Zitierung: BVerfG, 1
BvR 1783/05 vom 13.6.2007, Absatz-Nr. (1 - 151),
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____________________________________________________________________________________________________
L e i t s ä t z e
zum Beschluss
des Ersten Senats vom 13. Juni 2007
- 1 BvR
1783/05 -
1.
Bei dem
gerichtlichen Verbot eines Romans als
besonders starkem Eingriff in die
Kunstfreiheit prüft das
Bundesverfassungsgericht die
Vereinbarkeit der angegriffenen
Entscheidungen mit der
verfassungsrechtlichen
Kunstfreiheitsgarantie auf der Grundlage
der konkreten Umstände des vorliegenden
Sachverhalts.
2. Die Kunstfreiheit verlangt
für ein literarisches Werk, das sich als
Roman ausweist, eine kunstspezifische
Betrachtung. Daraus folgt insbesondere
eine Vermutung für die Fiktionalität
eines literarischen Textes.
3. Die
Kunstfreiheit schließt das Recht zur
Verwendung von Vorbildern aus der
Lebenswirklichkeit ein.
4.
Zwischen dem Maß, in dem der Autor eine
von der Wirklichkeit abgelöste
ästhetische Realität schafft, und der
Intensität der Verletzung des
Persönlichkeitsrechts besteht eine
Wechselbeziehung. Je stärker Abbild und
Urbild übereinstimmen, desto schwerer
wiegt die Beeinträchtigung des
Persönlichkeitsrechts. Je mehr die
künstlerische Darstellung besonders
geschützte Dimensionen des
Persönlichkeitsrechts berührt, desto
stärker muss die Fiktionalisierung sein,
um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung
auszuschließen.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR
1783/05 -
Im Namen des Volkes
In
dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
I n dem Verfahren
über die Verfassungsbeschwerde
der V ... GmbH,
vertreten durch die Geschäftsführer ...,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Dr. Sven Krüger,
in Sozietät Rechtsanwälte Schwenn & Krüger,
Große Elbstraße 14, 22767 Hamburg -
gegen
a) das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21.
Juni 2005 - VI ZR 122/04 -,
b) das Endurteil des Oberlandesgerichts München
vom 6. April 2004 - 18 U 4890/03 -,
c) das Endurteil des Landgerichts München I vom
15. Oktober 2003 - 9 O 11360/03 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat
- unter Mitwirkung
des Präsidenten Papier,
des Richters Steiner,
der Richterin Hohmann-Dennhardt
und der Richter Hoffmann-Riem,
Bryde,
Gaier,
Eichberger,
Schluckebier
am 13. Juni 2007 beschlossen:
1. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21.
Juni 2005 – VI ZR 122/04 -, das Endurteil des
Oberlandesgerichts München vom 6. April 2004 –
18 U 4890/03 – sowie das Endurteil des
Landgerichts München I vom 15. Oktober 2003 – 9
O 11360/03 – verletzen die Beschwerdeführerin in
ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 3 Satz 1
des Grundgesetzes, soweit die Urteile der
Klägerin zu 2) das Recht zugesprochen haben, der
Beschwerdeführerin unter Androhung eines
Ordnungsgeldes zu verbieten, das Buch „Esra“ in
der Fassung laut Verpflichtungserklärung vom 18.
August 2003 zu veröffentlichen oder
veröffentlichen zu lassen, auszuliefern oder
ausliefern zu lassen, zu vertreiben oder
vertreiben zu lassen und hierfür zu werben oder
werben zu lassen.
2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde
zurückgewiesen.Das Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 21. Juni 2005 – VI ZR 122/04 - wird im
Umfang der unter Ziffer 1) festgestellten
Grundrechtsverletzung aufgehoben. Die Sache wird
insoweit an den Bundesgerichtshof
zurückverwiesen.
3. Der Freistaat Bayern und die Bundesrepublik
Deutschland haben der Beschwerdeführerin jeweils
ein Viertel der ihr im
Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen
notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
A.
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen
Urteile des Landgerichts München I, des
Oberlandesgerichts München und des
Bundesgerichtshofs, durch die die
Veröffentlichung, Auslieferung und Verbreitung
des von der Beschwerdeführerin verlegten Romans
„Esra“ des Autors B. untersagt wurden, weil
dieser das allgemeine Persönlichkeitsrecht der
Klägerinnen des Ausgangsverfahrens verletze.
1. Der Roman „Esra“ erschien im Frühjahr 2003 im
Verlag der Beschwerdeführerin. Erzählt wird
darin die Liebesgeschichte von Adam und Esra,
einem Schriftsteller und einer Schauspielerin.
Die Liebesbeziehung zwischen den beiden
Hauptfiguren spielt in München-Schwabing und
wird über einen Zeitraum von etwa vier Jahren
von Adam als Ich-Erzähler geschildert. Der
Liebesbeziehung stellen sich Umstände aller Art
in den Weg: Esras Familie, insbesondere ihre
herrschsüchtige Mutter, Esras Tochter aus der
ersten, gescheiterten Ehe, der Vater ihrer
Tochter, und vor allem Esras passiver
schicksalsergebener Charakter.
Obwohl nach Ansicht des Autors und der
Beschwerdeführerin die Figuren des Romans fiktiv
sind, räumten beide im Ausgangsverfahren ein,
dass der Autor von seiner Liebesbeziehung zur
Klägerin zu 1) inspiriert worden war. In einer
Widmung in dem der Klägerin zu 1) übermittelten
Exemplar des Buchs schreibt der Autor:
Liebe A..., dieses Buch ist für Dich. Ich
habe es nur für Dich geschrieben, aber ich
verstehe, dass Du Angst hast, es zu lesen.
Vielleicht liest Du es, wenn wir alt sind - und
siehst dann noch einmal, wie sehr ich Dich
geliebt habe. Maxim. Berlin, den 22.2.03.
In einem gedruckten Nachwort heißt es im Buch:
Sämtliche Figuren dieses Romans sind frei
erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit Lebenden und
Verstorbenen sind deshalb rein zufällig und
nicht beabsichtigt.
Die Klägerin zu 1) ist Trägerin des
Bundesfilmpreises 1989. Mit 17 Jahren heiratete
sie. Aus der Ehe stammt eine Tochter. Nach dem
Scheitern dieser Ehe hatte die Klägerin zu 1)
über eineinhalb Jahre ein intimes Verhältnis mit
dem Autor. Während dieser Beziehung ist ihre
Tochter schwer erkrankt. Nach der Trennung vom
Autor hatte die Klägerin zu 1) über kurze Zeit
eine weitere Beziehung mit einem ehemaligen
Schulfreund. Aus dieser Beziehung, die
zwischenzeitlich ebenfalls gescheitert ist,
stammt ein Kind. Die Klägerin zu 2) ist die
Mutter der Klägerin zu 1). Sie ist Trägerin des
Alternativen Nobelpreises 2000 und Besitzerin
eines Hotels in der Türkei.
2. Die Romanfigur der Esra wird als eine von dem
Willen ihrer Mutter abhängige, unselbständige
Frau geschildert, die in der zuletzt
angegriffenen Version des Romans den
„Fritz-Lang-Preis“ für eine Filmrolle gewonnen
hat. Die Beziehung zu dem Ich-Erzähler ist durch
einen fortdauernden Wechsel von Zuneigung und
Ablehnung und die enttäuschte Liebe des
Ich-Erzählers gekennzeichnet. Sie ist deshalb
zum Scheitern verurteilt, weil sich Esra nicht
aus der Umklammerung durch ihre Mutter, ihre
schwerkranke Tochter Ayla und den Vater ihrer
Tochter lösen kann. Die Beziehung des
Ich-Erzählers zur Romanfigur Esra wird auf
verschiedenen Ebenen unter Brechung der
Chronologie durch mehrfache Rückblenden und in
zahlreichen Details geschildert. Davon umfasst
sind auch Überlegungen Esras darüber, ihr
zweites Kind abtreiben zu lassen, wozu es
schließlich nicht kommt, weil sie – so legen es
Überlegungen des Ich-Erzählers nahe - dieses
Kind anstelle ihrer todkranken Tochter haben
möchte. Der Roman enthält an mehreren Stellen
die Schilderung sexueller Handlungen zwischen
Esra und dem Ich-Erzähler.
Esras Mutter, die Romanfigur Lale, besitzt ein
Hotel an der Ägäischen Küste in der Türkei und
hat in der ursprünglichen Romanfassung für ihre
Umweltaktivitäten den Alternativen Nobelpreis,
in der zuletzt angegriffenen, nach
Vergleichsbemühungen zwischen den Parteien
überarbeiteten Fassung den „Karl-Gustav-Preis“
erhalten. Zwischen ihrem Lebenslauf und dem der
Klägerin zu 2) gibt es deutliche und markante
Übereinstimmungen (Zahl der Ehen und Kinder,
Wohn- und Handlungsorte). Der Figur der Lale
wird im Roman wesentliche Verantwortung für das
Scheitern der Beziehung zwischen Adam und Esra
zugeschrieben. Sie ist deutlich negativ
gezeichnet. Nach dem Urteil des
Bundesgerichtshofs wird sie als eine depressive,
psychisch kranke Alkoholikerin dargestellt, die
ihre Tochter und ihre Familie tyrannisiert.
II.
1. Die Klägerinnen beantragten kurz nach Erscheinen
des Romans, von dem bis dahin rund 4.000 Exemplare
verkauft worden waren, beim Landgericht den Erlass
einer auf ein Verbot der Verbreitung des Romans
gerichteten einstweiligen Verfügung. Im Verlauf des
Verfahrens gab die Beschwerdeführerin mehrere
Unterlassungsverpflichtungserklärungen ab, mit denen
sie anbot, es bei Vermeidung einer Vertragsstrafe zu
unterlassen, den Roman ohne bestimmte Streichungen
beziehungsweise Änderungen zu veröffentlichen. Das
Verfahren endete mit einer Ablehnung des Antrags auf
Erlass einer einstweiligen Verfügung im Hinblick auf
die zwischenzeitlich abgegebenen
Unterlassungsverpflichtungserklärungen. Nach
Beendigung des einstweiligen Verfügungsverfahrens
veröffentlichte die Beschwerdeführerin eine
„geweißte“ Fassung des Romans, die bestimmte
Auslassungen aufwies.
2. a) Im Hauptsacheverfahren, in dem die
Beschwerdeführerin am 18. August 2003 eine letzte –
noch über die „geweißte“ Fassung hinausgehende –
Unterlassungsverpflichtungserklärung abgab, mit der
sie insbesondere anbot, die Bezeichnung der an die
Romanfiguren Esra und Lale verliehenen Preise und
den jeweiligen Grund hierfür zu ändern, trugen die
Klägerinnen im Wesentlichen vor, das Buch stelle
eine Biographie ohne wesentliche Abweichung von der
Wirklichkeit dar. Eine Identifizierung ihrer
Personen sei auch in der veränderten Fassung des
Romans ohne weiteres möglich. Durch die Darstellung
würden sie diffamiert und in herabwürdigender Weise
geschildert. Durch ausführliche und zum Teil
ehrverletzende und beleidigende Schilderungen aus
dem Sexualleben der Klägerin zu 1), der familiären
Beziehungen und Streitigkeiten der Klägerinnen
untereinander, den Auseinandersetzungen mit dem
Ehemann der Klägerin zu 1) sowie die Schilderung der
Krankheit der Tochter der Klägerin zu 1) sei in den
absolut geschützten Bereich ihres Intimlebens
eingegriffen worden.
b) Die Beschwerdeführerin trug im Wesentlichen vor,
es handele sich bei dem Buch nicht um einen
Schlüsselroman. Ein Großteil dessen, was in dem
Roman passiere, habe sich in der Realität so nicht
ereignet. Es sei nicht richtig, dass Handlungen und
Personen größtenteils den Biographien der
Klägerinnen entnommen seien.
3. Das Landgericht verurteilte die
Beschwerdeführerin unter Androhung eines
Ordnungsgeldes, es zu unterlassen, das Buch „Esra“
zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu lassen,
auszuliefern oder ausliefern zu lassen, zu
vertreiben oder vertreiben zu lassen und hierfür zu
werben oder werben zu lassen.
Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch sei gemäß
§§ 1004, 823 BGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG
begründet. Die Klägerinnen seien durch das
angegriffene Buch in ihrem Persönlichkeitsrecht in
einer Art verletzt, dass demgegenüber die
Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG
zurücktrete.
Die Klägerinnen seien in den Romanfiguren erkennbar.
Ausschlaggebend hierfür sei die Darstellung der
Figur Esra als Trägerin des Bundesfilmpreises 1989,
den die 17-Jährige für die Rolle einer jungen
Türkin, die sich in einen Deutschen verliebe,
erhalten habe, und der Mutter der Esra als Trägerin
des Alternativen Nobelpreises des Jahres 2000 wegen
ihres Einsatzes gegen den Goldabbau in der Türkei.
Die Kammer gehe davon aus, dass gerade der großen
türkischen Gemeinde in Deutschland, der die beiden
Klägerinnen auch angehörten, die Tatsache der
Verleihung von zwei nicht unbedeutenden Preisen an
zwei ihrer Mitglieder auch nach vierzehn
beziehungsweise drei Jahren noch bekannt sei, und
dass der Bezug zu den Klägerinnen hergestellt werde.
Die Beschwerdeführerin könne sich nicht darauf
berufen, dass sie in der nunmehr
streitgegenständlichen Fassung des Buchs den
Alternativen Nobelpreis in „Karl-Gustav-Preis“ und
den Bundesfilmpreis in den „Fritz-Lang-Preis“
abgeändert habe, die beide nicht existierten. Die
zunächst erschienene Fassung des Buchs müsse bei der
Beurteilung der Frage, ob die beiden Klägerinnen in
der nunmehr streitgegenständlichen Fassung im
Hinblick auf die vorbezeichneten Abänderungen noch
erkennbar seien, mitberücksichtigt werden. Gerade
die den Tatsachen entsprechende Schilderung der
beiden Klägerinnen als Preisträgerinnen des
Bundesfilmpreises beziehungsweise des Alternativen
Nobelpreises in der zunächst erschienenen Fassung
führe zu einer Erkennbarkeit und damit individuellen
Betroffenheit der Klägerinnen. Würde man
hinsichtlich der Erkennbarkeit der Klägerinnen
ausschließlich auf die nunmehr streitgegenständliche
Fassung abstellen, hätte dies zur Folge, dass gerade
deshalb, weil die Klägerinnen sich gegen eine
Fassung des Buchs zur Wehr gesetzt hätten, in der
sie unschwer zu erkennen gewesen seien, ihnen dies
nunmehr zum Nachteil gereichen würde.
Nach Abwägung der Umstände des Einzelfalls sei von
einem so schweren Eingriff in die
Persönlichkeitsrechte der Klägerinnen auszugehen,
dass die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistete
Kunstfreiheit demgegenüber zurücktreten müsse.
Eine Verselbständigung des Abbilds vom Urbild sei
vorliegend nicht zu erkennen. Bis auf die Namen habe
der Autor in dem Buch die familiären Beziehungen
„1:1“ der Wirklichkeit entnommen. Die Schilderung
stelle eine Verletzung der Intimsphäre der Klägerin
zu 1) dar. Sie habe mit dem Autor ein intimes
Verhältnis gehabt. Wenn dann der Ich-Erzähler des
Romans mit der Hauptfigur Esra, die als die Klägerin
zu 1) zu identifizieren sei, ebenfalls ein sexuelles
Verhältnis habe, sei die Intimsphäre der Klägerin zu
1) betroffen. Auf die Frage, ob die beschriebenen
sexuellen Praktiken der Realität entsprächen oder
pure Fiktion seien, komme es insoweit nicht an.
Darüber hinaus liege eine ganz erhebliche Verletzung
der Persönlichkeitsrechte in der Schilderung der
Krankheit der Tochter der Klägerin zu 1). Unter
anderem würden damit die Probleme begründet, die in
der Beziehung zwischen der Mutter des erkrankten
Kindes und dem Ich-Erzähler entstünden. Die
Erörterung der Erkrankung des Kindes habe in der
Öffentlichkeit nichts zu suchen.
4. Das Oberlandesgericht wies die Berufung der
Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Landgerichts
zurück. Die Klägerinnen seien durch die
Veröffentlichung des Romans in ihrem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht verletzt.
Sie seien in den Romanfiguren Esra und Lale und in
dem Handlungs- und Beziehungsgeflecht des Buchs
erkennbar. Durch die Veröffentlichung des Buchs
seien sie unmittelbar und individuell betroffen. Für
einen nicht unbedeutenden Leserkreis würden
erkennbar die Klägerinnen dargestellt. Eine
genügende Verfremdung des Abbilds vom Urbild fehle.
Es seien so markante Übereinstimmungen in dem
Erscheinungsbild und dem Lebens- und Berufsweg von
Esra und Lale einerseits und den Klägerinnen
andererseits festzustellen, dass der Leser nicht
zwischen Wahrheit und Erdichtetem unterscheiden
könne.
Es lägen schwere Eingriffe in die Privat- und
Intimsphäre der Klägerin zu 1) vor. Zudem sei ihr
Recht am eigenen Lebensbild verletzt worden. Diese
Eingriffe müsse sie nicht hinnehmen.
Die Privatsphäre werde durch die Schilderung der
schweren Krankheit der Tochter der Romanfigur Esra
verletzt. Dem Leser dränge sich aufgrund der
Darstellung im Buch der Eindruck auf, die Tochter
der Klägerin zu 1), die tatsächlich schwer erkrankt
sei, hiervon nach dem Vortrag der Klägerin zu 1)
jedoch nichts wisse, habe eine tödliche Krankheit,
die auf mangelnder Fürsorge der Klägerin zu 1)
beruhe. Des Weiteren werde der Eindruck vermittelt,
die Klägerin zu 1) sei nur deshalb erneut schwanger
geworden, weil sie sich vor dem Verlust ihrer
Tochter gefürchtet habe.
Die Intimsphäre der Klägerin zu 1) werde durch die
Schilderung von Einzelheiten des Sexuallebens von
Esra einschließlich eines Abtreibungsversuchs
verletzt. Da der Leser nicht zwischen Wahrheit und
Erdichtetem unterscheiden könne, setze er dies mit
realen Einzelheiten des Sexuallebens der Klägerin zu
1) gleich. Leser, die die Klägerin zu 1)
identifiziert hätten, würden zudem die innersten
Empfindungen und Gedankengänge von Esra mit denen
der Klägerin zu 1) gleichsetzen. Der Eingriff in das
allgemeine Persönlichkeitsrecht wiege so schwer,
dass er nicht durch das Recht auf Kunstfreiheit
gerechtfertigt sei.
Auch die Klägerin zu 2) sei durch die
Veröffentlichung des Buchs unmittelbar betroffen und
in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.
Das Buch greife schwer in die Privatsphäre der
Klägerin zu 2) und ihr Recht am eigenen Lebensbild
ein. Wie bei der Klägerin zu 1) sei auch
hinsichtlich der Klägerin zu 2) nicht erkennbar, was
wahr und was erdichtet sei. Leser, die die Klägerin
zu 2) identifiziert hätten, würden die Charakterzüge
von Lale mit denen der Klägerin zu 2) gleichsetzen.
Dadurch sei die Klägerin zu 2) zugleich in ihrem
Recht am eigenen Lebensbild verletzt.
Das Verbot des Buchs sei nicht unverhältnismäßig.
Die Anordnung einzelner Schwärzungen scheide schon
deswegen aus, weil in die gesamte Struktur und
Darstellung des Buchs eingegriffen werden müsste.
Aufgabe des Gerichts sei zwar festzustellen, ob die
Veröffentlichung eines Buchs in einer bestimmten
Fassung zu unterlassen sei. Es dürfe jedoch nicht
gleichsam wie ein Schriftsteller dem Buch eine
andere Fassung geben und sich künstlerisch
betätigen.
5. Der Bundesgerichtshof wies die Revision gegen das
Urteil des Oberlandesgerichts zurück.
Der Unterlassungsanspruch sei begründet. Die durch
Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG grundrechtlich garantierte
Kunstfreiheit habe unter den Umständen des
Streitfalls hinter dem gemäß Art. 2 Abs. 1 GG
ebenfalls grundrechtlich geschützten allgemeinen
Persönlichkeitsrecht der Klägerinnen zurückzutreten.
Die Klägerinnen würden durch den Roman auch unter
Berücksichtigung der in den
Unterlassungsverpflichtungserklärungen vorgenommenen
Textänderungen in ihrem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht verletzt.
Eine Erkennbarkeit der Klägerinnen setze nicht
voraus, dass diese „von einem nicht unbedeutenden
Leserkreis unschwer“ in den Romanfiguren
wiedererkannt würden. Bei dieser Formulierung aus
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
24. Februar 1971 (vgl.BVerfGE 30, 173 <198> )
handele es sich um den von den Zivilgerichten
seinerzeit zugrundegelegten Maßstab. Dieser sei
indes zu eng, weil grundsätzlich die Erkennbarkeit
in einem mehr oder minder großen Bekanntenkreis
beziehungsweise in der näheren persönlichen Umgebung
genüge. Die Erkennbarkeit sei bereits dann gegeben,
wenn die Person ohne namentliche Nennung zumindest
für einen Teil des Leser- oder Adressatenkreises
aufgrund der mitgeteilten Umstände hinreichend zu
erkennen sei. Bei Anlegung dieses Maßstabs sei die
Auffassung des Oberlandesgerichts, die Klägerinnen
seien in den Romanfiguren Esra und Lale zu erkennen,
nicht zu beanstanden. Dies gelte insbesondere
aufgrund der wesentlichen Übereinstimmungen zwischen
dem äußeren Erscheinungsbild und dem Lebens- und
Berufsweg der Klägerinnen und denen der Romanfiguren
Esra und Lale sowie der Verleihung des
Bundesfilmpreises an die Klägerin zu 1) und des
Alternativen Nobelpreises an die Klägerin zu 2), die
sich im Roman erkennbar widerspiegelten.
Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht
der Klägerinnen sei rechtswidrig. Ob eine Verletzung
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliege, sei
aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung anhand
des zu beurteilenden Einzelfalls festzustellen. Die
Erkennbarkeit der Klägerinnen reiche allein für die
Begründung eines Unterlassungsanspruchs nicht aus.
Hinzukommen müsse vielmehr eine schwerwiegende
Persönlichkeitsrechtsverletzung, die durch Art. 5
Abs. 3 Satz 1 GG nicht mehr gerechtfertigt sei. Die
Freiheit der Kunst sei nicht schrankenlos gewährt.
Das Grundrecht der Kunstfreiheit stehe zwar nicht
unter einem Gesetzesvorbehalt. Jedoch dürfe sich
auch der Künstler, wenn er sich in seiner Arbeit mit
Personen seiner Umwelt auseinandersetze, nicht über
deren verfassungsrechtlich ebenfalls geschütztes
Persönlichkeitsrecht hinwegsetzen. Beide
Interessenbereiche seien gegeneinander abzuwägen,
wobei insbesondere auch zu beachten sei, dass
Charakter und Stellenwert des beanstandeten Textes
als Aussage der Kunst das Verständnis von ihm im
sozialen Wirkungsbereich zu beeinflussen vermöchten.
Keinem der Rechtsgüter komme von vornherein Vorrang
gegenüber dem anderen zu. Zwar könnten zweifelsfrei
feststellbare schwerwiegende Beeinträchtigungen des
Persönlichkeitsrechts durch die Kunstfreiheit nicht
gerechtfertigt werden. Das bedeute jedoch nicht,
dass die Prüfung, ob eine solch schwerwiegende
Beeinträchtigung festzustellen sei, isoliert, das
heißt ohne Berücksichtigung des Charakters des
Werks, vorgenommen werden dürfe.
Der Autor habe mit den Figuren Esra und Lale keine
gegenüber dem Urbild der Klägerinnen
verselbständigten Kunstfiguren geschaffen. Auch bei
Berücksichtigung des Umstands, dass es sich um einen
Roman handele, ergebe sich kein anderes
Textverständnis. Das Kunstwerk wirke nicht nur als
ästhetische Realität, sondern habe daneben ein
Dasein in den Realien, die zwar in der Darstellung
künstlerisch überhöht würden, damit aber ihre
sozialbezogenen Wirkungen nicht verlören. Diese
Wirkungen auf der sozialen Ebene entfalteten sich
„neben“ dem eigenständigen Bereich der Kunst;
gleichwohl müssten sie auch im Blick auf den
Gewährleistungsbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG
gewürdigt werden, da die „reale“ und die
„ästhetische“ Welt im Kunstwerk eine Einheit
bildeten. Lehne sich eine Romanfigur an eine reale
Person an, werde diese daher nicht bereits aufgrund
der Einbettung in die Erzählung zum
verselbständigten Abbild.
Ob dies der Fall sei, müsse in jedem Einzelfall
geprüft werden. Im Streitfall sei dies zu verneinen.
Die tatsächlich nachprüfbaren Merkmale der
Romanfiguren Esra und Lale, die sich mit Merkmalen
der Klägerinnen deckten, seien zahlreich und so
charakteristisch, dass daneben die vorhandenen
Unterschiede zurückträten. Mittel künstlerischer
Verfremdung fehlten. Für den Leser, der die
dargestellte Person erkannt habe, würden mit den
beiden Romanfiguren keine Typen, sondern die
Klägerinnen in ihrem realen Bezug dargestellt. Diese
Wirkung werde noch dadurch verstärkt, dass Daten auf
dem Klappentext zur Person des Autors mit Daten des
Ich-Erzählers übereinstimmten. Wer als
Schriftsteller Personen in einer Weise erkennbar
mache, dass sich Romanfiguren einer real
existierenden Person eindeutig zuordnen ließen,
kündige die Übereinstimmung zwischen Autor und Leser
auf, dass es sich beim literarischen Werk um Fiktion
handele. Die Klägerinnen müssten ein solches
„Porträt“ in Buchform nicht dulden. Ihre
Beeinträchtigung wiege so schwer, dass dem Schutz
ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Vorrang
vor der zugunsten der Beschwerdeführerin streitenden
Kunstfreiheit einzuräumen sei.
Das Buch greife unabhängig davon, ob die vom Autor
geschilderten zahlreichen Einzelheiten des
Sexuallebens und des Abtreibungsversuchs der
Romanfigur Esra eine Entsprechung im Leben der
Klägerin zu 1) hätten, in unzulässiger Weise in
deren Intim- und Privatsphäre ein.
Auch gegenüber der Klägerin zu 2) überschreite der
Roman den durch die Kunstfreiheit eröffneten
Spielraum. Werde das Lebensbild einer bestimmten
Person, die wie im Streitfall deutlich erkennbar als
reale Person und nicht als Typus dargestellt werde,
durch frei erfundene Zutaten grundlegend und in
schwerwiegender Weise negativ entstellt, sei die
durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gesetzte
Grenze überschritten. Die Klägerin zu 2) werde in
der Figur der Lale als eine depressive, psychisch
kranke Alkoholikerin geschildert, als eine Frau, die
ihre Tochter und ihre Familie tyrannisiere, herrisch
und streitsüchtig sei, ihre Kinder vernachlässigt
habe, das Preisgeld in ihr bankrottes Hotel gesteckt
habe, ihren Eltern Land gestohlen und die Mafia auf
sie gehetzt habe, gegen den Goldabbau nur gekämpft
habe, weil auf ihrem eigenen ergaunerten Grundstück
kein Gold zu finden gewesen sei, eine hohe
Brandschutzversicherung abgeschlossen habe, bevor
ihr Hotel in Flammen aufgegangen sei, ihre Tochter
zur Abtreibung gedrängt habe, von ihrem ersten Mann
betrogen und von ihrem ebenfalls alkoholsüchtigen
zweiten Mann geschlagen worden sei. Derart
schwerwiegende Entstellungen seien durch die
Kunstfreiheit nicht gedeckt.
Die Untersagung der Verbreitung des gesamten Romans
sei entgegen der Auffassung der Revision nicht
unverhältnismäßig. Sie sei begründet, weil die
beanstandeten Textteile für die Gesamtkonzeption des
Werks und für das Verständnis des mit ihm verfolgten
Anliegens von Bedeutung seien. Da das gesamte Buch
von zahlreichen Anspielungen und Beschreibungen, die
auf die Klägerinnen hindeuteten, durchzogen sei,
müsse bei Vorgabe einzelner Änderungen, die von der
Beschwerdeführerin als milderes Mittel angesehen
werde, in die gesamte Struktur und Darstellung des
Werks eingegriffen werden. Es sei indessen nicht
Aufgabe des Gerichts, bestimmte Streichungen
vorzunehmen, um die Persönlichkeitsrechtsverletzung
auf das gerade noch zulässige Maß zu reduzieren, da
es eine Vielzahl möglicher Varianten gebe, wie diese
Änderungen vorgenommen werden könnten, und der
Charakter des Romans durch solche Eingriffe eine
erhebliche Änderung erfahren würde.
B.
I.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die
Beschwerdeführerin unter anderem die Verletzung
ihres Rechts aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG durch die
angegriffenen Entscheidungen.
1. Das angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs
beruhe auf einer grundsätzlich unrichtigen
Anschauung von der Bedeutung der Kunstfreiheit.
Insbesondere sei bei der vom Bundesgerichtshof
vorgenommenen Abwägung der Schutzbereich des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts der beiden
Klägerinnen überdehnt und dadurch der Schutzbereich
der Kunstfreiheit der Beschwerdeführerin unzulässig
eingeengt worden. Das Urteil kranke daran, dass der
Beurteilung der - zur individuellen Betroffenheit
führenden – Erkennbarkeit der Klägerinnen ein
unrichtiger, nicht werkgerechter Maßstab
zugrundegelegt worden sei.
Der Bundesgerichtshof gehe zu Unrecht davon aus,
dass für die individuelle Betroffenheit der
Klägerinnen bereits deren Erkennbarkeit in einem
mehr oder minder großen Bekanntenkreis genüge. Damit
knüpfe der Bundesgerichtshof an die
höchstrichterliche Rechtsprechung zur Erkennbarkeit
von Personen an, die Gegenstand von
Presseberichterstattung seien. Dieser Maßstab werde
dem Charakter des verbotenen Romans als Belletristik
nicht gerecht. Wenngleich nicht außer Acht gelassen
werden könne, dass ein Kunstwerk nicht nur als
ästhetische Realität wirke, sondern daneben ein
Dasein in den Realien habe, dürfe bei der Lösung der
Spannungslage zwischen Persönlichkeitsschutz und
Kunstfreiheit nicht allein auf die Wirkungen des
Kunstwerks im außerkünstlerischen Sozialbereich
abgehoben werden; vielmehr müsse den
kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung getragen
werden. Deshalb sei schon für die Frage, ob die
Klägerinnen in den Figuren Esra und Lale erkennbar
seien, relevant, dass der verbotene Roman ein Roman
sei.
Daraus folge zweierlei. Zum einen erkenne der Leser,
dass es sich bei dem Buch um Fiktion handele, mithin
einen Wahrheitsanspruch nicht erhebe, so dass die
Romanfiguren gerade nicht Porträts realer Urbilder
seien. Zum anderen folge aus dem Gewicht und der
Bedeutung der Kunstfreiheit, dass an die
Erkennbarkeit von Personen, die sich in Romanfiguren
porträtiert wähnten, ein strengerer Maßstab
anzulegen sei als an die solcher Personen, die
Gegenstand einer ausschließlich in den Realien
wirkenden Presseberichterstattung seien, die stets
Anspruch auf Wahrheitstreue erhebe. Indem der
Bundesgerichtshof für die individuelle Betroffenheit
der Klägerinnen die Erkennbarkeit in deren
Bekanntenkreis ausreichen lasse, weiche er von der
Mephisto-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfGE 30, 173 <198>) ab, in der darauf abgestellt
worden sei, dass ein nicht unbedeutender Leserkreis
unschwer in der dortigen Romanfigur Hendrik Höfgen
den Schauspieler Gustav Gründgens wiedererkenne. Das
Bundesverfassungsgericht habe darüber hinaus ebenso
wie der Bundesgerichtshof in seinem Mephisto-Urteil
(BGHZ 50, 133 <141>) darauf abgestellt, dass es sich
bei Gründgens um eine Person der Zeitgeschichte
gehandelt habe.
Der Bundesgerichtshof gehe außerdem zu Unrecht von
einer schwerwiegenden
Persönlichkeitsrechtsverletzung aus. Insbesondere
nehme er unzutreffend an, es würden mit den beiden
Romanfiguren keine Typen, sondern die Klägerinnen in
ihrem sozialen Bezug dargestellt. Nur aufgrund
dieses Textverständnisses komme der
Bundesgerichtshof zur Annahme von zweifelsfrei
feststellbaren schwerwiegenden Beeinträchtigungen
des Persönlichkeitsrechts. Der Roman beanspruche
hingegen für jeden Leser erkennbar keine
Wirklichkeitstreue und werde deshalb vom Leser nicht
als Darstellung tatsächlicher Erlebnisse realer
Personen missverstanden. Soweit der
Bundesgerichtshof davon ausgehe, der Autor habe mit
den Figuren Esra und Lale keine gegenüber dem Urbild
verselbständigten Kunstfiguren geschaffen, weil es
eine Vielzahl im Roman geschilderter Umstände gebe,
die eine ausgeprägte Übereinstimmung des Lebens- und
Berufswegs der Klägerinnen mit denen der
Romanfiguren aufwiesen, sei dies unzutreffend. Die
Romanhandlung sei ganz überwiegend der Phantasie des
Autors entsprungen. Keineswegs sei die Handlung oder
der äußere Rahmen des Romans den Biographien der
Klägerinnen entnommen. Es bestünden auf
künstlerischen Verfremdungen beruhende erhebliche
Unterschiede zwischen den Romanfiguren und
-handlungen einerseits und der Realität
andererseits, die gerade von den Lesern aus dem
Bekanntenkreis der Klägerinnen erkannt würden. Aus
alledem ergebe sich, dass die Romanfiguren durch die
künstlerische Gestaltung des Stoffs so
verselbständigt erschienen, dass das Individuelle,
das Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen,
Zeichenhaften der Figuren objektiviert sei, und der
Autor daher – anders als es das
Bundesverfassungsgericht Klaus Manns Mephisto-Roman
attestiert habe – kein Porträt der Klägerinnen als
Urbilder gezeichnet habe. Darüber hinaus sei es
nicht Sache staatlicher Gerichte, Qualitätsmaßstäbe
zur Bestimmung hinreichender Verfremdung und damit
des künstlerischen Schaffensprozesses zu definieren.
Der weite Beurteilungsspielraum, den die Gerichte
sich in diesem Punkt einräumten, gefährde die
Kunstfreiheit erheblich.
Selbst wenn man dem Roman Wahrheitsanspruch
erhebende Aussagen über die Klägerinnen entnehmen
könnte, könne darauf ein Verbot nicht gestützt
werden. Soweit das Oberlandesgericht als letzte
Tatsacheninstanz gemeint habe, der Leser könne
tatsächlich nicht erkennen, welche Teile des Romans
Fiktion und welche Passagen Wahrheitsanspruch
erhebende Mitteilungen über die Klägerinnen
enthielten, handele es sich nur um die Möglichkeit
einer schwerwiegenden Rechtsverletzung, auf die ein
Verbot des Romans nicht gestützt werden könne, da
diese im Interesse der Kunstfreiheit zweifelsfrei
feststehen müsse. Da die Möglichkeit nicht
auszuschließen sei, dass der Leser einzelne Umstände
in den Bereich der Fiktion einordne, seien die vom
Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 67, 213 <228>)
aufgestellten Verbotsvoraussetzungen nicht erfüllt.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs offenbare eine
grundsätzlich unrichtige Anschauung vom Umfang des
Schutzbereichs der gegen die Kunstfreiheit
abzuwägenden Persönlichkeitsrechte der Klägerinnen.
Soweit es eine Verletzung der Intimsphäre der
Klägerin zu 1) feststelle, sei dies unrichtig, da
diese durch fiktive Schilderungen von Verhalten, das
es in der Realität nicht gegeben habe, nicht
verletzt werden könne. Der vom Bundesgerichtshof
eigentlich gemeinte Eindruck des Lesers, die
Einzelheiten des Sexuallebens der Romanfigur Esra
hätten sich auch im Leben der Klägerin zu 1)
abgespielt, sei nicht zwingend. Betroffen sei nicht
die einer Güterabwägung unzugängliche Intimsphäre,
sondern die persönlichkeitsrechtliche Fallgruppe der
Verzerrung des Lebensbilds der Betroffenen.
Hinsichtlich der Klägerin zu 2) nehme der
Bundesgerichtshof eine
Persönlichkeitsrechtsverletzung durch negative
Entstellung des Lebensbilds an, begründe jedoch
nicht, durch welche unwahren Tatsachenbehauptungen
deren allgemeines Persönlichkeitsrecht in
rechtswidriger Weise verletzt sei. Auf eine im
Einzelnen nachvollziehbare Darlegung, durch welche
Romanpassage welcher unwahre Eindruck erweckt worden
sei, habe jedoch nicht verzichtet werden dürfen,
weil wegen des mit dem Verbot verbundenen besonders
schweren Eingriffs in die Kunstfreiheit besonders
strenge Anforderungen an die Begründung des
Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht und an die
Begründung der Rechtswidrigkeit dieses Eingriffs zu
stellen seien. Dies gelte umso mehr, als der
Bundesgerichtshof es selbst für möglich gehalten
habe, durch Änderungen des Romans Rechtsverletzungen
zukünftig zu vermeiden, und die Beschwerdeführerin
im Laufe des Rechtsstreits zahlreiche Vorschläge für
Streichungen und Änderungen gemacht habe. Vor diesem
Hintergrund verletze auch das Unterlassen des
Bundesgerichtshofs, eine Trennlinie zwischen
erlaubten und rechtsverletzenden Romanpassagen
nachvollziehbar darzustellen, das Grundrecht der
Beschwerdeführerin auf Kunstfreiheit.
Selbst wenn die Entscheidung des Bundesgerichtshofs,
die Kunstfreiheit zum Schutze des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts der Klägerinnen
einzuschränken, verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden sein sollte, so verstoße doch die
Untersagung der Verbreitung des gesamten Romans
gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auch
der Bundesgerichtshof stelle nicht in Frage, dass
einzelne Streichungen anstatt des Gesamtverbots
geeignet wären, die
Persönlichkeitsrechtsverletzungen auf das gerade
noch zulässige Maß zu reduzieren. Das Gesamtverbot
sei mithin nicht erforderlich.
2. Auch das Urteil des Oberlandesgerichts verletze
die Beschwerdeführerin in ihrer Kunstfreiheit. Das
Oberlandesgericht berücksichtige zu Unrecht, dass
durch das Verfahren über die einstweilige Verfügung
und den anschließenden Prozess die öffentliche
Diskussion entfacht und durch die
Presseberichterstattung über das Verfahren die
Klägerinnen erkennbar machende Umstände an die
Öffentlichkeit gelangt seien. Das widerspreche dem
von der Kunstfreiheit aufgestellten Gebot der
werkgerechten Beurteilung des Romans, das die
Berücksichtigung von Umständen verbiete, die
außerhalb des Romans lägen.
Der vom Oberlandesgericht angenommene rechtswidrige
Eingriff in die Privatsphäre der Klägerin zu 1)
wegen der Darstellung der Krankheit der Romanfigur
Ayla resultiere aus einer zu weitgehenden Definition
der Grenzen der Privatsphäre und damit des
Persönlichkeitsrechts der Klägerin zu 1). Das
Oberlandesgericht lasse eine nur mittelbare
Betroffenheit ausreichen, die die Kunstfreiheit im
konkreten Fall überwöge.
3. Auch das Landgericht komme in seinem Urteil
aufgrund von verfassungswidrigen Erwägungen zur
Annahme der Erkennbarkeit der Klägerinnen, nehme
aufgrund grundsätzlich unrichtiger Auffassungen von
der Bedeutung der widerstreitenden Grundrechte
schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzungen der
Klägerinnen an und spreche ein unverhältnismäßiges
Gesamtverbot aus.
II.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben unter anderem der
Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der Verband
deutscher Schriftsteller in der Vereinten
Dienstleistungsgewerkschaft, das P.E.N.-Zentrum
Deutschland und die Klägerinnen des
Ausgangsverfahrens Stellung genommen.
1. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels ist
der Ansicht, dass in den angegriffenen
Entscheidungen der Eigenschaft des Romans als
Kunstwerk nicht genügend Rechnung getragen werde.
Dies werde besonders deutlich bei der Prüfung der
Erkennbarkeit sowie der Verletzung der
Persönlichkeitsrechte im Rahmen der
Grundrechtsabwägung. Indem der Bundesgerichtshof die
Erkennbarkeit in einem mehr oder minder großen
Bekanntenkreis genügen lasse, weiche er von dem
Maßstab des Bundesverfassungsgerichts in der
Mephisto-Entscheidung ab. Diese niedrigeren
Anforderungen seien dem Presserecht entlehnt, in dem
jedoch nicht die Kunstfreiheit zur Abwägung mit dem
Persönlichkeitsrecht eines Dritten stehe, sondern
die Meinungs- und Pressefreiheit. Bei der Prüfung
der Verletzung von Persönlichkeitsrechten hätten die
Gerichte eine nicht-kunstspezifische Haltung
eingenommen und Erscheinen und Verhalten der
Romanfiguren Esra und Lale mit dem
Persönlichkeitsbild der beiden Klägerinnen so
verglichen, als gehörten Esra und Lale der
Wirklichkeit an. Das Grundrecht der Kunstfreiheit
verliere dadurch seine gegenüber den anderen
kommunikationsbezogenen Grundrechten herausgehobene
Stellung.
Zur Erkennbarkeit müsse eine hiervon unabhängig
festgestellte Persönlichkeitsrechtsverletzung
hinzukommen. Dafür reiche die Feststellung einer
mangelnden Verfremdung nicht aus, denn die Fragen
der Erkennbarkeit und Verfremdung seien eng
miteinander verwoben. Bei der Feststellung der
Persönlichkeitsrechtsverletzung müsse der
ästhetischen Wirkungsebene ausreichend Rechnung
getragen werden. Da Konflikte mit dem
Persönlichkeitsrecht sich nur auf der
sozialbezogenen Ebene ergäben, nicht aber auf der
ästhetischen, müsse es eine Rolle spielen, welche
der Wirkungsebenen dem Werk seine Prägung gebe, ob
es also in seiner Gesamtheit als fiktive
Beschreibung wahrgenommen werde oder aber als
Tatsachenbericht. Bei Zweifeln sei der vorbehaltlos
gewährleisteten Kunstfreiheit der Vorrang
einzuräumen.
Es sei Kennzeichen jeder Literatur, dass sie sich an
Vorbilder anlehne. Wenn dies in Zukunft nur mit
existenzbedrohenden finanziellen Risiken möglich
sei, könnte dies prohibitiv wirken. Die Romane
mancher Literaturströmungen würden möglicherweise
nur noch zurückhaltend oder gar nicht mehr verlegt.
Besonders treffen könne dies Werke der „Postmoderne“
beziehungsweise des „Subjektiven Realismus“, zu
denen auch „Esra“ zähle. Kennzeichen dieser
Literaturströmung sei die Verklammerung von
autobiographischen und fiktionalen Elementen, die
die zeitgenössische Literatur maßgeblich präge. Eine
Bestätigung der angegriffenen Entscheidungen würde
alle Verlage betreffen, deren Programmschwerpunkt im
Bereich der zeitgenössischen Literatur liege.
2. Der Verband deutscher Schriftsteller teilt die
Einschätzung des die Beschwerde führenden Verlags.
Es sei nicht auszuschließen, dass angesichts der
angegriffenen Entscheidungen Restriktionen für
literarisches Schaffen entwickelt würden, die mit
der künstlerischen Freiheit von Autoren nicht
kompatibel seien. Dass die Gerichte es haben
ausreichen lassen, dass die Klägerinnen in ihrem
engeren Bekanntenkreis identifizierbar seien, setze
die Schwelle für ein Veröffentlichungsverbot viel zu
niedrig an. Es gebe kaum ein fiktionales Werk, in
dem sich nicht irgendeine Person als geschildert
angesprochen fühle. Der Freiraum der Kunst würde
beschnitten, wenn mit einer Romanfigur, in der sich
jemand wiederzuerkennen glaube, umgegangen werden
müsste wie mit einem Bericht.
3. Das P.E.N.-Zentrum Deutschland ist der Ansicht,
dass der Roman keine Objektivität beanspruche. Erst
der Prozess um „Esra“ habe die wahren Namen der ins
erzählerische Spiel gebrachten Personen offenbart,
so dass heute kaum jemand die realistischen
Erzählfiguren von den realen Figuren zu
unterscheiden glaube. Der Autor aber habe diese
Unterscheidungsschwäche nicht zu verantworten. Der
Roman sei – anders als „Mephisto“ von Klaus Mann –
kein „Schlüsselroman“, bei dem der Autor wolle, dass
eine bestimmte Person erkannt werde. Indem der
Erzähler selbst das Tabu des privaten Schreibverbots
thematisiere, das er auf Seiten Esras als eine
engstirnige, unangenehm kleinbürgerliche Angst vor
der Literatur charakterisiere, reklamiere der Autor
die Freiheit der Kunst für sich.
Das Grundrecht des Persönlichkeitsschutzes sei
gegenüber der Kunstfreiheit etwas anderes als im
journalistischen Zusammenhang. Der
Persönlichkeitsschutz lasse sich nur in Ermittlung
der Gesetzlichkeit und der ästhetischen Konditionen
des Werks bestimmen. In die angefochtenen Urteile
sei dieses heuristische Bemühen um das fragliche
Werk nur ungenügend eingegangen. Das werde bereits
an der Wahl des „Bekanntenkreises“ oder der „näheren
Umgebung“ als Maßstab für die Erkennbarkeit durch
den Bundesgerichtshof anstelle des „verständlichen
Durchschnittslesers“ deutlich. Soweit das
Oberlandesgericht behaupte, der Leser könne nicht
unterscheiden, was Fiktion und was wahr sei, zeige
dies einen logischen Kurzschluss, wonach eine
weitgehende Identität der Romanfiguren mit
wirklichen Personen unterstellt werde, um dann die
fiktionale Abweichung als unzulässige Verzeichnung
des Persönlichkeitsbildes zu insinuieren.
4. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens sind der
Auffassung, dass die Beschwerdeführerin durch die
angegriffenen Entscheidungen nicht in ihrem
Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verletzt
wird. Die Argumentation der Verfassungsbeschwerde
basiere auf den zwei nicht zutreffenden Prämissen,
dass die Romanfiguren entgegen den Feststellungen
der Fachgerichte fiktiv seien und dass entgegen der
verfassungsrechtlichen Rechtsprechung eine
Persönlichkeitsrechtsverletzung in Romanform mangels
Wahrheitsanspruch per se ausscheiden müsse. Damit
verkenne die Verfassungsbeschwerde, dass eine
Abwägung und Beurteilung des Einzelfalls dann
entbehrlich wäre und der Kunstfreiheit in
verfassungsrechtlicher Hinsicht gegenüber dem
Persönlichkeitsschutz absoluter Vorrang zukäme. Es
könnte dann jeder Künstler bloß durch den Hinweis
auf die Kunstfreiheit diese dazu missbrauchen,
andere zu degradieren und gegen ihren Willen in die
Öffentlichkeit zu zerren.
Den angegriffenen Entscheidungen liege weder eine
unrichtige Anschauung von der Bedeutung und
Tragweite der Kunstfreiheit noch eine Überdehnung
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugrunde. Die
Fachgerichte hätten eine nachvollziehbare Abwägung
aller Umstände des Einzelfalls unter
Berücksichtigung kunstspezifischer Maßstäbe
vorgenommen und erkannt, dass der Autor lediglich
Porträts der Klägerinnen gezeichnet und sie durch
Eingriffe in die Privatsphäre, bei der Klägerin zu
1) sogar in die Intimsphäre, und in ihr Recht am
eigenen Lebensbild schwer in ihren
Persönlichkeitsrechten verletzt habe.
C.
Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise begründet.
Die angegriffenen Urteile verletzen die
Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 5
Abs. 3 Satz 1 GG, soweit sie der Klägerin zu 2)
einen Unterlassungsanspruch zusprechen.
I.
Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen
Entscheidungen greifen in das Grundrecht der
Kunstfreiheit der Beschwerdeführerin aus Art. 5 Abs.
3 Satz 1 GG ein.
1. Unabhängig von der vom Bundesverfassungsgericht
wiederholt hervorgehobenen Schwierigkeit, den
Begriff der Kunst abschließend zu definieren
(vgl.BVerfGE 30, 173 <188 f.>; 67, 213 <224 ff.> ),
stellt der Roman „Esra“ nach der zutreffenden
Auffassung der angegriffenen Entscheidungen ein
Kunstwerk dar, nämlich eine freie schöpferische
Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und
Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer
bestimmten Formensprache, hier des Romans, zur
Anschauung gebracht werden (vgl.BVerfGE 30, 173 <188
f.>; 67, 213 <226>; 75, 369 <377> ). Auch wenn
wesentlicher Gegenstand des Rechtsstreits, der zu
der vorliegenden Verfassungsbeschwerde geführt hat,
das Ausmaß ist, in dem der Autor in seinem Werk
existierende Personen schildert, ist jedenfalls der
Anspruch des Autors deutlich, diese Wirklichkeit
künstlerisch zu gestalten.
Wegen der gerade für die Kunstform des Romans, aber
auch die künstlerisch gestaltete Autobiographie, die
Reportage und andere Ausdrucksformen (Satire,
Doku-Drama, Faction) häufig unauflösbaren Verbindung
von Anknüpfungen an die Wirklichkeit mit deren
künstlerischer Gestaltung ist es nicht möglich, mit
Hilfe einer festen Grenzlinie Kunst und Nichtkunst
nach dem Maß zu unterscheiden, in dem die
künstlerische Verfremdung gelungen ist.
2. Wie alle Freiheitsrechte richtet sich die
Kunstfreiheit in erster Linie gegen den Staat. Schon
die ausdrückliche Aufnahme der Freiheit der Kunst in
die Weimarer Verfassung (Art. 142 Satz 1: „Die
Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei.“)
war eine Reaktion auf obrigkeitsstaatliche
Bekämpfung neuer künstlerischer Entwicklungen (vgl.
Kitzinger, in: Nipperdey, Die Grundrechte und
Grundpflichten der Reichsverfassung, 1929, Art. 142
Satz 1 WRV, S. 455 ff.). Nach der massiven
Verfolgung von Künstlern im Nationalsozialismus war
die Übernahme der Kunstfreiheit als selbständiges
Grundrecht in das Grundgesetz völlig unstreitig
(vgl. Matz, in: Entstehungsgeschichte der Artikel
des Grundgesetzes, JöR n.F., Band 1 <1951>, S. 89
ff.).
Das Grundrecht ist aber zugleich eine objektive
Entscheidung für die Freiheit der Kunst, die auch im
Verhältnis von Privaten zueinander zu
berücksichtigen ist, insbesondere wenn unter
Berufung auf private Rechte künstlerische Werke
durch staatliche Gerichte verboten werden sollen
(vgl.BVerfGE 30, 173 <187 ff.>; 36, 321 <331>).
3. Die Kunstfreiheitsgarantie betrifft in gleicher
Weise den „Werkbereich“ und den „Wirkbereich“
künstlerischen Schaffens. Nicht nur die
künstlerische Betätigung (Werkbereich), sondern
darüber hinaus auch die Darbietung und Verbreitung
des Kunstwerks sind sachnotwendig für die Begegnung
mit dem Werk als eines ebenfalls kunstspezifischen
Vorgangs. Dieser „Wirkbereich“ ist der Boden, auf
dem die Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1
GG bisher vor allem Wirkung entfaltet hat
(vgl.BVerfGE 30, 173 <189>; 36, 321 <331>; 67, 213
<224>; 81, 278 <292>).
4. Auf dieses Grundrecht kann sich auch die
Beschwerdeführerin als Verlegerin berufen.
Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantiert die Freiheit der
Betätigung im Kunstbereich umfassend. Soweit es zur
Herstellung der Beziehungen zwischen Künstler und
Publikum der publizistischen Medien bedarf, sind
auch die Personen durch die Kunstfreiheitsgarantie
geschützt, die eine solche vermittelnde Tätigkeit
ausüben (vgl.BVerfGE 30, 173 <191>; 36, 321 <331>;
77, 240 <251, 254>; 81, 278 <292>; 82, 1 <6>).
5. Auch wenn die Parteien in einem
Zivilrechtsstreit, in dem es um den Konflikt von
Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht geht, um
grundrechtlich geschützte Positionen streiten,
handelt es sich um einen Rechtsstreit zwischen
privaten Parteien, zu dessen Entscheidung in erster
Linie die Zivilgerichte berufen sind. Das gilt
insbesondere für die tatsächlichen Feststellungen,
die für die Annahme einer
Persönlichkeitsrechtsverletzung von Bedeutung sind.
Das Verbot eines Romans stellt allerdings einen
besonders starken Eingriff in die Kunstfreiheit dar.
Das Bundesverfassungsgericht kann seine Überprüfung
daher nicht auf die Frage beschränken, ob die
angegriffenen Entscheidungen auf einer grundsätzlich
unrichtigen Auffassung von der Bedeutung des Art. 5
Abs. 3 Satz 1 GG, insbesondere vom Umfang seines
Schutzbereichs, beruhen. Das
Bundesverfassungsgericht muss vielmehr die
Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidungen mit
der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie
auf der Grundlage der konkreten Umstände des
vorliegenden Sachverhalts überprüfen (vgl.
Sondervotum Stein,BVerfGE 30, 173 <201 f.>).
II.
Der durch das Romanverbot bewirkte Eingriff in das
Grundrecht der Kunstfreiheit der Beschwerdeführerin
ist nur teilweise gerechtfertigt.
1. Die Kunstfreiheit ist nicht mit einem
ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt versehen. Sie ist
aber nicht schrankenlos gewährleistet, sondern
findet ihre Grenzen unmittelbar in anderen
Bestimmungen der Verfassung, die ein in der
Verfassungsordnung des Grundgesetzes ebenfalls
wesentliches Rechtsgut schützen (vgl.BVerfGE 30, 173
<193>; 67, 213 <228>).
Gerade wenn man den Begriff der Kunst im Interesse
des Schutzes künstlerischer Selbstbestimmung weit
fasst und nicht versucht, mit Hilfe eines engen
Kunstbegriffs künstlerische Ausdrucksformen, die in
Konflikt mit den Rechten anderer kommen, von
vornherein vom Grundrechtsschutz der Kunstfreiheit
auszuschließen (so in der Tendenz BVerfG, Beschluss
des Vorprüfungsausschusses vom 19. März 1984 – 2 BvR
1/84 -, NJW 1984, S. 1293 <1294> - „Sprayer von
Zürich“), und wenn man nicht nur den Werkbereich,
sondern auch den Wirkbereich in den Schutz
einbezieht, dann muss sichergestellt sein, dass
Personen, die durch Künstler in ihren Rechten
beeinträchtigt werden, ihre Rechte auch verteidigen
können und in diesen Rechten auch unter
Berücksichtigung der Kunstfreiheit einen wirksamen
Schutz erfahren. In dieser Situation sind die
staatlichen Gerichte den Grundrechten beider Seiten
gleichermaßen verpflichtet. Auf private Klagen hin
erfolgende Eingriffe in die Kunstfreiheit stellen
sich nicht als staatliche „Kunstzensur“ dar, sondern
sind darauf zu überprüfen, ob sie den Grundrechten
von Künstlern und der durch das Kunstwerk
Betroffenen gleichermaßen gerecht werden.
Dies gilt namentlich für das durch Art. 2 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte
Persönlichkeitsrecht (vgl. BVerfGE 67, 213 <228>).
Diesem ist in der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts ein besonders hoher Rang
beigemessen worden. Das gilt insbesondere für seinen
Menschenwürdekern (vgl.BVerfGE 75, 369 <380>; 80,
367 <373 f.> ). Das Persönlichkeitsrecht ergänzt die
im Grundgesetz normierten Freiheitsrechte und
gewährleistet die engere persönliche Lebenssphäre
und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen
(vgl.BVerfGE 54, 148 <153>; 114, 339 <346>). Damit
kommt es auch als Schranke für künstlerische
Darstellungen in Betracht.
Der Inhalt dieses Rechts ist nicht allgemein und
abschließend umschrieben. Zu den anerkannten
Inhalten gehören das Verfügungsrecht über die
Darstellung der eigenen Person, die soziale
Anerkennung sowie die persönliche Ehre (vgl.BVerfGE
54, 148 <153 f.>; 99, 185 <193>; 114, 339 <346> ).
Eine wesentliche Gewährleistung ist der Schutz vor
Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf
das Ansehen der Person, insbesondere ihr Bild in der
Öffentlichkeit, auszuwirken. Das allgemeine
Persönlichkeitsrecht schützt die Person insbesondere
vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen,
die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die
Persönlichkeitsentfaltung sind (vgl.BVerfGE 97, 125
<148 f.>; 99, 185 <193 f.>; 114, 339 <346>).
Der Schutz des Persönlichkeitsrechts erstreckt sich
auch auf die Beziehungen von Eltern zu ihren
Kindern. Kinder bedürfen eines besonderen Schutzes,
weil sie sich zu eigenverantwortlichen Personen erst
entwickeln müssen (vgl.BVerfGE 24, 119 <144>; 57,
361 <382 f.> ). Der Bereich, in dem Kinder sich frei
von öffentlicher Beobachtung fühlen und entfalten
dürfen, muss deswegen umfassender geschützt sein als
derjenige erwachsener Personen. Für die kindliche
Persönlichkeitsentwicklung sind in erster Linie die
Eltern verantwortlich. Soweit die Erziehung von
ungestörten Beziehungen zu den Kindern abhängt,
wirkt sich der besondere Grundrechtsschutz der
Kinder nicht lediglich reflexartig zugunsten des
Vaters und der Mutter aus (vgl. auchBVerfGE 76, 1
<44 f.>; 80, 81 <91 f.> ). Vielmehr fällt auch die
spezifisch elterliche Hinwendung zu den Kindern
grundsätzlich in den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1
in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Der Schutzgehalt
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfährt dann
eine Verstärkung durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG
(vgl.BVerfGE 101, 361 <385 f.>).
2. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens sind in
ihrem Persönlichkeitsrecht betroffen.
a) Voraussetzung dafür ist, dass sie als Vorbilder
der Romanfiguren erkennbar sind, ohne dass diese
Erkennbarkeit allein bereits eine
Persönlichkeitsrechtsverletzung bedeutet.
Die angegriffenen Entscheidungen sind davon
ausgegangen, dass die Klägerinnen als Vorbilder der
Romanfiguren Esra und Lale erkennbar sind. Diese
Würdigung und die zugrundeliegenden Feststellungen
sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Insbesondere ist der vom Bundesgerichtshof angelegte
Maßstab einer Erkennbarkeit durch einen mehr oder
minder großen Bekanntenkreis auch aus der Sicht des
Verfassungsrechts zutreffend. Wenn das
Bundesverfassungsgericht in seiner
Mephisto-Entscheidung den seinerzeit von den
Zivilgerichten zugrundegelegten Maßstab
verfassungsrechtlich gebilligt hat, wonach ein nicht
unbedeutender Leserkreis unschwer in der Romanfigur
des Hendrik Höfgen den verstorbenen Schauspieler
Gustav Gründgens wiedererkenne, da es sich bei
Gründgens um eine Person der Zeitgeschichte handele
und die Erinnerung des Publikums an ihn noch recht
lebendig sei (vgl.BVerfGE 30, 173 <196> ), dann war
dies in der damaligen Fallgestaltung begründet und
definierte nicht eine notwendige Bedingung für die
verfassungsrechtlich erhebliche Erkennbarkeit von
Romanfiguren. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts
gegenüber künstlerischen Werken würde sonst auf
Prominente beschränkt, obwohl gerade die
Erkennbarkeit einer Person durch deren näheren
Bekanntenkreis für diese besonders nachteilig sein
kann (zu einem presserechtlichen Fall vgl. BVerfG,
Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14.
Juli 2004 - 1 BvR 263/03 -, NJW 2004, S. 3619
<3620>).
Auf der anderen Seite reicht die nur nach
Hinzutreten weiterer Indizien nachweisbare
Vorbildfunktion einer tatsächlichen Person für eine
Romanfigur nicht, um ihre Erkennbarkeit im genannten
Sinne zu begründen. Da Künstler ihre Inspiration
häufig in der Wirklichkeit finden, wird ein
sorgfältig recherchierender Kritiker oder
Literaturwissenschaftler in vielen Fällen in der
Lage sein, Vorbilder für Romanfiguren oder einem
Roman zugrundeliegende tatsächliche Begebenheiten zu
entschlüsseln. Die Freiheit der Kunst würde zu weit
eingeschränkt, wenn eine derartige
Entschlüsselungsmöglichkeit bereits zur Annahme
einer Erkennbarkeit der als Vorbild dienenden Person
führte. Die Identifizierung muss sich vielmehr
jedenfalls für den mit den Umständen vertrauten
Leser aufdrängen. Das setzt regelmäßig eine hohe
Kumulation von Identifizierungsmerkmalen voraus.
Im vorliegenden Fall ist die Erkennbarkeit der
Klägerinnen nach diesem Maßstab von den Gerichten
zutreffend bejaht worden. Für die Urfassung des
Romans ist das schon wegen der eindeutigen
Identifizierung der Klägerinnen durch die ihnen
verliehenen Preise (Verleihung des Bundesfilmpreises
an eine 17-jährige Türkin, die ein türkisches
Mädchen spielt, das sich in einen deutschen Jungen
verliebt, sowie des Alternativen Nobelpreises an
ihre Mutter wegen des Engagements gegen den
Goldabbau mittels Zyanid in der Türkei) nicht
zweifelhaft. Die Gerichte gehen aber vertretbar
davon aus, dass auch die Umbenennung der Preise in
der zuletzt dem Verfahren zugrundeliegenden Fassung
des Romans wegen der nach wie vor bestehenden Nähe
der Fakten (Verleihungsgrund, Anspielung auf den
Nobelpreis), verbunden mit den zahlreichen weiteren
Daten, die insbesondere das Urteil des
Oberlandesgerichts aufführt, die Identifizierung
nicht beseitigt, diese sich vielmehr in der
Verbindung und Summierung zahlreicher Umstände
förmlich aufdrängt. Die Feststellung der Tatsachen,
aus denen die Erkennbarkeit betroffener Personen
abgeleitet werden kann, ist dabei in erster Linie
Sache der Fachgerichte.
b) Die Klägerinnen sind auch nicht so geringfügig
betroffen, dass ihr Persönlichkeitsrecht von
vornherein hinter der Kunstfreiheit zurücktreten
müsste. Den Romanfiguren, als deren Vorbild sie
erkennbar sind, werden Handlungen und Eigenschaften
zugeschrieben, die, wenn der Leser sie auf die
Klägerinnen beziehen kann, geeignet sind, ihr
Persönlichkeitsrecht erheblich zu beeinträchtigen.
3. Allerdings zieht die Kunstfreiheit ihrerseits dem
Persönlichkeitsrecht Grenzen. Das gilt im Verhältnis
von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht auch
deshalb, weil die Durchsetzung dieses Rechts
gegenüber der Kunstfreiheit stärker als andere
gegenüber einem Kunstwerk geltend gemachte private
Rechte (vgl. zum Eigentum BVerfG, Beschluss des
Vorprüfungsausschusses vom 19. März 1984 – 2 BvR
1/84 -, NJW 1984, S. 1293) geeignet ist, der
künstlerischen Freiheit inhaltliche Grenzen zu
setzen. Insbesondere besteht die Gefahr, dass unter
Berufung auf das Persönlichkeitsrecht öffentliche
Kritik und die Diskussion von für die Öffentlichkeit
und Gesellschaft wichtigen Themen unterbunden werden
(vgl. Sondervotum Stein,BVerfGE 30, 200 <206 f.>).
Um diese Grenzen im konkreten Fall zu bestimmen,
genügt es daher im gerichtlichen Verfahren nicht,
ohne Berücksichtigung der Kunstfreiheit eine
Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts
festzustellen. Steht im Streitfall fest, dass in
Ausübung der Kunstfreiheit durch schriftstellerische
Tätigkeit das Persönlichkeitsrecht Dritter
beeinträchtigt wird, ist bei der Entscheidung über
den auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht
gestützten zivilrechtlichen Abwehranspruch der
Kunstfreiheit angemessen Rechnung zu tragen. Es
bedarf daher der Klärung, ob diese Beeinträchtigung
derart schwerwiegend ist, dass die Freiheit der
Kunst zurückzutreten hat. Eine geringfügige
Beeinträchtigung oder die bloße Möglichkeit einer
schwerwiegenden Beeinträchtigung reichen hierzu
angesichts der hohen Bedeutung der Kunstfreiheit
nicht aus. Lässt sich freilich eine schwerwiegende
Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts
zweifelsfrei feststellen, so kann sie auch nicht
durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt werden
(vgl.BVerfGE 67, 213 <228>).
Die Schwere der Beeinträchtigung des
Persönlichkeitsrechts hängt dabei sowohl davon ab,
in welchem Maß der Künstler es dem Leser nahelegt,
den Inhalt seines Werks auf wirkliche Personen zu
beziehen, wie von der Intensität der
Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung, wenn der
Leser diesen Bezug herstellt.
a) Zu den Spezifika erzählender Kunstformen wie dem
Roman gehört, dass sie zwar häufig - wenn nicht
regelmäßig - an die Realität anknüpfen, der Künstler
dabei aber eine neue ästhetische Wirklichkeit
schafft. Das erfordert eine kunstspezifische
Betrachtung zur Bestimmung des durch den Roman im
jeweiligen Handlungszusammenhang dem Leser
nahegelegten Wirklichkeitsbezugs, um auf dieser
Grundlage die Schwere der Beeinträchtigung des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts bewerten zu
können.
Ein Kunstwerk strebt eine gegenüber der „realen“
Wirklichkeit verselbständigte „wirklichere
Wirklichkeit“ an, in der die reale Wirklichkeit auf
der ästhetischen Ebene in einem neuen Verhältnis zum
Individuum bewusster erfahren wird. Die
künstlerische Darstellung kann deshalb nicht am
Maßstab der Welt der Realität, sondern nur an einem
kunstspezifischen, ästhetischen Maßstab gemessen
werden (vgl. Sondervotum Stein,BVerfGE 30, 200 <204>
). Das bedeutet, dass die Spannungslage zwischen
Persönlichkeitsschutz und Kunstfreiheit nicht allein
auf die Wirkungen eines Kunstwerks im
außerkünstlerischen Sozialbereich abheben kann,
sondern auch kunstspezifischen Gesichtspunkten
Rechnung tragen muss. Die Entscheidung darüber, ob
eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt, kann
daher nur unter Abwägung aller Umstände des
Einzelfalls getroffen werden. Dabei ist zu beachten,
ob und inwieweit das „Abbild“ gegenüber dem „Urbild“
durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs und
seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus
des Kunstwerks so verselbständigt erscheint, dass
das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des
Allgemeinen, Zeichenhaften der „Figur“ objektiviert
ist (vgl.BVerfGE 30, 173 <195>).
Die Gewährleistung der Kunstfreiheit verlangt, den
Leser eines literarischen Werks für mündig zu
halten, dieses von einer Meinungsäußerung zu
unterscheiden und zwischen der Schilderung
tatsächlicher Gegebenheiten und einer fiktiven
Erzählung zu differenzieren. Ein literarisches Werk,
das sich als Roman ausweist, ist daher zunächst
einmal als Fiktion anzusehen, das keinen
Faktizitätsanspruch erhebt. Ohne eine Vermutung für
die Fiktionalität eines literarischen Textes würde
man die Eigenarten eines Romans als Kunstwerk und
damit die Anforderungen der Kunstfreiheit verkennen.
Diese Vermutung gilt im Ausgangspunkt auch dann,
wenn hinter den Romanfiguren reale Personen als
Urbilder erkennbar sind. Da die Kunstfreiheit eine
derartige Verwendung von Vorbildern in der
Lebenswirklichkeit einschließt, kann es auch kein
parallel zum Recht am eigenen Bild verstandenes
Recht am eigenen Lebensbild geben, wenn dies als
Recht verstanden würde, nicht zum Vorbild einer
Romanfigur zu werden. Dabei muss es sich bei der in
Rede stehenden Publikation allerdings tatsächlich um
Literatur handeln, die für den Leser erkennbar
keinen Faktizitätsanspruch erhebt. Ein
fälschlicherweise als Roman etikettierter bloßer
Sachbericht käme nicht in den Schutz einer
kunstspezifischen Betrachtung.
Je stärker der Autor eine Romanfigur von ihrem
Urbild löst und zu einer Kunstfigur verselbständigt
(„verfremdet“; vgl. BVerfGE 30, 173 <195>), umso
mehr wird ihm eine kunstspezifische Betrachtung
zugutekommen. Dabei geht es bei solcher
Fiktionalisierung nicht notwendig um die völlige
Beseitigung der Erkennbarkeit, sondern darum, dass
dem Leser deutlich gemacht wird, dass er nicht von
der Faktizität des Erzählten ausgehen soll. Zwar
wirkt ein Kunstwerk neben seiner ästhetischen
Realität zugleich in den Realien. Wäre man aber
wegen dieser „Doppelwirkung“ gezwungen, im Rahmen
einer Grundrechtsabwägung stets allein auf diese
möglichen Wirkungen in den Realien abzustellen,
könnte sich die Kunstfreiheit in Fällen, in denen
der Roman die Persönlichkeitssphäre anderer Menschen
tangiert, niemals durchsetzen. Das Gegenteil wäre
der Fall, wenn man nur die ästhetische Realität im
Auge behielte. Dann könnte sich das
Persönlichkeitsrecht nie gegen die Kunstfreiheit
durchsetzen. Eine Lösung kann daher nur in einer
Abwägung gefunden werden, die beiden Grundrechten
gerecht wird.
b) Für die Abwägung ist entscheidend, mit welcher
Intensität das Persönlichkeitsrecht betroffen ist.
Der Inhalt dieses Rechts ist nicht allgemein und
abschließend umschrieben. Seinen einzelnen
Ausprägungen kommt ungeachtet der grundsätzlichen
Bedeutung des Grundrechts unterschiedliches Gewicht
als mögliche Schranke der Kunstfreiheit zu.
Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger
Rechtsprechung davon aus, dass wegen der besonderen
Nähe zur Menschenwürde ein Kernbereich privater
Lebensgestaltung als absolut unantastbar geschützt
ist (vgl.BVerfGE 6, 32 <41>; 6, 389 <433>; 27, 344
<350 f.>; 32, 373 <378 f.>; 34, 238 <245>; 35, 35
<39>; 38, 312 <320>; 54, 143 <146>; 65, 1 <46>; 80,
367 <373 f.>; 89, 69 <82 f.>; 109, 279 <313>).
Diesem absolut geschützten Kernbereich, zu dem
insbesondere auch Ausdrucksformen der Sexualität
gehören (vgl. BVerfGE 109, 279 <313>), ist die
Privatsphäre in der Schutzintensität nachgelagert
(vgl. BVerfGE 32, 373 <379 ff.>; 35, 35 <39>; 35,
202 <220 f.>; 80, 367 <374 f.>).
Die unterschiedlichen Dimensionen des
Persönlichkeitsrechts sind nicht im Sinne einer
schematischen Stufenordnung zu verstehen, wohl aber
als Anhaltspunkte für die Intensität der
Beeinträchtigung durch das literarische Werk.
c) Zwischen dem Maß, in dem der Autor eine von der
Wirklichkeit abgelöste ästhetische Realität schafft
und der Intensität der Verletzung des
Persönlichkeitsrechts besteht eine Wechselbeziehung.
Je stärker Abbild und Urbild übereinstimmen, desto
schwerer wiegt die Beeinträchtigung des
Persönlichkeitsrechts. Je mehr die künstlerische
Darstellung die besonders geschützten Dimensionen
des Persönlichkeitsrechts berührt, desto stärker
muss die Fiktionalisierung sein, um eine
Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen.
4. Nach diesen Maßstäben sind die Gerichte im
vorliegenden Fall den Anforderungen der Freiheit der
Kunst nur teilweise gerecht geworden. Sie haben den
Klagen beider Klägerinnen uneingeschränkt
stattgegeben, obwohl diese hinsichtlich der Abwägung
zwischen Freiheit der Kunst und Persönlichkeitsrecht
deutliche Unterschiede aufweisen.
a) Hinsichtlich der Klägerin zu 2) werden die
angegriffenen Entscheidungen der gebotenen
kunstspezifischen Betrachtung nicht in jeder
Hinsicht gerecht; sie verstoßen damit gegen die
Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG.
Verfassungsrechtlich ist allerdings nicht zu
beanstanden, dass die angefochtenen Entscheidungen
von einem geringen Maß an Verfremdung der Romanfigur
der Lale gegenüber der Klägerin zu 2) als Urbild
ausgegangen sind. Insoweit haben die Gerichte in
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise
festgestellt, dass die Klägerin zu 2) anhand einer
ganzen Reihe biographischer Merkmale, insbesondere
anhand der Preisverleihung, als Vorbild der
Romanfigur erkennbar gemacht ist.
Entgegen dem eigenen Ausgangspunkt insbesondere des
Bundesgerichtshofs, nach dem eine solche
Erkennbarkeit für ein Veröffentlichungsverbot nicht
ausreicht, sondern zusätzlich eine schwere
Persönlichkeitsrechtsverletzung erforderlich ist,
begnügen sich die Gerichte damit, festzustellen,
dass die Romanfigur der Lale sehr negativ gezeichnet
ist, und sehen darin die
Persönlichkeitsrechtsverletzung. Dabei gehen sie
aber letztlich selbst davon aus, und machen dem
Roman gerade dies zum Vorwurf, dass nicht alles, was
im Roman über Lale steht, den Tatsachen entspricht.
Damit, dass die Klägerin zu 2) erkennbar Vorbild der
Lale ist, ist jedoch nicht gesagt, dass der Roman es
nahelegt, dass alle Handlungen und Eigenschaften der
Lale von einem Leser der Klägerin zu 2)
zugeschrieben werden müssen.
Die Entscheidungen berücksichtigen damit nicht
hinreichend, dass der Roman im Ausgangspunkt als
Fiktion anzusehen ist. Allerdings ist es nicht zu
beanstanden, dass der Bundesgerichtshof einen
„disclaimer“ am Anfang oder Ende des Buchs, wonach
Übereinstimmungen mit realen Personen rein zufällig
und nicht gewollt seien, nicht für die Annahme eines
fiktiven Textes ausreichen lässt. Diese muss
vielmehr auch aus dem Text selbst heraus beurteilt
werden. Stellt sich ein literarischer Text demnach
als eine bloße Abrechnung oder Schmähung heraus, so
kann durchaus der Persönlichkeitsschutz überwiegen.
Beim vorliegenden Roman ist dies jedoch nicht der
Fall. Zwar handelt es sich bei „Esra“ um
realistische Literatur in dem Sinne, dass der Roman
an realen Schauplätzen spielt mit Personen als
Hauptfiguren, die realistische Züge aufweisen. Auch
findet durchaus ein Spiel des Autors mit der
Verschränkung von Wahrheit und Fiktion statt. Der
Autor will insoweit bewusst Grenzen verschwimmen
lassen. Gleichwohl vermag ein literarisch
verständiger Leser zu erkennen, dass sich der Text
nicht in einer reportagehaften Schilderung von
realen Personen und Ereignissen erschöpft, sondern
dass er eine zweite Ebene hinter dieser
realistischen Ebene besitzt. Die Figur der Lale
spielt eine wichtige Rolle im Gesamtgefüge des
Romans bei der Suche nach der Schuld für das
Scheitern der Beziehung zwischen Adam und Esra. Der
Roman gleitet hinsichtlich der Klägerin zu 2) wegen
dieser Funktionalisierung der Romanfigur der Lale
nicht in eine Schmähung ab. Der Autor legt vielmehr
in gleicher Weise bei sich selbst charakterliche
Schwächen offen, dargestellt anhand der Figur des
Ich-Erzählers, der ebenfalls gegenüber seiner
Tochter versagt und von großer Zerrissenheit und
Eifersucht geprägt ist. Gerade auch dieses Stellen
der Schuldfrage unter besonderer Hervorhebung des
schwierigen Verhältnisses zwischen einem Liebhaber
und der Mutter der Geliebten zeigt die Existenz
einer zweiten Ebene des Romans.
Das gilt hinsichtlich der Figur der Lale auch
deshalb, weil der Autor sie anders als Esra ganz
überwiegend nicht aus eigenem Erleben schildert. Die
Lebensgeschichte der Lale ist ein breit ausgemalter
Roman im Roman. Gerade die von der Klägerin zu 2)
angegriffenen Inhalte des Romans sind deutlich
erzählerisch, zum Teil auch mit Distanz nur als
Wiedergabe fremder Erzählungen, Gerüchte und
Eindrücke geschildert.
Schon von daher wird die Kennzeichnung der Klägerin
zu 2) durch den Bundesgerichtshof „als eine
depressive, psychisch kranke Alkoholikerin“, die
„als eine Frau (erscheint), die ihre Tochter und
ihre Familie tyrannisiert, herrisch und
streitsüchtig ist, ihre Kinder vernachlässigt hat,
das Preisgeld in ihr bankrottes Hotel gesteckt hat,
ihren Eltern Land gestohlen und die Mafia auf sie
gehetzt hat, gegen den Goldabbau nur gekämpft hat,
weil auf ihrem eigenen ergaunerten Grundstück kein
Gold zu finden gewesen ist, eine hohe
Brandschutzversicherung abgeschlossen hat, bevor ihr
Hotel in Flammen aufgegangen ist, ihre Tochter zur
Abtreibung gedrängt hat, von ihrem ersten Mann
betrogen und von ihrem ebenfalls alkoholsüchtigen
zweiten Mann geschlagen worden ist“, nur
unzureichend der gebotenen kunstspezifischen
Betrachtung gerecht. In dieser Zusammenfassung
mischen sich Aussagen, die sogar als
Tatsachenfeststellungen zum Beispiel in einer
Autobiographie oder als Kritik an der Trägerin eines
Alternativen Nobelpreises erlaubt sein könnten, mit
fiktiven Gehalten und eigener, zugespitzter
Interpretation des Gerichts. Der Bundesgerichtshof
sagt zwar zum möglichen Einwand der Richtigkeit
einiger der inkriminierten Passagen, dass die
Beschwerdeführerin keinen Wahrheitsbeweis angetreten
habe, mutet damit aber dem Künstler etwas zu, was er
nach seinem Selbstverständnis gar nicht kann, weil
er selbst von der Fiktionalität der Schilderung
ausgeht. Das an die Wirklichkeit anknüpfende
Kunstwerk hätte mit diesem Ansatz daher weniger
Schutz als der Tatsachenbericht, bei dem der
Wahrheitsbeweis offenstünde.
Für ein literarisches Werk, das an die Wirklichkeit
anknüpft, ist es gerade kennzeichnend, dass es
tatsächliche und fiktive Schilderungen vermengt.
Unter diesen Umständen verfehlt es den
Grundrechtsschutz solcher Literatur, wenn man die
Persönlichkeitsrechtsverletzung bereits in der
Erkennbarkeit als Vorbild einerseits und in den
negativen Zügen der Romanfigur andererseits sieht.
Ein solches Verständnis des Rechts am eigenen
Lebensbild würde der Kunstfreiheit nicht gerecht.
Nötig wäre vielmehr jedenfalls der Nachweis, dass
dem Leser vom Autor nahegelegt wird, bestimmte Teile
der Schilderung als tatsächlich geschehen anzusehen,
und dass gerade diese Teile eine
Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellen, entweder
weil sie ehrenrührige falsche Tatsachenbehauptungen
aufstellen oder wegen der Berührung des Kernbereichs
der Persönlichkeit überhaupt nicht in die
Öffentlichkeit gehören. Ein solcher Nachweis ergibt
sich aus den angegriffenen Entscheidungen nicht. Sie
verkennen vielmehr, dass die Kunstfreiheit es
erfordert, zunächst einmal von der Fiktionalität des
Textes auszugehen.
b) Im Gegensatz dazu sind die angegriffenen
Entscheidungen, soweit sie der Klägerin zu 1) einen
Unterlassungsanspruch zugesprochen haben, im
Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Anders als im Fall der Klägerin zu 2) haben die
Gerichte hier nicht nur die Erkennbarkeit der
Klägerin zu 1), sondern auch in bestimmten
Schilderungen des Romans konkrete schwere
Persönlichkeitsrechtsverletzungen festgestellt.
Dabei haben sie teilweise auf die Verletzung der
Intimsphäre, teilweise auf die
Mutter-Tochter-Beziehung im Hinblick auf die
lebensbedrohliche Krankheit der Tochter abgestellt.
Beide Gesichtspunkte vermögen das Verbot zu tragen.
aa) Die Klägerin zu 1) ist nicht nur, wie die
Gerichte zutreffend festgestellt haben, in der
Romanfigur der Esra erkennbar dargestellt. Ihre
Rolle im Roman betrifft auch zentrale Ereignisse,
die unmittelbar zwischen ihr und dem Ich-Erzähler,
der seinerseits unschwer als der Autor zu erkennen
ist, und während deren Beziehung stattgefunden
haben. Sowohl ihre intime Beziehung zum Autor wie
ihre Ehe, die Krankheit ihrer Tochter und ihre neue
Beziehung sind nach den zutreffenden Feststellungen
der Gerichte mehr oder weniger unmittelbar der
Wirklichkeit entnommen, so dass dem Leser anders als
bei der Klägerin zu 2) nicht nahegelegt wird, diese
Geschehnisse als Fiktion zu verstehen, auch weil
schon aus der Perspektive des Romans eigenes Erleben
des Ich-Erzählers geschildert wird.
bb) Gerade durch die aus vom Autor unmittelbar
Erlebtem stammende, realistische und detaillierte
Erzählung der Geschehnisse wird das
Persönlichkeitsrecht der Klägerin zu 1) besonders
schwer betroffen. Dies geschieht insbesondere durch
die genaue Schilderung intimster Details einer Frau,
die deutlich als tatsächliche Intimpartnerin des
Autors erkennbar ist. Hierin liegt eine Verletzung
ihrer Intimsphäre und damit eines Bereichs des
Persönlichkeitsrechts, der zu dessen
Menschenwürdekern gehört (vgl.BVerfGE 109, 279 <313>
). Auf diesem Gebiet sind weder ihr noch dem Autor
Wahrheitsbeweise möglich oder auch nur zumutbar. Die
eindeutig als Esra erkennbar gemachte Klägerin zu 1)
muss aufgrund des überragend bedeutenden Schutzes
der Intimsphäre nicht hinnehmen, dass sich Leser die
durch den Roman nahegelegte Frage stellen, ob sich
die dort berichteten Geschehnisse auch in der
Realität zugetragen haben. Daher fällt die Abwägung
zwischen der Kunstfreiheit des die
Verfassungsbeschwerde führenden Verlags und des
Persönlichkeitsrechts der Klägerin zu 1) zu deren
Gunsten aus (vgl. auchBVerfGE 75, 369 <380>).
cc) Daneben stellt auch die Schilderung der
tatsächlich bestehenden lebensbedrohlichen Krankheit
der Tochter eine schwere
Persönlichkeitsrechtsverletzung der Klägerin zu 1)
dar. Auch die Tochter ist für ihr Umfeld, zum
Beispiel ihre Mitschüler, eindeutig identifizierbar.
Angesichts des besonderen Schutzes von Kindern und
der Mutter-Kind-Beziehung (vgl.BVerfGE 101, 361 <385
f.> ) hat die Darstellung der Krankheit und der
dadurch gekennzeichneten Beziehung von Mutter und
Kind bei zwei eindeutig identifizierbaren Personen,
wie es das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, in
der Öffentlichkeit nichts zu suchen.
c) Die angegriffenen Entscheidungen durften, soweit
sie der Unterlassungsklage der Klägerin zu 1)
stattgegeben haben, ein Gesamtverbot aussprechen. Es
ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass
weder im Tenor noch in den Gründen eine Beschränkung
auf bestimmte Passagen des Romans erfolgt ist, in
denen die Gerichte konkret die nicht gerechtfertigte
Persönlichkeitsrechtsverletzung gesehen haben.
Insoweit ist die vom Bundesgerichtshof unter
Rückgriff auf eine ältere Entscheidung (BGH, Urteil
vom 3. Juni 1975 - VI ZR 123/74 -, NJW 1975, S. 1882
<1884 f.>) vertretene Ansicht, wonach ein
Gesamtverbot dann nicht unverhältnismäßig ist, wenn
die beanstandeten Textteile für die Gesamtkonzeption
des Werks beziehungsweise für das Verständnis des
mit ihm verfolgten Anliegens von Bedeutung sind,
auch aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu
beanstanden. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte,
bestimmte Streichungen oder Abänderungen
vorzunehmen, um die Persönlichkeitsrechtsverletzung
auszuschließen, da es eine Vielzahl möglicher
Varianten gäbe, wie diese Änderungen vorgenommen
werden könnten, und der Charakter des Romans durch
solche Eingriffe eine erhebliche Veränderung
erfahren würde. Allerdings erfordert die
Kunstfreiheit, dass die Kennzeichnung der
Persönlichkeitsrechtsverletzung so konkret ist, dass
Autor und Verlag erschließen können, wie sie den
Mangel beseitigen können. Das ist im Fall der
Klägerin zu 1) erfolgt.
Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass
die Beschwerdeführerin und der Autor die Möglichkeit
haben müssen, einen verfassungsgemäßen Zustand
herzustellen, indem sie eine Romanfassung
veröffentlichen, die das allgemeine
Persönlichkeitsrecht der Klägerin zu 1) nicht
verletzt. Dies könnte sowohl durch Änderungen, die
die Identifizierbarkeit verringern, wie durch den
Wegfall persönlichkeitsrechtsverletzender Teile des
Romans erfolgen. Wegen der Wechselbeziehung zwischen
dem Maß, in dem der Autor eine ästhetische Realität
schafft, und der Intensität der Verletzung des
Persönlichkeitsrechts bedeutet das weder eine
„Tabuisierung des Sexuellen“, da die Schilderung von
Intimbeziehungen unbenommen bleibt, wenn dem Leser
nicht nahegelegt wird, sie auf bestimmte Personen zu
beziehen, noch ein Verbot der Verwendungen
biographischen Materials, wie zum Beispiel in dem in
einem der Sondervoten erwähnten Werk „Die Leiden des
jungen Werthers“. Dass die Verringerung der
Identifizierbarkeit durch den Rechtsstreit um den
Roman jedenfalls vorübergehend schwerer geworden
ist, haben Autor und Verlag hinzunehmen, da es Folge
einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ist, gegen die
sich die Klägerin zu 1) wehren durfte.
III.
Weitere Verfassungsrechtsverletzungen sind nicht
erkennbar. Die angegriffenen Entscheidungen
verstoßen entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin weder gegen das Willkürverbot
(Art. 3 Abs. 1 GG) noch gegen den Anspruch auf
rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
IV.
Die angegriffenen Entscheidungen beruhen bezüglich
der Klägerin zu 2) auf dem ausgeführten
verfassungsrechtlichen Mangel. Es kann nicht
ausgeschlossen werden, dass die Gerichte bei
Beachtung der dargelegten verfassungsrechtlichen
Anforderungen, insbesondere der gebotenen
kunstspezifischen Betrachtung, über die Klage der
Klägerin zu 2) anders entschieden hätten. Die Sache
ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG an den
Bundesgerichtshof zurückzuverweisen.
V.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht
auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Die Entscheidung ist mit 5:3 Stimmen ergangen.
Papier Steiner Hohmann-Dennhardt
Hoffmann-Riem Bryde Gaier
Eichberger Schluckebier
Abweichende Meinung
der Richterin Hohmann-Dennhardt und des Richters
Gaier
zum Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juni
2007
- 1 BvR 1783/05 –
Wir stimmen der Entscheidung der Senatsmehrheit
nicht zu. Bei der Mephisto-Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 30, 173 ff.) sind
es noch die Zivilgerichte gewesen, die bei der
Abwägung der Kunstfreiheit mit dem
Persönlichkeitsschutz einer Person, an die ein Roman
anknüpft, in Verkennung der Notwendigkeit einer
kunstspezifischen Betrachtung des Romans das zur
Bemessung der Schwere einer
Persönlichkeitsbeeinträchtigung untaugliche
Kriterium der Erkennbarkeit angewandt haben, wie
dies damals der Richter Stein und die Richterin
Rupp-v. Brünneck in ihren Sondervoten zu Recht
beanstandet haben. Nun hat die Senatsmehrheit im
Falle des Romans „Esra“ dieses Kriterium zum eigenen
Prüfmaßstab erhoben. Damit wird die in Art. 5 Abs. 3
GG verbürgte Kunstfreiheit in untragbarer Weise
eingeschränkt (I.) Zudem wird dieser Maßstab in
unterschiedlicher Weise mit inakzeptablem Ergebnis
auf die beiden in ihrem Persönlichkeitsrecht
betroffenen Klägerinnen des Ausgangsverfahrens
angewandt (II.). Bei kunstspezifischer Betrachtung
verletzt der Roman „Esra“ unseres Erachtens das
Persönlichkeitsrecht der Klägerinnen des
Ausgangsverfahrens nicht und darf deshalb nicht
verboten werden (III.).
I.
1. Zunächst einmal teilen wir die insoweit von der
Mephisto-Entscheidung abweichende Meinung der
Senatsmehrheit, dass sich das
Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung
zivilgerichtlicher Entscheidungen, die das Verbot
eines Romans aussprechen und damit besonders stark
in die Kunstfreiheit eingreifen, nicht auf die Frage
beschränken darf, ob die angegriffenen
Entscheidungen auf einer grundsätzlichen Verkennung
der Bedeutung und des Schutzumfangs von Art. 5 Abs.
3 GG beruhen. Vielmehr muss es die Entscheidungen
auf ihre Vereinbarkeit mit der
Kunstfreiheitsgarantie auf der Grundlage der
konkreten Umstände des vorliegenden Falls
überprüfen. Auch folgen wir der Auffassung, dass ein
Konflikt zwischen der Kunstfreiheit des Romanciers
wie seines Verlegers und dem Schutz der
Persönlichkeit nur dann entstehen kann, wenn eine
Person als Vorbild einer Romanfigur nicht nur
entschlüsselbar, sondern erkennbar ist, wobei die
Erkennbarkeit sich auf einen mehr oder minder großen
Bekanntenkreis beschränken kann. Die Erstreckung der
Erkennbarkeit ist keine Frage der Betroffenheit,
sondern des Ausmaßes der Betroffenheit. Schließlich
unterstreichen wir auch die Ausführungen der
Senatsmehrheit, dass ein Roman, auch wenn er an die
Wirklichkeit anknüpft, diese in andere ästhetische
Ebenen hebt, sie umformt, weiter ausgestaltet, in
andere thematische Beziehungen setzt, damit neue
Wirklichkeiten schafft und insofern grundsätzlich
zunächst einmal als Fiktion ohne Faktizitätsanspruch
anzusehen ist. Um herauszufinden, ob in der
künstlerischen Darstellung dennoch eine
schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung
liegen könnte, darf das literarische Werk deshalb in
Anbetracht, dass mit ihm eine neue, durch Phantasie
geformte Wirklichkeit geschaffen wurde, nicht an der
Realität gemessen werden. Vielmehr ist dabei an das
Geschriebene ein kunstspezifischer Maßstab
anzulegen, der im Übrigen auch in der
Mephisto-Entscheidung als maßgeblich für eine solche
Prüfung benannt wurde, doch dann nicht zum Tragen
kam (vgl.BVerfGE 30, 173 <195>).
2. Diser von der Senatsmehrheit zu Recht reklamierte
kunstspezifische Maßstab wird aber dann doch wieder
von ihr auf die Realität zurückgeführt. Denn
gemessen werden soll nicht an der Art der Literatur,
dem spezifischen Genre des Romans, seinen
Darstellungsformen und thematischen Ebenen. Einem
Autor soll vielmehr dieser Maßstab nur in dem Ausmaß
zugutekommen, in dem er seine Figuren von der
Wirklichkeit ablöst, also verfremdet. Und maßgeblich
für das Vorliegen einer
Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung durch das als
Roman eingestufte und akzeptierte Kunstwerk soll
letztlich sein, wie viel von einer Person darin
erkennbar und welcher Bereich der geschützten
Persönlichkeit des Betreffenden angesprochen ist.
Die Schlussfolgerung daraus ist: je mehr
Verfremdung, desto mehr Kunst, je mehr
Erkennbarkeit, desto größer die Beeinträchtigung,
und je mehr Intimbereich, desto mehr Verfremdung sei
notwendig. Hieraus folgen unseres Erachtens
Fehlschlüsse, die der Kunstfreiheit nicht gerecht
werden.
Es ist widersprüchlich, die Anwendung eines
Maßstabs, der seine Begründung gerade darin findet,
dass Kunst Reales in neue Wirklichkeiten verwandelt,
sogleich zu relativieren, vom Ausmaß der Abweichung
des Kunstwerks vom Realen abhängig zu machen und die
künstlerisch verwandelte Realität damit doch wieder
für bare Münze zu nehmen. Mit solch quantitativem
Messen, an denen ein Abgleich des Romans mit der
Wirklichkeit vorgenommen werden soll, wird man der
qualitativen Dimension der künstlerischen
Verarbeitung von Wirklichkeit nicht gerecht. Darauf
hat schon Richter Stein hingewiesen, indem er
ausgeführt hat, der Grad der Übereinstimmung
zwischen einer Romanfigur und den
Persönlichkeitsdaten realer Personen sei
grundsätzlich irrelevant. Denn solche Daten würden
vom Romanschreiber in eine ästhetische Realität
versetzt, in der Faktisches und Fiktives ungesondert
gemischt, eine unauflösbare Verbindung seien
(vgl.BVerfGE 30, 173 <205 f.> ). Wenn beides aber
nicht zu trennen ist, wie auch wir der Meinung sind,
kann ihr Verhältnis zueinander nicht graduell
bemessen werden. Kunst erschöpft sich nicht in der
subjektiven Sicht auf Realitäten, sondern formt aus
diesen eigene Welten, mit denen Anliegen des
Künstlers ihren Ausdruck finden.
Einleuchtend ist ebenfalls nicht, wie aus dem Grad
der Erkennbarkeit einer Person in einem Roman auf
eine schwere Beeinträchtigung ihrer Persönlichkeit
geschlossen werden kann. Erkennbarkeit führt allein
dazu, die Möglichkeit einer Beeinträchtigung nicht
ausschließen zu können. Sie kann nicht dabei helfen
zu unterscheiden, was in einem Roman Wahrheit oder
Dichtung ist. Es ist ein Zirkelschluss, mit
steigender Anzahl erkennbarer einzelner Daten von
Personen die Kunstfreiheit zurücktreten zu lassen
und dabei nicht nur eine Beeinträchtigung entdecken
zu wollen, sondern auch ihre Schwere daran zu
bemessen. Einzelne Wiedererkennungsmomente sagen
nichts darüber aus, ob die Erzählung, in die sie
eingeflossen sind, Reales wiedergibt und wieweit
Reales wiederum so ausgestaltet worden ist, dass
sein Gehalt sich wandelt.
Schließlich ist unseres Erachtens nicht haltbar,
wegen erkennbarer Hinweise auf bestimmte Personen
deren Persönlichkeitsbeeinträchtigung zu
unterstellen und daraus die Schlussfolgerung zu
ziehen, je mehr der Roman mit seinen Schilderungen
den Kernbereich privater Lebensgestaltung,
insbesondere den Intim- und Sexualbereich berühre,
desto mehr müsse eine Verletzung der Persönlichkeit
durch Fiktionalisierung des Vorbildes, also
Verfremdung, ausgeschlossen werden. So richtig es
ist, dass die Intimsphäre zu dem Bereich der
Persönlichkeit eines Menschen gehört, der seine
Würde berührt und deshalb als unantastbar geschützt
werden muss, so falsch ist es, allein aus dem
Umstand, dass in einem Roman intime Szenen enthalten
sind, zu folgern, sie berichteten über das wahre
Sexualleben der Person, die als Vorbild einer in
diesen Szenen agierenden Romanfigur erkennbar ist,
und tangierten insofern ihren absolut geschützten
Persönlichkeitsbereich. Dafür gibt es, jenseits der
Daten, die das Vorbild erkennen lassen, keinerlei
Anhaltspunkte. Zudem stellt sich die Frage, welche
Art von Verfremdung denn dem Autor nahegelegt wird,
um die vermeintliche Grundrechtsbeeinträchtigung
auszuschließen. Gemeint sein kann wohl nicht, die
Schilderung so zu verändern, dass sie möglichem
Realen nicht mehr entspricht. Denn ob und wie sich
Intimes im Realen abgespielt hat und ob und wie der
Autor es gegebenenfalls schon verfremdet hat, kann
der Leser nicht erkennen. Auch die Verfremdung der
Person hilft nicht viel weiter, solange sie als
Vorbild erkennbar ist. So bliebe nur, auf diese
Romanfigur in Anlehnung an das reale Vorbild ganz zu
verzichten oder den Intim- und Sexualbereich im
Roman nicht zu berühren. Und dies, obwohl es sich
bei dem, was beschrieben werden soll, um Dichtung
handelt. Nichts anderes ergibt sich aus dem Hinweis
der Senatsmehrheit, die Schilderung von
Intimbeziehungen bleibe einem Autor unbenommen, wenn
dem Leser nicht nahegelegt werde, sie auf eine
bestimmte Person zu beziehen. Denn bleibt eine
Person in einer geschilderten intimen Situation
erkennbar, ist sie zwangsläufig in Beziehung zu
dieser Situation gebracht - unabhängig davon, aus
wie vielen identifizierbaren Merkmalen sich die
Erkennbarkeit ergibt. Auch dies stellt einen Autor
letztlich vor die Alternative, Intimes im Roman
entweder nur mit nicht erkennbaren Personen
darzustellen oder es überhaupt nicht zu
thematisieren.
Ein solches Ansinnen schränkt die Kunstfreiheit in
nicht hinnehmbarer Weise ein, denn es führt
letztendlich zu einer der Kunst verordneten
Tabuisierung des Sexuellen, weil sie von Anlehnungen
an die Wirklichkeit lebt und damit immer in der
Gefahr steht, dass Personen sich in ihr
wiedererkennen und für andere erkennbar sind.
Es ist fraglich, ob Goethe’s Roman „Die Leiden des
jungen Werther“ nach diesen Maßstäben der
Senatsmehrheit nicht hätte verboten werden müssen,
auch wenn die Senatsmehrheit dies von sich weist.
Immerhin wurde schon bei damaligem Erscheinen dieses
Briefromans in der Romanfigur Lotte Charlotte Buff
erkannt, in die sich Goethe, den man in der Figur
des Werther’s zu entdecken glaubte, während seiner
Wetzlarer Referendarzeit verliebt hatte. Charlotte
Buff war ebenso wie die Romanfigur Lotte zur Zeit
ihrer Begegnung mit Goethe schon verlobt und dann
verheiratet. Ihr Ehemann Johann Christian Kestner,
der sich in der Romanfigur Albert, dem Verlobten und
späteren Ehemann von Lotte wiederfand, schrieb
damals über den Roman an einen Freund: „Lotte hat
z.B. weder mit Goethe noch mit sonst einem anderen
in dem ziemlich genauen Verhältnis gestanden, wie da
beschrieben ist. Dies haben wir ihm allerdings sehr
übelgenommen, indem verschiedene Nebenumstände zu
wahr und zu bekannt sind, als dass man nicht auf uns
hätte fallen sollen ... Lottens Portrait ist im
Ganzen das von meiner Frau“ (zitiert nach: Bernhard
von Becker, Fiktion und Wirklichkeit im Roman, Der
Schlüsselprozess um das Buch „Esra“, Würzburg 2006,
S. 16). Dabei ist nicht zu bestreiten, dass der
Roman höchst intime Szenen zwischen Lotte und
Werther enthält. Deutliche Erkennbarkeit der in
Bezug genommenen Personen und Schilderungen, die
sich in der Intimsphäre abspielen - beide
Voraussetzungen, die die Senatsmehrheit für eine
schwere Persönlichkeitsverletzung ausreichen lässt,
liegen hier eigentlich vor.
II.
Diese, der Kunstfreiheit nicht gerecht werdenden
Maßstäbe wendet die Senatsmehrheit überdies bei der
Prüfung, ob der Roman „Esra“ die
Persönlichkeitsrechte der sich in ihm
wiedererkennenden Klägerinnen des Ausgangsverfahrens
verletzt, in unterschiedlicher Weise an und bedient
sich dabei zusätzlicher Kriterien. Sie unterscheidet
nach den Stilmitteln und prüft anhand derer,
inwieweit der Autor es dem Leser nahelegt, dass
Passagen seines Romans der Wirklichkeit entsprechen.
Auch diese Herangehensweise ist untauglich,
Faktizität von Fiktion in einem Roman zu
unterscheiden und zu ergründen, ob mit einer
Darstellung eine Persönlichkeitsrechtsverletzung
verbunden ist, die so schwerwiegend ist, dass sie
durch die Kunstfreiheit nicht mehr gerechtfertigt
ist.
1. Bei der Klägerin zu 2), an die sich die
Romanfigur Lale anlehnt, kommt die Senatsmehrheit zu
dem Ergebnis, die Gerichte hätten es unter Verstoß
gegen die Kunstfreiheit unterlassen, eine
kunstspezifische Betrachtung des Romans vorzunehmen.
Die negative Darstellung dieser Romanfigur reiche
nicht aus, um darauf eine
Persönlichkeitsrechtsverletzung zu stützen, denn bei
Literatur, die an Wirklichkeit anknüpfe,
verschränkten sich Wahrheit und Fiktion, sodass
Handlungen und Eigenschaften nicht ohne weiteres der
Klägerin zu 2) zugeschrieben werden könnten. Nicht
hinreichend sei berücksichtigt worden, dass der
Roman im Ausgangspunkt als Fiktion anzusehen sei.
Dieser Auffassung und den Ausführungen dazu können
wir uns voll und ganz anschließen. Es fragt sich
nur, warum die Senatsmehrheit es in diesem Fall
unterlässt, den von ihr zuvor aufgestellten, von uns
für falsch erachteten Maßstab der Erkennbarkeit
anzuwenden, aus der sich doch die
Persönlichkeitsverletzung und deren Ausmaß
erschließen soll. Denn die Klägerin zu 2) ist nicht
weniger erkennbar als die Klägerin zu 1). Anstelle
der Erkennbarkeit bringt die Senatsmehrheit hier nun
die Art ins Spiel, in der die Romanfigur beschrieben
wird. Die Annahme, der Roman sei Fiktion, werde
dadurch gestützt, dass der Autor Lale überwiegend
nicht aus eigenem Erleben, sondern in Wiedergabe
fremder Erzählungen, Gerüchte und Eindrücke
geschildert habe. Das eingesetzte Stilmittel soll
dabei Ausdruck und Maßstab dafür sein, ob der Autor
es dem Leser an bestimmten Stellen nahelegt,
Geschildertes als tatsächlich geschehen anzusehen.
Damit aber wird von der Form der Erzählung auf den
Wahrheitsgehalt ihres Inhalts fehlgeschlossen und
unterstellt, dass ein Autor seine Erzählweise davon
abhängig macht, wie nah oder fern er sich in seinem
Roman an der Realität entlang bewegt. Dafür gibt es
jedoch nicht den geringsten Anhaltspunkt. Die Wahl
des Stilmittels ist vornehmlich Ausdruck der
künstlerischen Handschrift eines Autors und passt
sich dem Genre des Romans, seinem Stoff sowie der
Thematik an, die der Autor behandeln will.
Fernliegend ist zudem anzunehmen, dass ein Autor,
der gerade durch Verweben von Wirklichkeit und
Phantasie eine neue Geschichte kreieren will, dann
doch erkennen lassen, gar nahelegen wollte, wo in
seinem Roman die „Wahrheit“ zu finden ist. So kommt
die Senatsmehrheit hier zwar zu einem richtigen
Ergebnis, bei dem jedoch nur der Grund trägt, die
angegriffenen Entscheidungen ermangelten einer
kunstspezifischen Betrachtungsweise.
2. Dagegen glaubt die Senatsmehrheit bei der
Klägerin zu 1) eine schwere
Persönlichkeitsverletzung durch die Darstellung der
Romanfigur Esra erkennen zu können. Eine
kunstspezifische Betrachtungsweise wird hier, anders
als bei der Klägerin zu 2), nicht reklamiert.
Vielmehr stützt sich die Senatsmehrheit zur
Begründung dieses Ergebnisses nun zum einen auf die
Erkennbarkeit der Klägerin zu 1), zum anderen
darauf, dass die Erzählung betreffend Esra aus vom
Autor unmittelbar Erlebtem stamme, realistisch und
detailliert sei und gerade dadurch das
Persönlichkeitsrecht der Klägerin zu 1) besonders
schwer treffe, und schließlich darauf, dass intimste
Details geschildert würden, was nicht hingenommen
werden müsse. Auch hier schließt die Senatsmehrheit
wieder von der Erkennbarkeit des Vorbilds und von
der Erzählweise auf die Realität des Erzählten und
bleibt dabei die Antwort schuldig, woher sie das
Wissen nimmt und worauf sie ihre Einschätzung
stützt, die Schilderung gebe Erlebtes wieder. Dies
mag ein subjektiver Eindruck aus richterlicher
Leserbrille sein, kann aber auch ganz anders gesehen
werden, insbesondere bei kunstspezifischer
Betrachtungsweise, die hier aber nicht vorgenommen
wird. Und hinsichtlich der intimen Szenen ebenso wie
der Passagen, in denen das Kind der Klägerin zu 1)
als Vorbild erkennbar erscheint, soll es noch nicht
einmal mehr auf den „Wahrheitsgehalt“ des Erzählten
ankommen. Hier belässt man es bei den kategorischen
Imperativen, dies sei nicht hinzunehmen und habe in
der Öffentlichkeit nichts zu suchen, um eine
Persönlichkeitsrechtsverletzung anzunehmen und das
Verbot des Romans zu bestätigen. Moral allein ohne
einen Anhaltspunkt, ob das Geschilderte so oder
überhaupt geschehen ist, ob es nicht lediglich
dichterisches Ausdrucksmittel für Gefühle und
Konflikte ist oder vielleicht doch der
Portraitierung der Klägerin zu 1) diente, ist aber
keine Messlatte, die an die Kunst angelegt werden
darf, wenn sie frei sein soll, wie es Art. 5 Abs. 3
GG fordert.
3. Betrachtet man zudem das Entscheidungsergebnis
der Senatsmehrheit in seiner Gesamtheit, ist schwer
nachvollziehbar, weshalb in ein und demselben Roman
bei ähnlich vielen Anknüpfungspunkten, die sich in
ihm aus dem Leben der Klägerinnen wiederfinden, die
Schilderungen und Charakterdarstellungen der einen
dem Fiktiven, die der anderen dagegen dem Realen
zugeordnet werden. Ein Roman ist ein Gesamtwerk, das
sich schwerlich in einzelne Passagen sezieren lässt.
Entweder ist das Werk insgesamt ein Roman und
erzählt Fiktives, oder es ist gar kein Roman. Dass
es sich bei dem Buch „Esra“ um einen Roman handelt,
wird aber zu Recht von der Senatsmehrheit gar nicht
in Abrede gestellt. Deshalb kann sein Inhalt auch
nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Nur wenn es
Anhaltspunkte gäbe, die deutlich machten, dass die
Form eines Romans benutzt wird, um eine bestimmte
Person mit Schmähungen zu überziehen, gäbe dies
Anlass für eine differenzierende Betrachtung. Dies
aber ist gerade auch bei vergleichender Betrachtung
der beiden Romanfiguren bei Esra nicht der Fall. Im
Übrigen wird die Notwendigkeit einer Gesamtschau des
Werks auch deutlich, blickt man auf die Konsequenzen
der Entscheidung. Denn was nutzt es dem Autor und
seinem Verleger, dass sie im Hinblick auf die
Romanfigur Lale Recht bekommen, dennoch aber das
Buch vollständig verboten bleibt und die Befolgung
des Rats der Senatsmehrheit, andere Stilmittel zu
wählen und mehr zu verfremden, wo die Romanfigur
Esra auftaucht, das Schreiben eines anderen, neuen
Romans erforderlich machte? Und was bewirkt die
teilweise Zurückverweisung der Sache an den
Bundesgerichtshof mehr als ein Glasperlenspiel? Denn
wenn das Gericht nun entsprechend der schon von der
Senatsmehrheit vorgezeichneten Argumentationslinie
zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin zu 2) sei
durch die Schilderung der Romanfigur Lale nicht in
ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt, ändert das
nichts an dem Verbot des Romans. Wenn es aber doch
glaubt, Passagen im Roman zu finden, in denen der
Autor den Lesern „nahegelegt“ hat, hier die
„Wahrheit“ über die Klägerin zu 2) zu entdecken und
dabei ehrrührig Falsches erzählt hat, dann gereicht
diese Mühe nur dazu, das Verbot des Romans zu
bestätigen und eine der Klägerin zu 2) günstige
Kostenentscheidung zu treffen.
III.
Will man der Maßgabe folgen, Literatur um der
Kunstfreiheit willen einer kunstspezifischen
Betrachtung zu unterziehen, wie dies eigentlich auch
die Senatsmehrheit zu Recht verlangt, dann reicht es
nicht aus, nur die Gattung festzustellen, in die das
Erzählte sich einordnet, auch wenn hiervon Signale
ausgehen, wie ein Text zu verstehen ist. Das Buch
„Esra“ ist auch nach Auffassung der Senatsmehrheit
als Roman einzustufen, was darauf hinweist, dass die
darin enthaltene Geschichte Fiktion ist, auch wenn
sie an realen Personen oder Begebenheiten anknüpft.
Doch damit ist noch nicht abschließend geklärt, ob
der Inhalt der Erzählung auch dem Romanhaften
entspricht und in ihr Reales und Fiktives eine
Symbiose eingegangen sind, aus der eine eigene
Geschichte entstanden ist. Dies aber zu beurteilen
kann man nicht allein dem vielzitierten Leser mit
seiner jeweils mehr oder weniger ausgeprägten
Literaturkenntnis und seiner jeweils eigenen
Sichtweise auf den Roman überlassen. Auch ein
fiktiver Leser, den man sich zurechtlegt und ihm
unterstellt, wie er den Roman beurteilt und
versteht, führt hier nicht weiter. Vielmehr ist
dafür auf literaturwissenschaftlichen Sachverstand
zurückzugreifen.
Tut man dies aber, dann stößt man auf einhellige
Meinung, dass der Roman „Esra“ zwar von der
Beziehung des Ich-Erzählers, der übereinstimmende
Daten mit dem Autor aufweist, mit der Romanfigur
Esra handelt, die in einigen Bezügen an die Klägerin
zu 1) angelehnt ist, doch diese Beziehung vom Autor
aus eigener Sichtweise erzählt und als Mittel
benutzt wird, um nicht nur subjektive
Befindlichkeiten hierin zum Ausdruck zu bringen,
sondern um mit dieser Rahmengeschichte zugleich in
vielschichtiger Weise Themen anzusprechen, die sich
wiederum in den Reden und Verhaltensweisen der
Romanfiguren niederschlagen und diese prägen wie
leiten. So wird darauf verwiesen, dass im Roman
selbst in Dialogen zwischen Esra und dem
Ich-Erzähler die Realitätswahrnehmung thematisiert
und die Frage aufgeworfen wird, ob Literatur, die
Reales verarbeitet, als Wirklichkeit missverstanden
werden kann, und der Autor damit sich selbst und
sein Wirken provozierend hinterfragt, weshalb ein
Kritiker das Buch „Esra“ als verschlüsselten Roman
über das Problem des Schlüsselromans bezeichnet hat
(vgl. Bernhard von Becker, a.a.O., S. 84).
Aufgezeigt wird, dass die realen Bezüge des Romans
im Hinblick auf Personen und Örtlichkeiten dem Autor
nur dazu dienen, in nahegehender Weise auf Konflikte
hinzuweisen, die aus der Individualisierung,
Vereinsamung und aus kulturellen Differenzen
herrühren, um damit Zustände im Gemeinwesen
wiederzuspiegeln, weshalb der Roman beispielhaft für
die nicht nur in Deutschland wachsende
Literaturrichtung des „Subjektiven Realismus“ sei
(vgl. Anja Ohmer, Literaturwissenschaftliches
Gutachten zu Esra von B., 2004, unveröffentlicht, S.
31). Und anhand der jeweiligen Romanpassagen wird
schließlich nachgezeichnet, wie der Roman die Suche
nach Identität in einer multikulturellen Welt
thematisiert, wie er das Thema des heutigen Umgangs
mit Medien zur Sprache bringt, wie der Autor
selbstreflexiv seine Rolle und sein Handeln
betrachtet und dabei in die Geschichte durch Zitate
und Anspielungen literarische Bezüge einflicht,
wobei die jeweiligen Botschaften des Texts ganz
unabhängig und losgelöst von der Kenntnis der
Klägerinnen seien (vgl. Michael Ansel, Buddenbrooks,
Bilse und B.. Thomas Mann, der Schlüsselroman und
die Kunstfreiheit, Überarbeitete Fassung eines
Vortrags, gehalten 2007 an der Evangelischen
Akademie Tutzing, S. 24). Bei alledem kommt man aus
literaturwissenschaftlicher Sicht übereinstimmend zu
dem Schluss, dass der Roman „Esra“ weder
Erfahrungswelten reproduziert noch
Autobiographisches darstellt, sondern einer
literaturästhetischen Programmatik folgt und eine
narrative Konstruktion, ein Roman ist (vgl.
Christian Eichner, York-Gothart Mix, Ein Fehlurteil
als Maßstab? Zu B.’s Esra, Klaus Mann’s Mephisto und
dem Problem der Kunstfreiheit in der Bundesrepublik,
unveröffentlichtes Gutachten, Düsseldorf, Marburg
2007, S. 5).
Dies bestätigt nicht nur unser Verständnis des
Buchs, sondern führt dazu, dass auch im Hinblick auf
die Klägerin zu 1) eine Persönlichkeitsverletzung
weder ersichtlich ist noch angenommen werden kann.
Für uns bleibt richtig, was die Richterin Rupp-v.
Brünneck in ihrem damaligen Sondervotum zur
Mephisto-Entscheidung zu der Grenze ausgeführt hat,
die um des Persönlichkeitsschutzes willen auch der
Kunstfreiheit gezogen ist. Wird bei einer
Gesamtbetrachtung eines Romans offensichtlich, dass
diese Kunstform missbraucht wurde und lediglich eine
Mogelpackung, ein Transportmittel ist, um bestimmte
Personen zu beleidigen, zu verleumden oder
verächtlich herabzuwürdigen, dann ist dies nicht
mehr von der Kunstfreiheit gedeckt (vgl.BVerfGE 30,
218 <224> ). Eine solche Intention des Autors ist
für uns in dem Buch „Esra“ nicht erkennbar und wird
auch von literaturwissenschaftlicher Seite nicht
gesehen. Ist das Buch „Esra“ demnach ein Roman, dann
hat sich in ihm Reales in Kunst aufgelöst. Damit
kann aber nicht mehr unterschieden werden, was
Dichtung und was Wahrheit ist. „Denn alles, was die
Kunstwerke an Form und Materialien, an Geist und
Stoff in sich enthalten, ist aus der Realität in die
Kunstwerke emigriert und in ihnen seiner Realität
entäußert“; dieser Aussage von Adorno (Ästhetische
Theorie, Hrsg. Rolf Tiedemann, Frankfurt 1990, S.
158) schließen wir uns an. Das sich auf eine
Persönlichkeitsverletzung der Klägerinnen zu 1) und
2) stützende, von den Gerichten in den angegriffenen
Entscheidungen ausgesprochene Verbot des Buchs
„Esra“ ist deshalb ein verfassungswidriger Eingriff
in die von Art. 5 Abs. 3 GG geschützte Kunstfreiheit
des Autors und des Beschwerdeführers.
Hohmann-Dennhardt Gaier
Abweichende Meinung des
Richters Hoffmann-Riem
zum Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juni
2007
- 1 BvR 1783/05 -
Die Entscheidung des Senats trägt der Kunstfreiheit
stärker Rechnung als die sogenannte
Mephisto-Entscheidung (BVerfGE 30, 173). Diese
forderte zwar bei der rechtlichen Bewertung der
Wirkungen eines Kunstwerks die Berücksichtigung
kunstspezifischer Gesichtspunkte, ließ dies aber
nicht hinreichend folgenreich werden; insbesondere
die jetzt vom Senat anerkannte Vermutung für die
Fiktionalität eines literarischen Textes wurde nicht
zugrundegelegt. Der Senat macht jetzt ferner
deutlich, dass die Erkennbarkeit einer Person im
Roman selbst dann, wenn der Person negative Züge
zugeschrieben werden, nicht als Grundlage einer
Persönlichkeitsverletzung ausreicht. Vielmehr muss
unter Berücksichtigung der Vermutung der
Fiktionalität nachgewiesen sein, dass der Autor dem
Leser nahelegt, die dargestellten Ereignisse seien
tatsächlich geschehen oder die dieser Person
zugeschriebenen Eigenschaften kämen ihr tatsächlich
zu.
Ungeachtet dieser anzuerkennenden Fortentwicklungen
des Schutzes durch Art. 5 Abs. 3 GG überzeugen mich
einzelne Elemente der rechtsdogmatischen
Argumentation (1) sowie die Anwendung der Grundsätze
auf den konkreten Fall nicht (2). An meine Fragen
und Kritik anschließend versuche ich zu erläutern,
warum die Mehrheit von ihrem Ausgangspunkt aus
Gefahr läuft, die Besonderheit von Kunstwerken und
ihres Schutzes zu verfehlen (3).
Zutreffend sieht die Mehrheit des Senats in dem
gerichtlichen Verbot der Veröffentlichung des Romans
einen Eingriff in die Kunstfreiheit. Demgegenüber
überzeugen die Ausführungen dazu, dass dieser
Eingriff teilweise gerechtfertigt ist, mich
verfassungsrechtlich nicht. Ergänzend zu der
abweichenden Meinung der Richterin Hohmann-Dennhardt
und des Richters Gaier merke ich an:
1. a) Anders als der Bundesgerichtshof, dem die
Erkennbarkeit einer bestimmten Person als Vorbild
für eine Romanfigur für die Bejahung einer
Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts (er
spricht von einem „Eingriff“) ausreicht, geht die
Mehrheit zutreffend davon aus, dass die
Erkennbarkeit zunächst nur die Betroffenheit einer
Person ergibt. Betroffenheit - als erste Stufe der
Prüfung - ist eine notwendige, aber nicht
hinreichende Bedingung der Möglichkeit einer
Persönlichkeitsverletzung.
b) Wird die Erkennbarkeit bejaht, fordert die
Senatsmehrheit für die zweite Stufe die
Feststellung, die Betroffenheit dürfe nicht so
geringfügig sein, dass das Persönlichkeitsrecht von
vornherein hinter die Kunstfreiheit zurücktreten
muss. Dies deutet auf einen Bagatellvorbehalt hin:
nur eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts
von einer gewissen Schwere kommt überhaupt als
Grundlage einer Beschränkung der Kunstfreiheit in
Betracht.
c) Da die Mehrheit im konkreten Fall davon ausgeht,
dass die Bagatellhürde genommen ist, wird auf der
dritten Stufe die Wechselwirkung zwischen
Kunstfreiheit und Persönlichkeitsschutz
thematisiert. Hier wird erneut die gleiche Formel
wie auf der zweiten Stufe genutzt: Die
Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts müsse so
schwerwiegend sein, dass die Freiheit der Kunst
zurückzutreten habe. Insoweit ist allerdings
offenbar eine schwerere Beeinträchtigung als auf der
zweiten Stufe gemeint: Sie soll durch die Abwägung
mit der Kunstfreiheit im konkreten Fall bestimmt
werden, ist also grundsätzlich variabel.
Auf dieser dritten Stufe wird eine kunstspezifische
Betrachtung gefordert (C II 3 a). Sie soll
insbesondere dazu dienen, den Bereich des
Fiktionalen zu bestimmen. Dementsprechend lässt die
Mehrheit eine Vermutung für die Fiktionalität
sprechen, wenn ein literarisches Werk sich als Roman
ausweist und dieser - ungeachtet der Nutzung realer
Personen als Vorbilder - erkennbar keinen
Faktizitätsanspruch erhebt, also nicht etwa ein
bloßer Sachbericht ist, der fälschlicherweise als
Roman etikettiert wird. Auch wenn der Roman „neben
seiner ästhetischen Realität zugleich in den
Realien“ wirke, dürfe nicht allein auf die möglichen
Wirkungen in diesen Realien abgestellt werden;
vielmehr müsse eine Lösung in einer Abwägung
gefunden werden. Dabei bezieht sich die Vermutung
der Fiktionalität nicht nur auf die dargestellten
Personen, sondern auch auf die geschilderten
Geschehnisse, Charaktereigenschaften oder ähnliches.
d) Die Bedeutung einer Zuordnung zum Fiktionalen
wird von der Senatsmehrheit allerdings auf einer
vierten Prüfungsstufe teilweise wieder
zurückgenommen (C II 3 c). Bei einer hohen
Intensität der Persönlichkeitsverletzung - im
konkreten Fall werden die Darstellungen zum Intim-
und Sexualbereich sowie über die Krankheit des
Kindes hier eingeordnet (C II 4 b) - greift die
Vermutung des Fiktionalen nicht mehr. Stattdessen
gilt ein Gebot, sich umso mehr um die
Fiktionalisierung des Vorbilds zu bemühen, je
stärker die betroffene Persönlichkeitsdimension
geschützt ist. Allerdings soll die Darstellung des
Sexuallebens einer durch Tatsachen als Vorbild
erkennbaren Person, die „mehr oder weniger
unmittelbar der Wirklichkeit entnommen“ sind, stets
unzulässig sein, weil die Person es nicht
hinzunehmen habe, „dass sich Leser die durch den
Roman nahegelegte Frage stellen, ob sich die dort
berichteten Geschehnisse auch in der Wirklichkeit
zugetragen haben“. Für solche Inhalte gibt es also
praktisch keine Vermutung des Fiktionalen, sondern
ein grundsätzliches Verbot, wenn nicht hinreichend
sicher ist, dass es um Fiktionalität geht. Auch das
Bemühen um Fiktionalisierung (die Mehrheit spricht
auch von „Verfremdung“) - hinsichtlich der Person
oder hinsichtlich der geschilderten Geschehnisse -
reicht insofern nicht, wie die weitere Argumentation
der Mehrheit für den Fall ergibt, dass es sich um
eine vom Autor aus „unmittelbarem Erleben stammende,
realistische und detaillierte Erzählung der
Geschehnisse“ handelt, insbesondere um die genaue
Schilderung intimster Details der Frau, die deutlich
als tatsächliche Intimpartnerin des Autors erkennbar
sei.
2. Ich habe zwar keinen Zweifel, dass es das
Persönlichkeitsrecht verletzt, wenn jemand -
einerlei, ob aus unmittelbarem Erleben oder nicht -
realistisch und detailliert intimste Details des
Verhaltens seiner Sexualpartnerin anderen oder gar
der Öffentlichkeit zugänglich macht. Vorliegend aber
ist gerade zweifelhaft und wird vom Autor
bestritten, dass er vergangenes Sexualgeschehen
beschreiben wollte oder gar einen Sachbericht
darüber verfasst hat. Darauf geht die Mehrheit m. E.
nicht in angemessener Weise ein und erklärt die
tatsächlichen Feststellungen der Fachgerichte
schlicht als zutreffend, die ihrerseits jedoch nicht
von einer Vermutung des Fiktionalen ausgegangen
sind.
a) Wenn Art. 5 Abs. 3 GG gebietet, dass für die
Kunstform des Romans die Vermutung des Fiktionalen
auch bei Erkennbarkeit eines konkreten Vorbilds
spricht und dies auch für die konkret geschilderten
Ereignisse, Verhaltensweisen oder
Charaktereigenschaften gilt, ist nicht
nachvollziehbar, warum dies nicht auch Darstellungen
über den Sexualbereich umfasst. Kommt die Vermutung
hier letztlich aber gar nicht zum Tragen, bedeutet
dies, dass die kunstspezifische Betrachtung insoweit
aufgegeben wird. Anders formuliert: Darstellungen
von Sexualität sind nur als Kunst geschützt, wenn
ihre Fiktionalität - ohne dass insoweit eine darauf
gerichtete Vermutung angewandt wird - stärker
nachgewiesen ist als sonst. Dafür verwendet der
Senat die in Leitsatz 4 enthaltene Je-desto-Formel
(Je mehr die künstlerische Darstellung besonders
geschützte Dimensionen des Persönlichkeitsrechts
berührt, desto stärker muss die Fiktionalisierung
sein, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung
auszuschließen). Bei Geltung einer solchen
Je-desto-Formel ist es schwer, ein Geschehen mit
Anklängen an reale Vorgänge durch die künstlerische
Transformation auf „eine zweite Ebene“ zu heben und
dadurch in den Genuss der Kunstfreiheit zu kommen.
Ein Autor, der, wie vorliegend, die betroffene
Person aus eigenem sexuellem Erleben kennt, hat nach
den Maßgaben der Mehrheit praktisch keine
Möglichkeit, die Darstellung von Sexualität so zu
fiktionalisieren, dass der verfassungsrechtliche
Schutz greift.
Würde die mit der Notwendigkeit einer
kunstspezifischen Betrachtung begründete Vermutung
der Fiktionalität demgegenüber auch hier zum Zuge
kommen können, wäre die Vermutung nicht schon
dadurch widerlegt, dass Geschlechtsverkehr
detailliert und realistisch beschrieben wird - das
kann auch in einer fiktionalen Darstellung
geschehen. Dass ein Autor, der auch nach Auffassung
der Mehrheit eine konkrete Person als Vorbild einer
Romanfigur nehmen darf, über das Verhalten oder die
Eigenschaften einer Person aus eigenem Erleben
schreibt, indiziert selbst dann, wenn sie als
Intimpartner erkennbar ist, für sich allein nicht
den Anspruch oder auch nur eine Vermutung, dass das
jeweils konkret Dargestellte ein Sachbericht über
ausgeübte Sexualpraktiken ist. Gleichwohl geht die
Mehrheit dem Ergebnis nach von der unwiderleglichen
Vermutung des „Realen“ aus, wenn ein Autor in einem
Roman einer erkennbaren Person, die er aus eigenem
Intimleben kennt, Intimszenen zuschreibt. Wie er die
von der Mehrheit eröffnete Möglichkeit, die
Persönlichkeitsrechtsverletzung durch
„Fiktionalisierung des Vorbilds“ auszuschließen,
nutzen könnte, ist unerfindlich. Ist das Vorbild
erkennbar, käme nur eine Fiktionalisierung des
dargestellten Geschehens in Betracht. Das müsste vom
Gericht gegebenenfalls überprüft werden. Angesichts
der Beweisschwierigkeiten hinsichtlich von
Geschehnissen im Intimbereich erscheint dies kaum
möglich. Ein Weg wäre, jedenfalls die Vermutung des
Fiktionalen gelten zu lassen. Der Senat wendet sie
vorliegend aber nicht an.
Im Gegensatz zum Vorgehen hinsichtlich Esra nutzt
die Mehrheit die Vermutung des Fiktionalen
hinsichtlich der Schilderung von Lale und wendet
sich gegen den Einwand des Bundesgerichtshofs, die
Beschwerdeführerin habe keinen Wahrheitsbeweis
angetreten, mit der Aussage, damit werde dem
Künstler etwas zugemutet, was er nach seinem
Selbstverständnis nicht könne, weil er selbst von
der Fiktionalität der Schilderung ausgehe.
b) Warum dies in dem einen Fall gilt, in dem anderen
aber nicht, ist nicht nachvollziehbar. Dass der
Autor bei Lale „mit Distanz“ fremde Erzählungen,
Gerüchte und Eindrücke wiedergebe, bei Esra aber aus
eigenem Erleben schildere, kann - selbst wenn dieser
Einschätzung der Mehrheit zu folgen wäre - nicht den
Ausschlag geben. Dass diese Differenz der Figur der
„kunstspezifischen Betrachtung“ geschuldet sei, ist
kaum anzunehmen. Da für die Mehrheit von dieser
Weichenstellung die Frage des Schutzes durch die
Kunstfreiheit abhängt, könnte die Differenz
allenfalls im Zuge der Abwägung mit der Schwere der
Persönlichkeitsverletzung begründbar sein. Diese
wird aber - nach der sonstigen Rechtsprechung des
Senats für Konflikte zwischen Persönlichkeitsschutz
und Meinungsfreiheit - üblicherweise nicht davon
abhängig gemacht, ob etwas die Persönlichkeit
Verletzendes aus eigenem Erleben oder als Resultat
aus Erzählungen Dritter dargestellt wird.
c) Maßgebend soll offensichtlich sein, welcher Teil
des Persönlichkeitsrechts nachteilig betroffen ist.
Dass die über Lale aufgestellten Behauptungen - so
unter anderem die, sie sei eine depressive,
psychisch kranke Alkoholikerin, die ihre Kinder
vernachlässige, ihre Familie tyrannisiere, von ihrem
Mann geschlagen worden sei - die Persönlichkeit
weniger schwer betreffen als die Darstellung von
Sexualpraktiken, liegt jedenfalls nicht in einer
Weise auf der Hand, dass der Unterschied es
rechtfertigt, in dem einen Fall die Garantie der
Kunstfreiheit in Form der Vermutung des Fiktionalen
durchschlagen zu lassen, im anderen durch
Nichtanwendung der Vermutung aber nicht.
3. Die Schwierigkeiten der Mehrheit, der
kunstspezifischen Betrachtung Konturen zu geben und
bei der Rechtsanwendung in eine in sich stimmige
rechtsdogmatische Konstruktion einzubinden, scheinen
mir in dem begründet zu sein, was die Mehrheit als
Beschreibung von Wirklichkeit (Realien) und was sie
als Verarbeitung zu Kunst versteht. Dabei scheint
sie von der Vorstellung der Unterscheidbarkeit oder
gar eines Gegenüber von Empirie und künstlerischer
Fiktion auszugehen. Die gleichwohl aus
Abwägungsschwierigkeiten entstehenden Dilemmata
durch die Vermutung zugunsten des Fiktionalen
bewältigen zu wollen, mag in vielen Fällen
tragfähige Ergebnisse begründen helfen, taugt aber,
wie die vorliegende Konstellation zeigt, nicht
immer, insbesondere dann nicht, wenn der Künstler
nicht ein Phantasieprodukt beschreibt, sondern
intersubjektiv beobachtbares Geschehen künstlerisch
verarbeitet.
a) In Anlehnung an Ausführungen des Richters Stein
im Minderheitenvotum der Mephisto-Entscheidung meint
die Mehrheit, die „Welt der Realität“ sei durch
einen Maßstab zu erschließen, der sich grundlegend
von dem „kunstspezifischen, ästhetischen Maßstab“
unterscheide, mit dem der Künstler auf die Realität
sehe. Diese Aussage lässt sich in dem vor allem im
Konstruktivismus (mit Unterschieden in seinen
verschiedenen Varianten) näher analysierten Umstand
fundieren, dass die beobachtbare (Um)Welt erst durch
die Wahrnehmung des Beobachters „Realität“ gewinnt,
das heißt durch seine Verarbeitung des Beobachteten,
die er unter anderem auf der Grundlage eigener
Einsichten und Erfahrungen, früherer Beobachtungen
und unter Nutzung kultureller Werte vornimmt. Dabei
sowie bei der Übersetzung des Beobachteten in
Sprache kommen ihm gesellschaftliche Konventionen
zur Hilfe, die Wirklichkeitsbilder kommunizierbar
machen. Empirisches Wissen ist insofern Wissen über
das Erleben in der Welt. Alltagsweltliche
Konventionen erlauben ebenso wie spezifische
professionelle Konventionen - wie beispielsweise die
in der Rechtsordnung anerkannten Regeln über das,
was Tatsachen sind und wie sie gerichtlich
festgestellt werden und dann „gelten“ - die
intersubjektive Verständigung über wechselseitig
kompatible „Realitätskonstruktionen“, kurz: über
„die Realität“.
Wenn Richter Stein unter Billigung der Mehrheit
davon spricht, dass ein Kunstwerk eine „wirklichere
Wirklichkeit“ anstrebt, nämlich eine, „in der die
reale Wirklichkeit auf der ästhetischen Ebene zu
einem neuen Verhältnis zum Individuum bewusster
erfahren wird“ (BVerfGE 30, 200 <204>), dann spielt
dies auf den Umstand an, dass die für den jeweiligen
Künstler maßgebenden Konstruktionen von Realität
üblicherweise anderen Konventionen, etwa den als
„ästhetisch“ bezeichneten, folgen als die der
alltagsweltlich kommunizierenden Bürger und dass
Künstler mit je eigenen Werten, Erfahrungen,
Perspektiven oder Selektivitäten beobachten und
beschreiben und das Beobachtete in Form eines
Kunstwerks kommunizierbar zu machen suchen.
Wenn Art. 5 Abs. 3 GG die Freiheit der Kunst
besonders schützt, dann bedeutet dies Schutz der
Freiheit zur „kunstspezifischen“ Konstruktion von
Wirklichkeit. Insoweit gibt es allerdings keine
allgemeingültigen Regeln oder Konventionen über das,
was Kunst oder Kunstspezifisches ist. Kunst erfindet
die Art der Konstruktion von Realität immer neu,
stellt den Maßstab des Ästhetischen immer wieder in
Frage und bestimmt ihn variierend. Viele Kunstwerke
zielen auf Überschreitungen bisher anerkannter
Grenzen und die Künstler beteiligen sich an
Entgrenzungen und Vermischungen hinsichtlich
tradierter oder neu entwickelter Kategorien.
b) Wird die auch von der Mehrheit grundsätzlich
akzeptierte Notwendigkeit einer kunstspezifischen
Betrachtung auf die Art der
Wirklichkeitskonstruktionen durch Künstler in
Kunstwerken bezogen, so können davon verschiedene
der für Juristen wichtigen Phänomene betroffen sein.
So können Erscheinungen, die jedermann, also auch
ein „Alltagsbeobachter“, wahrnehmen und sich über
sie mit anderen Alltagsbeobachtern intersubjektiv
verständigen kann, von einem Künstler in seinem
Referenzfeld völlig anders beobachtet und
beschrieben werden. Eine derartige Art der
Beobachtung und Beschreibung meint die Mehrheit
offenbar, wenn sie - hinsichtlich Lale - davon
spricht, die Schilderung besitze „eine zweite Ebene“
hinter „der realistischen Ebene“, der Schilderung
des Verhaltens von realen Personen an realen
Schauplätzen.
Davon graduell (nicht prinzipiell) zu trennen ist
eine künstlerische Darstellung, die gar nicht ein
auch von anderen beobachtbares Geschehen beschreiben
oder nach ästhetischen Prinzipien kunstspezifisch
abbilden will, sondern die sich - gewissermaßen als
Produkt von Phantasie des Künstlers - von konkret
Beobachtbarem ablöst, wenn auch gegebenenfalls in
der Verarbeitung und Beschreibung auf Einsichten und
Erfahrungen aus früheren Beobachtungen zurückgreift
und den Eindruck erweckt, das Beschriebene könne
einem Geschehen gelten, das auch durch andere
beobachtbar war. Jedenfalls dieser zweite Typ ist
gemeint, wenn von Fiktionalem gesprochen wird. Der
Charakter des Fiktionalen entfällt selbst dann
nicht, wenn dem Autor bescheinigt wird, er habe mit
seinem fiktionalen Produkt „die Wahrheit“ getroffen.
Gemeint ist dann meist, dass er etwas Typisches oder
Allgemeingültiges erfasst hat.
Die Kunstfreiheit erstreckt sich aber unstreitig
nicht nur auf Darstellungen derartiger
„Phantasieprodukte“, sondern auch auf künstlerische
Verarbeitungen von intersubjektiv beobachtbarem und
kommunizierbarem Realgeschehen. Darüber hinaus
erstreckt sie sich auch auf Zwischenformen, also
Kombinationen und Vermischungen von künstlerischen
Bearbeitungen der intersubjektiv beobachtbaren
Sachverhalte mit „Produkten der Phantasie“.
c) Diese Vielfalt künstlerischen Schaffens und die
Notwendigkeit der Herausarbeitung sie
berücksichtigender Schutzdimensionen drohen aus dem
Blick zu geraten, wenn der Schutz des Künstlerischen
letztlich auf das Fiktionale begrenzt und ein
Kunstwerk rechtlich unter der Annahme eines
Entweder-Oder von Fiktion oder Empirie (Realien)
bewertet wird. Damit droht die Eigenständigkeit des
Umgangs mit Beobachtbarem in der Kunst - der
künstlerischen Konstruktion von Wirklichkeit -
verloren zu gehen. Dieses Risiko wird auch nicht
vermieden, wenn die Intensität und Reichweite des
Schutzes der Kunstfreiheit - wie es die Mehrheit
befürwortet - von dem Grad der Fiktionalität
abhängig gemacht wird. Eine Operationalisierung
unter Rückgriff auf das Überwiegen des Fiktionalen
mag als juristisches Hilfsmittel taugen, um
intersubjektiv Beobachtbares von
„Phantasieprodukten“ unterscheiden zu können, nicht
aber, um die besondere Art der künstlerischen
Verarbeitung eines intersubjektiv beobachtbaren
Geschehens zu berücksichtigen. Die künstlerische
Verarbeitung eines solchen Geschehens in einer
romanhaften Darstellung - in der Sprache der
Mehrheit unter Herausarbeitung einer „zweiten Ebene“
- macht es nicht zur Fiktion, wohl aber zum
Kunstwerk. Dann muss auch insoweit eine Vermutung
zugunsten des Künstlerischen gelten. Die Redeweise
von der Vermutung der „Fiktionalität“ droht diese
Dimension des Schutzbedarfs zu verschütten, es sei
denn, sie werde im weiten Sinne verstanden, der auch
den künstlerischen Umgang mit intersubjektiv
beobachtbarem Geschehen umfasst. Dann darf vom
Künstler aber nicht verlangt werden, das Geschehen
zu „fiktionalisieren“, wenn dies so zu verstehen
sein sollte, dass er die von ihm künstlerisch
verarbeiteten Fakten verändern oder unkenntlich
machen, „falsche Fährten“ legen soll oder ähnliches.
Was die Mehrheit unter Fiktionalisierung versteht,
wird jedenfalls nicht so deutlich, dass ein Autor
handhabbare Maßstäbe vorfindet. Die Mehrheit meint,
er könne „die Identifizierbarkeit verringern“ - sie
bleibt dann aber offenbar bestehen - und er könne
die persönlichkeitsrechtsverletzenden Teile des
Romans wegfallen lassen: Wann aber kann eine
„ästhetische Realität“ (verstanden als
kunstspezifische Konstruktion von Wirklichkeit)
Persönlichkeitsrechte überhaupt verletzen?
d) Wenn der Schutz durch die Kunstfreiheit trotz
dieser Einwände vom Grad der Fiktionalität abhängig
gemacht wird, müsste es jedenfalls darauf bezogene
Beweisgrundsätze oder Grundsätze der Widerlegung der
Vermutung geben. Die Mehrheit erkennt insoweit die
Untauglichkeit der Grundsätze juristischer
Beweisbarkeit, als sie hinsichtlich der Darstellung
von Lale würdigt, der Autor habe Grenzen verwischen
lassen und mit der Verschränkung von Wahrheit
(offenbar gemeint im Sinne eines intersubjektiv
beobachtbaren Geschehens) und Fiktion (offenbar
gemeint als Zugaben der Phantasie) gespielt, und
wenn die Mehrheit zusätzlich meint, es sei dem Autor
nicht zumutbar, dann, wenn er keine Reportage habe
schreiben wollen, etwas beweisen zu müssen, was er
als fiktional ansieht. Es kann hinzugefügt werden:
Was den Anspruch des Fiktionalen erhebt, kann auch
Persönlichkeitsrechte anderer nicht verletzen.
Schwieriger ist die Zuordnung, wenn der Künstler ein
auch von Dritten beobachtbares Geschehen als
Ausgangspunkt seiner Beschreibung wählt, aber
aufgrund seiner besonderen Sichtweise als Künstler
und/oder aufgrund des Hinzufügens weiterer, „der
Phantasie“ entsprungener, aber wie beobachtbares
Geschehen dargestellter Handlungen oder
Charaktereigenschaften nicht im Einzelnen erkennen
lässt, inwieweit er Beobachtbares abbildet und wie
weit er künstlerische „Zugaben“ durch die Art der
Beobachtung und Beschreibung oder gar durch frei
Erdachtes vornimmt.
Die Senatsmehrheit hat hinsichtlich der Darstellung
von Esra keinen Versuch unternommen, hierzu
differenzierend Feststellungen zu treffen. Vielmehr
wird aus Indizien (wie: Schilderung eigenen Erlebens
des Ich-Erzählers, realistische und detaillierte
Erzählung) geschlossen, der Autor habe ein
grundsätzlich auch von Dritten beobachtbares
Geschehen geschildert und insofern dem Leser
nahegelegt, er schildere tatsächliches Geschehen.
Seine im Verfahren erfolgten gegenteiligen
Darlegungen werden ebenso wenig einer Erörterung für
Wert befunden wie die verschiedenen veröffentlichten
literaturwissenschaftlichen Expertisen - also
kunstspezifische Analysen - des hier
streitgegenständlichen Textes. Es drängt sich daher
der Eindruck auf, es sei der Gegenstand -
insbesondere die Schilderung von Details aus dem
Sexualbereich - der es ausschließt, Zugang zur
Berücksichtigung des Kunstspezifischen einer solchen
Darstellung in einem Roman bei der Abwägung zu
suchen. Kurzgeschlossen wird die Möglichkeit
verworfen, dass der Autor auch bei diesem von ihm
gewählten literarischen Gegenstand eine
kunstspezifische, ästhetische Realität „konstruiert“
habe.
Die Vermutung der Fiktionalität wird ihm nicht
zugutegehalten. Diese müsste allerdings in einem
weiteren Sinne verstanden werden, um sie auf die
hier maßgebende Konstellation erstrecken zu können.
Wäre sie anzuwenden, müsste, soweit einzelne
Parallelen in dem Geschehen zu intersubjektiv
Beobachtbarem bestehen, gefragt werden, ob die
künstlerische Verarbeitung dieses Geschehens es
derart in die von der Mehrheit als maßgebend betonte
„zweite Ebene“ gehoben hat, dass der Künstler eine
eigene, ästhetischen Regeln folgende „neue Realität“
konstruiert hat. Dies bedarf einer sachverständigen
Klärung, die auf literaturwissenschaftlichen
Beistand grundsätzlich nicht verzichten kann.
Zur Verdeutlichung, dass der Leser nicht von der
Faktizität (intersubjektiven Beweisbarkeit) des
Erzählten ausgehen soll (C II 3 a), kann es
beitragen, wenn der Autor in dem Buch einen
entsprechenden „disclaimer“ formuliert. Diesem kommt
eigenständige Bedeutung zu, wenn sein Inhalt eine
Entsprechung in dem Roman selbst hat, er also nicht
als Falschdeklaration erscheint. Handelt es sich
aber um eine Falschdeklaration, löst der Autor also
den durch die Wahl der Form des Romans gestellten
eigenen Anspruch einer künstlerischen Bearbeitung
nicht ein, kommt ihm die Kunstfreiheit als Schutz
nicht zugute. Dabei ist es allerdings unglücklich,
dass die Mehrheit für das Gegenstück zum Kunstwerk
den Begriff der „Schmähung“ benutzt. Jedenfalls ist
der Begriff der „Schmähkritik“ im Rahmen der
Dogmatik zu Art. 5 Abs. 1 GG ein terminus technicus,
der sich auf die rechtliche Einordnung von
Werturteilen bezieht und begrenzt und Fälle erfasst,
in denen die Wertung auch vom Standpunkt des
Kritikers aus jeglicher Grundlage entbehrt und auf
persönliche Diffamierung abzielt. Geht es aber - wie
im vorliegenden Fall - um die Frage, ob eine
Schilderung als intersubjektiv nachvollziehbare
Beschreibung tatsächlichen Geschehens oder als
Fiktionales oder als kunstspezifische Konstruktion
von Realität einzuordnen ist, taugen solche
Kategorien nicht oder jedenfalls nur als grobe
Indizien.
Hoffmann-Riem
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