
Rechtsgütern in Konflikt gerät, kann es auf das mit der
konkreten Sendung verfolgte Interesse, die Art und Weise der
Gestaltung und die erzielte oder voraussehbare Wirkung
ankommen. Die Verfassung hat den möglichen Konflikt zwischen
der Rundfunkfreiheit und dadurch betroffenen Interessen von
einzelnen Bürgern, von Gruppen oder der Gemeinschaft durch
Verweisung auf die allgemeine Rechtsordnung geregelt; nach
Art. 5 Abs. 2 GG unterliegt die Veranstaltung von
Rundfunksendungen den Einschränkungen, die sich aus den
allgemeinen Gesetzen ergeben. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf die damit
gebotene Rücksicht auf andere Rechtsgüter jedoch die
Rundfunkfreiheit nicht relativieren; vielmehr sind die die
Rundfunkfreiheit beschränkenden Gesetze ihrerseits im Blick
auf die Verfassungsgarantie auszulegen und gegebenenfalls
selbst wieder einzuschränken, um der Rundfunkfreiheit
angemessene Verwirklichung zu sichern (vgl. BVerfGE 20, 162
[ 176
f.]; 7, 198 [ 208
ff.]). Dies erfordert im Einzelfall eine generelle und
konkrete Abwägung der sich gegenüberstehenden Rechtsgüter.
|
49 |
III. |
|
1. Zu den allgemeinen Gesetzen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG
gehören auch die den angefochtenen Entscheidungen zugrunde
liegenden Vorschriften der §§ 22, 23 des Gesetzes betreffend
das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der
Photographie vom 9. Januar 1907 (RGBl. S. 7), die gemäß §
141 Nr. 5 des Urheberrechtsgesetzes vom 9. September 1965
(BGBl. I S. 1273) weitergelten. Diese Rechtsvorschriften,
die sich nach ihrem Wortlaut und ursprünglichen Sinn nur auf
das Recht am eigenen Bild bezogen, sind seit langem in
Rechtsprechung und Schrifttum dahin ausgelegt worden, daß
sie sowohl für die Abbildung mit und ohne Namensnennung wie
für die Darstellung einer Person durch einen Schauspieler
auf der Bühne, im Film oder im Fernsehen gelten (vgl. u. a.
KG, JW 1928, S. 363; BGHZ 26, 52 [67] - Sherlock Holmes -;
Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl. 1967, S. 298;
Rehm, Das Recht am eigenen Bild, Juristische Blätter [Wien]
1962, S. 1 ff., 65 ff. [67 f.]). Das Gesamtverständnis der
Vorschriften hat sich seit Inkrafttreten des Grundgesetzes
dahin gewandelt, daß das Recht am eigenen Bild als ein
Ausschnitt, eine besondere Ausprägung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts angesehen wird, das aus Art. 1 und 2
GG entwickelt worden ist (vgl. hierzu 1 BvR 112/65, Umdruck
A 3, C I 2 und 3; BGHZ 20, 345 [347] - Paul Dahlke -; BGH,
NJW 1962, S. 1004 [1005] - Doppelmörder - und 1971, S. 885
[886] - Petite Jacqueline -).
|
50 |
Diese Vorschriften sind verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden; ihre relativ flexible Gestaltung bietet
ausreichenden Raum für eine der Verfassung entsprechende
Anwendung. Wie die Praxis zeigt, ist es möglich, bei der
durch § 23 KUG gebotenen Interessenabwägung der
Ausstrahlungswirkung der einschlägigen Grundrechte
hinreichend Rechnung zu tragen. Dabei kommt es
verfassungsrechtlich nicht darauf an, bei welchem
Tatbestandselement des § 23 KUG die Abwägung vorgenommen
wird (vgl. Neumann-Duesberg, JZ 1973, S. 262 mit weiteren
Nachweisen; v. Gamm, Urheberrechtsgesetz, 1968, Einf. 113).
|
51 |
2. In Konfliktsfällen der vorliegenden Art gilt daher
einerseits der allgemeine Grundsatz, daß die Anwendung der
§§ 22, 23 KUG auf Fernsehsendungen die Rundfunkfreiheit
nicht übermäßig einengen darf. Andererseits besteht
gegenüber sonstigen allgemeinen Gesetzen im Sinne des Art. 5
Abs. 2 GG hier die Besonderheit, daß die Beschränkung der
Rundfunkfreiheit ihrerseits dem Schutz eines hohen
Verfassungswertes dient; das im Rahmen des § 23 KUG zu
berücksichtigende, gegen die Abbildung oder Darstellung
gerichtete Interesse der betroffenen Person erfährt eine
unmittelbare Verstärkung durch die Verfassungsgarantie des
Persönlichkeitsschutzes.
|
52 |
Die Lösung dieses Konflikts hat davon auszugehen, daß nach
dem Willen der Verfassung beide Verfassungswerte essentielle
Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Ordnung des
Grundgesetzes bilden, so daß keiner von ihnen einen
grundsätzlichen Vorrang beanspruchen kann. Das Menschenbild
des Grundgesetzes und die ihm entsprechende Gestaltung der
staatlichen Gemeinschaft verlangen ebensowohl die
Anerkennung der Eigenständigkeit der individuellen
Persönlichkeit wie die Sicherung eines freiheitlichen
Lebensklimas, die in der Gegenwart ohne freie Kommunikation
nicht denkbar ist. Beide Verfassungswerte müssen daher im
Konfliktsfall nach Möglichkeit zum Ausgleich gebracht
werden; läßt sich dies nicht erreichen, so ist unter
Berücksichtigung der falltypischen Gestaltung und der
besonderen Umstände des Einzelfalles zu entscheiden, welches
Interesse zurückzutreten hat. Hierbei sind beide
Verfassungswerte in ihrer Beziehung zur Menschenwürde als
dem Mittelpunkt des Wertsystems der Verfassung zu sehen.
Danach können von der Rundfunkfreiheit zwar restriktive
Wirkungen auf die aus dem Persönlichkeitsrecht abgeleiteten
Ansprüche ausgehen; jedoch darf die
durch eine öffentliche Darstellung bewirkte Einbuße an
"Personalität" nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der
Veröffentlichung für die freie Kommunikation stehen (vgl.
Adolf Arndt, a.a.O.). Weiter ergibt sich aus diesem
Richtwert, daß die erforderliche Abwägung auf der einen
Seite die Intensität des Eingriffes in den
Persönlichkeitsbereich durch eine Sendung der fraglichen Art
berücksichtigen muß; auf der anderen Seite ist das konkrete
Interesse, dessen Befriedigung die Sendung dient und zu
dienen geeignet ist, zu bewerten und zu prüfen, ob und
wieweit dieses Interesse auch ohne eine Beeinträchtigung -
oder eine so weitgehende Beeinträchtigung - des
Persönlichkeitsschutzes befriedigt werden kann.
|
53 |
IV. |
|
1. Aus diesen allgemeinen Grundsätzen ergeben sich für die
Beurteilung von Fernsehsendungen der vorliegenden Art
folgende verfassungsrechtlich bedeutsame Kriterien:
|
54 |
a) Eine öffentliche Berichterstattung über eine Straftat
unter Namensnennung, Abbildung oder Darstellung des Täters
wird stets seinen Persönlichkeitsbereich erheblich
beeinträchtigen, weil sie sein Fehlverhalten öffentlich
bekanntmacht und seine Person in den Augen der Adressaten
von vornherein negativ qualifiziert. Etwas anderes mag
gelten, wenn die Berichterstattung gerade in der Absicht
erfolgt, Verständnis für den Täter zu erwecken, etwa um eine
Wiederaufnahme des Verfahrens, einen Gnadenakt oder eine
sonstige Hilfe zu erreichen. Abgesehen davon, daß unter
solchen Umständen der Täter meist mit der Berichterstattung
einverstanden sein wird, liegt ein solcher Ausnahmefall hier
nicht vor (vgl. dazu unten V 2).
|
55 |
b) Läßt man die Möglichkeit einer zusätzlichen
Beeinträchtigung durch die jeweilige Art und Weise der
Darstellung (Polemik, Verfälschung) außer Betracht, so
bedeutet auch eine um Objektivität und Sachlichkeit bemühte
Berichterstattung durch das Fernsehen in der Regel einen
weitaus stärkeren Eingriff in die private
Sphäre als eine Wort- oder Schriftberichterstattung in
Hörfunk oder Presse. Dies folgt zunächst aus der stärkeren
Intensität des optischen Eindrucks und der Kombination von
Bild und Ton, vor allem aber aus der ungleich größeren
Reichweite, die dem Fernsehen auch im Verhältnis zu Film und
Theater eine Sonderstellung einräumt. Es besteht daher
besonderer Anlaß, "auf eine Wahrung der vom Recht gesetzten
Schranken zu achten und einem Mißbrauch des leichter
verletzbar gewordenen Persönlichkeitsrechts vorzubeugen. Das
Recht darf sich in diesem Punkt der technischen Entwicklung
nicht beugen" (BGH, NJW 1966, S. 2353 [2354] - Vor unserer
eigenen Tür -).
|
56 |
Daher ist freilich nach der Art
der Sendung zu differenzieren. Im vorliegenden Fall handelt
es sich um eine Produktion, die zu der vom ZDF entwickelten
Gattung der Dokumentarspiele gehört. Nach Angaben des
früheren Leiters der Hauptabteilung Dokumentarspiel im ZDF,
Dr. Wolfgang Bruhn, hat sich diese Sendeform, bei der ein im
ganzen authentischer Vorgang in ebenso authentischer Form
nachgespielt wird, sehr schnell zur beliebtesten
Programmform entwickelt und in der Gunst des Publikums
sowohl den Spielfilm wie die Showunterhaltung übertroffen
(vgl. Fernsehen in Deutschland, 1967, S. 157 ff. [157,
160]). Nach einer Statistik des ZDF wiesen Dokumentarspiele
im Jahre 1969 die höchste Sehbeteiligung aller
Abendsendungen des ZDF (38%) auf; im Programm der ARD hatten
im selben Zeitraum nur zwei Sparten eine höhere prozentuale
Sehbeteiligung (Tagesschau 52 %, Unterhaltung 39 % - vgl.
Setzen, Fernsehen: Objektivität oder Manipulation?, 1971, S.
142). Im Einzelfall spielen selbstverständlich auch die
Sendezeit und das gleichzeitige Programm der ARD eine Rolle.
Nach den vom ZDF vorgelegten Unterlagen über die Ergebnisse
der Infratest/Infratam-Fernsehforschung für die
Freitagabendprogramme des ZDF im Jahre 1972 lag die
durchschnittliche Einschaltquote bei Sendungen über
Kriminalstoffe ("Kommissar" und "Aktenzeichen XY -
ungelöst") über 65 %. Dies besagt, daß solche Sendungen in
etwa 11,7 Millionen Haushaltungen, bei Zugrundelegung einer
Durchschnittszahl von nur
zwei Personen je Haushalt also von rd. 23,4 Millionen
Personen gesehen werden. Nach Ansicht des Sachverständigen
Professor Lüscher wäre für eine Sendung des streitigen
Dokumentarspiels, die das ganze Abendprogramm füllt, bei
sorgfältiger und zurückhaltender Schätzung mit einer
Einschaltziffer von mindestens 30 % bis zu 80 % zu rechnen,
wobei diese eher an der oberen Grenze liegen würde.
|
57 |
c) Besteht schon aus den genannten Gründen ein besonderes
Schutzbedürfnis gegenüber Persönlichkeitsverletzungen durch
Fernsehsendungen mit solcher Reichweite, so kommt hinzu, daß
die Sendeform des Dokumentarspiels unter dem hier relevanten
Gesichtspunkt spezifische Gefahren mit sich bringt. Sie
verbindet eingängig dargebotene Information mit spannender
Unterhaltung; ohne Verfremdung oder Verhüllung wird ein
tatsächliches Geschehen in seiner Entwicklung und in seinem
Ablauf nachgespielt, die daran beteiligten Personen werden
möglichst wirklichkeitsgetreu gezeigt oder dargestellt. So
sind beispielsweise in der streitigen Sendung fast alle
Orts- und Personennamen unverändert geblieben; die
wirklichen Akteure der dargestellten Ereignisse spielen zum
Teil selbst mit - etwa zahlreiche Randfiguren -, zum Teil
werden sie nur deswegen durch Schauspieler dargestellt, weil
ihnen die schauspielerischen Fähigkeiten zum eigenen
Auftreten fehlen oder weil, wie beim Beschwerdeführer und
den Haupttätern, ihre Mitwirkung aus anderen Gründen von
vornherein ausschied. Bei gelungener Besetzung der
Hauptfiguren ergibt sich aus einem solchen Spiel "eine
faszinative Wirkung beim Zuschauer, die beträchtlich mehr
verstandesmäßiges wie auch gefühlsmäßiges und damit
engagiertes Bewußtsein hervorruft, als dies die beste
Dokumentation oder ein sogenanntes Feature erreichen könnte.
Der Zuschauer hat ... die totale Illusion, bei einem solchen
historischen Vorgang dabeizusein bzw. dabeigewesen zu sein.
Er hat ... (die) Möglichkeit der Identifikation mit dem Part
des 'Guten' ... und fühlt sich daneben und gleichzeitig gut
unterhalten" (Bruhn, a.a.O., S. 160).
|
58 |
Ein solches intensives Nacherleben unter Betonung der emotionalen
Komponente wird bei Darstellung einer schweren Straftat
normalerweise beim Zuschauer stärkere und auch nachhaltigere
Reaktionen gegen die dargestellten Straftäter hervorrufen
als eine reine Wort-Bild-Berichterstattung. Hinzu kommt, daß
das Dokumentarspiel auch bei noch so enger Anlehnung an die
Wirklichkeit nicht ohne dichterisches Beiwerk auskommen kann
(vgl. KG, UFITA 54 [1969] S. 291 [295 f.] - Der Fall
Angelika -), etwa soweit zur Darstellung der Entstehung
einer Straftat oder zur Charakteristik der Täter Szenen aus
ihrem persönlichen Leben gezeigt, Gespräche rekonstruiert
werden oder psychologische Vorgänge zum Ausdruck gebracht
werden sollen, ohne daß der Zuschauer insoweit zwischen
Dichtung und Wahrheit unterscheiden kann. Noch wesentlicher
ist es, daß die dramaturgisch notwendige Konzentration
einschließlich der Zeit- und Ablaufsraffungen zu einer
persönlichen Darstellung der Straftäter führt, die ganz auf
die Straftat und deren Interpretation durch Drehbuchautor
und Regisseur bezogen ist. Der Zuschauer, der wegen der
durch die Sendung insgesamt vermittelten "Illusion des
Authentischen" glaubt, den Straftäter in seiner wirklichen
Persönlichkeit vollständig zu erfassen, erhält tatsächlich
nur ein gewissermaßen auf die negative Dimension verkürztes
Persönlichkeitsbild, in dem positive oder neutrale
Charakterzüge und Verhaltensweisen, überhaupt eine feinere
Nuancierung fehlen.
|
59 |
d) Eine derart mögliche oder wahrscheinliche negative
Qualifizierung des dargestellten Straftäters kann noch durch
andere Faktoren bestätigt oder verstärkt werden. Wie der
Sachverständige Professor Lüscher ausgeführt hat, steht der
Zuschauer in der Bundesrepublik dem Fernsehen im
Durchschnitt weniger kritisch gegenüber als anderen
Massenmedien; nach Meinungsumfragen genießen
Fernsehsendungen mit Abstand die größte Glaubwürdigkeit.
Soweit dabei im einzelnen Differenzierungen geboten sind,
kann bei einem Dokumentarspiel sowohl wegen der erwähnten
emotionalen Komponente wie wegen des Unterhaltungscharakters
nicht ein besonders kritisch eingestelltes Publikum
vorausgesetzt werden; dies gilt erst recht bei einer Sendung
am Freitagabend.
Zuschauer, die nicht schon eine fixierte Auffassung zu dem
dargestellten Ereignis und der vorgestellten einzelnen
Person haben, werden dazu neigen, die realistische
Darstellung des Dokumentarspiels mit der Wirklichkeit zu
verwechseln und die Interpretation des Geschehens durch die
Sendung als richtige, objektive Bewertung zu übernehmen.
|
60 |
Schließlich tritt beim Fernsehen verstärkt das auch bei
anderen Kommunikationsmitteln zu beobachtende Problem der
"selektiven Wahrnehmung" auf. Damit ist die Tendenz des
Zuschauers gemeint, aus dem Kommunikationsangebot unbewußt
nur die den eigenen Auffassungen oder Voreingenommenheiten
entsprechenden Aussagen auszuwählen und wahrzunehmen. Wie
der Sachverständige Professor Lüscher näher dargelegt hat,
tragen die Massenmedien insoweit erheblich dazu bei,
vorhandene - bewußte oder unbewußte - allgemeine
Einstellungen zu verfestigen (vgl. auch Noelle-Neumann,
Wirkung der Massenmedien, Das Fischer Lexikon Bd. 9,
Publizistik, 1971, S. 318 ff.; Schwarzkopf in: Fernsehen in
Deutschland, 1967, S. 114 f.). Im vorliegenden Zusammenhang
bedeutet dies, daß die Darstellung von kriminellen oder
homosexuellen Personen in einem Dokumentarspiel die
überwiegend vorhandene allgemeine Ablehnung solcher sozialen
Außenseiter verstärken und auch dadurch zu einer ungünstigen
Gesamtbeurteilung der dargestellten Einzelperson führen
kann.
|
61 |
Zusammenfassend ergibt sich, daß eine
Fernsehberichterstattung über eine Straftat unter
Namensnennung, Abbildung oder Darstellung des Täters,
besonders in der Form des Dokumentarspiels, regelmäßig einen
schweren Eingriff in seine Persönlichkeitssphäre bedeuten
wird.
|
62 |
2. Auf der anderen Seite sprechen erhebliche Erwägungen für
eine auch die Person des Täters einbeziehende vollständige
Information der Öffentlichkeit über vorgefallene Straftaten
und die zu ihrer Entstehung führenden Vorgänge. Auch
Straftaten gehören zunächst zum Zeitgeschehen, dessen
Vermittlung Aufgabe der Medien überhaupt ist. Weiter
begründen die Verletzung der
allgemeinen Rechtsordnung, die Beeinträchtigung von
Rechtsgütern der betroffenen Bürger oder der Gemeinschaft,
die Sympathie mit den Opfern und ihren Angehörigen, die
Furcht vor Wiederholungen solcher Straftaten und das
Bestreben, dem vorzubeugen, ein durchaus anzuerkennendes
Interesse an näherer Information über Tat und Täter. Dieses
wird um so stärker sein, je mehr die Straftat sich durch die
Besonderheit des Angriffsobjekts, die Art der Begehung oder
die Schwere der Folgen über die gewöhnliche Kriminalität
heraushebt. Bei schweren Gewaltverbrechen nach Art der hier
dargestellten Straftat gibt es daher neben allgemeiner
Neugier und Sensationslust ernstzunehmende Gründe für das
Interesse an Information darüber, wer die Täter waren,
welche Motive sie hatten, was geschehen ist, um sie zu
ermitteln und zu bestrafen und um gleichartige Delikte zu
verhüten. Dabei wird zunächst der Wunsch nach Kenntnis der
reinen Tatsachen im Vordergrund stehen, während mit
zunehmendem zeitlichem Abstand das Interesse an einer tiefer
greifenden Interpretation der Tat, ihrer Hintergründe und
gesellschaftsbedingten Voraussetzungen Bedeutung gewinnt.
Nicht zuletzt fällt das legitime demokratische Bedürfnis
nach Kontrolle der für die Sicherheit und Ordnung
zuständigen Staatsorgane und Behörden, der
Strafverfolgungsbehörden und der Strafgerichte maßgebend ins
Gewicht. Schließlich bedarf es keiner näheren Darlegung, daß
Fernsehsendungen gerade wegen ihrer Reichweite speziell
geeignet sind, den dargelegten Informationsansprüchen zu
genügen.
|
63 |
3. Wägt man das umschriebene Informationsinteresse an einer
entsprechenden Berichterstattung im Fernsehen generell gegen
den damit zwangsläufig verbundenen Einbruch in den
Persönlichkeitsbereich des Täters ab, so verdient für die
aktuelle Berichterstattung über Straftaten das
Informationsinteresse im allgemeinen den Vorrang. Wer den
Rechtsfrieden bricht, durch diese Tat und ihre Folgen
Mitmenschen oder Rechtsgüter der Gemeinschaft angreift oder
verletzt, muß sich nicht nur den hierfür in der
Rechtsordnung verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen.
Er muß grundsätzlich auch dulden, daß das von ihm selbst
durch seine Tat
erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit in einer
nach dem Prinzip freier Kommunikation lebenden Gemeinschaft
auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird. Im übrigen
wirkt die hiermit gewährleistete Kontrolle der
Strafverfolgung und des strafgerichtlichen Verfahrens auch
zugunsten des Täters.
|
64 |
Freilich gilt dieser Vorrang des Informationsinteresses
nicht schrankenlos. Die zentrale verfassungsrechtliche
Bedeutung des Persönlichkeitsrechts verlangt neben der
Rücksicht auf den unantastbaren innersten Lebensbereich
(vgl. BVerfGE 32, 373 [ 379]
mit weiteren Nachweisen) die strikte Beachtung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit: Der Einbruch in die
persönliche Sphäre darf nicht weiter gehen, als eine
angemessene Befriedigung des Informationsinteresses dies
erfordert, und die für den Täter entstehenden Nachteile
müssen im rechten Verhältnis zur Schwere der Tat oder ihrer
sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen. Danach
ist eine Namensnennung, Abbildung oder sonstige
Identifikation der Täter keineswegs immer zulässig. Dies
wird in Fällen sog. kleiner Kriminalität oder bei
Jugendlichen von den Kommunikationsorganen in der Praxis
überwiegend beachtet (vgl. auch die Empfehlung des Deutschen
Presserates vom 16. Februar 1967 zur Abbildung und
Namensnennung Jugendlicher, Tätigkeitsbericht 1971, S. 89).
|
65 |
Auch die bis zur rechtskräftigen Verurteilung zugunsten des
Angeschuldigten geltende Vermutung seiner Unschuld (vgl.
Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 -
BGBl. 1952 II S. 686) gebietet eine entsprechende
Zurückhaltung, mindestens eine angemessene Berücksichtigung
der zu seiner Verteidigung vorgetragenen Tatsachen und
Argumente. Es versteht sich auch von selbst, daß das
Zurücktreten des Persönlichkeitsrechts nur für eine
sachbezogene Berichterstattung und seriöse Tatinterpretation
gilt, nicht aber für eine auf Sensationen ausgehende, bewußt
einseitige oder verfälschende Darstellung; insoweit kann auf
die in Schrifttum und Rechtsprechung zu § 23 KUG für die Art
und Weise der Darstellung entwickelten Grundsätze verwiesen
werden (vgl. v. Gamm, a.a.O., Einf. 115, 120 mit weiteren
Nachweisen).
|
66 |
Auf der anderen Seite rechtfertigt die aktuelle
Berichterstattung über eine schwere Straftat nicht allein
die Namensnennung und Abbildung des Täters, sie schließt
grundsätzlich auch sein persönliches Leben ein, soweit es in
unmittelbarer Beziehung zur Tat steht, Aufschlüsse über die
Motive oder andere Tatvoraussetzungen gibt und für die
Bewertung der Schuld des Täters aus der Sicht des modernen
Strafrechts als wesentlich erscheint. Wo danach konkret die
Grenze für das grundsätzlich vorgehende
Informationsinteresse an der aktuellen Berichterstattung zu
ziehen ist, läßt sich nur unter Berücksichtigung der
jeweiligen Umstände des Einzelfalles entscheiden. Hier
erwächst den für die Veranstaltung von Fernsehsendungen
zuständigen Gremien und Personen im Hinblick auf die
eingangs geschilderte mögliche "Prangerwirkung"
disqualifizierender Darstellungen eine besondere
Verantwortung, der sie unter Berücksichtigung der sozialen
Machtposition, die den Fernsehanstalten kraft ihrer
Monopolstellung und ihres technischen und finanziellen
Potentials im Verhältnis zum betroffenen Einzelnen zukommt,
entsprechen müssen.
|
67 |
4. Die Ausstrahlungswirkung des verfassungsrechtlichen
Schutzes der Persönlichkeit läßt es jedoch nicht zu, daß die
Kommunikationsmedien sich über die aktuelle
Berichterstattung hinaus zeitlich unbeschränkt mit der
Person eines Straftäters und seiner Privatsphäre befassen.
Vielmehr gewinnt nach Befriedigung des aktuellen
Informationsinteresses grundsätzlich sein Recht darauf,
"allein gelassen zu werden", zunehmende Bedeutung und setzt
dem Wunsch der Massenmedien und einem Bedürfnis des
Publikums, seinen individuellen Lebensbereich zum Gegenstand
der Erörterung oder gar der Unterhaltung zu machen, Grenzen.
Auch der Täter, der durch eine schwere Straftat in das
Blickfeld der Öffentlichkeit getreten ist und die allgemeine
Mißachtung erweckt hat, bleibt dennoch ein Glied dieser
Gemeinschaft mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf
Schutz seiner Individualität. Hat die das öffentliche
Interesse veranlassende Tat mit der Strafverfolgung
und strafgerichtlichen Verurteilung die im Interesse des
öffentlichen Wohls gebotene gerechte Reaktion der
Gemeinschaft erfahren und ist die Öffentlichkeit hierüber
hinreichend informiert worden, so lassen sich darüber
hinausgehende fortgesetzte oder wiederholte Eingriffe in den
Persönlichkeitsbereich des Täters in der Regel nicht
rechtfertigen; sie würden namentlich bei Fernsehsendungen
mit entsprechender Reichweite über den Täter eine erneute
soziale Sanktion verhängen.
|
68 |
5. a) Die zeitliche Grenze zwischen der grundsätzlich
zulässigen aktuellen Berichterstattung und einer
unzulässigen späteren Darstellung oder Erörterung läßt sich
nicht allgemein, jedenfalls nicht mit einer nach Monaten und
Jahren für alle Fälle fest umrissenen Frist fixieren. Das
entscheidende Kriterium liegt darin, ob die betreffende
Berichterstattung gegenüber der aktuellen Information eine
erhebliche neue oder zusätzliche Beeinträchtigung des Täters
zu bewirken geeignet ist. Demgemäß bildet der Erlaß des
letztinstanzlichen Strafurteils oder der Zeitpunkt seiner
Rechtskraft keine feste Grenze, zumal da das aktuelle
Informationsinteresse auch die zusammenhängende Darstellung
der Tat, ihrer Entstehungsursachen und Hintergründe
einschließt, die unter Umständen den vollständigen Abschluß
des Strafverfahrens und weitere Nachforschungen voraussetzt.
Freilich sind auch solche Gesamtdarstellungen und
-interpretationen alsbald nach dem Ende des Strafverfahrens
oder jedenfalls in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang
damit möglich, wie Presse, Hörfunk und Fernsehen oft
bewiesen haben. Der Einwand des ZDF, daß aus
organisatorischen und technischen Gründen für eine
zuverlässige Darstellung und Interpretation eines
Kriminalfalls in einem Dokumentarspiel eine
Vorbereitungszeit von mindestens anderthalb bis zwei Jahren
erforderlich sei, kann in diesem Zusammenhang nicht
entscheidend sein. Nicht die frei gewählte Darstellungsform
und ihre technischen, organisatorischen und ästhetischen
Gesetzmäßigkeiten bestimmen das Maß des
Persönlichkeitsschutzes; dieser kann vielmehr die Wahl der
einen oder anderen Darstellungsform ausschließen, wenn bei
ihr die Achtung der Persönlichkeit
des Dargestellten nicht ausreichend gewährleistet werden
kann.
|
69 |
b) Als maßgebender Orientierungspunkt für die nähere
Bestimmung der zeitlichen Grenze kommt das Interesse an der
Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft, an
seiner Resozialisierung, in Betracht. Die Erkenntnis von der
Bedeutung dieser Zielsetzung hat sich in den letzten
Jahrzehnten im Strafrecht zunehmend durchgesetzt; nach
allgemeiner Auffassung wird die Resozialisierung oder
Sozialisation als das herausragende Ziel namentlich des
Vollzuges von Freiheitsstrafen angesehen (vgl. auch BVerfGE
33, 1 [ 7
f.]). Dem Gefangenen sollen Fähigkeit und Willen zu
verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden, er soll es
lernen, sich unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft
ohne Rechtsbruch zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und
ihre Risiken zu bestehen. Entsprechend umschreibt § 2 des
kürzlich von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Strafvollzugsgesetzes die Aufgabe des Vollzugs von
Freiheitsstrafen wie folgt: "Im Vollzug der Freiheitsstrafe
soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer
Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen
(Behandlungsziel)" (BRDrucks. 71/73 S. 8; vgl. auch die
Begründung, a.a.O., S. 39, 42 f.). Auch die Stellungnahme
des Bundesrates sieht hierin das "vorrangige Ziel des
Vollzugs" (vgl. den Änderungsvorschlag zu § 2 Abs. 2 in
BRDrucks. 71/73 [Beschluß] II S. 2 f.).
|
70 |
Ein so verstandener Strafvollzug kann jedoch nur die
Grundlage für die Resozialisierung schaffen; das
entscheidende Stadium beginnt mit der Entlassung. Nicht nur
der Straffällige muß auf die Rückkehr in die freie
menschliche Gesellschaft vorbereitet werden; diese muß
ihrerseits bereit sein, ihn wieder aufzunehmen.
|
71 |
Verfassungsrechtlich entspricht diese Forderung dem
Selbstverständnis einer Gemeinschaft, die die Menschenwürde
in den Mittelpunkt ihrer Wertordnung stellt und dem
Sozialstaatsprinzip verpflichtet ist. Als Träger der aus der
Menschenwürde folgenden und ihren Schutz gewährleistenden
Grundrechte muß der verurteilte Straftäter die Chance
erhalten, sich nach Verbüßung seiner
Strafe wieder in die Gemeinschaft einzuordnen. Vom Täter aus
gesehen erwächst dieses Interesse an der Resozialisierung
aus seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 1 GG. Von der Gemeinschaft aus betrachtet verlangt das
Sozialstaatsprinzip staatliche Vor- und Fürsorge für Gruppen
der Gesellschaft, die auf Grund persönlicher Schwäche oder
Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung
in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert
sind; dazu gehören auch die Gefangenen und Entlassenen.
Nicht zuletzt dient die Resozialisierung dem Schutz der
Gemeinschaft selbst: diese hat ein unmittelbares eigenes
Interesse daran, daß der Täter nicht wieder rückfällig wird
und erneut seine Mitbürger oder die Gemeinschaft schädigt.
|
72 |
c) Die Durchführung der Resozialisierung erfordert zunächst,
durch eine entsprechende Einwirkung auf den Verurteilten die
inneren Voraussetzungen für eine spätere straffreie
Lebensführung zu schaffen. Wie die Sachverständigen Frau Dr.
Einsele und Possehl geschildert haben, ist hierbei für die
kriminaltherapeutische Behandlung davon auszugehen, daß es
sich bei den zu Freiheitsstrafen Verurteilten vielfach um
hochgradig labile, selbstunsichere oder sogar psychisch
gestörte Personen handelt. Gerade deren Resozialisierung
kann jedoch erst gelingen, wenn auch die äußeren Bedingungen
dafür geschaffen werden, daß der Straffällige sich nach
seiner Entlassung in die normale freie Gesellschaft
eingliedert. Neben einer angemessenen Hilfe von seiten des
Staates (vgl. §§ 6 Abs. 1 Satz 2, 67 des genannten Entwurfs
und S. 39, 42, 73 der Begründung BRDrucks. 71/73) kommt es
namentlich in diesem Stadium auf die Mitwirkung der
Gesellschaft an. Dabei genügt es allein noch nicht, daß der
Entlassene Unterkunft und Arbeit findet. Nach den
Erfahrungen der Praxis scheitert die Resozialisierung selbst
bei insoweit günstigen Vorbedingungen und gelungener
kriminaltherapeutischer Behandlung in vielen Fällen an der
Mißachtung und Ablehnung, mit denen die Umwelt den
Entlassenen begegnet. Eine solche Isolierung kann gerade
labilen Naturen den Mut zu neuem Anfang nehmen und sie auf
den gleichen Weg zurückwerfen, der sie schon einmal in die
Kriminalität führte.
|
73 |
d) Daß die Einstellung der Umwelt gegenüber den Entlassenen
durch Fernsehberichterstattung über die Tat, namentlich in
Form eines Dokumentarspiels ungünstig beeinflußt werden
kann, bedarf nach den früheren Ausführungen (s. B IV 1)
keiner weiteren Darlegung. Es kommt hinzu, daß die
Notwendigkeit, dem Strafentlassenen von seiten der
Gesellschaft bei der Wiedereingliederung zu helfen, in
weiten Kreisen der Bevölkerung noch nicht hinreichend
erkannt und akzeptiert worden ist. Die von der konkreten
Fernsehsendung ausgehende nachteilige Wirkung wird insoweit
durch die vorhandene allgemeine Abwehrhaltung gegenüber
Strafentlassenen verstärkt. Zugleich kann eine solche
Sendung auch beim Täter selbst die im Strafvollzug
vielleicht mühsam erreichte innere Stabilisierung zerstören
oder in Frage stellen: Die erneute bildhafte Konfrontation
mit der Tat wirft ihn gewissermaßen auf den Stand zur
Tatzeit zurück und gibt ihm die entmutigende Überzeugung,
daß die Umwelt ihn trotz aller seiner Bemühungen noch immer
als den Täter von damals ansieht. Von dieser Erkenntnis
ausgehend, hat der Deutsche Presserat auf Anregung des
Bundespräsidenten am 28. September 1971 empfohlen,
|
74 |
"im Interesse der schnellen und unbehinderten
Resozialisierung von Strafgefangenen keine Namen oder
nähere Hinweise zu veröffentlichen, die Rückschlüsse auf
entlassene Häftlinge, ihre Familien oder den
Entlassungsort zulassen". (Tätigkeitsbericht 1971, S.
102).
|
75 |
e) Insgesamt ist somit eine wiederholte, nicht mehr durch
das aktuelle Informationsinteresse gedeckte
Fernsehberichterstattung über eine schwere Straftat
jedenfalls dann unzulässig, wenn sie die Resozialisierung
des Täters gefährdet. Die für die soziale Existenz des
Täters lebenswichtige Chance, sich in die freie Gesellschaft
wieder einzugliedern, und das Interesse der Gemeinschaft an
seiner Resozialisierung gehen grundsätzlich dem Interesse an
einer weiteren Erörterung der Tat vor. Ob und wieweit
hier Ausnahmen denkbar sind, etwa bei einem überragenden
historischen Interesse, bei wissenschaftlichen oder anderen
Sendungen, die sich nur an einen begrenzten Zuschauerkreis
wenden, bedarf keiner Prüfung, weil diese Voraussetzungen
hier fehlen. Allgemein gilt: Je mehr eine Sendung das
Typische einer Straftat zum Gegenstand hat, um so weniger
wird sie einer Identifizierung der Täter bedürfen.
|
76 |
Eine Gefährdung der Resozialisierung ist regelmäßig
anzunehmen, wenn eine den Täter identifizierende Sendung
nach seiner Entlassung oder in zeitlicher Nähe zu der
bevorstehenden Entlassung ausgestrahlt werden soll. Hierfür
ist zu berücksichtigen, daß eine zeitige Freiheitsstrafe
schon nach Verbüßung der Hälfte der Strafzeit unter den in §
26 Abs. 2 StGB geregelten Voraussetzungen zur Bewährung
ausgesetzt werden kann und nach Verbüßung von zwei Dritteln
der Strafzeit unter den in § 26 Abs. 1 StGB geregelten
Voraussetzungen auszusetzen ist.
|
77 |
V. |
|
Bei einer Prüfung nach den entwickelten
verfassungsrechtlichen Kriterien können die angefochtenen
Entscheidungen keinen Bestand haben.
|
78 |
1. Das Landgericht hat die Güterabwägung zwischen dem
Interesse des Beschwerdeführers und dem Interesse des ZDF
allein an den §§ 22, 23 KUG orientiert, ohne die
Ausstrahlungswirkung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 1 GG und aus Art. 5 Abs. 1 GG zu
erkennen.
|
79 |
Das Oberlandesgericht hat zwar erkannt, daß hier ein
Konflikt zwischen der Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG
und dem Persönlichkeitsschutz nach Art. 2 Abs. 1 und Art. 1
GG besteht, und hat bei der im Rahmen des § 23 KUG
vorgenommenen Abwägung zwischen dem Recht am eigenen Bild
und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit die
Ausstrahlungswirkung dieser Grundrechtsnormen
berücksichtigt. Bei der Lösung des aufgezeigten Konflikts
hat es jedoch die aus den allgemeinen Verfassungsnormen für
Fälle der vorliegenden Art abzuleitenden, freilich
bisher verfassungsgerichtlich nicht näher bestimmten
Kriterien nicht richtig angewandt, vor allem dem
Resozialisierungsinteresse nicht den ihm aus
verfassungsrechtlicher Sicht gebührenden Rang eingeräumt.
|
80 |
2. Eine Beurteilung, welche die Einwirkung der hier
maßgebenden Grundrechte auf das einfache Recht hinreichend
zur Geltung kommen läßt, führt zu dem Ergebnis, daß dem
Antrag des Beschwerdeführers im Ausgangsverfahren
stattzugeben ist.
|
81 |
Zwar ist für die Abwägung zwischen dem durch die
Rundfunkfreiheit verstärkten Recht des ZDF auf Darstellung
von Vorgängen der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Abs. 1
Nr. 1 KUG auf der einen Seite, dem durch das Grundrecht auf
freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde
verstärkten Interesse des Beschwerdeführers an der
Verhinderung der Darstellung auf der anderen Seite mit den
angefochtenen Entscheidungen davon auszugehen, daß die
Besonderheit der dargestellten Straftat - der Angriff auf
eine Einrichtung der Bundeswehr, die abscheuerregende
Ausführung und die Zahl der Opfer, die ungewöhnliche,
weithin unverständliche Motivation - ein starkes Interesse
der Bevölkerung an näherer Unterrichtung und Aufklärung
erregt hat. Es ist weiter zu berücksichtigen, daß das
streitige Dokumentarspiel sich um eine möglichst
wirklichkeitsgetreue Darstellung bemüht und auch die
Schilderung der Beziehung zwischen den Tätern nicht anstößig
ist.
|
82 |
Dennoch würde die Ausstrahlung des Spiels aus den oben (B IV
1)* erwähnten Gründen wegen der Reichweite der Sendung, der
gewählten Form des Dokumentarspiels und der zu erwartenden
Wirkung einen Eingriff von hoher Intensität in das
Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers bedeuten. Soweit
das ZDF demgegenüber geltend gemacht hat, das Spiel solle
neben anderen Zwecken auch dazu dienen, Verständnis für den
Beschwerdeführer zu wecken, haben schon die Gerichte des
Ausgangsverfahrens diesen Vortrag als unbeachtlich
angesehen; denn das Spiel läßt nach
Inhalt und Gestaltung keine derartige Tendenz erkennen. Die
gewählte Interpretation der Tat unter dem Gesichtspunkt der
homosexuellen Gruppenbildung hat, wie die Sachverständigen
Professor Lüscher und Possehl ausgeführt haben, eher die
gegenteilige Wirkung, insofern sie den Eindruck erweckt, die
Tat sei im Grunde dem Beschwerdeführer nicht wesentlich
weniger zuzurechnen als den Haupttätern, er habe sich nur
aus Feigheit bei der Ausführung im Hintergrund gehalten,
dafür aber die anderen durch aggressive Reden in ihrem
Vorhaben bestärkt. Das entspricht nicht der Beurteilung des
Schwurgerichts, das den Tatbeitrag des Beschwerdeführers
wesentlich geringer bewertet hat als den der Haupttäter.
|
83 |
Dieser schwere Eingriff in den Persönlichkeitsbereich des
Beschwerdeführers ist nicht durch das grundsätzlich
vorrangige Interesse an der aktuellen Berichterstattung über
die Straftat zu rechtfertigen. Diesem Interesse ist durch
die ausgiebige Unterrichtung der Öffentlichkeit in allen
Medien unmittelbar nach der Entdeckung der Tat, während der
Fahndung und vor allem während des Strafprozesses Genüge
getan. Im Verhältnis dazu wirkt die nicht mehr im
unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Strafverfahren
stehende Darstellung in einem Dokumentarspiel als eine neue
Beeinträchtigung des Persönlichkeitsschutzes des
Beschwerdeführers, wobei es keinen Unterschied macht, ob man
mit dem Oberlandesgericht den Zeitpunkt der Entscheidung im
Ausgangsverfahren, den jetzigen Zeitpunkt oder den
ursprünglich vorgesehenen Sendetermin im Juni 1972 als
maßgebend ansieht.
|
84 |
Dieser neue Eingriff ist nach den überzeugenden Ausführungen
der Sachverständigen Dr. Einsele, des Anstaltspsychologen
Possehl, der von ihm mitgeteilten Ansicht der zuständigen
Strafanstaltskonferenz sowie nach der Auskunft der
Landesregierung von Rheinland-Pfalz geeignet, die
Resozialisierung des Beschwerdeführers schwer zu gefährden;
die Sendung würde in erster Linie die Einstellung der Umwelt
gegenüber dem Beschwerdeführer, aber auch seine innere
Stabilisierung nachteilig beeinflussen.
Die für eine solche Einwirkung erforderliche zeitliche Nähe
der erneuten Darstellung zu der bevorstehenden Entlassung
wäre in jedem Fall gegeben, gleichgültig, welchen der
genannten Zeitpunkte man zugrunde legt. Wenn das ZDF mit der
Anregung, weitere Sachverständige zur
persönlichkeitsdiagnostischen Beurteilung des
Beschwerdeführers zu hören, offenbar das Gelingen einer
Resozialisierung überhaupt, insbesondere die
Resozialisierungsfähigkeit des Beschwerdeführers in Zweifel
ziehen will, so ist demgegenüber darauf hinzuweisen, daß es
nicht Aufgabe des zivilgerichtlichen oder
verfassungsgerichtlichen Verfahrens sein kann, die
Beurteilung des in erster Linie kompetenten Strafgerichts
und der für den Vollzug der verhängten Strafe zuständigen
Behörden durch eigene Prognosen zu ersetzen. Zudem hängt das
Gelingen einer Resozialisierung stets von dem niemals mit
letzter Sicherheit vorauszusehenden Zusammenwirken
verschiedener Faktoren ab. Für die verfassungsrechtliche
Beurteilung kommt es allein darauf an, daß die nach dem
Urteil der zuständigen Stellen durchaus gegebene Chance des
Beschwerdeführers, sich wieder in die Gesellschaft
einzugliedern, erhalten bleibt.
|
85 |
Demgegenüber kann entgegen der Auffassung des
Oberlandesgerichts der Schwere der Schuld des Täters kein
entscheidender Einfluß zugemessen werden. Es widerspricht
dem Resozialisierungsgedanken, die Bewertung des Interesses
an der Wiedereingliederung eines - resozialisierungsfähigen
- Straftäters von dem Ausmaß seiner Schuld an der Straftat
abhängig zu machen. Ebensowenig kann entgegen der Auffassung
des ZDF und des Oberlandesgerichts maßgebend sein, daß der
Beschwerdeführer nach seiner Entlassung in seine Heimatstadt
zurückkehren will, wo Tat und Täter ohnehin, namentlich
durch die frühere Berichterstattung, bekannt sind. Zum einen
liegt es auf der Hand, daß das geplante Dokumentarspiel -
wie auch das Oberlandesgericht erwähnt - gerade in diesem
Bereich auf das besondere Interesse der Bevölkerung stoßen
würde. Zum anderen macht es einen wesentlichen Unterschied,
ob noch eine mehr oder weniger allgemeine
Erinnerung an die inzwischen bereits vier Jahre
zurückliegenden Vorgänge besteht oder ob durch eine
bildhafte Darstellung der vorliegenden Art die schreckliche
Tat erneut eindringlich vor Augen geführt wird und der
frische Eindruck die entsprechenden verständlichen
Reaktionen der Zuschauer hervorruft. Insoweit ist nicht
allein die gewählte Sendeform des Dokumentarspiels, sondern
darüber hinaus die Interpretation der Tat aus dem
Gesichtspunkt der homosexuellen Gruppenbildung erheblich.
Schon das Oberlandesgericht hat hervorgehoben, daß das Spiel
den Aspekt der Homosexualität weit stärker betont, als dies
im Urteil des Schwurgerichts zum Ausdruck kommt. Dies wird
nicht allein durch entsprechende Andeutungen bei einzelnen
Szenen bewirkt, vielmehr wird die Aufmerksamkeit des
Zuschauers noch besonders durch den einleitenden Kommentar
zu Beginn der Sendung und später durch wiederholte, die
Handlung unterbrechende Hinweise gerade auf diesen Aspekt
als behauptete Ursache der Isolierung der Täter gelenkt. Von
dieser Art der Darstellung ist eine besondere Erschwerung
der Resozialisierung zu befürchten. Dies folgt nicht nur aus
den allgemeinen nachteiligen Wirkungen, die sich angesichts
der bekannten Einstellung der Bevölkerung gegen Homosexuelle
durch eine solche zusätzliche Kennzeichnung des
Beschwerdeführers als Außenseiter der Gesellschaft ergeben
würden. In der Situation des Beschwerdeführers kann die
Verbindung mit einem weiblichen Lebenspartner einen
entscheidenden Faktor für das Gelingen seiner
Wiedereingliederung bilden. Nach der Beurteilung durch das
Schwurgericht, das sich hierfür auf das Gutachten von
Sachverständigen gestützt hat, und nach Ansicht des
Sachverständigen Possehl ist nach der Veranlagung des
Beschwerdeführers eine solche günstige Entwicklung durchaus
möglich; sie könnte ihm aber endgültig versperrt werden,
wenn er durch die Ausstrahlung des Dokumentarspiels als
Homosexueller abgestempelt würde.
|
86 |
Ein überragendes Interesse der Meinungsbildung, das
ausnahmsweise eine so schwerwiegende
Persönlichkeitsverletzung rechtfertigen könnte, ist nicht
ersichtlich (vgl. dazu auch BVerfGE 7,
198 [211 f.] - Lüth -; 12, 113 [126 ff.] - Schmid-Spiegel -;
25, 256 [264] - Blinkfüer -; BGHZ 45, 296 [308] -
Höllenfeuer -; BGH, NJW 1965, S. 1476 [1477] - Glanzlose
Existenz -). Das vom ZDF nach seiner Erklärung verfolgte
Ziel, die Bevölkerung über die Wirksamkeit der
Strafverfolgung, über die von der Bundeswehr getroffenen
Sicherungsmaßnahmen und andere aus der Tat gezogene
Konsequenzen aufzuklären, kann auch ohne eine den
Beschwerdeführer identifizierende Darstellung verfolgt
werden. Ob solche Sendungen im allgemeinen und dieses
Dokumentarspiel im besonderen überhaupt eine abschreckende
Wirkung auf potentielle Täter haben können, läßt sich nach
den übereinstimmenden Aussagen der Sachverständigen
bezweifeln; selbst wenn dies zu bejahen wäre, könnte eine
solche ungewisse Möglichkeit die sichere schwere Gefährdung
der sozialen Existenz des Beschwerdeführers und die daraus
auch für die Allgemeinheit erwachsenden Nachteile nicht
aufwiegen. Das gleiche gilt für die vom ZDF weiter
herangezogenen Ziele einer Stärkung der öffentlichen Moral
und sozialen Verantwortung. Es bestand daher auch unter
diesen Gesichtspunkten keine Veranlassung, weitere Beweise
zu erheben.
|
87 |
Im Ergebnis muß somit bei einer an den Wertvorstellungen der
Verfassung orientierten Auslegung des § 23 KUG dem Interesse
des Beschwerdeführers, die Ausstrahlung des Dokumentarspiels
zu verhindern, der Vorrang zukommen. Diesem Interesse würde
nicht genügt, wenn entsprechend der Auffassung der
Bundesregierung nur eine Ausstrahlung untersagt würde,
soweit das Spiel den Beschwerdeführer im Bilde zeigt und
seinen Namen nennt. Auch wenn dies entfiele, würde die
verbleibende Darstellung den Beschwerdeführer hinreichend
erkennbar machen, um die zu befürchtenden nachteiligen
Folgen für seine Resozialisierung auszulösen; der Reiz, das
Geheimnis zu entschlüsseln, könnte sogar in dem maßgebenden
lokalen Bereich das Interesse der Zuschauer in besonderem
Maß auf den Beschwerdeführer lenken.
|
88 |
Da nach den vorstehenden Ausführungen die Darstellung des
Beschwerdeführers in dem streitigen Dokumentarspiel schon zu
beanstanden
ist, soweit sie den weiteren, eine Beschränkung nicht von
vornherein ausschließenden Bereich privater Lebensgestaltung
betrifft (vgl. oben B II 1), bedarf es keiner weiteren
Prüfung, ob einzelne Szenen, etwa über die
Familienbeziehungen des Beschwerdeführers oder sein
Verhältnis zu den Haupttätern, den unantastbaren innersten
Lebensbereich berühren.
|
89 |
3. Es mag dahingestellt bleiben, ob dem in Rede stehenden
Dokumentarspiel, das ein tatsächliches Geschehen
wirklichkeitsgetreu nachvollziehen will, der Charakter eines
Werkes der Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG zuerkannt
werden könnte. Auch bei Anwendung dieser Verfassungsnorm
wäre zu beachten, daß die Freiheit der Kunst, obwohl die
Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG für sie nicht gelten, dem in
Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG garantierten
Persönlichkeitsschutz nicht übergeordnet ist (vgl. BVerfGE
30, 173 [ 193
ff.] - Mephisto -).
|
90 |
VI. |
|
Die angefochtenen Entscheidungen verletzen daher die
Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 1 GG und sind nach § 95 Abs. 2 BVerfGG
aufzuheben. Dabei würde es der Besonderheit des Falles nicht
entsprechen, die Sache zu erneuter Entscheidung an eines der
im zivilgerichtlichen Verfahren zuständigen Gerichte
zurückzuverweisen. Denn bei Anwendung der
verfassungsrechtlichen Kriterien unter Berücksichtigung der
vom Bundesverfassungsgericht erhobenen Beweise besteht kein
Spielraum mehr für die richterliche Entscheidung; vielmehr
muß der Antrag des Beschwerdeführers in vollem Umfang Erfolg
haben. Bei einer Zurückverweisung könnten die Gerichte des
Ausgangsverfahrens somit die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts nur wiederholen. Dies erscheint
als wenig sinnvoll, zumal da das Interesse des
Beschwerdeführers einen schnellen Abschluß des
Ausgangsverfahrens verlangt, um die durch dieses Verfahren
und das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ohnehin
hervorgerufene Publizität in Grenzen
zu
halten; auch das ZDF ist an einer baldigen Entscheidung im
Ausgangsverfahren interessiert. Im übrigen kann es
verfassungsrechtlich keinen entscheidenden Unterschied
machen, ob die zu beseitigende Verfassungsverletzung wie
hier darin liegt, daß dem Begehren des Beschwerdeführers auf
Erlaß eines gegen Dritte gerichteten Hoheitsaktes nicht
stattgegeben wurde, oder darin, daß ein gegen den
Beschwerdeführer selbst gerichteter Hoheitsakt erlassen
worden ist. In Fällen der letzteren Art hat das
Bundesverfassungsgericht nicht selten durch Aufhebung der
angefochtenen Entscheidungen und etwaiger ihnen zugrunde
liegender Verwaltungsakte abschließend in der Sache
entschieden und das Verfahren nur wegen der
Kostenentscheidung zurückverwiesen (vgl. BVerfGE 6, 386 [ 389];
13, 331 [ 355];
19, 101 [ 103
f.]; 21, 160 [163]). Entsprechend war auch hier zu
verfahren und die beantragte einstweilige Verfügung vom
Bundesverfassungsgericht selbst zu erlassen. Für das weitere
Verfahren einschließlich der Vollstreckung steht diese
einstweilige Verfügung einer vom Oberlandesgericht
erlassenen einstweiligen Verfügung gleich. Die Sache wird
daher lediglich zur Entscheidung über die Kosten des
Ausgangsverfahrens an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
|
91 |
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen
Auslagen im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
beruht auf § 34 Abs. 4 BVerfGG. Erstattungspflichtig ist das
Land Rheinland- Pfalz, dem die vom Beschwerdeführer
erfolgreich gerügte Grundrechtsverletzung zuzurechnen ist.
|
92 |
Benda, Ritterspach, Dr. Haager,
Rupp-v. Brünneck, Dr. Böhmer, Dr. Faller, Dr. Brox, Dr. Simon |
Bitte senden Sie Ihre Kommentare an
Rolf Schälike
Dieses
Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 09.11.06
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