Zitierung: BVerfG, 1 BvR 348/98 vom 25.11.1999,
Absatz-Nr. (1 - 45),
http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk19991125_1bvr034898.html
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1 BvR 348/98 - - 1 BvR 755/98 v. 25.11.1999 -
Lebach-Urteil (Lebachurteil) II
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

Im Namen des Volkes
In
dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
1. des Herrn D...
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Hans-Leopold de Waal und Partnerin,
Beethovenstraße 13, Saarbrücken -
gegen
das Urteil
a)
des Saarländischen Oberlandesgerichts
vom 14. Januar 1998 - 1 U 785/97-155 -,
das Urteil
b) des Landgerichts Saarbrücken
vom 17. September 1997 - 16 O 324/97 -
- 1 BvR 348/98 -,
2.
der S A T 1 Satelliten-Fernsehen GmbH,
vertreten durch die Geschäftsführer,
Otto-Schott-Straße 13, Mainz,
- Bevollmächtigter:
Professor Dr. Herbert Bethge,
Innstraße 40, Passau -
gegen
das Urteil
a) des Oberlandesgerichts Koblenz
vom 24. März 1998 - 4 U 1922/97 -,
das Urteil
b) des Landgerichts Mainz
vom 23. Dezember 1997 - 1 O 531/96 -,
den Beschluß
c) des Landgerichts Mainz
vom 2. Dezember 1996 - 1 O 531/96 -
und Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
- 1 BvR 755/98 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den
Vizepräsidenten Papier
und die Richter Grimm,
Hömig
am 25. November 1999 einstimmig beschlossen:
1.
Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1) wird nicht zur
Entscheidung angenommen.
2.
Das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 24. März 1998 - 4 U
1922/97 -,
das Urteil des Landgerichts Mainz vom 23. Dezember 1997 - 1 O
531/96 -
und der Beschluß des Landgerichts Mainz vom 2. Dezember 1996 -
1 O 531/96 - verletzen die Beschwerdeführerin zu 2) in ihrem Grundrecht
aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes.
Die Entscheidungen
werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
Damit erledigt sich der Antrag der Beschwerdeführerin zu 2) auf Erlaß
einer einstweiligen Anordnung.
Das Land Rheinland-Pfalz hat der Beschwerdeführerin zu 2) die
notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Die
Verfassungsbeschwerden betreffen das Verbot, einen
Fernsehfilm über den "Soldatenmord von Lebach"
auszustrahlen. |
1 |
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A.
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I.
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1. Im Januar 1969
wurden bei einem Überfall auf ein Munitionsdepot der
Bundeswehr in Lebach vier Bundeswehrsoldaten getötet, ein
weiterer Soldat wurde schwer verletzt. Wegen dieser Tat
wurden der Beschwerdeführer zu 1) und der Antragsteller in
dem Ausgangsverfahren 1 BvR 755/98 zu lebenslangen
Freiheitsstrafen verurteilt. Ein weiterer Tatbeteiligter
erhielt wegen Beihilfe eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs
Jahren. |
2 |
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Der Fall erregte
seinerzeit großes Aufsehen. Das Zweite Deutsche Fernsehen
(ZDF) produzierte Anfang 1972 ein Dokumentar-Fernsehspiel
über die Planung und Durchführung der Tat sowie die
nachfolgenden Fahndungsmaßnahmen. Dabei wurden alle drei
Täter im Bild gezeigt und wiederholt namentlich genannt.
Gegen die Ausstrahlung des Dokumentarspiels setzte sich
damals der wegen Beihilfe verurteilte Tatbeteiligte, der
kurz vor der Haftentlassung stand, zur Wehr. Nachdem er mit
seinem Unterlassungsbegehren zunächst vor den Zivilgerichten
gescheitert war, hob das Bundesverfassungsgericht 1973 deren
Entscheidungen auf und untersagte dem ZDF im Wege der
einstweiligen Verfügung, den Film über den "Soldatenmord von
Lebach" bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die
anhängige Klage zur Hauptsache auszustrahlen, soweit darin
die Person des damaligen Beschwerdeführers namentlich
erwähnt oder dargestellt werde (vgl.BVerfGE 35, 202).
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3 |
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2. Die
Beschwerdeführerin zu 2) veranstaltet das Fernsehprogramm
SAT 1. Sie produzierte 1996 eine neunteilige Sendereihe mit
dem Titel "Verbrechen, die Geschichte machten". Jeder Film
schildert in Form eines Fernsehspiels ein in der
Kriminalgeschichte Deutschlands herausragendes Verbrechen.
Als Pilotfilm der Reihe war "Der Fall Lebach (1969)"
geplant. Das Fernsehspiel behandelt die Planung und
Durchführung des Soldatenmords von Lebach sowie die
anschließenden Bemühungen der Täter, verschiedene Personen
zu erpressen. Der Mord selbst wird deutlich gezeigt. Zu
Beginn des Films erfährt der Zuschauer, daß es sich um eine
wahre Begebenheit handele, einzelne Namen zum Schutz von
Betroffenen aber geändert worden seien. Die Täter haben
fiktive Namen. Ihr Bild wird nicht gezeigt. Die
Spielhandlung ist mehrfach durch erläuternde Hinweise des
früheren Polizeipräsidenten von München unterbrochen. Je
länger der Film dauert, desto stärker treten die - letztlich
erfolgreichen - Fahndungsbemühungen in den Vordergrund. Am
Ende teilt ein Sprecher aus dem Hintergrund die Verurteilung
der Täter mit. |
4 |
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3. Der seinerzeit
als Teilnehmer verurteilte Tatbeteiligte, der 1972
Verfassungsbeschwerde wegen des ZDF-Films erhoben hatte,
erstritt kurz vor dem Sendetermin am 4. Dezember 1996 eine
einstweilige Verfügung, mit der der Beschwerdeführerin zu 2)
(im folgenden auch: "SAT 1") die Ausstrahlung des Films
untersagt wurde. Er verglich sich jedoch noch vor dem
geplanten Sendetermin mit dem Veranstalter dahingehend, daß
er gegen die Zusage, weder bildlich gezeigt noch namentlich
genannt zu werden und auch sonst nicht identifizierbar zu
sein, seine Vorbehalte gegen die Ausstrahlung des Films
zurückstellte. Im Anschluß an diesen Vergleich gab SAT 1
auch gegenüber den beiden anderen Tatbeteiligten
strafbewehrte Unterlassungserklärungen ab, mit denen sich
der Veranstalter verpflichtete, die Täter weder im Bild zu
zeigen noch ihre Namen zu nennen oder sie sonst in einer
Weise darzustellen, daß sie identifizierbar seien. |
5 |
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II.
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1. In dem
Verfahren 1 BvR 348/98 beantragte der Beschwerdeführer zu 1)
beim Landgericht Saarbrücken eine einstweilige Verfügung mit
dem Ziel, SAT 1 die Ausstrahlung des Films zu untersagen. Er
machte geltend, durch die Ausstrahlung würde sein
Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt und seine noch nicht
abgeschlossene Resozialisierung gefährdet. |
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Das Landgericht
wies den Antrag mit dem angegriffenen Urteil zurück. Es
führte in der Begründung aus, der Beschwerdeführer zu 1)
habe nicht konkret dargelegt, wie es durch den Film zu einer
Identifizierung seiner Person und einer Gefährdung seiner
Resozialisierung kommen könne. Der Beschwerdeführer zu 1)
lebe seit 1992 unter seinem wahren Namen in Freiheit. Er sei
keinen Vorwürfen und Vorbehalten seiner Umgebung ausgesetzt.
Zwar könne der Film die Tat erneut in das öffentliche
Bewußtsein rücken und das Interesse der Zuschauer an dem
Schicksal der Täter wecken. Bei der anonymen Darstellung sei
aber für jemand, der die Täter nicht ohnehin kenne, eine
Identifizierung kaum möglich. |
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2. Das
Saarländische Oberlandesgericht wies die gegen das
landgerichtliche Urteil gerichtete Berufung zurück (vgl.
NJW-RR 1998, S. 745). Zur Begründung führte es im
wesentlichen aus: |
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Ausgehend von den
Maßstäben, die das Bundesverfassungsgericht 1973 im
Lebach-Urteil entwickelt habe, müsse der Beschwerdeführer zu
1) die Ausstrahlung des Fernsehfilms über die von ihm
begangene Straftat hinnehmen. Der entscheidende Unterschied
zwischen dem Dokumentarspiel des ZDF und der nunmehr zu
beurteilenden Sendung liege darin, daß die Täter in dem von
SAT 1 produzierten Fernsehspiel nicht zu identifizieren
seien. Der Beschwerdeführer zu 1) werde nicht namentlich
erwähnt und auch nicht bildlich gezeigt. Die Geschehnisse
seien verfremdet. Die persönlichen Verhältnisse der
Beteiligten blieben im Dunkeln. Anders als das ZDF habe SAT
1 für die filmische Darbietung des Soldatenmords auch nicht
die Sendeform eines Dokumentarspiels gewählt. Zwar werde der
Film von Erläuterungen des früheren Münchener
Polizeipräsidenten begleitet. Die Erläuterungen seien aber
als szenische Blöcke nicht in den Handlungsrahmen
eingebettet. Außerdem zeichne der Film - abgesehen von der
Straftat - kein negatives Bild der Täter. Die homosexuelle
Komponente in der Verbindung der Täter werde allenfalls
angedeutet und schon gar nicht für sich genommen als
verwerflich dargestellt. Eine Prangerwirkung, die Zuschauern
Anlaß zu näherer Befassung mit den Tätern geben könne, gehe
von dem Film nicht aus. |
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Überdies sei der
mittlerweile eingetretene Zeitabstand zu der Tat zu
berücksichtigen. Aufsehen und Empörung über das Verbrechen
seien seit langem verklungen. Es könne nicht mehr angenommen
werden, daß sich die Zuschauer durch die Sendung veranlaßt
sehen würden, Nachforschungen über die Täter anzustellen.
Das Geschehen werde nur noch als kriminalhistorischer
Vorgang wahrgenommen. Zudem sei der gesellschaftliche
Bewußtseinswandel zu beachten. Der Resozialisierungsgedanke
habe in der Gesellschaft heute stärkeren Rückhalt als
früher. Es sei unwahrscheinlich, daß die Ausstrahlung des
Films die Resozialisierung des Beschwerdeführers zu 1)
gefährde. |
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Im Licht von Art.
5 Abs. 1 und 3 GG könne es einem Sender nicht untersagt
werden, den Soldatenmord zum Gegenstand einer filmischen
Darstellung zu machen, wenn dabei eine Identifizierung der
Täter ausgeschlossen sei. Sosehr das Anliegen des
Beschwerdeführers zu 1), nach seiner Strafverbüßung als
Person nicht mehr mit der Tat in Verbindung gebracht zu
werden, nachvollziehbar sei, so wenig könne ein Täter
verlangen, daß das Ereignis als ungeschehen aus der
öffentlichen Erinnerung getilgt werde. |
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3. Mit seiner
Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer zu 1) eine
Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Zur Begründung führt er im
wesentlichen aus: |
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Das
Oberlandesgericht habe zwar den Konflikt zwischen der
Rundfunkfreiheit und seinem Persönlichkeitsrecht erkannt,
dem Resozialisierungsgedanken aber nicht das erforderliche
Gewicht beigemessen. Das Recht auf freie Entfaltung der
Persönlichkeit und die Menschenwürde sicherten einen
autonomen Bereich privater Lebensgestaltung. Dazu gehöre das
Recht, in diesem Bereich "für sich zu sein, sich selbst zu
gehören". Das Recht am eigenen Bild und am gesprochenen
Wort, erst recht aber das Verfügungsrecht über die
Darstellung der eigenen Persönlichkeit gehörten zum
Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1
Abs. 1 GG. |
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Die Abwägung
zwischen den Belangen der Rundfunkfreiheit und dem
Persönlichkeitsrecht müsse zu seinen Gunsten ausfallen. Nach
30 Jahren übersteige sein Recht, "allein gelassen zu
werden", das Interesse der Fernsehanstalt an
Einschaltquoten. Seine Resozialisierung sei noch nicht
abgeschlossen. Von dem Film gehe eine neue und zusätzliche
Beeinträchtigung für ihn aus. Der Umstand, daß er weder
namentlich genannt noch im Bild gezeigt werde, ändere daran
nichts. Gegenstand der Fernsehsendung sei kein fiktiver
Kriminalfall, sondern "der Fall Lebach". Dieser erwecke auch
heute noch, gerade im Saarland, großes Interesse. Er und
seine beiden Mittäter seien bei der Ankündigung des Films
für den ursprünglich vorgesehenen Sendetermin im Dezember
1996 in einer Fernsehzeitschrift mit Bild und Namen gezeigt
worden. Speziell in seinem Fall komme hinzu, daß er 1969 als
Justizbeamter beim Amtsgericht L. beschäftigt gewesen sei.
Dieses wesentliche Persönlichkeitsmerkmal mache ihn
besonders erkennbar, auch wenn das Amtsgericht in dem Film
in eine fiktive Stadt verlegt worden sei. |
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Unzutreffend
seien die Ausführungen des Oberlandesgerichts zur
Resozialisierung. Es bestehe nach wie vor eine Tendenz in
der Gesellschaft, entlassene Straftäter abzulehnen. Im
übrigen sei es seine eigene Sache, ob er seiner Umgebung
seine Vergangenheit offenbare oder nicht. Er müsse damit
rechnen, daß sich Mitmenschen nach dem Film mit der
Darstellung des schrecklichen Verbrechens von ihm
abwendeten. Personen, die über seine Vergangenheit nicht
informiert seien, könnten ihn als Täter von damals
ausmachen. Im Ergebnis wirke die öffentliche
Berichterstattung damit seiner Resozialisierung entgegen.
Dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit sei durch die
ausgiebige Medienberichterstattung nach der Tat, während der
Fahndung und vor allem während des Prozesses Genüge getan. |
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4. Das
Saarländische Justizministerium hat von einer Stellungnahme
zu der Verfassungsbeschwerde abgesehen. Die Gegnerin des
Ausgangsverfahrens (SAT 1) hat die angegriffenen
Entscheidungen verteidigt. |
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III.
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1. In dem
Verfahren 1 BvR 755/98 erstritt der - nach wie vor
inhaftierte - zweite Haupttäter (Verfügungskläger) im
Ausgangsverfahren eine einstweilige Verfügung, mit welcher
dem Sender die Ausstrahlung des Films untersagt wurde. Auf
den Widerspruch von SAT 1 hin bestätigte das Landgericht die
einstweilige Verfügung und führte zur Begründung im
wesentlichen aus: |
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Den
grundrechtlichen Belangen des Verfügungsklägers sei der
Vorrang vor der Pressefreiheit einzuräumen. Unstreitig
befinde sich der Verfügungskläger in der Entlassungsphase.
Lediglich seine fehlende Einwilligung stehe der bedingten
Entlassung noch entgegen. Das ändere aber nichts an seinem
Resozialisierungsinteresse, da es ihm obliege, darüber zu
entscheiden, ob und wann er die Einwilligung erteile. Das
Resozialisierungsinteresse des Verfügungsklägers sei
betroffen, obwohl er in dem Film verfremdet dargestellt
werde. Für Personen, denen er als Täter der Lebach-Morde
bekannt sei oder denen er nach seiner Entlassung begegne,
sei eine Identifizierung möglich. Zudem sei die Wirkung des
Films auf den Verfügungskläger selbst zu berücksichtigen.
Wie das Bundesverfassungsgericht 1973 im Lebach-Urteil
festgestellt habe, bestehe bei einer Ausstrahlung die
Gefahr, daß die erneute bildhafte Konfrontation mit der Tat
den Täter auf den Stand der Tatzeit zurückwerfe und ihm die
entmutigende Überzeugung vermittele, noch immer als Täter
von damals angesehen zu werden. |
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Auf seiten der
Beschwerdeführerin zu 2) streite die Rundfunkfreiheit. Sie
habe argumentiert, es bestehe ein Interesse an den Taten,
deren Besonderheit und geschichtsprägendem Charakter, der
Abschreckung potentieller Täter und der Vertrauensbildung
bei der Bevölkerung in die Ermittlungen der Polizei. Ein
konkretes, von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG umfaßtes Interesse an
der Ausstrahlung habe SAT 1 damit aber nicht hinreichend
substantiiert vorgetragen. Deshalb falle die Güterabwägung
im konkreten Fall zugunsten des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts aus. |
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2. Die Berufung
der Beschwerdeführerin zu 2) hat das Oberlandesgericht
Koblenz mit dem angegriffenen Urteil zurückgewiesen (vgl.
AfP 1998, S. 328). Der Verfügungsanspruch ergebe sich aus
§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, §§ 22, 23 KUG sowie Art. 2 Abs. 1
in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. § 23 KUG sei allerdings
im Licht von Art. 5 Abs. 1 GG auszulegen. Demnach sei hier
eine Güterabwägung zwischen dem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers, insbesondere
seines Anspruchs auf Resozialisierung, und der Freiheit der
Berichterstattung geboten. |
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Der Film über den
Soldatenmord verletze das Persönlichkeitsrecht des
Verfügungsklägers. Zur freien Entfaltung der Persönlichkeit
gehöre das Recht, "sich selber zu gehören". Der Anspruch des
Verfügungsklägers, nach 27 Jahren Strafhaft ungestört wieder
in die Gesellschaft eingegliedert zu werden, könne durch die
Sendung empfindlich beeinträchtigt werden. Sein Name werde
zwar nicht genannt und sein Bild nicht gezeigt. Doch werde
er als Haupttäter kenntlich. Der Unterschied zwischen dem
Film von SAT 1 und dem ZDF-Dokumentarfilm von 1972 sei nicht
gewichtig. Die äußeren Umstände des Geschehens würden
detailgetreu wiedergegeben. Die Persönlichkeit der einzelnen
Täter, insbesondere diejenige des Verfügungsklägers, werde
dem Zuschauer mit allen ihren zum Teil äußerst negativen
Eigenschaften vorgeführt. Die Gespräche zwischen den Tätern
vermittelten den Eindruck, als seien sie so geführt worden.
Auch die erläuternden Hinweise des Polizeipräsidenten
führten zu dem dokumentarischen Eindruck der Sendung. |
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Überdies sei der
Verfügungskläger auch identifizierbar. Dies gelte zwar nicht
für Fernsehzuschauer, die ihn bislang nicht kannten.
Personen aus seinem früheren und derzeitigen Umfeld könnten
in ihm aber denjenigen, der die Tat vorangetrieben und
beherrscht habe, erkennen. Die Ausstrahlung der Sendung wäre
auch mit einer Gefährdung für die Wiedereingliederung des
Klägers in die Gesellschaft verbunden. Das Recht eines
Straftäters auf Resozialisierung sei eine besondere
Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dabei
komme es auf den Zeitpunkt der Entlassung und die bislang
fehlende Zustimmung des Klägers nicht an. Die
Resozialisierung sei ein wesentliches Ziel des
Strafvollzugs. Je länger der Täter für seine Straftat gebüßt
habe, desto größer sei sein Anspruch darauf, endlich mit der
Sache "in Ruhe gelassen" und nicht gegen seinen Willen
wieder mit ihr konfrontiert zu werden. Durch eine Sendung
über die Tat könne die Wiedereingliederung in die
Gesellschaft gestört werden und sich beim Täter die
unbegründete Befürchtung einstellen, er werde abgelehnt. |
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Abgesehen davon,
daß jede Art der Berichterstattung Grundrechtsschutz
genieße, spreche im konkreten Fall kein weiterer
Gesichtspunkt für einen Vorrang der Rundfunkfreiheit.
Straftaten gehörten zwar zum Zeitgeschehen, dessen
Vermittlung Aufgabe der Medien sei. Es gehe aber nicht mehr
um die Befriedigung eines aktuellen Informationsinteresses.
Wie das Bundesverfassungsgericht 1973 im Lebach-Urteil
entschieden habe, setze das Persönlichkeitsrecht mit
zunehmendem zeitlichen Abstand zur Tat dem Interesse der
Medien an Informationsvermittlung Grenzen. Die Tat habe mit
der 27jährigen Freiheitsstrafe ihre gerechte Sühne gefunden.
Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich eines Täters, die
über die mit der aktuellen Berichterstattung verbundenen
Nachteile hinausgingen, seien in der Regel nicht
gerechtfertigt. Im vorliegenden Fall bestehe das Interesse
von SAT 1 allein darin, spannende Unterhaltung zu zeigen.
Gegenüber diesem Interesse habe das Recht des
Verfügungsklägers auf Resozialisierung Vorrang. |
23 |
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3. Mit ihrer
Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin zu 2) eine
Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. |
24 |
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Sie macht unter
anderem geltend, daß es in bezug auf das allgemeine
Persönlichkeitsrecht nicht der Grundrechtsträger selbst sein
könne, der authentisch den grundrechtlichen
Gewährleistungsbereich definiere. Das gelte auch für das
"Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person".
Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1
Abs. 1 GG vermittele kein pauschales und absolut wirkendes
Recht, von jedermann in Ruhe gelassen zu werden. Es bedürfe
einer Differenzierung zwischen der Intimsphäre, Privatsphäre
und Sozialsphäre. Ein Verhalten, das Sozialkontakt auslöse
und in die Öffentlichkeit ausstrahle - wie eine Straftat -,
falle nicht mehr in den Bereich vollständig geschützter
privater Innerlichkeit. Ein Straftäter könne seine Tat -
auch nach Verbüßung einer Strafhaft - nicht zur Intim- oder
Privatsphäre erklären. Er habe zwar einen
Resozialisierungsanspruch, aber keinen Anspruch darauf, daß
er mit der Tat nicht mehr konfrontiert werde. Andernfalls
träte die mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarende
Konsequenz ein, daß die Opfer der Straftat gleichsam aus dem
Bewußtsein der Nachwelt gestrichen würden. |
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Ferner sei dem
grundrechtsgeschützten Anliegen der Medien Rechnung zu
tragen. Nicht nur die aktuelle Berichterstattung sei vom
Gewährleistungsbereich der Grundrechte erfaßt. Der Anspruch
des Täters beschränke sich deshalb darauf, im Interesse
seiner Resozialisierung nicht mit Namen genannt oder im Bild
gezeigt zu werden. Wenn dies nicht geschehe, stehe der
Resozialisierungsgedanke einer Berichterstattung nicht im
Weg. Sonst würden sich außerhalb der aktuellen
Berichterstattung publizistische Tabuzonen herausbilden. |
26 |
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4. Der
Verfügungskläger hat die angegriffenen Entscheidungen
verteidigt. Seine Situation sei gleichzusetzen mit jener, in
der sich der Tatbeteiligte, der 1973 Verfassungsbeschwerde
erhoben habe, damals befunden habe. Er stehe kurz vor der
Entlassung. Allerdings könne er heute nicht mehr seinem
erlernten Beruf nachgehen. Ihm bleibe nur, sich in L. in dem
familieneigenen Ladenlokal selbständig zu machen. Sollte der
Film ausgestrahlt werden, könne er aber auch in dieses
Umfeld nicht zurückkehren. Denn der Film erinnere das
Publikum auch an die Charaktereigenschaften der Beteiligten.
Das Publikum würde das Konstrukt der Inszenierung
(Vergröberung, Anreicherung, frei erfundene Dialoge,
szenische Übersteigerung) mit seiner Person gleichsetzen.
Ihm gehe es nicht um eine rückwirkende Immunisierung seiner
Sozialsphäre, sondern um den Schutz seiner Privat- und
Intimsphäre. |
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Das Ministerium
der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz hat von einer
Stellungnahme abgesehen. |
28 |
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B.
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I.
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Die von SAT 1
erhobene Verfassungsbeschwerde 1 BvR 755/98 ist zur
Entscheidung anzunehmen, weil dies zur Durchsetzung des
Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG angezeigt ist (§ 93
a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine
stattgebende Kammerentscheidung gemäß § 93 c BVerfGG liegen
vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde
maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das
Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. neben dem
Lebach-Urteil -BVerfGE
35, 202 - vor allem
BVerfGE 97, 391
). Korrespondierend dazu liegen die Annahmevoraussetzungen
des § 93 a Abs. 2 BVerfGG mit Blick auf die von dem
Beschwerdeführer zu 1) erhobene Verfassungsbeschwerde 1 BvR
348/98 nicht vor. |
29 |
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II.
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Die
Verfassungsbeschwerde 1 BvR 755/98 ist begründet. |
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1. Die
angegriffenen Entscheidungen beeinträchtigen die
Beschwerdeführerin zu 2) in ihrem Grundrecht auf
Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Die
Rundfunkfreiheit ist in ihrem Kern Programmfreiheit (vgl.BVerfGE
95, 220 <234>
). Sie gewährleistet, daß die Gestaltung des Programms wie
auch der einzelnen Sendungen Sache des Rundfunks bleibt und
sich an publizistischen Kriterien ausrichten kann. Diese
Freiheit beschränkt sich nicht auf politische Programme,
sondern umfaßt ebenso die unterhaltenden (vgl.BVerfGE
35, 202 <223>). Das Verbot, eine
bestimmte Sendung auszustrahlen, berührt daher die
Rundfunkfreiheit in ihrem Kern. |
31 |
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2. a) Die
Rundfunkfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos
gewährleistet. Sie findet ihre Schranken nach Art. 5 Abs. 2
GG unter anderem an den allgemeinen Gesetzen. Zu diesen
gehören auch die Vorschriften, auf die die angegriffenen
Entscheidungen gestützt worden sind. Auslegung und Anwendung
dieser Vorschriften ist Sache der Zivilgerichte. Doch müssen
sie dabei dem eingeschränkten Grundrecht Rechnung tragen,
damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der
Rechtsanwendungsebene zur Geltung kommt (vgl.BVerfGE
7, 198 <205 ff.>;
stRspr). Das verlangt regelmäßig eine Abwägung zwischen dem
eingeschränkten Grundrecht und dem Rechtsgut, in dessen
Interesse es eingeschränkt worden ist. Sie ist im Rahmen der
auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen
Vorschriften vorzunehmen und hat die Umstände des konkreten
Falles zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht
prüft nur nach, ob die Grundrechte bei Auslegung und
Anwendung des Zivilrechts hinreichend Berücksichtigung
gefunden haben. Ein verfassungsrechtlicher Fehler, der zur
Beanstandung der zivilgerichtlichen Entscheidungen führt,
liegt vor, wenn Grundrechte gänzlich übersehen oder in ihrer
Bedeutung und Tragweite, insbesondere im Umfang ihres
Schutzbereichs, verkannt worden sind und die Entscheidung
auf diesem Fehler beruht. |
32 |
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b) Die Abwägung,
die die rheinland-pfälzischen Zivilgerichte im vorliegenden
Fall vorgenommen haben, hält der verfassungsrechtlichen
Prüfung nicht stand. |
33 |
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Bei der Abwägung
fällt neben der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG
das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ins Gewicht, dessen Schutz
die von den Zivilgerichten herangezogenen Vorschriften
bezwecken. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bezieht sich
neben anderem auf Darstellungen der Person durch Dritte
(vgl.BVerfGE
35, 202 <220>
). Der Schutz, den das Grundrecht insoweit vermittelt, wirkt
aber nicht im Sinn eines generellen Verfügungsrechts über
sämtliche Informationen oder Bewertungen, die Dritte
hinsichtlich einer Person äußern. Das Grundrecht entfaltet
seinen Schutz vielmehr gegenüber solchen Darstellungen, die
das Persönlichkeitsbild des Einzelnen in der Öffentlichkeit
verfälschen oder entstellen oder seine
Persönlichkeitsentfaltung, etwa durch die von ihr
ausgehenden Stigmatisierungsgefahren, erheblich
beeinträchtigen (vgl.BVerfGE
97, 391 <403 f.>). |
34 |
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Eine derartige
Beeinträchtigung liegt auch in Darstellungen, die die
Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft nach
Verbüßung der Strafe wesentlich zu erschweren drohen (vgl.BVerfGE
35, 202 <220>
). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelt
Straftätern aber keinen Anspruch darauf, in der
Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit der Tat konfrontiert
zu werden. Ein solches Recht läßt sich weder dem
Lebach-Urteil von 1973 noch anderen Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts entnehmen. Im Lebach-Urteil hat
das Bundesverfassungsgericht lediglich festgestellt, daß das
Persönlichkeitsrecht vor einer zeitlich unbeschränkten
Befassung der Medien mit der "Person eines Straftäters und
seiner Privatsphäre" Schutz bietet (vgl.BVerfGE
35, 202 <233>
). Eine vollständige Immunisierung vor der ungewollten
Darstellung persönlichkeitsrelevanter Geschehnisse war damit
nicht gemeint. Entscheidend ist vielmehr stets, in welchem
Maß eine Berichterstattung die Persönlichkeitsentfaltung
beeinträchtigen kann (vgl.BVerfGE
97, 391 <403>). |
35 |
|
|
Auch die
Verbüßung der Strafhaft führt nicht dazu, daß ein Täter den
Anspruch erwirbt, mit der Tat "allein gelassen zu werden".
Mit der Strafverbüßung ist dem Strafanspruch des Staates
Genüge getan. Das Verhältnis des Täters zu sonstigen
Dritten, insbesondere den Medien, bleibt davon unberührt.
Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht im
Lebach-Urteil 1973 auch nicht auf den Umstand abgestellt,
daß der damalige Beschwerdeführer seine Strafe weitgehend
verbüßt hatte. Maßgeblich für die Beurteilung war vielmehr
die Gefährdung der Resozialisierung, falls das
ZDF-Dokumentar-Fernsehspiel ausgestrahlt worden wäre. Die
Resozialisierung eines Straftäters ist ein genuin
persönlichkeitsrelevantes Anliegen von hohem Rang, das
selbst dann zu beachten wäre, wenn ein Täter keine oder nur
eine sehr kurze Freiheitsstrafe verbüßt hätte. |
36 |
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c) Die Umstände,
die im Lebach-Urteil dazu führten, daß die Folgen der
Darstellung der Straftat im Fernsehen als so schwerwiegend
für den Beschwerdeführer angesehen wurden, daß sein
Schutzbedürfnis das Interesse der Rundfunkanstalt an der
Berichterstattung überwog, sind im vorliegenden Fall nicht
gegeben. |
37 |
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Im Lebach-Fall
ergab sich die besondere Schwere der Beeinträchtigung der
Person daraus, daß die Fernsehberichterstattung über eine
aufsehenerregende Straftat in Form eines Dokumentarspiels
unter Namensnennung und Abbildung des Täters vorgesehen war
(vgl.BVerfGE
35, 202 <230>
). Unter den damaligen Fernsehbedingungen war gerade für
eine solche Sendung mit einer besonders hohen Einschaltquote
zu rechnen (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 227 f.). In engem
zeitlichen Zusammenhang mit der Haftentlassung ausgestrahlt,
hätte das Dokumentarspiel wegen der Breitenwirkung und
Suggestivkraft des Fernsehens die Resozialisierung des
Betroffenen erheblich erschwert, wenn nicht gar verhindert
(vgl. BVerfG, a.a.O., S. 238 ff.). Aber auch ohne zeitliche
Nähe zur Haftentlassung können die möglichen Folgen eines
Berichts über eine schwere Straftat für die freie Entfaltung
der Persönlichkeit gravierend sein und zu Stigmatisierung,
sozialer Isolierung und einer darauf beruhenden
grundlegenden Verunsicherung des Betroffenen führen (vgl.BVerfGE
97, 391 <404>
). Diese Folgen sind auch dann noch möglich, wenn die Tat
bereits lange Zeit zurückliegt. Gerade ein Mord ist derart
persönlichkeitsbestimmend, daß der Mörder mit der Tat
praktisch lebenslang identifiziert wird. |
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Im vorliegenden
Fall läßt sich allerdings nicht feststellen, daß eine "den
Täter identifizierende Sendung" geplant ist, von der die
befürchteten negativen Auswirkungen ausgehen könnten. Das
Oberlandesgericht Koblenz hat zwar - anders als die
saarländischen Gerichte - festgestellt, daß der
Verfügungskläger durch die SAT 1-Sendung identifizierbar
sei. Es hat eine Identifikationsmöglichkeit aber
ausdrücklich nur in bezug auf Personen bejaht, denen der
Verfügungskläger ohnehin schon als Tatbeteiligter der
Lebach-Morde bekannt ist. Hinsichtlich dieser Personen führt
der Film indes nicht zu einer "erheblichen Beeinträchtigung"
der Persönlichkeitsbelange. Denn auch für diese Personen,
die den Verfügungskläger als "Lebach-Mörder" kennen, ist
diese Kenntnis für das Verhältnis zu dem Verfügungskläger
bestimmend. Die nochmalige Auseinandersetzung mit seiner Tat
mag zwar deren Einstellung kurzfristig beeinflussen. Es ist
aber nicht wahrscheinlich, daß die Ausstrahlung des Films zu
einer erstmaligen oder erneuten Stigmatisierung oder
Isolierung des Verfügungsklägers führt. |
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Auch die
Resozialisierung des Verfügungsklägers erscheint durch die
Ausstrahlung des Films nicht gefährdet, weil der Film nach
den Feststellungen der Zivilgerichte Personen, die den
Verfügungskläger nicht als Täter kennen, keine
Identifizierungsmöglichkeit gibt. Zwar ist es nicht
ausgeschlossen, mittels entsprechender Recherchen die Namen
der Täter herauszufinden. Angesichts des Zeitabstands der
Tat von nunmehr 30 Jahren liegt diese Gefahr aber äußerst
fern. Auch mit Blick auf Personen, die den Verfügungskläger
kennen und ihn deshalb als Täter der Lebach-Morde
identifizieren können, gehen für die Resozialierung keine
beeinträchtigenden Wirkungen aus. Diese Personen mögen zwar
in ihren (Vor-)Urteilen über den Verfügungskläger bestärkt
werden. Daß der Film aber eine bisher nicht vorhandene
Ablehnung gegenüber dem Verfügungskläger hervorrufen könnte,
ist aufgrund der Darstellungsweise nicht ersichtlich. Dabei
ist ebenfalls der Zeitablauf seit der Tat zu
berücksichtigen. Mit dem zeitlichen Abstand zu einer Tat
verblaßt in aller Regel die Empörung über das Handeln der
Täter, welches zu Ablehnung und belastender Identifikation
des Täters mit der Tat führen kann. |
40 |
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d) Zugleich haben
die Gerichte die Bedeutung der Rundfunkfreiheit nicht
hinreichend berücksichtigt. Sie sind davon ausgegangen, es
gebe - abgesehen davon, daß jede Art der Berichterstattung
Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unterfalle - im konkreten Fall kaum
weitere Gesichtspunkte, die für einen Vorrang der
Rundfunkfreiheit stritten. Das ist nicht zutreffend. |
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Angesichts des
Umstandes, daß das Grundrecht in erster Linie die Freiheit
der Rundfunkveranstalter bei der Programmgestaltung schützt,
ist das Verbot einer Sendung stets ein erheblicher Eingriff
in das Grundrecht. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß
die Sendung weniger informierenden als unterhaltenden
Charakter besitzt. Auch die Unterhaltung gehört zum
klassischen Rundfunkauftrag, wie er aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2
GG folgt (vgl.BVerfGE
73, 118 <158>
). Im übrigen erschöpft sich die untersagte Sendung nicht in
Unterhaltung. Sie gibt vielmehr in unterhaltender Form
zeitgeschichtliche Aspekte wieder. In der Tat und den
Motiven der Täter, vor allem aber in der Reaktion der
Strafverfolgungsbehörden und der Öffentlichkeit, liegt auch
eine Aussage über den Zustand der Gesellschaft im Jahr 1969.
Mit dem Verbot wird daher nicht nur die Ausstrahlung einer
bestimmten Unterhaltungssendung verhindert, sondern zugleich
generell die Möglichkeit unterbunden, anhand der filmischen
Darstellung eines Verbrechens eine bestimmte,
zeitgeschichtlich interessante Phase zu thematisieren. |
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e) Die
unzutreffende Bestimmung des Schutzbereichs der
einschlägigen Grundrechte und die Verkennung der
Unterschiede zwischen den konkreten Umständen, die dem
Lebach-Urteil und den angegriffenen Entscheidungen zugrunde
liegen, haben sich auch entscheidungserheblich ausgewirkt.
Es läßt sich nicht ausschließen, daß die Gerichte zu einem
anderen Ergebnis gelangt wären, wenn sie Bedeutung und
Tragweite der Grundrechte richtig eingeschätzt hätten. |
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III.
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Die
Verfassungsbeschwerde 1 BvR 348/98 hat demgegenüber keine
Aussicht auf Erfolg (vgl.
BVerfGE 90, 22 <26>). Das folgt im
wesentlichen aus den soeben dargelegten Erwägungen. Die
saarländischen Gerichte haben in verfassungsrechtlich nicht
zu beanstandender Weise ausgeführt, daß der Film eine
Identifizierung des Beschwerdeführers zu 1) nicht ermögliche
und von daher nicht geeignet sei, dessen Resozialisierung zu
gefährden. Sie haben dabei insbesondere darauf abgestellt,
daß der Beschwerdeführer zu 1) seit sieben Jahren unter
seinem echten Namen in Freiheit lebt und keinen Vorbehalten
seiner Umgebung ausgesetzt sei. Aufgrund der verfremdeten
Darstellung des Beschwerdeführers zu 1) gehe von dem Film
keine Prangerwirkung aus. Es ist von Verfassungs wegen nicht
zu beanstanden, daß die Gerichte aufgrund dieser
Feststellungen der Rundfunkfreiheit den Vorrang vor den
Persönlichkeitsbelangen des Beschwerdeführers zu 1)
eingeräumt haben. |
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Diese
Entscheidung ist unanfechtbar. |
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Rolf Schälike
Dieses
Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 09.11.06
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