Schröders haariger Sieg
Der Anwalt der Gegenseite fürchtet um die Pressefreiheit - muss jedes Zitat nachrecherchiert werden?
Von Günther Hörbst
Hamburg -
"Wollen Sie denn nicht etwas weiter nach vorne
rücken?", fragte der Vorsitzende Richter Andreas Buske recht bestimmt
den Anwalt der Presseagentur ddp, Klaus Sedelmeier. Dieser hatte sich
gestern um 9.25 Uhr in die hinteren Reihen des Saals 833 im Hamburger
Landgericht verdrückt. Er ahnte wohl, was passieren würde: Das Gericht
verkündete, dass die Nachrichtenagentur eine Meldung, worin eine
Imageberaterin über die Haarfarbe des Kanzlers spekulierte, künftig
unter Androhung einer Strafe von 250 000 Euro nicht mehr verbreiten
darf.
Sieg also auf ganzer Linie für Gerhard Schröder. Mehr noch: Richter
Buske erteilte den Agenturjournalisten zudem einen Rüffel für
schlampige Recherche. Im Januar hatte ddp nach deutlicher Aufforderung
des Kanzleramts eine Richtigstellung verbreitet und hielt dies für
ausreichend. "Dem", erklärte der Richter trocken, "vermag die Kammer
nicht zu folgen." Die Agentur hätte ja nicht einmal bei der
Imageberaterin nachgefragt, ob deren Aussagen von ihr selbst
nachrecherchiert worden seien.
Eben jene Imageberaterin, Sabine Schwind von Egelstein aus München,
hatte mit dem Satz, dass es Schröders Überzeugungskraft zugute komme,
wenn er sich seine "grauen Schläfen nicht wegtönen lassen würde", den
ganzen Schlamassel ausgelöst. Das hatte ddp dann im vergangenen Januar
richtig gestellt: "Bundeskanzler Gerhard Schröder legt Wert auf die
Feststellung, dass seine Haare weder gefärbt noch getönt sind. Die
Behauptung von Egelstein, Gerhard Schröders Haare seien gefärbt oder
getönt, ist nach Angaben des Bundeskanzlers unwahr, was wir hiermit
richtig stellen."
All das hatte aber nichts gegolten vor Gericht, weshalb ddp-Anwalt
Sedelmeier nach dem Urteil erstmal nach Fassung rang. Auf dem
Gerichtsgang platzte ihm dann aber der Kragen. "Wir werden sofort in
Berufung gehen. Notfalls bis vor das Verfassungsgericht", rief er in
den Pulk von Journalisten. Sedelmeier fürchtet um die Pressefreiheit:
Wenn das Urteil Schule mache, könne jeder die Medien vor Gericht
zerren, wenn sich im Nachhinein eine Meldung als unkorrekt
herausstelle. Denn es helfe ja nicht einmal etwas, wenn sie richtig
gestellt worden sei. "Wenn eine Agentur jedes einzelne Zitat, das sie
veröffentlicht, bis ins letzte Detail nachprüfen muss, könnte sie ihren
Laden dichtmachen", schimpfte er.
Sedelmeier will nun juristisch für die Medien "die Kastanien aus dem
Feuer" holen, um grundsätzlich klären zu lassen, "wie weit die
Einschränkung der Presse gehen darf". Ganz so dramatisch sieht der
Deutsche Journalisten-Verband (DJV) die Sache nicht. DJV-Referent
Michael Hirschler ortet in der Jusitz jedoch eine "absolut humorfreie
Zone".
Eine Diskussion über die Haarfarbe des Kanzlers sei journalistisch nur
mit Humor zu bewältigen. Und das hätte ddp gemacht. Vor allem sei die
Meldung ja auch mit allem Ernst richtig gestellt worden. "Das Gericht
hat ein völlig falsches Urteil gefällt", sagt Hirschler, "weil es
nichts von Humor versteht. Die ganze Sache ist von vorne bis hinten
unangemessen und lächerlich."
Wie sorgfältig müssen Journalisten aber nun arbeiten? Muss jedes Zitat
recherchiert werden? Hirschler: "Gründliche Recherche muss natürlich
immer das oberste Gebot jedes Journalisten sein. Es gibt jedoch bei
Zitaten einen Unterschied zwischen Tatsache und Meinung. Wenn man
allerdings eine Tatsache verbreitet, die nicht stimmt, kann eine
Unterlassung verlangt werden." Für den DJV ist dennoch klar: Das Urteil
in Sachen ddp und Kanzler kann so nicht stehen bleiben. Denn wenn es um
das reine Zitieren einer anderen Person gehe, sei es nicht üblich, dazu
noch andere Quellen zu befragen.
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