18.05.2002 - Ressort Nachrichten

Politik

Schröders haariger Sieg
Der Anwalt der Gegenseite fürchtet um die Pressefreiheit - muss jedes Zitat nachrecherchiert werden?

Von Günther Hörbst

Hamburg - "Wollen Sie denn nicht etwas weiter nach vorne rücken?", fragte der Vorsitzende Richter Andreas Buske recht bestimmt den Anwalt der Presseagentur ddp, Klaus Sedelmeier. Dieser hatte sich gestern um 9.25 Uhr in die hinteren Reihen des Saals 833 im Hamburger Landgericht verdrückt. Er ahnte wohl, was passieren würde: Das Gericht verkündete, dass die Nachrichtenagentur eine Meldung, worin eine Imageberaterin über die Haarfarbe des Kanzlers spekulierte, künftig unter Androhung einer Strafe von 250 000 Euro nicht mehr verbreiten darf.

Sieg also auf ganzer Linie für Gerhard Schröder. Mehr noch: Richter Buske erteilte den Agenturjournalisten zudem einen Rüffel für schlampige Recherche. Im Januar hatte ddp nach deutlicher Aufforderung des Kanzleramts eine Richtigstellung verbreitet und hielt dies für ausreichend. "Dem", erklärte der Richter trocken, "vermag die Kammer nicht zu folgen." Die Agentur hätte ja nicht einmal bei der Imageberaterin nachgefragt, ob deren Aussagen von ihr selbst nachrecherchiert worden seien.

Eben jene Imageberaterin, Sabine Schwind von Egelstein aus München, hatte mit dem Satz, dass es Schröders Überzeugungskraft zugute komme, wenn er sich seine "grauen Schläfen nicht wegtönen lassen würde", den ganzen Schlamassel ausgelöst. Das hatte ddp dann im vergangenen Januar richtig gestellt: "Bundeskanzler Gerhard Schröder legt Wert auf die Feststellung, dass seine Haare weder gefärbt noch getönt sind. Die Behauptung von Egelstein, Gerhard Schröders Haare seien gefärbt oder getönt, ist nach Angaben des Bundeskanzlers unwahr, was wir hiermit richtig stellen."

All das hatte aber nichts gegolten vor Gericht, weshalb ddp-Anwalt Sedelmeier nach dem Urteil erstmal nach Fassung rang. Auf dem Gerichtsgang platzte ihm dann aber der Kragen. "Wir werden sofort in Berufung gehen. Notfalls bis vor das Verfassungsgericht", rief er in den Pulk von Journalisten. Sedelmeier fürchtet um die Pressefreiheit: Wenn das Urteil Schule mache, könne jeder die Medien vor Gericht zerren, wenn sich im Nachhinein eine Meldung als unkorrekt herausstelle. Denn es helfe ja nicht einmal etwas, wenn sie richtig gestellt worden sei. "Wenn eine Agentur jedes einzelne Zitat, das sie veröffentlicht, bis ins letzte Detail nachprüfen muss, könnte sie ihren Laden dichtmachen", schimpfte er.

Sedelmeier will nun juristisch für die Medien "die Kastanien aus dem Feuer" holen, um grundsätzlich klären zu lassen, "wie weit die Einschränkung der Presse gehen darf". Ganz so dramatisch sieht der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) die Sache nicht. DJV-Referent Michael Hirschler ortet in der Jusitz jedoch eine "absolut humorfreie Zone".

Eine Diskussion über die Haarfarbe des Kanzlers sei journalistisch nur mit Humor zu bewältigen. Und das hätte ddp gemacht. Vor allem sei die Meldung ja auch mit allem Ernst richtig gestellt worden. "Das Gericht hat ein völlig falsches Urteil gefällt", sagt Hirschler, "weil es nichts von Humor versteht. Die ganze Sache ist von vorne bis hinten unangemessen und lächerlich."

Wie sorgfältig müssen Journalisten aber nun arbeiten? Muss jedes Zitat recherchiert werden? Hirschler: "Gründliche Recherche muss natürlich immer das oberste Gebot jedes Journalisten sein. Es gibt jedoch bei Zitaten einen Unterschied zwischen Tatsache und Meinung. Wenn man allerdings eine Tatsache verbreitet, die nicht stimmt, kann eine Unterlassung verlangt werden." Für den DJV ist dennoch klar: Das Urteil in Sachen ddp und Kanzler kann so nicht stehen bleiben. Denn wenn es um das reine Zitieren einer anderen Person gehe, sei es nicht üblich, dazu noch andere Quellen zu befragen.