Anwendung des Prüfungsmaßstabs auf das vorliegende Verfahren
Nach diesem Maßstab sind die Rechte des Antragstellers aus Art. 38 Abs. 1 GG nicht verletzt worden.
a) Soweit der Antragsteller die Feststellung, Würdigung und
Beurteilung der Tatsachen angreift, sind die Rügen der
verfassungsgerichtlichen Prüfung entzogen. Auch die insoweit gegebenen
Begründungen sind vom BVerfG nicht auf ihre Überzeugungskraft
nachzuprüfen. Die zu den Feststellungen führenden Gedankengänge sind
dargestellt und genügen damit dem Begründungserfordernis.
b) Die Verfahrensrügen sind unbegründet.
Der Antragsteller hatte genügend Gelegenheit und Zeit, an den
Untersuchungen mitzuwirken. Er hat auch nicht hinreichend dargetan, daß
sich die Mehrheit im Ausschuß von vornherein seinen Ausführungen
verschlossen und insbesondere die von ihm zur Entlastung eingereichten
Entscheidungen von Gerichten und Staatsanwaltschaften ignoriert habe.
Der Bericht belegt im Gegenteil die Auseinandersetzung mit dem
Vorbringen des Antragstellers.
Der Antragsteller kann auch nichts daraus herleiten, daß bei Sitzungen
des 1. Ausschusses nicht alle Mitglieder durchgängig anwesend waren. Es
war vielmehr ausreichend, daß sich die Mitglieder ihre Überzeugung vor
der abschließenden Abstimmung über die Berichtsentwürfe auf der
Grundlage der angesammelten schriftlichen Unterlagen und Protokolle
bilden konnten.
c) Nach der das Urteil tragenden Auffassung der vier Richter hat
der 1. Ausschuß mit seinem Bericht den Prüfungsauftrag auch nicht
überschritten.
aa) Die Richter legen dar, daß der Untersuchungsauftrag von dem
Zweck des Verfahrens nach § 44b AbgG bestimmt wird, das Vertrauen in
das Parlament zu fördern. Dieses ist nach der Auffassung des
Gesetzgebers besonders gestört, wenn dem Parlament Repräsentanten
angehören, bei denen der Verdacht besteht, daß sie durch Überwachung
politisch Andersdenkender eine Diktatur unterstützt und Freiheitsrechte
der Bürger verletzt haben (s. auch Beschluß vom 21. Mai 1996, BVerfGE
94, 351 (368)). Der Untersuchungsauftrag umfaßt demgemäß die
Feststellung aller Tatsachen, welche die Grundlage dafür abgeben
können, daß die Öffentlichkeit sich ein Urteil über die Verstrickung
des Abgeordneten mit dem MfS und damit über seine politische Würdigkeit
zur Wahrnehmung eines Bundestagsmandats bilden kann.
Eine vom 1. Ausschuß festgestellte wissentliche Zusammenarbeit kann
jedoch nicht allein stets eine hinreichende Grundlage für die
Beurteilung der Legitimität eines Abgeordnetenmandats abgeben. Dabei
sind die - rechtsstaatswidrigen - Bedingungen zu berücksichtigen, denen
nicht selten Anwälte in der DDR bei ihrer Tätigkeit im Rahmen
politischer Strafverfahren ausgesetzt waren. Wenn ein Anwalt in solchen
Fällen mit dem MfS zusammenarbeitete, um dessen Vertrauen zu gewinnen
und so die Belange des Mandanten verfolgen zu können, so schützte er
letztlich seinen Mandanten vor dem Staat der DDR.
Da aber nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Wertung
des § 44b Abs. 2 AbgG die Legitimität des Mandats eines Abgeordneten
erst dann in Frage gestellt wird, wenn er Bürger hintergangen und
verraten hat, so gehört auch dieser Sachverhalt zur Feststellung der
äußeren und inneren Tatsachen, die der Öffentlichkeit die Beurteilung
erlauben, ob ein Abgeordneter würdig ist, ein Parlamentsmandat
wahrzunehmen.
Die belastende Feststellung eines Handlungsziels kann der Ausschuß -
ebenso wie jede andere festzustellende innere Tatsache - nur aus
äußeren Tatsachen und den Angaben des Betroffenen folgern. Er muß sich
über jede dieser Tatsachen eine sichere Überzeugung bilden. Auch
insoweit kann er sich nicht mit Mutmaßungen begnügen.
bb) Nach diesen Maßstäben konnte der 1. Ausschuß nach der
Meinung der vier Richter im Rahmen seines Untersuchungsauftrags auch
die zusammenfassenden Feststellungen zu den Handlungszielen des
Antragstellers treffen.
Diese Feststellungen lauten:
"Zur Überzeugung des 1. Ausschusses steht fest:
Dr. Gregor Gysi hat in der Zeit seiner inoffiziellen Tätigkeit
Anweisungen seiner Führungsoffiziere über die Beeinflussung seiner
Mandanten ausgeführt und über die Erfüllung seiner Arbeitsaufträge
berichtet. Er hat sich hierauf nicht beschränkt, sondern auch eigene
Vorschläge an das MfS herangetragen. Dr. Gysi hat seine herausgehobene
berufliche Stellung als einer der wenigen Rechtsanwälte in der DDR
genutzt, um als Anwalt auch international bekannter Oppositioneller die
politische Ordnung der DDR vor seinen Mandanten zu schützen. Um dieses
Ziel zu erreichen, hat er sich in die Strategien des MfS einbinden
lassen. Auf diese Erkenntnisse war der Staatssicherheitsdienst zur
Vorbereitung seiner Zersetzungsstrategien dringend angewiesen. Das Ziel
dieser Tätigkeit unter Einbindung von Dr. Gysi war die möglichst
wirksame Unterdrückung der demokratischen Opposition in der DDR".
Diese Feststellungen hat der Ausschuß unter Berücksichtigung der
Einlassung des Antragstellers im einzelnen begründet und seine
Überzeugung auf eine Vielzahl von Einzelfeststellungen zu Inhalt, Art
und Weise und Zeitabfolge von Berichten und Erklärungen des
Antragstellers gestützt. Eine politische Bewertung der Verstrickung des
Antragstellers ist der Zusammenfassung nicht zu entnehmen, zumal der
letzte Satz des Prüfungsberichts die Ziele des MfS und damit die
Tätigkeit der Organisation beschreibt, mit der der Antragsteller nach
den Feststellungen des Ausschusses zusammengearbeitet hat.
d) Die Richterin Limbach und die Richter Hassemer, Kruis und
Sommer sind dagegen der Auffassung, daß der 1. Ausschuß mit der obigen
Schlußpassage seinen Feststellungsauftrag überschritten und die Rechte
des Antragstellers aus Art. 38 Abs. 1 GG verletzt hat.
aa) Der Ausschuß darf die zugelassenen Erkenntnismittel nur
daraufhin würdigen, ob sie einen Schluß auf ein Handeln für das MfS
zulassen und dies ausreichend belegen. Eine darüber hinausgehende
Deutung und Bewertung des Tatsachenmaterials ist dem 1. Ausschuß nach
dem Willen des Gesetzgebers verwehrt.
Mit Aussagen darüber, welche Strategien der Abgeordnete mit der
festgestellten Tätigkeit langfristig verfolgt hat, nimmt der Ausschuß
schon im Feststellungsverfahren selbst an der kontroversen
Auseinandersetzung im politisch-parlamentarischen Raum teil, für die
seine feststellende Tätigkeit erst die Grundlage schaffen soll. Die
eigentliche Würdigung der Vorwürfe, die Bewertung ihres politischen
Gewichts, hat der Gesetzgeber jedoch bewußt der Öffentlichkeit
überlassen. Diese soll durch öffentliche Meinungskundgabe oder bei der
nächsten Wahl die Frage beantworten, ob der belastete Abgeordnete
würdig ist, das Volk im Parlament zu vertreten.
Die Richter führen aus, daß sich das Verbot, sich als Ausschuß auch
über die vom Abgeordneten verfolgten Ziele zu äußern, nicht nur aus den
Richtlinien, sondern auch unmittelbar aus Art. 38 Abs. 1 GG ergibt.
bb) Die letzten vier Sätze der Schlußpassage des
Ausschußberichts ("Dr. Gysi hat seine herausgehobene berufliche
Stellung ...") sind als eine über den Sachverhalt der Tätigkeit für das
MfS/AfNS hinausgehende Zuschreibung eines strategischen Ziels vom
Inhalt des Untersuchungsauftrags nicht mehr umfaßt. Im
Gesamtzusammenhang können sie nur als Vorwurf einer groben Verletzung
anwaltlicher Berufspflichten verstanden werden. Sie werden in ihrer
Einseitigkeit der besonderen Situation anwaltlicher Vertretung von
Regimegegnern in einer Diktatur nicht gerecht und gehen über die
Beschreibung innerer Tatsachen (z.B. Vorsatz, Absicht) hinaus. Sie sind
keine Feststellungen, sondern Mutmaßungen. Der Sinn der Beschränkung
der Tätigkeit des 1. Ausschusses auf Feststellungen wird damit
unterlaufen: Der Antragsteller kann deren Unwahrheit nicht aufzeigen.
Vielmehr wird er gezwungen, die politische Auseinandersetzung mit einer
Aussage zu suchen, die von dem Ausschuß mit dem Geltungsanspruch einer
Feststellung aufgrund eines rechtlich geordneten Prüfungsverfahrens
getroffen worden ist.
Die letzen vier Sätze des Berichts sind keine Zusammenfassung oder
Würdigung des Vorhergehenden, sondern laufen auf das Verdikt des
Mandantenverrats hinaus, das weder vom innerparlamentarischen Zweck der
Kollegialenquete gerechtfertigt noch angesichts der bewußten
Beschränkung der Beweismittel rechtsstaatlich belegt werden kann. Die
Schlußpassage ist daher eher geeignet, den Verdacht zu nähren, das
Überprüfungsverfahren werde als ein Mittel der politischen
Auseinandersetzung gebraucht, um den betroffenen Abgeordneten politisch
zu diskreditieren.
Dabei lassen diese Aussagen die Arbeitsbedingungen unter einer Diktatur
außer acht, die einen Anwalt dazu zwingen können, in Verfahren mit
politischem Einschlag gewisse Konzessionen an die Staatsorgane zu
machen, um für seine Mandanten etwas zu erreichen.